Von Cristiana de Magistris
Das Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 und die Antworten auf die jüngsten Dubia (von wem diese aufgeworfen wurden, ist nicht bekannt) vom 18. Dezember letzten Jahres haben ernsthaften Widerstand hervorgerufen, vor allem aus juristischer Sicht, da beide Maßnahmen nicht zu vernachlässigende kanonische Anomalien aufweisen.
Die goldene Regel bei der Auslegung von Gesetzestexten besteht darin, auf die mens legislatoris, den Willen des Gesetzgebers, zurückzugreifen. Bei objektiver Lektüre beider Dokumente ist die Absicht des Gesetzgebers eindeutig: Die reformierte Messe von Paul VI. ist der einzige Ausdruck des römischen Ritus, und die sogenannte „traditionelle“ Messe muß langsam, aber unausweichlich verschwinden.
So schmerzlich dies auch sein mag, ist es doch keine Überraschung, denn es steht in perfektem Einklang mit anderen lehramtlichen Interventionen dieses Pontifikats und zum Teil auch mit früheren.
Die Liturgie ist das gebetete Dogma. Es ist, mit anderen Worten, die Orthodoxie des katholischen Glaubens, die im offiziellen Gebet der Kirche zum Ausdruck kommt. Als Pius V. 1570 das Missale Romanum wiederherstellte (nicht reformierte), wollte er nicht nur die durch zahlreiche unzulässige Neuerungen zersplitterte liturgische Einheit wiederherstellen, sondern auch ein Bollwerk des katholischen Glaubens gegen die sich ausbreitende protestantische Häresie errichten, da die überlieferte römische Messe jene Elemente des katholischen Dogmas enthielt, die die Protestanten für unerträglich hielten. Mit anderen Worten: Der heilige Pius V. wußte, daß das Volk durch die Teilnahme an dieser Messe den katholischen Glauben bewahren würde.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, aber mit einer enormen Beschleunigung im derzeitigen Pontifikat, sind wir Zeugen eines systematischen Abbaus des katholischen Dogmas geworden. Man denke unter den jüngsten Dokumenten und Ereignissen an Amoris laetitia, das die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene öffnet und offensichtlich drei Sakramente angreift: Ehe, Beichte und Eucharistie. Man denke an die Einführung der Pachamama im Vatikan, die das erste Gebot untergräbt. Man denke an die sich ausbreitende homosexuelle Mentalität, die schändlicherweise von den obersten Kirchenmännern selbst gefördert wird und gegen das elementarste Naturgesetz verstößt. Man denke an die ökumenischen und interreligiösen Erklärungen, die seit 50 Jahren alle Religionen gleichsetzen, was eine offensichtliche Beleidigung Gottes darstellt und zu einer Verwirrung der Gläubigen führt…
Welchen Zweck hat das? Das wurde im vergangenen Jahrhundert von dem großen Sohn des heiligen Dominikus und Verteidiger des Glaubens, Pater Roger-Thomas Calmel, angezeigt, als er schrieb:
„Abgelenkt von der Chimäre, einfache und unfehlbare Mittel entdecken zu wollen, um endlich die religiöse Einheit des Menschengeschlechts zu verwirklichen, arbeiten einige Prälaten, die die wichtigsten Ämter bekleiden, daran, eine grenzenlose Kirche zu erfinden, in der alle Menschen, von vornherein dispensiert davon, der Welt und dem Satan zu entsagen, sich ohne jedes Zögern in Freiheit und Brüderlichkeit zusammenfinden würden. Dogmen, Riten, Hierarchie, sogar Askese, wenn es sein muß: Alles von der früheren Kirche würde fortbestehen, aber alles ohne den vom Herrn gewollten und von der Tradition aufgezeigten Schutz und deshalb auch ohne den katholischen Lebenssaft, das heißt, ohne Gnade und Heiligkeit.“
Man könnte sich fragen: War es nicht genug, das Dogma zu demontieren, um das chimärische Ziel einer „religiösen Einheit der Menschheit“ und einer „Kirche ohne Grenzen“ zu erreichen? Die Antwort lautet NEIN, es genügt nicht, das Dogma durch Dokumente, Botschaften, Gesten, Andeutungen und Interviews aufzulösen. Das reicht nicht, solange die Liturgie nicht zerstört ist, denn es ist die Liturgie, die das Dogma bewahrt. Luther verstand das sehr gut und hatte deshalb einen unerbittlichen Haß auf die papistische Messe, denn, so sagte er, „auf der Messe ist das ganze päpstliche System aufgebaut wie auf einem Felsen, mit seinen Klöstern, seinen Episkopaten, seinen Kirchen, seinen Altären, seinen Geistlichen, seiner Lehre, das heißt mit dem ganze Rest. All das wird zusammenbrechen, wenn die frevelhafte und abscheuliche (katholische) Messe zerstört ist.“
Die Liturgiereform Pauls VI. hat, wie namhafte Gelehrte dargelegt haben, das Bollwerk, das die Liturgie zur Verteidigung des Dogmas ist, stark geschwächt, wenn nicht sogar ausgelöscht. Seitdem sind Irrtümer und Greuel in die Kirche eingedrungen, aber die überlieferte Messe wurde zwar eingeschränkt, aber immer beibehalten, und so konnte der Glaube bewahrt werden, wenn auch nur von wenigen.
Es liegt also auf der Hand, daß das letzte und wichtigste Bollwerk, die katholische Messe aller Zeiten, niedergerissen werden müßte, um eine totale Demontage des Dogmas zu erreichen. Daher die beiden jüngsten wirren Dokumente, die dazu führen, daß der Römische Ritus aus einer Liturgie besteht, die vor 50 Jahren am grünen Tisch erfunden wurde und die in Zukunft wahrscheinlich mit einem Wisch beseitigt werden kann, wie die Liturgien, die weniger als 200 Jahre alt waren, von Pius V. abgeschafft wurden.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß der berühmte Liturgiewissenschaftler Klaus Gamber die Frage, ob ein Papst einen Ritus ändern kann, verneinte, da der Papst der Hüter und Garant der Liturgie (wie auch der Dogmen) ist, nicht aber ihr Eigentümer:
„Kein Dokument der Kirche, nicht einmal der Codex des kanonischen Rechts, sagt ausdrücklich, daß der Papst als Oberster Hirte der Kirche das Recht hat, den überlieferten Ritus abzuschaffen. Der plena et suprema potestas des Papstes sind klare Grenzen gesetzt […]. Mehr als ein Autor (Gaetano, Suarez) vertritt die Meinung, daß die Abschaffung des überlieferten Ritus nicht in die Zuständigkeit des Papstes fällt. […]. Es ist gewiß nicht die Aufgabe des Apostolischen Stuhls, einen Ritus der apostolischen Tradition zu zerstören, aber es ist seine Pflicht, ihn zu erhalten und weiterzugeben.“
Gamber bekräftigte auch, daß der Novus Ordo keinesfalls als Römischer Ritus, sondern allenfalls als Ritus modernus bezeichnet werden kann: „Wir sprechen vielmehr von Ritus Romanus und stellen ihn dem Ritus Modernus gegenüber“.
Angesichts des jüngsten Kampfes der Modernisten gegen die Liturgie aller Zeiten warnt uns Pater Calmel mit seiner leuchtenden Intelligenz:
„Der Modernismus greift nicht offen an, sondern hinterhältig und verdeckt, indem er überall Mißverständnisse einführt. Das Bekenntnis des Glaubens vor modernistischen Autoritäten bedeutet daher, daß jede Zweideutigkeit sowohl in den Riten als auch in der Lehre zurückgewiesen wird. Es bedeutet, sich an die Tradition zu halten, weil die Tradition sowohl in den dogmatischen Definitionen als auch in der rituellen Ordnung präzise, treu und unanfechtbar ist.“
Und wie in einer prophetischen Vision dessen, was kommen sollte und was jetzt vor unseren Augen steht, schrieb er:
„Angesichts von Autoritäten, die uns die Lüge in ihrer schlimmsten Form – der modernistischen Form – aufzwingen wollen, und inmitten eines christlichen Volkes, das durch diese beispiellose Hochstapelei verwirrt ist, erkennen wir sofort, daß das vollständige Bekenntnis des Glaubens an die Kirche als Hüterin der wahren Messe zuallererst bedeutet, die Messe aller Zeiten zu zelebrieren. Wenn es wahr ist, daß dies nicht ohne Leiden möglich ist, so ist es nicht weniger wahr, daß die Kirche, deren wahre Messe wir zelebrieren, uns gerade dadurch die Kraft gibt, diesen Schmerz mit Mut und Leichtigkeit zu ertragen.“
Gerade aus der Feier der überlieferten Messe, die man sterben lassen will, werden die Priester den Mut und die Kraft schöpfen, sich ungerechten und wahrscheinlich ungültigen Gesetzen zu widersetzen. Und wir können sicher sein, daß, solange es auch nur eine einzige überlieferte Messe gibt, die in einem entlegenen Winkel der Erde gefeiert wird, das katholische Dogma bewahrt wird, der Glaube bewahrt wird, wenn auch unter großen Schmerzen, wie die allerseligste Jungfrau, die auf dem Kalvarienberg, dem einzigen Altar der Welt, den Glauben der ganzen Kirche bewahrt hat.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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Also kommt es nicht mehr darauf an, ob man an der überlieferten Lehre dem Katechismus und den Dogmen festhält. Defaco ist jeder welcher die neue Messe besucht, im vollen Bewusstsein, dass es sich hier um das Messopfer, die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfer handelt, ein Modernist, Liberaler oder nicht Rechtgläubig?
Siehe 62 Gründe
Die Messe aller Zeiten ist das Bollwerk der Rechtgläubigkeit und wird als solches auch von Freund und Feind angesehen. Wer sich als Priester an überlieferte Texte hält, Rubriken beachtet und die Messe mit der Intention feiern will, wie sie immer von der Kirche gefeiert wurde, läßt persönliche Kapriolen und theatralische Schnurrpfeifereien außen vor. Wer sich hingegen inszenieren will und seine spontanen Eingebungen für wichtiger hält als 2000 Kirchengeschichte, sieht darin nur einengende Maßregelung. Somit wirkt die überlieferte Messe automatisch als Lackmustest für Priester und Gläubige.