von Roberto de Mattei*
Am 31. Oktober 2016 eröffnete Papst Franziskus das Luther-Jahr, indem er in der Kathedrale im schwedischen Lund die Vertreter des Weltluthertums traf. Seither folgten in der Kirche ad abundantiam „ökumenische“ Treffen und Feiern. Genau ein Jahr später wurde die „lutherische Wende“ durch eine symbolische Handlung besiegelt, deren schwerwiegende Bedeutung nur wenige erkannt haben:
Die Vatikanische Post gab eine Briefmarke aus, mit der die Gründung des Protestantismus gefeiert wird, die am 31. Oktober 1517 mit dem angeblichen Thesenanschlag Luthers an die Tür der Wittenberger Schloßkirche ihren Ausgang nahm. „500 Jahre protestantische Reformation“ kann man auf der Briefmarke lesen, die am 31. Oktober vom Amt für Philatelie des Vatikans vorgestellt wurde.
In der offiziellen Mittelung des vatikanischen Amtes heißt es dazu:
„Die Briefmarke zeigt im Vordergrund den gekreuzigten Jesus vor goldenem und zeitlosem Hintergrund mit der Stadt Wittenberg. In Bußhaltung, links und rechts vom Kreuz kniend, hält Martin Luther eine aufgeschlagene Bibel in den Händen, Quelle und Ziel seiner Lehre, während Philipp Melanchton, Theologe und Freund Martin Luthers, eine der wichtigsten Gestalten der Reformation, das Augsburger Bekenntnis, die Confessio Augustana, in der Hand hält, die erste offizielle Darlegung der Grundsätze des Protestantismus, die von ihm verfaßt wurde.“
Die Ersetzung der Gottesmutter und des heiligen Johannes zu Füßen des Kreuzes durch die beiden Häresiarchen Luther und Melanchton stellt eine blasphemische Beleidigung dar, die bisher von keinem Kardinal und keinem Bischof offen gerügt wurde. Die Bedeutung dieser Darstellung wird durch die gemeinsame Stellungnahme des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen erklärt, die am selben Tag wie die Briefmarke veröffentlicht wurde. Die Stellungnahme schildert die positive Bilanz des Dialoges zwischen Katholiken und Lutheranern, bekräftigt „eine neue Sicht auf die Ereignisse des 16. Jahrhunderts“, die „zu unserer Trennung führten“, und bestätigt die „tiefe Dankbarkeit für die spirituellen und theologischen Gaben, die uns die Reformation geschenkt hat“.
Und als würde das noch nicht genügen, feierte gleichzeitig La Civiltà Cattolica, die „offiziöse“ Stimme von Papst Franziskus, Luther mit einem Artikel von P. Giancarlo Pani SJ („Martin Luther, 500 Jahre danach“, La Civiltà Cattolica, 21. Oktober – 4. November 2017, S. 119–130). Pater Pani ist derselbe, der 2014 behauptete, die Konzilsväter von Trient hätten nach dem verbreiteten Brauch der schismatischen, griechischen Kirche bei Ehebruch die Scheidung und Wiederverheiratung erlaubt. Nun behauptet er, Martin Luther sei nie ein Häretiker gewesen, sondern ein echter „Reformer“.
So schreibt er:
„Die Thesen von Wittenberg sind weder eine Provokation noch eine Rebellion gegen die Autorität, sondern ein Vorschlag zur Erneuerung der Verkündigung des Evangeliums mit dem ehrlichen Wunsch nach einer ‚Reform‘ der Kirche“ (S. 128). Trotz des Anspruches, „sei es von der römischen Kirche, sei es von Luther, in toto die Wahrheit zu verkörpern und ihr Verkünder zu sein“, „kann nicht die Rolle geleugnet werden, die Luther als Glaubenszeuge hatte. Er ist ‚der Reformator‘: Er verstand es, einen Reformprozeß einzuleiten, von dem auch die katholische Kirche Nutzen gezogen hat“ (S. 129).
Wenn dem so ist, dann wurde Luther von der Kirche zu Unrecht verfolgt und 500 Jahre lang verleumdet. Deshalb ist die Stunde seiner Rehabilitierung gekommen. Und um ihn zu rehabilitieren, kann man sich nicht darauf beschränken, nur sein prophetisches Wirken aufzuzeigen, sondern muß soweit kommen, daß die Kirche seine „Reformen“ Willkommen heißt und in die Tat umsetzt. Das nachsynodale Schreiben Amoris laetitia stellt eine entscheidende Etappe auf diesem Weg dar. Die Autoren der Correctio filialis liegen also mitnichten falsch, wenn sie auf „eine Ähnlichkeit zwischen den Ideen Luthers über das Gesetz, die Rechtfertigung und die Ehe und jenen“ hinweisen, „die von Eurer Heiligkeit in Amoris laetitia und anderswo gelehrt und begünstigt werden“.
Zur Erinnerung: Papst Bergoglio gehört wie Pater Pani der Gesellschaft Jesu an, deren Gründer der heilige Ignatius von Loyola war, ein Lehrmeister des Glaubens, den die Göttliche Vorsehung im 16. Jahrhundert gegen das Luthertum erweckte. In Deutschland rangen Apostel wie der heilige Petrus Canisius und der selige Petrus Faber um jeden Meter gegen die Häretiker. Auf dem Terrain der antiprotestantischen Gegenwehr war der heilige Robert Bellarmin der Größte, ebenfalls ein Jesuit.
Die Gründung der Civiltà Cattolica erfolgte, von Papst Pius IX. ermutigt, im Jahr 1850 und nahm lange die Rolle eines echten Bollwerks gegen die Irrtümer der Zeit ein. Bereits in der ersten Ausgabe vom 6. April 1850 widmete sie einen ausführlichen Aufsatz (anonym, doch von P. Matteo Liberatore) dem politischen Rationalismus der italienischen Revolution. Darin wurde im Protestantismus die Ursache für alle modernen Irrtümer gesehen. Diese These wurde unter anderen von zwei namhaften Jesuiten-Theologen entwickelt: P. Giovanni Perrone („Der Protestantismus und die Glaubensregel“, La Civiltà Cattolica, Rom 1853, 2 Bd.)[1]Il protestantesimo e la regola della fede und P. Hartmann Grisar („Luther“, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1911/1912, 3 Bd.).
Eine besondere Bedeutung kommt jedoch im Oktober 1917 dem Gedenken an Luthers Revolte durch die römische Jesuitenzeitschrift anläßlich des 400. Jahrestages des Wittenberger Thesenanschlages zu („Luther und das Luthertum“ [2]Lutero e il luteranesimo, La Civiltà Cattolica, IV (1917), S. 207–233; 421–430). Der Autor schrieb:
„Das Wesen des lutherischen Geistes, also des Luthertums, ist die Rebellion im ganzen Ausmaß und der ganzen Kraft des Wortes. Die Rebellion, die in Luther Gestalt annahm, war entsprechend vielschichtig und grundlegend, komplex und umfassend. Sie trat gewaltsam, unbändig, trivial, obszön und diabolisch auf und war es auch. Letztlich aber war sie kalkuliert auf die jeweiligen Umstände abgestimmt und hatte opportunistische und interessengeleitete Ziele, die abgewogen, aber mit größter Zähigkeit verfolgt wurden“ (S. 208f).
Luther, so La Civiltà Cattolica, „begann jene unwürdige Parodie, mit der der rebellische Mönch Gott die Ideen, Lästerungen und Niederträchtigkeiten seines perversen Geistes zuschrieb: er schmähte im Namen Christi den Papst auf unerhörte Weise, er verfluchte im Namen Christi den Kaiser, er fluchte im Namen Christi gegen die Kirche, die Bischöfe, die Mönche mit geradezu höllischer Heftigkeit, er hängte im Namen Christi sein Ordenskleid an den Baum des Judas und im Namen Christi ging er eine Verbindung mit einer Unheiligen ein“ (S. 209).
„Unter dem sehr bequemen Vorwand, der Schrift zu folgen, wie dem, daß nur sie das Wort Gottes enthält, führte er einen Krieg gegen die scholastische Theologie, die Tradition, das Kirchenrecht, alle Einrichtungen der Kirche und die Konzile. Alle diese erhabenen und verehrungswürdigen Dinge ersetzte Martin Luther, meineidiger Mönch und sich schadlos haltender Doktor, durch sich selbst und seine eigene Autorität! Die Päpste, die Kirchenlehrer, die heiligen Väter galten nichts mehr: Mehr als alles galt das Wort des Martin Luther!“ (S. 212).
Die lutherische Rechtfertigungslehre schließlich „ist aus der Phantasie Luthers entstanden, nicht aus dem Evangelium und nicht aus einem anderen von Gott den Autoren des Neuen Testaments geoffenbarten Wort. Für uns hat jede Neuheit Luthers ihren Ursprung und lüsternen Ansporn und ihre Entfaltung in einer Fälschung der heiligen Schrift oder in einer formalen Lüge“ (S. 214).
Pani wird nicht bestreiten können, daß sein Urteil über Luther alles auf den Kopf stellt, was seine Mitbrüder vor hundert Jahren in derselben Zeitschrift über Luther geschrieben haben. 1917 wurde er als Apostat, Rebell und Lästerer gerügt. Heute wird er als Reformer, Prophet und Heiliger gefeiert. Keine Hegelsche Dialektik vermag einen solchen Widerspruch zwischen dem Urteil von damals und von heute in Einklang zu bringen. Entweder war Luther ein Häretiker, der einige grundlegende Dogmen des Christentums leugnete, oder er war ein „Glaubenszeuge“, der eine Kirchenreform einleitete, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil und von Papst Franziskus zu Ende gebracht wird.
Mit einem Wort: Jeder Katholik ist aufgerufen, sich zu entscheiden: zwischen Papst Franziskus und den Jesuiten von heute oder den Jesuiten von gestern und den Päpsten von immer. Es ist eine Zeit der Entscheidung, und gerade die Meditation des heiligen Ignatius über die beiden Banner (Geistliche Übungen, Nr. 137) hilft uns, sie in diesen schwierigen Zeiten zu treffen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Roberto de Mattei weist auf den goldenen Himmel hin. Mit Recht, denn mit diesem Element, das wir von byzantinischen Ikonen, aber auch der christlichen Kunst des mittelalterlichen Westens kennen, ist die Darstellung in den Rang einer kanonischen Ikonographie erhoben. Martin Luther wird in die katholische Kirche heimgeholt und gleichsam heiliggesprochen, zumindest auf dem Weg dahin. Dazu fehlt ihm und seinem Genossen bloß noch der Heiligenschein.
Maria und der Heilige Johannes werden durch Häretiker ersetzt. Wer dies unglaublich findet, gehört zu den letzten Gläubigen. Der Vatikan kämpft gegen die letzten Gläubigen in immer schnellerer Aufeinanderfolge.
Diese aktuellen Geschehnisse erinnern sehr stark an ein Gesicht der seligen Anna Katharina Emmerick:
„Ich sah eine Zeit kommen, die schrecklich war und ich bin froh, dies nicht erleben zu müssen. Ich sah die Peterskirche, als Symbol der katholischen Kirche. Um diese herum war ein tiefer Graben. Drüben standen die Protestanten. Da sah ich, wie katholische Priester, Ordensleute, usw. die Kirchen ausräumten. Altäre, Heiligen-Statuen und Bilder in den Graben warfen, um diesen voll zu bringen, sich den Protestanten anzupassen, damit sie herüberkämen. Als der Graben voll war, kamen sie zwar herüber, blickten in die katholische Kirche, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und sagten entsetzt und enttäuscht, die können uns ja nichts mehr geben, die haben ja weniger als wir und liefen davon. Also, die Katholiken haben (mit dem Ausräumen der Kirche und vieler Überlieferungen) nur das Gegenteil erreicht.“