(Brüssel) Msgr. Michel Schooyans ist am 3. Mai im Alter von 91 Jahren verstorben. Dies gab CathoBel, die französischsprachige Nachrichtenseite der katholischen Kirche in Belgien, bekannt. Der Jesuit wurde durch seine Schriften international bekannt, darunter besonders eine, zu der das Vorwort von Joseph Kardinal Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, stammt.
Der Begriff „ideologischer Kolonialismus“ stammt zwar nicht von Msgr. Schooyans, wurde aber unter anderem von ihm international bekanntgemacht. Von ihm geprägt wurde hingegen der Begriff „demographischer Winter“, der eine lebensfeindliche Politik durch Abtreibung und ihre weitreichenden und schwerwiegenden Auswirkungen auf den Westen benennt. In seinem 1999 veröffentlichten Buch „Le crash démographique. De la fatalité à l’espérance“, das 2007 unter dem Titel „Der Babycrash. Information und Manipulation in demographischen Fragen unserer Zeit“ in deutscher Ausgabe erschien, schreibt er:
„Der Großteil der westeuropäischen Staaten ist bereit, Selbstmord zu begehen, einen demographischen Selbstmord …“
Neben seiner Kritik am Kommunismus kritisierte er ebenso den Liberalismus, dem er eine „Neigung zum Totalitarismus“ attestierte, wie er in zahlreichen Schriften aufzeigte, besonders in der Lebensrechtsfrage.
Die Priesterberufung kam „buchstäblich über Nacht“
Michel Schooyans wurde am 6. Juli 1930 in Wallonisch-Brabant geboren. Nach dem Schulabschluß hatte er bereits das Studium der Rechtswissenschaften inskribiert, als ihn „buchstäblich über Nacht“ die Berufung zum Priestertum erreichte. Als Anwalt, so seine ursprüngliche Vorstellung, wollte er nicht die Verbrecher verteidigen, sondern jenen Recht verschaffen, denen Unrecht getan wurde.
„Ich hatte keine Ahnung, daß es die kleinen Kinder, die Ungeborenen sein würden, die ich eines Tages verteidigen müßte.“
Nach seiner Priesterweihe 1955 promovierte er in Philosophie und wurde dem COPAL zugewiesen, dem Collegium Pro America Latina Leuven an der Katholischen Universität Löwen. Das COPAL war 1953 auf Wunsch von Papst Pius XII. von Kardinal Jozef-Ernest Van Roey, dem Erzbischof von Mecheln (heute Mecheln-Brüssel), gegründet worden, um Missionare für Lateinamerika auszubilden, die vorbereitet sein sollten, marxistischen Einflüssen aus der UdSSR und protestantischen Einflüssen aus den USA entgegenzuwirken.
Als Donum-fidei-Priester kam er 1959 in ein Arbeiterviertel in São Paulo. Zudem lehrte er für ein Jahrzehnt, bis 1969, an der Päpstlichen Katholischen Universität São Paulo und am erzbischöflichen Priesterseminar und war daneben auch geistlicher Assistent der Katholischen Arbeiterjugend (JOC). 1964 wurde er zugleich Professor der Politischen Philosophie an der Katholischen Universität Löwen, an der er selbst promoviert hatte, und war dort von 1969 bis 1973 Direktor des COPAL.
Abwehr kommunistischer Infiltration
Um sich vor Ort selbst einen Eindruck zu machen und Informationen zu sammeln, reiste er in die UdSSR, in die Volksrepublik China, nach Kuba und in viele andere Länder auf allen Kontinenten, besonders mit sozialen und politischen Brennpunkten. An 23 Universitäten in Europa, Amerika und Asien hatte er im Laufe seines Lebens Gastprofessuren.
Er war Kaplan Seiner Heiligkeit, Ehrenprälat Seiner Heiligkeit und Mitglied der Päpstlichen Familie.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte waren die politische Philosophie, zeitgenössische Ideologien, Ethik der Bevölkerungspolitik und Theologie der Sozialmoral. Er wurde als Mitglied an die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften, das königliche belgische Egmontinstituut und das Populations Research Institute des Benediktinerpaters Paul Marx, des Gründers der Lebensrechtsorganisation Human Life International, berufen, um nur drei von zahlreichen Institutionen zu nennen, denen er angehörte.
Er war viele Jahre Consultor des Päpstlichen Rates Iustitia et Pax und des Päpstlichen Rats für die Familie und wurde als Experte von der Glaubenskongregation und dem Päpstlichen Rat Cor Unum hinzugezogen.
1962 veröffentlichte er „Die Katholiken im Angesicht der kommunistischen Gefahr. Das Problem in Lateinamerika“. In zahlreichen weiteren Schriften analysierte er die kommunistische und marxistische Infiltration, insbesondere auch der Kirche in Lateinamerika.
Der Genozid im Mutterleib
1969, als er nach Europa zurückkehrte, war auf dem alten Kontinent der Angriff auf das Lebensrecht ungeborener Kinder entbrannt. Sein zweiter Schwerpunkt wurde nun die Lebensrechtsfrage. 1973 verfaßte er die Aufsätze: „Abtreibung und Konsumgesellschaft“, „Der Genozid in der Gebärmutter“ und „Abtreibung und Imperialismus“.
Bis ins hohe Alter griff er unermüdlich zur Feder. Auf seiner Internetseite findet sich ein Werkverzeichnis. Er verfaßte mehr als zwanzig Bücher und publizierte in Sammelbänden und Fachzeitschriften. Zahlreiche seiner französisch geschriebenen Werke wurden ins Englische, Spanische, Portugiesische, Italienische und Polnische übersetzt, zum Beispiel: „Abtreibung. Ein politisches Problem“ („L’avortement, problème politique“), das er erstmals 1974 vorlegte und mehrfach erweiterte. Ins Deutsche wurde erstaunlich wenig übersetzt, wenngleich Schooyans in der akademischen Diskussion sehr wohl wahrgenommen wurde.
Zu seinen bekannten Publikationen gehören: „Die totalitäre Neigung des Liberalismus“ („La dérive totalitaire du libéralisme“, Erstausgabe 1991, hier zitiert nach der englischen Ausgabe 1997); „Demographische Entwicklung. Zwischen falschen Mythen und Wahrheit“ („Pour comprendre les évolutions démographiques“, Erstausgabe 1994, hier zitiert nach der italienischen Ausgabe von 2013). „Der Verhütungs-Imperialismus. Seine Vertreter und seine Opfer“ („El impérialisme contraceptivo. Sus agentes y sus victimas“, Erstausgabe 1993, hier zitiert nach der zweiten Ausgabe 1994).
Die Neue Weltunordnung
Sein bekanntestes Werk ist „L’Évangile face au désordre mondial“ („Das Evangelium angesichts der Weltunordnung“), das 1997 mit einem Vorwort von Joseph Kardinal Ratzinger, damals Präfekt der römischen Glaubenskongregation, im Verlag Fayard in Paris veröffentlicht wurde. Der Titel ist eine Anspielung und Kritik an den Bestrebungen bestimmter Kräfte, eine Neue Weltordnung zu etablieren. Die italienische Ausgabe erschien 2000 unter dem noch deutlicheren Titel „Neue Weltunordnung. Die große Falle zur Reduzierung der Gästezahl am Tisch der Menschheit“.
Kardinal Ratzinger attestierte Schooyans im Vorwort nicht nur „große Kompetenz“, sondern äußerte die Hoffnung, „daß viele Personen unterschiedlicher Orientierungen“ das Buch lesen mögen, um eine „lebendige Diskussion“ zu entfachen, „um auf diese Weise beizutragen, die Zukunft auf der Grundlage von Modellen vorzubereiten, die der Menschenwürde entsprechen und imstande sind, die Würde auch jener sicherzustellen, die nicht imstande sind, sich selbst zu verteidigen“.
2000 legte Schooyans „Das verborgene Gesicht der UNO. Auf dem Weg zur Weltregierung“ („La face cachée de l’ONU“) vor. Die italienische Ausgabe von 2013 trägt einen noch akzentuierteren Titel: „Das UNO-Komplott gegen das Leben. Die Kontrolle über das Leben ist der Schlüssel zur Herrschaft über die Menschen“. 2005 folgte „Ökonomische, soziale, politische und militärische Auswirkungen der jüngsten demographischen Veränderungen auf der Welt“ („Efectos económicos, sociales, politicos y militares de los recientes cambios demográficos en el mundo“); 2006 „Terrorismus mit humanem Gesicht“ („Le terrorisme à visage humain“). Nicht unerwähnt bleiben soll auch seine „Einführung in die katholische Soziallehre“, die allerdings nie ins Deutsche übersetzt wurde.
Ob eine Ideologie menschenfeindlich ist, so Schooyans, zeige sich an der Lebensrechtsfrage. Deshalb attestierte er auch dem sich ohne objektive Rückkoppelung nur aus sich selbst definierenden Liberalismus einen Trend zum Totalitarismus, wie sich in der westlichen Abtreibungsgesetzgebung zeige:
„Ein Staat, der behauptet, demokratisch zu sein, und die Abtreibung liberalisiert, begibt sich auf den Weg des Totalitarismus, indem er eine Diskriminierung zwischen verschiedenen Kategorien von Menschen, Geborenen und Ungeborenen einführt, … zwischen kranken, behinderten, älteren Menschen.“
Die totalitären Neigungen würden sich, so Schooyans, aber nicht nur auf die Lebensrechtsfrage beschränken, wenn sie dort auch die grausamsten Auswirkungen haben.
Kritik am „liberalen Modell“
Im Heiligen Jahr 2000 bat ihn Papst Johannes Paul II. die Meditationen für die Via Crucis am Karfreitag beim Kolosseum zu schreiben.
Schooyans war Co-Autor des „Lexikon Familie. Mehrdeutige und umstrittene Begriffe zu Familie, Leben und ethischen Fragen“, das 2003 vom Päpstlichen Rat für die Familie in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde. Die deutsche Ausgabe erschien 2007 im Schöningh Verlag.
Auf deutsch erschien zudem im Zürcher Thesis Verlag 1998 „Ethik, Leben, Bevölkerung“. Dort wurde 2007 auch das bereits erwähnte Buch „Der Babycrash. Information und Manipulation in demographischen Fragen unserer Zeit“ verlegt.
Schooyans war auf der Grundlage der Sozialenzykliken Centesimus annus, Veritatis splendor und Sollicitudo rei socialis von Papst Johannes Paul II. ein Kritiker der beiden dominanten politischen, sozialen und ökonomischen Modelle. Das Scheitern des kommunistischen Modells sei mit dem Fall der Berliner Mauer offensichtlich geworden, so der belgische Jesuit. Das sich seither durchsetzende „liberale Modell“ huldige dem Individualismus, was durch die Überbetonung einer fiktiven „Gleichheit“ zur Leugnung der tatsächlichen Gleichheit der menschlichen Natur führe, wodurch jede Rückkoppelung zur Sozialmoral ausgeschlossen wird. Das „liberale Modell“ sei, so Schooyans, heute gekennzeichnet durch:
- Militärische Macht durch High-Tech-Waffen
- Wirtschaftswachstum um jeden Preis auf dem globalen Markt
- Meinungs- und Wissenskontrolle
- Globalisierung des politischen Lebens
- Vorherrschaft der ökonomisch starken Mächte
Michel Schooyans Werk verdient im deutschen Sprachraum größere Aufmerksamkeit. Vielleicht ist sein Ableben ein Anstoß dazu.
Requiescat in pace.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/paas.va (Screenshot)
„Der Großteil der westlichen Staaten ist bereit, Selbstmord zu begehen“.
Die Mehrheit der westlichen Staaten hat ein christliches Wertefundament. Das ist das Ziel.
„Ein Staat, der behauptet, demokratisch zu sein, und die Abtreibung liberalisiert, begibt sich auf den Weg des Totalitarismus, indem er eine Diskriminierung zwischen verschiedenen Kategorien von Menschen, Geborenen und Ungeborenen einführt, … zwischen kranken, behinderten, älteren Menschen.“
Dieser Staat der behauptet, demokratisch zu sein wird niemals die Abtreibung von einer Elefantenkuh im Zoo akzeptieren, das entspricht nicht seiner Tierliebe und seinem Vehältnis zum Ebenbild unseres Gottes dem Menschen.
Per Mariam ad Christum.
Vielen Dank für diesen Nachruf mit den weiterführenden Informationen!
Bezeichnenderweise bin ich mehreren Jahren an Jesuiteninstitutionen niemals auf den Namen Michel Schooyans gestoßen. Den deutschsprachigen Jesuiten der 1990er Jahre war ihr Mitbruder wohl eher peinlich.
Man kann vermuten, daß er im Orden isoliert war.
Vergelt’s Gott, Hochwürden!
R. I. P.