Ein Gastkommentar von Hubert Hecker
Nach dem wochenlangen Trommelfeuer an Beschuldigungen von Seiten der deutschen Boulevard- und Qualitätsmedien war es zu erwarten bzw. gewollt, dass Katholiken irritiert sind über die Berichte zu dem emeritierten Papst, Protestanten sowie andere Gläubige sich fassungslos zeigen zu den Meldungen und Konfessionslose wie Bundeskanzler Scholz ihre Erschütterung zum Ausdruck bringen angesichts der medialen Verlautbarungen (jedoch nicht über die medialen Verleumdungen). Auch die hämischen Reaktionen kirchenfeindlicher Kritiker, nun endlich sei die Scheinheiligkeit der katholischen Kirche entlarvt, kamen nicht überraschend. Und schließlich ist bei den bayrischen Christsozialen die Verunsicherung nachvollziehbar, die die mediale Demontage ihres prominenten Mitbürgers durch Skandalisierung ausgelöst hat.
Zahlreiche bayrische Gemeinden mit einem biografischen Bezug zu Joseph Ratzinger haben den großen Kirchenmann zum Ehrenbürger erhoben. Die Ernennungen geschahen in der Zeit nach der Papstwahl 2005, als die bayrischen Orte mit Recht stolz waren auf ihren berühmten Mitbürger als Kirchenoberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken. Nachdem nun die Medien mit dem Strick ‚Gutachten‘ die päpstliche Amtsperson vom Sockel gestürzt und in den Dreck gezogen haben, mehren sich die Stimmen der rot-grünen Parteien in den betreffenden Orten nach Aberkennung der Ehrenbürgerwürde. Sie gehören zu jenen Stimmen, die vor Jahren ‚Hosianna‘ riefen und nun opportunistisch zur anprangernden Menge umgeschwenkt sind. Die CSU-Leute halten sich mit abwertenden Stellungnahmen zurück. Nur Altöttings Bürgermeister gibt eine Ehrenerklärung der Dankbarkeit ab. Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner forderte „mindestens eine Entschuldigung“, die man von dem emeritierten Papst erwarten dürfte.
Das Medienurteil gegen Benedikt: schuldig in fünf Fällen
Diese Forderung entspricht der medialen Logik: Die ZEIT erwartete nach ihrer Schlagzeile am 4. Januar von dem Münchener Gutachten einen Schuldspruch gegen Papst Benedikt. Es gehe bei dem Urteil nur noch um die Höhe von Ratzingers Schuldanteil an den Missbrauchsvorfällen in seiner Amtszeit als Erzbischof von München (siehe erster Artikel). Mit dieser Erwartungshaltung zum vorverurteilten Papst war das Medienecho auf die Gutachtenpräsentation vorgezeichnet: schuldig in mindestens fünf Fällen!
Darüber hinaus wurde eine irrtümliche Angabe des 94-Jährigen medial als vorsätzliche Lüge aufgebauscht, mit der Ratzinger seine “Mitschuld an den Untaten“ eines Geistlichen hätte vertuschen wollen – so die schäbigen Spekulationen des FAZ-Redakteurs Daniel Deckers.
Benedikt hat in den letzten 30 Jahren seiner Amtszeit von Seiten der Medien und deutscher Theologen viel Häme und giftige Kommentare ertragen müssen. Doch in den letzten Wochen ist die sprungbereite Feindseligkeit zu einer rufschädigenden Kampagne aufgelaufen. Das mediale Fehlurteil lautete, Ratzinger habe sich der Lüge und Beihilfe zum Kindesmissbrauch schuldig gemacht. Ein persönliches Schuldeingeständnis des Papstes sei unumgänglich. Die Medien wollen das ehemalige Kirchenoberhaupt mit einem Schild der Selbstbezichtigung an den Pranger gestellt sehen.
Der emeritierte Papst schreibt in seiner Erklärung vom 6. Februar: Dass ein Übertragungsfehler von einem seiner beratenden Juristen, also eine versehentliche Angabe in der Stellungnahme zu dem Gutachten, „ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln, ja, mich als Lügner hinzustellen, hat mich tief getroffen“. Umso bewegender seien für ihn die vielen Stimmen des Vertrauens, Zeugnisse der Freundschaft und Briefe der Ermutigung in diesen Tagen gewesen. Schon nach der Publikation des Münchener Gutachtens hatte Papst Franziskus seinem „Mitbruder“ Benedikt brieflich sein volles Vertrauen, seine volle Unterstützung und auch sein Gebet zugesagt.
… auch die Berater seien schuld
Von dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dem Limburger Bischof Georg Bätzing, wird er keine Zeichen der Solidarität bekommen haben, um ihm als Opfer der Verleumdungskampagne beizustehen. Im Gegenteil: Bätzing folgte eher dem Skandalmuster der Medien, indem er das Verhalten Ratzingers als „desaströs“ brandmarkte (vgl. erster Artikel). Einige Tage später ließ er sich in die mediale Schuldkampagne einspannen, indem er seinem bischöflichen Mitbruder öffentlich ein Schuldbekenntnis aufdrückte.
Der Limburger Bischof forderte: Der Papst müsse seine Schuld bekennen mit dem Satz; „Ich habe Schuld auf mich geladen“. Anders gehe es nicht. Ratzinger soll die Betroffenen um Verzeihung bitten. Er müsse sich von „seinen Beratern distanzieren und sich über sie hinwegsetzen“. Es sei eine Schwäche Benedikts, sich mit unguten Beratern zu umgeben (FAZ 1.2.22).
Bätzings Ferndiagnose von den fehlleitenden Beratern Benedikts ist eine unziemliche Unverfrorenheit. Seine These steht im Zusammenhang mit Spekulationen der Skandalpresse, die Papstberater hätten angesichts der vermeintlichen Beweislast von Fakten nur juristische Winkelzüge vorgebracht. Außerdem sei die Stellungnahme zu Fragen der Gutachter wie eine gerichtliche Verteidigungsschrift aufgebaut und daher unangemessen bei Missbrauchsfällen.
Die Schwächen des Gutachtens im Faktencheck der juristischen Berater
Doch gegenüber dem Münchener Gutachten als einer juristisch fundierten Ermittlungsschrift brauchte der Papst unbedingt Expertise in der Rechtsmaterie. Außerdem hat Benedikt mit seiner Verteidigung nur das verbriefte Recht eines jeden Bürgers wahrgenommen. Immerhin konnten der Papst und seine Berater mit ihren Einlassungen drei unberechtigte Beschuldigungen gegen ihn zurückweisen, wie die Gutachter auf S. 174 ihrer Schrift einräumen müssen. Benedikt dankt ausdrücklich seinen Beratern dafür, dass sie die 82-seitige Stellungnahme verfassten und 8000 Seiten digitale Akten studierten. Das Ergebnis ihrer Analyse des 1800-seitigen Gutachtens der Münchener Kanzlei stellen sie in einer „Faktencheck“ genannten Erklärung vor:
Zu dem Vorwurf der Verharmlosung von Exhibitionismus weisen die Berater nach, dass Benedikt diese Missbrauchstaten als „sündhaft“, „moralisch verwerflich“ und „nicht wieder gutzumachen“ klar und deutlich verurteilt hat. Die Gutachter jedoch wollten dem Papst aus dessen Hinweis einen Strick drehen, dass Exhibitionismus im Jahre 1980 keine kirchenrechtliche Straftat war. Weiterhin unterstellt das Gutachten Kardinal Ratzinger Fehlverhalten in vier Fällen. Er habe von den betreffenden Priestern gewusst, dass sie Missbrauchstäter gewesen seien und sie trotzdem in der Seelsorge einsetzen lassen. Im Schriftsatz gibt es dafür aber nur vage Hinweise oder Schuldvermutungen. Auf journalistische Nachfrage wiederholten die Gutachter nur ihre subjektive Einschätzung von ‚wahrscheinlich unangemessenem Verhalten‘.
Ohne eine zweifelsfreie Gewissheit bei der Tatbewertung hätten die Gutachter nach den Regeln unserer europäischen Rechtsordnung u. a. zur gebotenen Unschuldsvermutung für ein Urteil plädieren müssen, wie es in der Erklärung der Rechtsberater ausgesprochen ist: Kardinal Ratzinger ist vom Vorwurf des Fehlverhaltens freizusprechen. Er hat sich weder an der „Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt“ noch „Mithilfe an einer Vertuschung“ geleistet und schon gar nicht Beihilfe zum Missbrauch, wie es einige Medien insinuiert hatten.
Parallelen zu dem Verfahren gegen Kardinal Pell in Australien drängen sich auf
Dort hatten die australischen Medien versucht, in einem beispiellosen Rufmordtribunal gegen den Kirchenmann ein unrechtliches Vernichtungsurteil zu erzwingen. Die eifernde Presse fühlte sich durch zwei Schuldsprüche unterer Instanzen bestätigt. Die Schlinge um Pell war jedenfalls schon zugezogen. Nur nach einer staatlich verordneten Nachrichtensperre konnte das oberste Gericht zu dem rechtstaatlichen Urteil des Freispruchs für den Kardinal kommen.
Hier haben die deutschen Medien ebenfalls wochenlang eine verleumderische Diffamierungskampagne gegen den Papst aufgezogen. Durch die vagen Schuldvermutungen des Gutachtens sahen sie sich in ihren Beschuldigungen bestätigt. Danach erhöhten sie den Druck auf Benedikt, angesichts einer fehlenden Höchstinstanz seine vermeintliche Schuld einzugestehen. Auch Bischof Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bedrängte den Papst öffentlich mit seiner alternativlosen Forderung nach Schuldübernahme.
Nach der Erklärung von Benedikts Rechtsberatern ist nun für jeden gerecht Denkenden klar, dass der Papst unschuldig ist bezüglich der medialen und rechtlichen Anklage. Gleichwohl wird diese erwiesene Unschuld deutsche Medien, Theologen und Kirchenrechtler nicht davon abhalten, wie bisher weiterhin zu sticheln und zu stechen gegen das Feindbild Ratzinger. Denn für diese Gruppen oder „Strömungen“ (Erzbischof Gänswein) waren die aktuellen Vorwürfe wie auch frühere Beschuldigungen stets nur der Anlass für „Abrechnungen“, um das Lebenswerk Benedikts mit seiner Theologie sowie der Sorge um die Lehre und Kirche zu vernichten.
Benedikts christliches Bekenntnis und sein geistliches Vermächtnis
In einem persönlichen Brief an alle Schwestern und Brüder Katholiken bleibt Benedikt bei der Feststellung der rechtlichen Unschuld nicht stehen. Wie seit Jahrzehnten bei seinen vielen Begegnungen mit Betroffenen betont er erneut Scham und seinen großen Schmerz. Er versichert allen Opfern sexuellen Missbrauchs sein tiefes Mitgefühl und Bedauern in jedem einzelnen Fall. Besonders schmerzen ihn die Vergehen und Fehler, die in seiner Amtszeit (ohne sein Wissen) im Bistum München geschehen sind. Er bittet dafür aufrichtig die Betroffenen um Entschuldigung. (Dieses empathische Compassionsbekenntnis kanzelt die ZdK-Vorsitzende Stetter-Karp mit den Worten ab: „Die Empathie gegenüber den Betroffenen fehlt“.)
Als Christ weiß der Papst sich in die erbsündliche Schuldgemeinschaft der Menschen „hineingezogen, wenn wir (schuldhaftes Verhalten) übersehen wollen oder es nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist (in der Kirche und noch heute geschieht)“. In diesem Sinne bekennt der Vierundneunzigjährige öffentlich seine Schuld im Angesichte Gottes und vor seinen christlichen Brüdern und Schwestern. Er sagt das aber auch im Vertrauen auf den endgültigen, gerechten und barmherzigen „Richter meines Lebens“.
Nach diesem Bekenntnis des emeritierten Papstes wird sich in Zukunft jeder deutsche Christ und Theologe überheben, wenn er den Stein der Häme und Verurteilung gegen Benedikt aufhebt.
Bild: bistum-passau-de (Screenshot)
Bisher in der Reihe „Der Synodale Weg zum BRUCH mit Bibel, Tradition und Lehramt“ erschienen: