(Rom) Mit seinem 2017 erschienenen Buch „Option Benedikt“ wurde der US-amerikanische Kolumnist und Publizist Rod Dreher auch in Europa bekannt. Er gilt heute als einer der brillantesten und bedeutendsten christlichen Denker. Gemeint ist mit dem Buchtitel der Mönchsvater Benedikt von Nursia. Nach dem Tod von Benedikt XVI., an dessen Totenmesse Dreher vergangene Woche in Rom teilnahm, sagte er, daß wir nun „in der Zeit der Option Benedikt XVI. leben“, denn mit dem Tod des deutschen Papstes ende vorerst und vielleicht für immer das christliche Abendland.
Der Begriff „Abendland“ ist in der Nachkriegszeit in einem langen Abschied abhanden gekommen. Er wurde durch das vermeintliche Synonym „der Westen“ ersetzt, das allerdings etwas anderes meint, nämlich die Verschiebung der Machtzentrale von Europa in die USA und den parallel erfolgten Niedergang des landeskirchlichen Protestantismus und verzögert auch der katholischen Kirche.
In der Kirche gebe es zwar viele Konservative, so Dreher, „derzeit aber keine Gestalt vom Format Benedikts“. Niemand könne im Moment dessen Platz einnehmen, der in den letzten Jahren seines Lebens mitansehen habe müssen, wie seine Arbeit der Verkündigung des Glaubens und Verteidigung der Tradition von Franziskus „grausam zerstört“ wurde.
Prophetische Kritik an der zeitgenössischen Kultur
Die „Option Benedikt“ scheint nach dem Tod Benedikts XVI. also aktueller denn je. In einem gestern von der Tageszeitung La Verità veröffentlichten Interview betonte Dreher, daß Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. „ein brillanter Theologe“ war, der seine Bücher so verständlich geschrieben habe, daß sie allen Christen zugänglich sind. Diese große Begabung wirke über seinen Tod hinaus, da seine Texte auch in der Zukunft allen zugänglich sind, die sie lesen wollen.
„Dennoch denke ich, daß das wichtigste Erbe, das er den Christen hinterlassen hat, seine entschiedene und prophetische Kritik an der zeitgenössischen Kultur ist.
Er erkannte klar die Gefahren, die uns drohen, wenn wir unsere Wurzeln aufgeben und uns dem Kult der Technologie und der Diktatur des Relativismus hingeben. Außerdem war er ein echter christlicher Humanist, vielleicht der letzte große in Europa. Peter Seewald, sein Biograph, schrieb, daß er sich, als seine erste Begegnung mit Kardinal Ratzinger 1992 stattfand, von der Kirche abgewandt hatte, aber je mehr er dem Kardinal zuhörte, desto mehr erkannte er, daß Ratzinger auch die Krisen unserer Zeit verstand und die einzig mögliche Lösung anbot, sodaß er zum Glauben zurückkehrte. Was Seewald in Ratzinger sah, ist immer noch da für die ganze Welt.“
Das Urteil über Ratzinger, er sei ein Konservativer gewesen, stimme insofern, als er „ein Konservativer im eigentlichen Sinn des Wortes war“.
„Er wollte die Fülle der katholischen Tradition gegen die Modernisierer bewahren, die alles ändern wollen, um sich dem Zeitgeist anzupassen.“
Es sei aber irreführend, diese Begriffe zu verwenden, um Ratzinger zu beschreiben. Er selbst habe einmal erklärt, ein „Progressist“ zu sein, weil er Konzilsperitus war.
„Nicht deshalb, weil er ein Linkstheologe war, wie es ein Hans Küng und die ihm nachfolgenden Gegner waren, sondern weil er wollte, daß sich die Kirche von der Strenge der Neuscholastik befreit und zu einer mehr augustinischen Erfahrung von Christus zurückkehrt. Mit anderen Worten, er betrachtete es als progressiv, den Status quo abzuschütteln und in einer intensiveren und radikaleren Art als Kirche den Herrn kennenzulernen und ihm zu dienen. Er war wirklich ein Mann des Konzils, ungeachtet dessen, was seine Feinde sagten. Aber es ist auch wahr, daß er sich nicht vorstellen konnte, daß die Rezeption des Konzils so katastrophal ausfallen würde.“
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. habe erkannt, „daß die Vernunft ohne Glauben unweigerlich fürchterlich wird, wie wir heute überall in dieser post-christlichen Welt sehen können“.
„Ratzinger zeigt dem konservativen Denker, auch dem laizistischen, daß Glauben und Vernunft keine Feinde sind, wie die Modernisten behaupten, sondern in Wirklichkeit Geschwister, die zusammenarbeiten müssen, um eine menschliche Welt aufzubauen.“
Auf die Frage, ob es Denker und Bewegungen gibt, die Ratzingers Denken vorantragen können, gibt sich Dreher zurückhaltend:
„Es gibt heute viele Konservative in der katholischen Kirche. Nach der beleidigenden Predigt von Franziskus beim Begräbnis von Benedikt habe ich einem italienischen Freund eine Nachricht geschrieben, in der ich ihm sagte, daß ich ein ungutes Gefühl habe, was die Zukunft der rechtgläubigen katholischen Gläubigen betrifft, nun, da Benedikt nicht mehr ist.“
Der Freund habe geantwortet, daß er diesbezüglich unbesorgt sei, wie die große Zahl der auf dem Petersplatz Anwesenden gezeigt habe. Allerdings, so Dreher, könne er im Moment niemand vom Format Benedikts erkennen, der seine Position einnehmen könnte.
Der Westen ist von einer Todessehnsucht getrieben
„In gewisser Hinsicht ist es klar, daß es niemand gibt, der seinen Platz einnehmen könnte: Er war der letzte christliche Humanist, der letzte, der wirklich und leidenschaftlich an die Rolle der mit dem christlichen Glauben integrierten Vernunft glaubte und die Hochkultur verkörperte und verteidigte. Der Tod von Papst Benedikt XVI. symbolisiert den Untergang des christlichen Abendlandes. Die Zukunft steht nicht fest, wir können immer zu Christus zurückkehren. Es brauchte aber ein Wunder, denn der christliche Westen hat eine Todessehnsucht.
In gewisser Hinsicht führte Benedikt ein tragisches Leben: Er hat für das Konzil gearbeitet, um die Kirche zu erneuern und Christus anzunähern, aber gelebt, um mitansehen zu müssen, wie eben dieses Konzil dazu gebraucht wurde, um die Kirche schwer zu schädigen. Er wurde Papst, aber seine persönliche Heiligkeit und intellektuelle Genialität haben ihm nicht geholfen, die Kirche vom Schmutz zu reinigen. Die Arbeit, die er als Glaubenspräfekt von Johannes Paul II. und dann als Papst geleistet hat, um den wahren Glauben und die katholische Tradition zu verkünden und zu lehren, hat nur solange überdauert, um mitansehen zu müssen, wie dann sein Nachfolger Papst Franziskus alles grausam zerstört. Das alles ist seine Tragödie.
Wenn sich aber die Dinge, vor denen uns Benedikt gewarnt hat und vor denen er uns durch seine besondere Verkündigung des Evangeliums und des Glaubens bewahren wollte, wirklich bewahrheiten sollten – und ich denke, daß es so sein wird –, dann wird es unsere Tragödie sein.“
Wenn er heute in den USA Seminaristen und jungen Priestern begegne, so Dreher, dann sagen diese nicht:
„daß sie Priester von Johannes Paul II. sind, und schon gar nicht, daß sie Priester von Franziskus sind. Sie sagen mir, daß sie Söhne Benedikts XVI. sind, angeregt von der Kraft und der Schönheit seiner Unterweisung.
Wenn die Kirche in den USA in den nächsten 50 Jahren in ihrem Priestertum überleben wird, dann wird das ein Geschenk Wojtylas und Ratzingers sein.“
Für einen jungen Katholiken in den USA bestehe heute wenig Aussicht, in der eigenen Pfarrei eine angemessene Katechese zu erfahren, „und Gott allein weiß, ob an der katholischen Schule. Aber all die vielen guten, wahren und schönen Dinge, die Benedikt XVI. über den Glauben geschrieben hat, sind da, um von allen entdeckt zu werden.“
Die katholische Glaubensunterweisung ist durch die modernistische Ideologie korrumpiert
Auf die Frage, ob er also denke, daß die katholische Welt imstande sei, in Zukunft Denker vom Format Benedikts hervorzubringen, sagte Dreher:
„Alles ist möglich, aber wenn es geschieht, dann nicht aufgrund der normalen Mittel der katholischen Bildung, die durch die modernistische Ideologie korrumpiert wurden. Die institutionelle Katholizität scheint derzeit spirituell und intellektuell im Sterben zu liegen.“
Sollte Gott aber „für uns einen zukünftigen Ratzinger vorbereiten“, dann werde diesem derzeit irgendwo beigebracht, „Gott in der Tradition und in der Begegnung mit dem Guten, dem Wahren und dem Schönen zu lieben“.
Die Frage nach den Folgen von Benedikts Tod beantwortete Dreher abschließend mit den Worten:
„Vielleicht bin ich einfach nur abergläubisch, aber ich habe den Eindruck, daß Benedikt XVI. auf irgendeine mystische Weise ein „Katechon“ war, eine Kraft, die Bergoglio vom Schlimmsten zurückhielt. Bevor ich zur Totenmesse für Benedikt ging, dachte ich, daß ich in diesem Punkt vielleicht zu pessimistisch sei. Als ich dann aber die grausame und respektlose Predigt von Franziskus hörte, wußte ich, es nicht zu sein. Bergoglio verachtet wirklich alles, was Benedikt repräsentiert hat. Nun befürchte ich, daß Bergoglio noch freier darin ist, Schaden anzurichten. Ich verstehe nun auch besser, warum Benedikt sagte, daß der Glauben nur in kleinen Gemeinschaften von wirklichen und einfachen Gläubigen überleben wird. Jetzt ist nicht der Augenblick zu verzweifeln oder vor der Angst zu kapitulieren, sondern stark zu sein und beharrlich und den Glauben auf provokante Weise zu leben. Wir erleben die Zeit der Option Benedikt XVI.“
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: La Verità/Vatican.va (Screenshot)
Dieser Artikel trifft es auf den Punkt. Wir hatten im Hl. Papst Johannes Paul II. einen mystischen Papst, der uns mit Mut, Glaubenstiefe und starken, ergreifenden Worten betend führte. Im gottseligen Papst Benedikt XVI. hatten wir einen Denker und Lehrer, der das katholische Niveau des religiösen Diskurses in der Welt repräsentierte und viele Menschen zum Nachdenken und zur Glaubensfindung anregte.
Papst Bergoglio ist menschlich-persönlich, vom Selbstverständnis bis zur Ausstrahlung, wie auch von der Wirkung als Papst bishin zum plumpen, marxistisch inspirierten Boulevard-Katholizismus seiner befreiungstheologisch vergifteten Heimat der absolute Tiefpunkt des Papstamtes und in seiner Vulgarität nicht zu unterbieten.
Es ist gut, daß SE Erzbischof Gänswein als notwendiges Korrektiv seine Stimme erhob, wie auch einige, wenige mutige Bischöfe und Kardinäle. Insgesamt müsste es einen viel stärkeren Widerstand (ja, eigentlich Aufstand) gegen diesen niveaulosen Amtsinhaber (man mag gar nicht mehr von einem Papst oder Nachfolger Petri sprechen) geben. Das ist alles viel zu duldend und zaghaft. Papst Bergoglio dagegen ist alles andere als zaghaft oder zimperlich in seiner Vulgarität.
Das hat er mit seiner schäbigen Leichenpredigt für seinen großen Vorgänger brilliant bewiesen. Beten wir, daß wir rasch einen guten, neuen Papst bekommen!
Mit seinem Rücktritt als Regiernder Papst ist Benedikt XVI. als Betender Papst zum Schutzengel der Tradition für fast zehn Jahre geworden.
Wenn er falsch entschieden haben sollte, dann sind das keine Sünden. Und im Stand der Heiligmachenden Gnade ist er jedenfalls gerettet.