
(Rom) Nach der Frühjahrsvollversammlung der französischen Bischöfe in Lourdes empfing Papst Franziskus am Donnerstag, 21. April 2022, in Rom die Leitung der Bischofskonferenz in Audienz. Dabei sprach Franziskus mit ihnen auch über das Motu proprio Traditionis custodes.
Der Papst erinnerte „mit Nachdruck“ daran, daß das Dekret, das die Priester der Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) von den Bestimmungen des Motu proprio ausnimmt, von ihm selbst stammt, was auf Widerstände der Bischöfe gegen das Dispens-Dekret hinweist. Da Franziskus im Bereich der Tradition seine eigenen Pläne hat, will er sich von den Bischöfen keine Prügel zwischen die Beine werfen lassen.
„Er hat sehr auf den zweiten Absatz bestanden“, schreibt I‑media. Dieser zweite Absatz im Dekret für die Petrusbruderschaft lautet:
„Sie können von dieser Befugnis in ihren eigenen Kirchen und Oratorien Gebrauch machen; an anderen Orten jedoch nur mit Zustimmung des Ortsordinarius, außer für die privat gefeierte Messe.“
„Zumindest bei der Chrisam-Messe“ konzelebrieren
Franziskus habe nicht über eine mögliche Ausweitung des Dekrets auf andere sogenannte Ecclesia-Dei-Institute gesprochen. Er habe aber darauf bestanden, daß alle Priester der Konzelebration nicht nur zustimmen, sondern „zumindest bei der Chrisam-Messe“ konzelebrieren müssen, denn diese Messe, die in der Karwoche stattfindet, bietet den Priestern die Gelegenheit, ihre priesterlichen Versprechen gegenüber dem Ortsbischof zu erneuern und die Einheit der katholischen Kirche zu bekunden.
„Er bestand sehr darauf, daß die Priester zumindest die Chrisam-Messe konzelebrieren“.
Mit diesen Worten zitierte La Croix, die Tageszeitung der französischen Bischöfe, gestern in ihrem Bericht den Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort.
Aus dem, was bisher von der Audienz bekannt wurde, ließe sich schließen, daß eine weitere Änderung des Codex des Kirchenrechts bevorstehen könnte, und zwar im Canon 902, der festlegt, daß jeder Priester immer das Recht behält, seine Freiheit auszuüben, die Eucharistie individuell zu zelebrieren. Nach Ansicht von Franziskus – seine Signale gehen schon länger in diese Richtung – gibt es diese Freiheit nicht. Jedenfalls scheint er sie offenbar für nichtig erklären und die traditionsverbundenen Priester zur Konzelebration bei der Chrisam-Messe verpflichten zu wollen.
Aus dem Gespräch von Franziskus mit der Führungsebene der Französischen Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden, dem Erzbischof von Reims, ergibt sich erneut die Frage, ob das Dekret, mit dem Franziskus die Petrusbruderschaft von den allgemeinen Bestimmungen von Traditionis custodes befreite, auch für die anderen ehemaligen Ecclesia-Dei-Institute gilt und ob die Befreiung nur auf „die Kirchen und Oratorien“ der Petrusbruderschaft zutrifft, also die Eigenkirchen oder auch die Kirchen, die der Petrusbruderschaft zur Betreuung anvertraut sind. La Croix schrieb gestern, „daß diese Genehmigung in den Kirchen und Kapellen, die von diesem Institut [der Petrusbruderschaft] betreut werden, gültig sei“.
In der Kirche, wie das Beispiel der Diözese Rom zeigt, gilt allerdings nicht immer der Buchstabe des Gesetzes. Diese südländische Lockerheit federt manche Härte ab, schafft allerdings ein erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit.
In der Diözese Rom, immerhin das Bistum des Papstes, widersprechen sich zwei Dekrete, doch beide haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Am 7. Oktober erließ Kardinalvikar Angelo De Donatis in Vertretung des Papstes ein Verbot für die Gläubigen, in der Personalpfarrei der Petrusbruderschaft dem Ostertriduum im überlieferten Ritus beiwohnen zu können.
Das Dekret von Papst Franziskus vom 11. Februar, mit dem er die Petrusbruderschaft weitgehend von Traditionis custodes dispensierte, steht im Widerspruch dazu. Die Petrusbruderschaft legt das neue Dekret als höherrangig aus und zelebrierte die Kar- und Osterzeit in ihrer römischen Pfarrkirche Santissima Trinità dei Pellegrini wie in den Jahren zuvor. Das Dekret des Kardinalvikars wurde aber weder zurückgenommen noch modifiziert. Zudem bleibt die Frage der Chrisam-Messe. Die Nicht-Teilnahme der Petrusbrüder an der Chrisam-Messe führte zu ihrem Rauswurf aus dem Erzbistum Dijon.
Papst Franziskus gibt mit seinen Aussagen bei der Audienz dem inzwischen emeritierten Erzbischof von Dijon, Msgr. Roland Minnerath, recht. Dies gilt erst recht, wenn er festschreiben will, daß auch die Priester der Tradition „zumindest bei der Chrisam-Messe“ konzelebrieren müssen, wie I‑media schreibt.
Initiative der Priester-Mütter war kein Thema
Kein Thema der Audienz sei hingegen die Initiative Via Romana gewesen. Mütter von Priestern der Tradition sind seit Wochen zu Fuß auf dem Weg von Paris nach Rom. Am Mittwoch, dem 4. Mai, wollen sie Papst Franziskus am Ende der Generalaudienz Briefe von Gläubigen überreichen und ihn bitten, sein Motu Proprio Traditionis custodes, das die Zelebration im überlieferten Ritus massiv einschränkt, zu überdenken. Weder der Papst noch die Bischöfe hätten diese Initiative angesprochen.
An der Begegnung mit Papst Franziskus nahmen neben Erzbischof de Moulins-Beaufort auch Msgr. Dominique Blanchet, Bischof von Créteil, Msgr. Olivier Leborgne, Bischof von Arras, und Abbé Hugues de Woillemont, Generalsekretär und Sprecher der Bischofskonferenz (Priester der Diözese Nanterre), teil.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticaMedia (Screenshot)