
Ein Gastkommentar von Hubert Hecker
Professor Joachim Valentin, Direktor der katholischen Akademie „Haus am Dom“ in Frankfurt, beklagte kürzlich in der Limburger Kirchenzeitung eine „Krisenrhetorik“ in der Kirche. Die würde sich bei Katholiken und Kirchenmitarbeitern in melancholischer Handlungsunfähigkeit und lähmender Lethargie auswirken. „Auch Priester, die jahrelang einen guten Job gemacht“ hätten, seien jetzt durch „pauschale Kritik von außen“ verunsichert. Mit letzterer Aussage hat Valentin sicherlich einen wunden Punkt getroffen. Aber kommt die verallgemeinernde Beschuldigungskritik gegen Kirche und Kleriker nur von außen? Oder haben nicht unsere Bischöfe die pauschale Kirchenkritik eingeleitet bzw. verstärkt?
Die MHG-Studie belegte im Herbst 2018, dass ca. vier Prozent der Geistlichen im Zeitraum von 1945 bis 2010 gegen eine kirchliche und moralische Grundregel verstoßen haben. Es ist klar, dass die noch lebenden Täter unter eine angemessene und gerechte Strafe gestellt werden müssen. Doch bei diesem geringen Prozentsatz von Regelverstößen das gesamte Regelsystem infrage zu stellen, zu verändern oder gar abzuschaffen, ist offensichtlich nicht vernünftig.
Genau das aber kündigten die DBK-Bischöfe unter der damaligen Leitung von Kardinal Marx an: man sprach von „Zäsur“, als wenn alles anders werden müsste; von „Kirche vor dem Abgrund“ war die Rede. Dann machte man die kirchlichen System- und Machtstrukturen für Missbrauch verantwortlich, insbesondere die geistliche Vollmacht der Priester. Doch bei 96 Prozent der geweihten Geistlichen, die „ihren guten Job machen“, führt die angeprangerte „priesterliche Machtfülle“ nicht zu Machtmissbrauch oder sexuellen Übergriffen.
Schließlich wurde die Schuld Einzelner für Missbrauchshandeln ganz auf die Institution Kirche abgewälzt (vgl. Beitrag 5). Kardinal Marx unterstellte der Kirche ein „systemisches Versagen“. Bischof Bätzing will die gesamte Kirche in Haftung nehmen. Alle Kleriker sollen unter „Generalverdacht“ gestellt werden, fordert der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer. Bei solchen negativen Pauschalurteilen von Seiten einiger Bischöfe braucht man sich über lähmende Entmutigung kirchlicher Mitarbeiter und Priester nicht zu wundern.
Synodale Tiraden zur Kirchenbeschimpfung durch den BDKJ-Vorsitzenden …
Bei der dritten Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt hat man noch schlimmere Tiraden zur Selbstbeschuldigung der Kirche gehört. Der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun sagte unter dem Tagesordnungspunkt ‚Aussprache‘ am 3. Februar 2022:
„Wir haben als ersten Redebeitrag (von Bischof Voderholzer) eine Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu den systemischen Ursachen gehört, eine Aussage, die offenbar Fragen und Suchen nach der Wahrheit des abscheulichen Missbrauchs durch die Täterorganisation Kirche als schlimmer bewertet als Missbrauch selbst (eine verleumderische Verdrehung der Bischofsaussage, vgl. Beitrag 4). Das ist menschenfeindlich und schützt dieses System. Danke dafür, dass es zumindest sichtbar gemacht wird.
Die Kirche ist durch und durch ein System der Gewalt, des Leids und der Vertuschung des Ganzen, damals und heute, das auch weltweit gilt und sich bis nach Rom durchzieht, was nicht überraschend ist. Denn dort wird monarchisch-zentralistisch das System geschützt und gestützt“. Angesichts solchen Systemversagens sei das Reden auf der Synodalversammlung mit theologischen und humanwissenschaftlichen Argumenten – mit Verlaub – „doch alles sch…egal“.
Diese Kirchenbeschimpfung eines von den Bischöfen bezahlten kirchlichen Verbandsfunktionärs würde als Vorlage für Voltaires Fluchworte durchgehen: Zerschmettert die infame Kirche! Sprengt das kirchliche System von Gewalt- und Leiderzeugung in die Luft!
… und warum Bischof Bätzing gegen diese verbalen Übergriffe nichts unternimmt
Bischof Bätzing hatte unmittelbar vor der „Aussprache“ der Synodalen einen „Leitfaden für gute Kommunikation und Konfliktgestaltung“ vorgestellt. Darin wird bei Meinungsverschiedenheit eine „Kultur des achtsamen Miteinanders“ unter „fairen Bedingungen“ gefordert. Der Akzent des Leitfadens liege „im Hören und Einlassen aufeinander“, hatte Bischof Bätzing den Synodalen mit auf den Weg gegeben. Bischof Bode erklärte zu dem Kommunikationsleitfaden, was damit verhindert werden sollte: „Verbale Übergriffe, wenn man zum Beispiel nicht genau hingehört hat und Wortmeldungen verletzend aufgreift“.1
Warum gab es aber von Seiten des Präsidiums keine Anzeichen, diese übergriffige und die Kirche verteufelnde Rede inhaltlich zurückzuweisen? Warum rügte Bischof Bätzing seinen Mitbruder Voderholzer grundlos wegen missverstanden „grenzüberschreitenden Verletzungen“, blieb aber gegenüber dem kirchenzerschmetternden Beitrag eines Laien-Funktionärs stumm? Warum nahm der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz seine bischöfliche Aufgabe nicht wahr, den aggressiven Redner bei seinem offensichtlichen Verstoß gegen Grundsätze des kirchlichen Glaubens und der guten Sitten in die Schranken zu weisen?
Die bischöfliche Zurückhaltung geschah offenbar aus zwei Gründen:
Das Präsidium hat den Orientierungstext zur Abstimmung empfohlen, in dem die „Vielfalt des Glaubens“ betont wird. Demnach dürfte das bischöfliche Lehramt niemals die „Menschen“ ermahnen oder rügen, „die auf der Basis ihres Gewissens anders leben und anders glauben, als es den Normen der Kirche entspricht“ (Kap. 23). Damit bezieht sich der Orientierungstext auf das individualisierte Freiheitsrecht der Moderne – gegen den christlichen, von Liebe geleiteten Freiheitsbegriff nach Paulus (vgl. Beitrag 5). BDKJler dürften nach dem synodalen (Des-)Orientierungsansatz als Andersglaubende „Narrenfreiheit“ beanspruchen, wie es eine BDKJ-Delegierte formulierte,2 und jedes bischöfliche Einschreiten als Angriff auf ihre Glaubensfreiheit zurückweisen.
Des Weiteren wurde in dem gleichen Text dekretiert, dass das bischöfliche Lehr- und Leitungsamt abgebaut werden soll zugunsten einer Diskursklärung aller strittigen Fragen im Miteinander aller glaubenssinnigen Gläubigen. In der synodalen Neu-Kirche als „Dialoggemeinschaft aller Getauften und Gefirmten“ (Kap. 49) sind die Bischöfe nur noch „wichtige Teilnehmer am Gespräch“. Die Bischöfe sollen ihr Leitungsamt aufgeben und auf die Rolle von Moderatoren und „Brückenbauern“ herabgestuft werden – und auch das nur bei wenigen Prälaten: Auf dem Synodalen Weg sind fünf von 67 Bischöfen Co-Moderatoren in den Foren und auf der Vollversammlung. Als Gesprächsvermittler haben sie nach dem elitären Jargon der herrschenden deutschen Synodaltheologen nur noch den diskursiven Raum für den herrschaftsfreien Dialog im ambiguitätssensiblen Umgang mit der Komplexität der heilsgeschichtlichen Überlieferung zu gewährleisten. Nach dieser Neu-Regel der synodalen Neu-Kirche wäre es sogar ein Regelverstoß, wenn die Bischöfe ihre Amtspflichten als Hüter der anvertrauten Heilswahrheit wahrnehmen oder auf dogmatische Texte verweisen (vgl. Forumstext I).
Doch dieser demokratische Moderatismus und Modernismus entspricht nicht der Gestalt und Struktur der apostolischen Kirche, wie es das Konzil festgeschrieben hat als kontinuierliche Kirchenlehre seit frühchristlicher Zeit: Jesus Christus hat die Apostel und damit die bischöflichen Nachfolger mit der Leitung und Lehraufsicht seiner Kirche beauftragt (Lumen Gentium Kap. 20/21) – und nicht ein gemischtes Doppel als präsidiale Co-Moderatoren/innen auf den (synodalen) Weg gesandt.
Statt Strukturreform ist eine spirituelle Erneuerung der Kirche glaubensnot-wendig
Unter dem Tagesordnungspunkt Aussprache zur Lage der Kirche am ersten Tag der synodalen Vollversammlung in Frankfurt äußerten sich zahlreiche Synodale. Die meistern waren direkt oder indirekt mit der Agenda des Synodalpräsidiums einverstanden, die Kirche in Deutschland mit Struktur- und Systemreformen zu einer Anderskirche umzubauen. Der Papstbrief vom Sommer 2019 zum Primat der Evangelisierung und geistlicher Umkehr ist in der Schublade ‚erledigt‘ durch Strukturreformen abgelegt.
Nur eine einzige Stimme war zu hören, die einer spirituellen Erneuerung der Kirche das Wort gab.
Dr. Emeka Ani stammt aus Nigeria. Der Psychotherapeut lebt mit seiner Familie seit einigen Jahren in Frankfurt. Er wurde als Vertreter des Bundespastoralrats der Katholiken anderer Muttersprachen ins Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gewählt und von dort als Synodaler delegiert. Er sagte:
„Ich begrüße ausdrücklich die Initiative zum Schuldbekenntnis.3 Wir brauchen einen Heilungsprozess. Am Ende des gesamten Prozesses brauchen wir doch einen Versöhnungsprozess, auch innerkirchlich. Wir brauchen neben den strukturellen Reformen auch eine spirituelle Erneuerung der deutschen Kirche. Es mehren sich die leisen Stimmen in der katholischen Kirche, die vielen Priester und Ordensleute, die gewissenhaft ihre Aufgaben in der Kirche erledigen (siehe oben in der Äußerung Valentin).
In vielen kirchengeschichtlichen Situationen hat die Kirche eine spirituelle Erneuerung gewagt. Auch dieses Mal ist es gefragt, dass wir uns spirituell erneuern. Wie das geschehen soll, weiß ich selbst noch nicht, aber das brauchen wir. Wir haben auch in Mitteleuropa eine Herausforderung: Am Ende müssen wir den Säkularismus anpacken, davor können wir uns nicht verstecken. Die Kirche ist ein Zeichen der Freiheit in der Vergangenheit, eine spirituelle Freiheit. Das müssen wir angehen.“
Da musste erst ein Vertreter der jungen und blühenden Missionskirche aus Afrika kommen, um den deutschen Synodalen zu sagen: In der (europäischen) Kirchengeschichte hat es wirkliche Reformen nur aufgrund von spiritueller Erneuerung gegeben. Das steht auch in der derzeitigen Glaubenskrise wieder an. Es ist zu hoffen, dass sich dem Aufruf von Dr. Ani weitere Synodale anschließen.
Bild: Synodalerweg.de (Screenshot)
Bisher in der Reihe „Der Synodale Weg zum BRUCH mit Bibel, Tradition und Lehramt“ erschienen:
- Gutachter bedienen das Skandalinteresse der Medien (1)
- Mediale Schuldsprüche, rechtlicher Freispruch und ein Bekenntnis des Papstes (2)
- Castellucci, das Sündenbocksyndrom und die journalistische Doppelmoral (3)
- Synodaler Rufmord an einem Bischof (4)
- Abschieben von persönlicher Täterschuld auf Strukturen und Systeme der Kirche (5)
- Synodale Verfälschung der biblischen Freiheitsethik (6)
- Deutsch-synodale Desorientierung: grundstürzende Neu-Lehre zu Bibel und Zeitgeist (7)
1 Bischof Bode: Der kleinste gemeinsame Nenner ist keine Bereicherung, von Roland Müller, katholisch.de, 4.2.2022
2 Die BDKJ-Vertreterin Paulina Hauser (26) ist darüber begeistert, dass die Jugendvertreter „ein bisschen Narrenfreiheit haben“ und auf der Synode „das heraushauen, was ihnen auf der Zunge liegt“, in: Die Narrenfreiheit nutzen als Jugendvertreter auf dem Synodalen Weg, in: Der Weinberg 5/2020, Monatszeitschrift der OMI-Ordensgemeinschaft
3 Die polnische Bischofskonferenz hat den ersten Freitag in der Fastenzeit zu einem Tag des Gebets und der Buße für die Sünden des Missbrauchs und die Opfer der dadurch Verwundeten angesetzt.
Sehr geehrte Verantwortliche,
In den letzten 2 Jahren haben wir viel gehört, gelesen und gezeigt bekommen von der Römisch-Katholischen Kirche. Es ist sicher ganz falsch, die gesamte Einheit zu diffamieren und zu verunglimpfen.
Führt endlich die erforderlichen Konsequenzen durch und macht diesem scheußlichen Debakel ein Ende.
Mit freundlichen Grüßen
Natürlich gab und gibt es – auch in der früheren Zeit – solche Vorkommnisse, die als dazugehörig
verstanden wurden und als Befreiung gepriesen worden sind.
Wir wissen zwischenzeitlich viel mehr über die Spätfolgen dieser Ungeheuerlichkeiten.
Kehrt den „Raum“ sauber und hinterlasst einen gepflegten Zustand.