(Rom) Der erste sichtbare Effekt der Visitation des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen durch Kardinal Cupich ist der Rücktritt des Sekretärs und des stellvertretenden Sekretärs des „Sozialministeriums“ an der Römischen Kurie. Die Gründe sind unklar. Der Heilige Stuhl schweigt sich aus.
Ende Juni wurde bekannt, daß Papst Franziskus seinen Vertrauten, Kardinal Blase Cupich, Erzbischof von Chicago und Bezugspunkt der progressiven Bischöfe in der Bischofskonferenz der USA, zum Apostolischen Visitator für das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, so der vollständige Name, ernannt hatte, das Franziskus im August 2016 errichtet hatte. Wirklich operativ wurde das Ministerium am 1. Januar 2017. Die Nachricht erstaunte: Konnte es sein, daß eine erst vor so kurzer Zeit errichtete Kurienbehörde bereits einer Visitation bedarf? Und ausgerechnet das „Schlüsselministerium“ des derzeitigen Pontifikats, in dem Franziskus persönlich die Leitung einer Sektion, jener für Migranten und Flüchtlinge, ausübt?
Inzwischen liegen die ersten sichtbaren Auswirkungen der Visitation vor. Im Tagesbulletin des vatikanischen Presseamtes wurde bekanntgemacht, daß Papst Franziskus die Rücktritte des Sekretärs dieses Dikasteriums, Msgr. Bruno Marie Duffé, und des stellvertretenden Sekretärs, Don Augusto Zampini, angenommen hatte.
Abgang mit „Schock“
Um beide zu ersetzen, ernannte Franziskus interimistisch die Ordensfrau Sr. Alessandra Smerilli FMA zur neuen Sekretärin. Die Medienaufmerksamkeit konzentriert sich auf die Ernennung einer Frau, während die Rücktritte und die Visitation in keine Verbindung gebracht werden. Eine Ausnahme ist Elisabetta Piqué, die Vatikanistin der argentinischen Tageszeitung La Nación und langjährige Freundin des Papstes aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires. Ihr Augenmerk liegt auf dem Rücktritt des argentinischen Priesters Augusto Zampini, den sie als „Schock“ bezeichnet.
Don Zampini war im April 2020 von Franziskus zur Nummer drei der vatikanischen Corona-Kommission ernannt worden, die der Papst zur Bekämpfung von Covid-19 eingesetzt hatte. Piqué titelte in der gestrigen Ausgabe von La Nación, daß der Rücktritt Zampinis, der erst im April 2020 an das Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen berufen worden war, ein „Erdbeben“ sei. Die Sympathie, die Piqué ihrem Landsmann entgegenbringt, ist offensichtlich.
An die Stelle von Don Zampini und des französischen Msgr. Bruno Marie Duffé, der bisher das Amt des Dikasteriensekretärs innehatte, tritt mit der italienischen Salesianerin Alessandra Smerilli, erstmals eine Frau. Sr. Smerilli studierte Wirtschaftswissenschaften und war bereits bisher am Dikasterium tätig.
Don Zampini und Msgr. Duffé werden in ihre Heimatdiözesen zurückkehren. Für Don Zampini ist das die Diözese San Isidro in Argentinien, für Msgr. Duffé die Erzdiözese Lyon in Frankreich.
Wegen der Rücktritte wurde von Franziskus auch das Führungstrio der Corona-Kommission umbesetzt. Den Vorsitz führt weiterhin Kardinal Peter Turkson, zugleich Präfekt des Dikasteriums. Die Sitze von Duffé und Zampini, die zusammen mit Kardinal Turkson das Führungstrio bildeten, nehmen künftig Sr. Smerilli und Don Fabio Baggio CS, Untersekretär des Dikasteriums mit der Zuständigkeit für die Sektion Migranten und Flüchtlinge, ein. Don Baggio hatte von 1999 bis 2002 unter Erzbischof Bergoglio bereits die Abteilung Migration des Erzbistums Buenos Aires geleitet.
Der 52jährige Zampini hatte vor seiner Berufung zum Priester Rechtswissenschaften an der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien studiert und war anschließend als Rechtsanwalt in der internationalen Kanzlei Baker & McKenzie für Banken und multinationale Konzerne tätig. Piqué meint, die „Dynamik“ und der „frische Wind“, den Zampini ausstrahle, habe ihn mit einem bürokratischen System „kollidieren“ lassen, das „noch langsam“ arbeite.
Am „Sozialministerium“ von Papst Franziskus arbeiten 70 Mitarbeiter. Vor allem die Führungsebene ist die größte aller Kurienbehörden. Wo selbst die Kongregationen mit zwei, meist drei Amtsträgern auskommen, waren es hier bis gestern acht: ein Präfekt, zwei Sekretäre und fünf Untersekretäre. Nun sind es sieben.
Der Aufstieg von Don Zampini
Don Zampini wurde 2004 für das Bistum San Isidro zum Priester geweiht. Anschließend absolvierte er ein Doktoratsstudium der Moraltheologie an den besten Universitäten der Welt und erwarb zudem einen Master in Internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Von 2006 bis zu seiner Berufung an den Heiligen Stuhl übte er Lehrtätigkeiten in den Fächern Sozialethik und Fundamentaltheologie an verschiedenen Universitäten aus, zuletzt an den staatlichen Universitäten von Durham und Roehampton in England. Zugleich wirkte er als Priester im Erzbistum Westminister. Als Wirtschafts- und Umweltethiker nahm er im Auftrag des Papstes als einer von acht Experten an der Amazonassynode teil und war einer der Autoren des umstrittenen Arbeitspapiers, das Grundlage der Synodenarbeit war.
Am Tag nach der Wahl von Franziskus konnte der britische Guardian Don Zampini mit der Aussage zitieren, daß es unter dem neuen Papst eine „offene Diskussion“ geben werde, im Gegensatz zum „alten Regime“ von Benedikt XVI., auch über den Zölibat.
Am 20. März errichtete Papst Franziskus die Vatikanische Covid-19-Kommission, der fünf Arbeitsgruppen unterstehen. Ab diesem Datum war Don Zampini auch für Lösungsvorschläge zur Überwindung sozialer und ökonomischer Probleme durch die „Corona-Pandemie“ zuständig. Als Auftrag der Kommission nannte Kardinal Turkson am 15. April 2020 die „Überzeugung von Papst Franziskus, daß wir vor einem Epochenwechsel stehen“, weshalb es darum gehe, „wie die Kirche sich als Bezugspunkt für eine durch ein unerwartetes Ereignis verstörte Welt anbieten könne“.
Nachdem die Glaubenskongregation am 21. Dezember 2020 zwar in einer Note den Impf-Präparaten in der EU den Segen des Heiligen Stuhls gespendet, aber der Impfpflicht eine Absage erteilt hatte, sprang am 29. Dezember die Vatikanische Covid-19-Kommission in die Bresche und erklärte in einem eigenen Dokument, daß es eine „moralische Pflicht“ zur Impfung gebe. Beide Dokumente hatten die Zustimmung von Papst Franziskus erhalten. Zampini galt als der „Organisator“ hinter der vatikanischen Corona-Politik von Papst Franziskus. Er setzte das Motto „Impfung für alle“, das Franziskus von Bill Gates übernommen hatte, ins Licht der Öffentlichkeit.
Der Grund seines Rücktritts ist nicht bekannt, soviel aber weiß man: Don Zampini verläßt den Vatikan nicht, weil er zu wenig bergoglianisch gesinnt wäre oder weil Franziskus eine Aufwertung der Frauen an der Kurie anstrebt.
Zampini selbst erklärte vor wenigen Tagen laut Piqué: Unter Berufung auf das alttestamentliche Buch Kohelet, „nach gründlicher Unterscheidung und in Übereinstimmung und Gemeinschaft mit meinem Bischof und mit Papst Franziskus, ist es an der Zeit, meine Mission in Rom nicht länger wahrzunehmen und anderswo Wurzeln zu schlagen“.
Er sei „Gott, dem Heiligen Vater und Kardinal Turkson unendlich dankbar“, daß sie ihm die Möglichkeit gaben, „angesichts einer kranken, leidenden und von vielen Krisen verwundeten Welt“, an „der Vorbereitung auf die Zukunft“ mitzuwirken.
Bischof von San Isidro ist Msgr. Oscar Vicente Ojea Quintana, der auch Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz und der argentinischen Caritas ist. San Isidro wird seit längerem zu den „chinesischen Diözesen“ gezählt, wie in Teilen Lateinamerikas die Bistümer genannt werden, die befreiungstheologisch, tercermundistisch1 oder zumindest progressiv durchsetzt sind.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube (Screenshot)
1 Der kirchliche „Tercermundismo“ bezieht sich in Argentinien vor allem auf die 1967 gegründete Priesterbewegung für die Dritte Welt (Movimiento de Sacerdotes para el Tercer Mundo, MSTM). Der politisch stark links geprägte Zusammenschluß stand dem revolutionären Linksperonismus (Juan Domingo Perón) der 60er und 70er Jahre nahe. Die Priesterbewegung war der direkte organisierte Vorläufer der marxistischen Befreiungstheologie (1971) und gilt als deren argentinischer Zweig. 1976 löste sie sich im Zuge staatlicher Repression während der Militärdiktatur auf. Die ihr zugrunde liegende Volkstheologie (Teologia del pueblo) wirkt als Strömung bis heute weiter.
„tercermundistisch“? Wenn Ihre Artikel nicht nur von Fachidioten gelesen werden sollen, sondern auch von anderweitig und universal Interessierten, dann wäre es oft hier hielfreich, solche Fachtermini wenigtesn in Klammern zu übersetzen bzw eine kurze Erläuterung beizufügen! Der Begriff ist nicht einmal in wiki eruierbar und auch nicht in meinem LThK!
Sie haben vollkommen recht, weshalb der Artikel um folgende Fußnote erweitert wurde:
Der kirchliche „Tercermundismo“ bezieht sich in Argentinien vor allem auf die 1967 gegründete Priesterbewegung für die Dritte Welt (Movimiento de Sacerdotes para el Tercer Mundo, MSTM). Der politisch stark links geprägte Zusammenschluß stank dem revolutionären Linksperonismus (Juan Domingo Perón) der 60er und 70er Jahre nahe. Er war der direkte organisierte Vorläufer der marxistischen Befreiungstheologie (1971) und gilt als deren argentinischer Zweig. 1976 löste sich die Priesterbewegung im Zuge staatlicher Repression während der Militärdiktatur auf. Die ihr zugrunde liegende Volkstheologie (Teologia del pueblo) wirkt als Strömung bis heute weiter.
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