(Rom) Die italienischen Parlamentswahlen am 25. September werfen ihren Schatten voraus. Während die Italienische Bischofskonferenz eine indirekte Wahlempfehlung für die politische Linke abgibt, mahnt der bekannte Liturgiker Don Nicola Bux, ein Freund von Benedikt XVI., die Rechtsparteien, nicht länger einen Bogen um ethische Themen zu machen aus Sorge, vielleicht Stimmen verlieren zu können.
Das Mitte-rechts-Bündnis der nationalkonservativen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni, der rechtspopulistisch-regionalistischen Lega von Matteo Salvini und der bürgerlich-liberalen Forza Italia von Silvio Berlusconi steht laut allen Umfragen als wahrscheinlicher Sieger der bevorstehenden Parlamentswahlen fest. „Ohne tiefe Werte wird die Koalition dem Angriff des Einheitsdenkens aber nicht standhalten“, mahnt Don Nicola Bux. Gleichzeitig fordert er die Gläubigen auf, in den Parteien in die Weichenstellungen einzugreifen, um die linke Vorherrschaft in der Diskussion gesellschaftspolitischer Themen zu beenden.
Don Bux beklagt in einem Interview mit der Tageszeitung La Verità, daß zunächst wieder geklärt werden müsse, was rechts, links und Mitte ist. Die Politiker selbst wüßten es nicht mehr, weshalb die politische Geographie gerne für überwunden erklärt werde, was jedoch nicht weiterhelfe, sondern mehr die eigene Orientierungslosigkeit widerspiegle.
„In der Mitte ist die Wahrheit, das heißt, die Tugend, die für einen Christen Christus ist. Rechts und links bezeichnen zwei ‚Häresien‘, wörtlich: ‚extremistische Optionen der Wahrheit‘, von denen wir wissen, was sie im Laufe der Geschichte angerichtet haben.“
Die Politiker, die sich auf politische Häresien berufen, versuchen dieses „Ungleichgewicht“ durch das Hinzufügen der Bezeichnung „Mitte“ auszugleichen. Der heutigen politischen Generation fehle es manchmal am nötigen kulturellen Fundament. Sie sei zu wenig gefestigt, weshalb sie dem medial dominanten Einheitsdenken, das durch den Mainstream vorgegeben und gestützt werde, argumentativ nichts entgegenzusetzen hätte. Diese Unsicherheit führe dazu, daß Politiker ethische Themen meiden, bei denen sie sich in die Schußlinie der Medien begeben.
„Der Mangel an Kultur führt zur Verwendung der Begriffe ‚rechts‘ und ‚links‘ wie Slogans und zur Unfähigkeit, auf das Einheitsdenken rationale Antworten zu geben. Deshalb ist man verwirrt und ängstlich, also unfähig, die wirklichen Prioritäten ethischer Themen, aber nicht nur dieser, zu vertreten aus Angst, Zustimmung zu verlieren.“
Dagegen gebe es jedoch ein Mittel, so Don Bux:
„Die Politik muß sich mit der echten Wirklichkeit konfrontieren, indem sie versucht, deren Wurzeln und Ursachen zu verstehen und über ihre Grundlagen nachzudenken: Das ist die kulturelle Arbeit, die das Mitte-rechts-Bündnis leisten sollte, um ihre Intuitionen in Politik, das heißt, in Tatsachen zu übersetzen. Andernfalls wird es sich nach einigen Regierungsmonaten unter den inneren und äußeren Angriffen der Unkultur auflösen.“
Ein Wahlbündnis genüge nicht, so der Theologe, um einem Gemeinwesen eine solide Grundlage zu geben und richtungsweisend zu sein. Allerdings, so Don Bux, sei die Kandidatur einiger „nicht-hybrider Katholiken“, wie sie der Ökonom und ehemalige Präsident der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi nannte, ein Signal, das „hoffen läßt“. Konkret führt Don Bux den Wissenschaftsphilosophen Marcello Pera, einen Freund von Benedikt XVI., an.
Das Rechtsbündnis, das die Wahlen gewinnen dürfte, ist durch interne Unterschiede geprägt. Wie können die Konservativen der Fratelli d’Italia mit den Liberalen von Forza Italia unter einen Hut gebracht werden?
Don Bux hält dies für möglich, allerdings unter der Bedingung, daß die bisherige Zurückhaltung der Rechten in ethischen Fragen aufgegeben werde.
„Die Zurückhaltung rührt von einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Linken her, die das positivistische Denken, das nur wahrnimmt, was funktional ist, als einzig relevantes Denken akzeptiert und alle anderen kulturellen Realitäten in den subkulturellen Bereich verbannt. Diese Ausschließlichkeit reduziert und bedroht den Menschen. Von wegen Inklusion.“
Dieser Positivismus präge heute in Europa weite Teile der Entscheidungsträger. Daraus ergebe sich ein Rechtsverständnis, „das Launen in Rechte verwandelt“.
„So wird Europa gegenüber anderen Kulturen, zum Beispiel der großen slawischen Kultur, unfähig zum Dialog und kann nur mehr Waffen und Sanktionen einsetzen.“
Die Reaktionen auf das richtungsweisende Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofs der USA vom vergangenen Juni, mit dem ein „Recht auf Abtreibung“ verworfen wurde, sei der Beleg, daß es nicht um ein bloßes Rückzugsgefecht gehe, bei dem man bereits auf verlorenem Posten stehe, wie nicht wenige rechte Politiker in der EU zu denken scheinen.
„Das amerikanische Ergebnis ist die Folge eines vorwärts geführten Kampfes.“
Das unterscheide die Lage in den USA von jener der westeuropäischen Staaten grundlegend.
„Die Christen haben drei Jahrhunderte lang genau diesen Kampf geführt, bevor sie zur konstantinischen Freiheit gelangten. Die USA beweisen heute, daß der Status quo nicht irreversibel ist.“
Und weiter:
„Das Naturrecht ist keine bloß katholische Lehre, sodaß man sich geradezu schämt, sie in den Mund zu nehmen, sondern bezieht sich auf die Wahrheit vom Menschen. Und der Mensch sucht die Wahrheit, die wie das Wasser des Meeres ist: Wenn man es an einer Seite zurückdrängen will, dringt es an anderer Stelle ein. So ist der Kampf überall zu führen und er kann lange dauern: Das Leben ist ein ständiger Kampf, und wir sind nie ruhig, weil wir Fremde im Vaterland sind, wie Johannes Paul II. es sagte. Der Kampf der Christen ist nie ein Rückzugsgefecht.“
Bis zur Jahrtausendwende fanden die ethischen Themen einen sicheren Rückhalt in der kirchlichen Hierarchie, aber heute?
„Der heilige John Henry Newman schreibt, daß die Kirche strukturiert wurde, um sich um die Welt zu kümmern und sich in diese einzumischen. Ihre Glieder tun daher ihre Pflicht, wenn sie sich zusammenschließen, Partei bilden, vermittelnde Rollen einnehmen, indem sie den Geist des Bösen bekämpfen, an den Königs- und Fürstenhöfen von damals und heute und in einer Vielzahl anderer Situationen. Und wenn sie nicht mehr erreichen können, können sie zumindest für die Wahrheit leiden und dadurch das Gedächtnis der Wahrheit wachhalten, indem sie ihretwegen verfolgt werden. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist der heilige Thomas Morus.“
Daraus folgt, so Don Bux, daß die Katholiken sich zu Parteien zusammenschließen, oder in den Parteien, denen sie angehören, aktiv werden sollen – nicht nur um für Einzel- und Partikularinteressen, sondern für das Allgemeinwohl einzutreten. Das sei das Gegenteil dessen, was die Linkskatholiken täten, die in Gruppen aktiv sind, die gegen die Wahrheit arbeiten. Zudem sei nicht zu vergessen:
„Auch viele Nicht-Christen sind besorgt, wenn die Kirche aufhört, aufzuzeigen, was gut und böse ist.“
Als die Vorsitzende der Fratelli d’Italia und mutmaßliche nächste italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni jüngst Gräber auf den Friedhöfen für die abgetriebenen Kinder anregte, ging ein Aufschrei der Empörung durch den Mainstream. Don Bux hält diese Forderung hingegen für mehr als angemessen. „Es werden Friedhöfe für Hunde und Katzen gefordert, hier aber haben wir es mit Menschen zu tun.“ Entscheidender sei jedoch, der Abtreibung ein Ende zu bereiten.
Der Oberste Gerichtshof in den USA stellte mit seinem jüngsten Abtreibungsurteil fest, daß Richter keine Entscheidungen zu treffen hätten, die der Politik zustehen. Die Gewaltenteilung sei einzuhalten. In Europa gehe die Tendenz in eine andere Richtung. Die ehemalige Vorsitzende des italienischen Verfassungsgerichtshofs Marta Cartabia, die der Gemeinschaft Comunione e Liberazione nahesteht und unter Mario Draghi Justizministerin wurde, meinte sogar, es sei eine Aufgabe der Verfassungsgerichte, die Rechtsordnung zu „dynamisieren“. Don Bux widerspricht diesem Denken:
„Ich weiß nicht, was unter ‚dynamisieren‘ zu verstehen ist. Für den berühmten Theologen Origenes müssen die Christen bestimmten geltenden Rechtsordnungen widerstehen.“
Ungerechten Gesetzen sei im Interesse des Gemeinwohls entgegenzutreten.
Die Frage, wie man erkenne, was gerecht und somit richtig ist, sei in der Geschichte von den Menschen, so Don Bux, „fast immer auf der Grundlage eines Gottesbezuges“ entschieden worden.
„Die Rechte Gottes zu bekräftigen, mag kurzfristig politisch verlieren lassen, aber nie moralisch. Die erste und größte Bekräftigung der Rechte Gottes durch die Christen seit der Apostelzeit war, sich ‚am Tag der Sonne‘ zur heiligen Liturgie zu versammeln. Und der Staat erkannte das Versammlungsrecht an, und es wurde „Tag des Herrn“ genannt, Dominica.
Verschiedene europäische Staaten, darunter der Kommunismus und der Nationalsozialismus, hätten versucht, die Staatsgewalt vom Recht zu entkoppeln, ja sogar, die Gewalt dem Recht entgegenzusetzen und es schließlich mit Füßen zu treten. Der heilige Augustinus stellt in seiner De civitate Dei die Frage, was den Staat, wenn man das Recht wegnimmt, von einer großen, gut organisierten Räuberbande unterscheide, die die ganze Welt bedrohe und in den Abgrund treibe?
„Dem Recht zu dienen bedeutet, die Herrschaft der Ungerechtigkeit zu bekämpfen, und das ist und bleibt die grundlegende Aufgabe der Politik“, so Don Bux.
Dazu gehöre nicht zuletzt, daß der Politiker ein geformtes Gewissen haben müsse, „um nicht an der Macht zu hängen“. Ihm müsse immer und überall das Allgemeinwohl am Herzen liegen. Sein kulturelles Urteil müsse die Zehn Gebote als Grundlage haben, die die Synthese des natürlichen Moralgesetzes darstellen.
„Das ist der wahre ethische Codex, von dem die Politiker so oft sprechen.“
In Ungarn und Polen leiste die Kirche noch ihren Erziehungsauftrag, dieser sei in anderen Ländern aufgegeben worden, „und die Folgen zeigen sich in der Politik“.
Ist ein alternatives Gesellschaftsmodell jenseits des linken Mainstreams möglich?
„Es ist nicht nur möglich, sondern unerläßlich, ein solches zu verwirklichen. Jesus Christus hat gesagt, die Christen sind der Sauerteig der Erde und das Licht der Welt. Wenn sie nicht auf diese Funktion verzichten, bauen sie überall die Kirche auf, die Zeichen und Instrument der Einheit des ganzen Menschengeschlechts ist.“
Es sei eine Tatsache, daß den Christen eine säkularisiertere Welt gegenüberstehe. Dem hält Don Bux jedoch die Rede von Papst Benedikt XVI. am 22. September 2011 vor dem Deutschen Bundestag entgegen. Benedikt XVI. sagte damals:
„Natürlich wird ein Politiker den Erfolg suchen, ohne den er überhaupt nicht die Möglichkeit politischer Gestaltung hätte. Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Erfolg kann auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Verfälschung des Rechts, für die Zerstörung der Gerechtigkeit.“
Dazu Don Bux:
„Die christliche Gemeinschaft ist das alternative Gesellschaftsmodell, in dem sich jene formen und an das sich in seinem Urteil jene halten müssen, die in der Politik, verstanden als hohe Form der Liebe, dienen wollen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL