Irina und Albina, stumm gemachte Zeugen der Via Crucis

Papst Franziskus knickte im letzten Moment beim Kreuzweg im Kolosseum ein


Irina und Albina, zwei Krankenschwestern, Freundinnen, eine Ukrainerin und eine Russin, trugen am Karfreitag gemeinsam das Kreuz im Kolosseum, mußten aber stumm bleiben.
Irina und Albina, zwei Krankenschwestern, Freundinnen, eine Ukrainerin und eine Russin, trugen am Karfreitag gemeinsam das Kreuz im Kolosseum, mußten aber stumm bleiben.

(Rom) Obwohl bis zum letz­ten Augen­blick nichts dar­auf hin­deu­te­te, daß Fran­zis­kus bereit wäre, von sei­ner Absicht Abstand zu neh­men, eine Kreuz­weg­sta­ti­on beim Kolos­se­um von einer Ukrai­ne­rin und einer Rus­sin gemein­sam betrach­ten zu las­sen, knick­te das Kir­chen­ober­haupt schließ­lich ein.

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Die Via Cru­cis im römi­schen Kolos­se­um, die Gegen­stand hef­ti­ger Pro­te­ste der ukrai­ni­schen Staats- und Kir­chen­füh­rung war, fand nicht wie geplant statt. Die Regie­rung Selen­skyj und Groß­erz­bi­schof Schewtschuk, Ober­haupt der mit Rom unier­ten Ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, pro­te­stier­ten laut­stark dage­gen, daß bei der drei­zehn­ten Sta­ti­on des Kreuz­we­ges am Kar­frei­tag zwei Frau­en, eine Ukrai­ne­rin und eine Rus­sin, gemein­sam unter dem Kreuz ste­hen. Dage­gen wur­de eine maß­lo­se Pole­mik ent­facht, die Fran­zis­kus, wie aus dem Vati­kan zu erfah­ren war, für unan­ge­mes­sen hielt. Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt schien ent­schlos­sen, an der ver­söhn­li­chen Geste als christ­li­cher Alter­na­ti­ve zu Gewalt und Krieg festzuhalten.

Eng­ste Ver­trau­te des Pap­stes wie Pater Anto­nio Spa­da­ro, der Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca, ver­tei­dig­ten die Absicht des Pap­stes noch am Mor­gen des Kar­frei­tags. Spa­da­ro und ande­re Mit­glie­der des unmit­tel­ba­ren päpst­li­chen Umfel­des äußer­ten sogar Kri­tik an den Kri­ti­kern. Spa­da­ro tat dies über Twit­ter, in einem Fern­seh­in­ter­view und mit einer Kolum­ne in der links­ra­di­ka­len Tages­zei­tung Il Mani­festo. Fran­zis­kus selbst war am Diens­tag und Mitt­woch auf Twit­ter bemüht, sei­ne Geste ver­ständ­lich zu machen.

Dann knick­te Fran­zis­kus jedoch vor der hef­ti­gen Gegen­of­fen­si­ve ein. Was im Lau­fe des Kar­frei­tags den Papst zum Nach­ge­ben ver­an­laß­te, ist nicht bekannt. Wäh­rend die ukrai­ni­sche Sei­te auf dem Schlacht­feld unter­liegt, ist sie auf der Pro­pa­gan­dae­be­ne wei­ter­hin erfolg­reich. Was das Land und Volk bringt, steht aller­dings auf einem ande­ren Blatt geschrieben. 

Iri­na und Albi­na hei­ßen die bei­den Frau­en, die für die drei­zehn­te Kreuz­weg­sta­ti­on bestimmt wur­den. Sie haben weder etwas mit den Regie­run­gen ihrer Län­der und schon gar nichts mit dem Krieg in der Ukrai­ne zu tun. Sie haben sich vor zwei Jah­ren in Ita­li­en ken­nen­ge­lernt, weil sie den glei­chen Beruf einer Kran­ken­schwe­ster aus­üben, und ange­freun­det. Sie tru­gen das Kreuz gestern auch tat­säch­lich gemein­sam, doch die vor­ge­se­he­ne, vor­ab bereits ver­öf­fent­lich­te Medi­ta­ti­on wur­de nicht ver­le­sen. Es blieb bei einem stil­len Gebet der Anwe­sen­den (sie­he Video ab 1:13:08). Eini­ge Kom­men­ta­to­ren mein­ten, das Zei­chen sei dadurch noch ein­drück­li­cher gewor­den und die Auf­merk­sam­keit erst recht auf die drei­zehn­te Sta­ti­on gelenkt wor­den. Aller­dings bedarf es dafür einer Inter­pre­ta­ti­on, und für eine sol­che sei gestern zuviel Spiel­raum gelas­sen wor­den, wie auch zu hören war.

Die ange­kün­dig­te Medi­ta­ti­on wur­de in letz­ter Minu­te gestri­chen, die bei­den Frau­en stumm gemacht. Ihr Wort­laut hät­te gelautet:

„Rings­um Tod. Das Leben scheint an Wert zu ver­lie­ren. Alles ändert sich in weni­gen Sekun­den. Das Dasein, die Tage, der unbe­schwer­te Win­ter­schnee, das Abho­len der Kin­der von der Schu­le, die Arbeit, Umar­mun­gen, Freund­schaf­ten, alles. Alles ver­liert plötz­lich sei­nen Wert. ‚Herr, wo bist Du? Wo hast Du Dich ver­steckt? Wir wol­len unser Leben von vor­her zurück. War­um das alles? Wel­che Schuld haben wir began­gen? War­um hast Du uns ver­las­sen? War­um hast Du unse­re Völ­ker ver­las­sen? War­um hast Du auf die­se Wei­se unse­re Fami­li­en gespal­ten? War­um haben wir kei­ne Lust mehr zu träu­men und zu leben? War­um sind unse­re Län­der so dun­kel gewor­den wie Gol­ga­tha?‘ Wir haben kei­ne Trä­nen mehr. Die Wut ist der Resi­gna­ti­on gewi­chen. Wir wis­sen, daß Du uns liebst, Herr, aber wir spü­ren die­se Lie­be nicht, und das macht uns ver­rückt. Wir wachen mor­gens auf und sind für ein paar Sekun­den glück­lich, aber dann fällt uns sofort ein, wie schwie­rig es sein wird, uns zu ver­söh­nen. Herr, wo bist Du? Sprich zu uns in der Stil­le des Todes und der Spal­tung und leh­re uns, uns zu ver­söh­nen, Brü­der und Schwe­stern zu sein, wie­der auf­zu­bau­en, was die Bom­ben ver­nich­ten möchten.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: VaticanMedia/​Youtube (Screen­shot)

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