Von Roberto de Mattei*
Im Kampf um die Verteidigung des Lebens, der Familie und der traditionellen Werte sind wir nur zerbrechliche Instrumente in den Händen der göttlichen Vorsehung und haben die moralische Pflicht, denen zu danken, die uns vorausgegangen sind und den Weg geebnet haben. Aus diesem Grund ist die erste internationale Konferenz für das Leben nicht zu vergessen, die vom 25. bis 27. April 1980 in Rom stattfand auf Initiative der Alleanza per la Vita (Allianz für das Leben) von Agostino Sanfratello, zusammen mit Giovanni Cantoni Mitbegründer der Alleanza Cattolica in Italien.
Am 22. Mai 1978 war das Gesetz 194 verabschiedet worden, das die Abtreibung in Italien legalisierte. Am 16. Oktober desselben Jahres, nach dem Tod von Paul VI. und dem kurzen Pontifikat von Johannes Paul I., wurde Johannes Paul II. auf den päpstlichen Thron gewählt, der den Kampf gegen die Abtreibung zu einer Achse seines Pontifikats machen sollte. In diesem historischen Rahmen wurde am Freitag, dem 25. April 1980, im großen Saal des Augustinianum in der Nähe des Vatikans eine außergewöhnliche Veranstaltung eröffnet, wegen ihrer Qualität und der Anzahl der Teilnehmer, die sich auf eigene Kosten aus der ganzen Welt in Rom versammelt hatten.
Während der drei Konferenztage wurden die unterschiedlichsten Themen angesprochen, um Gesetze einzufordern, die den natürlichen Rechten von Mensch und Familie entsprechen, und um sich auf einen gemeinsamen Kampf für die Abschaffung der Abtreibungsgesetze zu verständigen. Es wurde der einheitliche Charakter im Prozeß des intellektuellen und moralischen Verfalls unserer Zeit untersucht; es wurden die Verbindungen zwischen der Verbreitung von Drogen, Abtreibung, Euthanasie und Terrorismus angeprangert; es wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse erneut vorgelegt, die das Lebensrecht von der Empfängnis an definieren; es wurden die philosophischen, ethischen und rechtlichen Grundsätze bekräftigt, welche die menschliche Person schützen; es wurde eine gemeinsame Aktion zur Aufhebung der Abtreibungsgesetze und zur Verabschiedung positiver Gesetze zum Schutz der Familie, der Mutter und des Kindes vereinbart.
Die Konferenz versammelte 500 Teilnehmer und die Unterstützung berühmter Persönlichkeiten, die nicht in der Lage waren, persönlich anwesend zu sein, darunter der Philosoph Pater Cornelio Fabro CPS; Don Dario Composta SDB, Dekan der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Urbaniana; Prof. Joël-Benoit d’Onorio, Vorsitzender der Confédération de Juristes Catholiques de France; Prof. Plinio Corrêa de Oliveira, Vorsitzender der Sociedade Brasileira de Defesa da Tradição, Família und Propriedade (TFP); Marcel de Corte, emeritierter Professor der Universität Lüttich; Augusto Del Noce, Professor für Politische Philosophie an der Universität Rom; Julien Freund, emeritierter Professor der Universität Straßburg; Dr. Wanda Poltawska, Direktorin des Instituts für Familientheologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät Krakau.
In der allgemeinen Einführung zu den Arbeiten sprach der Dominikanerpater Tito Sante Centi (1915–2011) von der Objektivität von Ethik und Moral und zeigte auf, wie aus der Negation dieser objektiven Moral der perfekte Relativismus entsteht, laut dem alles, was geschieht, gerecht ist allein deshalb, weil es geschieht. Gegen diesen historischen Agnostizismus und gegen seine innerkirchliche Version, den Modernismus, ist es notwendig, die immerwährende Philosophie wiederzuentdecken und zu bekräftigen, die lehrt, daß die Vernunft die Realität erkennen und Werte skizzieren kann, die im Fluß der Geschichte unveränderlich bleiben.
Die prominenteste Persönlichkeit der Konferenz war jedoch Prof. Jérôme Lejeune (1926–1994), ein international renommierter Genetiker, der am 21. Januar 2021 von der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse zum ehrwürdigen Diener Gottes erklärt wurde. In seiner Rede ging Prof. Lejeune die Hauptsymptome der Verfinsterung der wissenschaftlichen Vernunft durch und konzentrierte sich insbesondere auf Genmanipulation, Abtreibung und Kindermord. Wir müssen zu Demut und Realismus zurückkehren, erklärte Lejeune: Die Logik der Rechner entdeckt heute die alten elementaren Wahrheiten wieder, nach denen die Struktur der Erkenntnis der Realität aus „Ja“ und „Nein“ besteht, niemals aus „vielleicht“. Es ist die Logik des Evangeliums:
„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“.
Eine weitere bedeutende Persönlichkeit war Margaret White (1910–1993), Richterin in England und stellvertretende Vorsitzende der Society for the Protection of Unborn Children (SPUC). Die führende britische Pro-Life-Vertreterin kritisierte die beiden wichtigsten Sophismen der Abtreibungspropaganda: daß der menschliche Fötus keine Person sei und daß Abtreibung der Gesundheit der Frau nicht schade. Das sind aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht unhaltbare Thesen, sagte sie: Aber sie seien in einer Welt leicht zu begründen, in der sogar Tiere besser geschützt sind als ungeborene Kinder. Die Lage ist dramatisch, schloß sie, aber gerade hier in Rom, am Grab der Apostel, müssen wir die religiösen und moralischen Gründe finden, die uns Hoffnung und Ausdauer im Kampf geben.
Der deutsche Arzt Siegfried Ernst (1915–2001), stellvertretender Vorsitzender der World Federation of Doctors Who Respect Human Life, betonte den Zusammenhang zwischen Pornographie und Abtreibung und verurteilte die Verbreitung von Pornographie, die nicht nur im Westen erfolgt, sondern – als relativ neues Phänomen – auch in der Dritten Welt, wo die pornographische Explosion wie anderswo die Abtreibung vorbereitet und begleitet.
Der juristische Aspekt wurde von Giovanni Cantoni (1938–2020), Vorsitzender der Alleanza Cattolica, angesprochen. Er zeigte auf, wie einerseits ein Legalismus entsteht, der alles als erlaubt betrachtet, was der äußeren Form und dem Prozedere nach dem Recht entspricht, aber zugleich das erste aller Naturrechte, das Recht auf Leben, durch die Abtreibung verweigert. Die legalisierte Abtreibung leitet einen perfekten Totalitarismus ein als gemischtes Regime aus Tyrannei, Oligarchie und Demagogie.
Der Rechtsanwalt Dennis J. Horan (1932–1988), Vorsitzender von Americans United for Life, beschäftigte sich mit dem Thema Euthanasie, das in allen Ländern zur tragischen Aktualität wurde, die durch die Anerkennung der Abtreibung den Grundsatz aufgegeben haben, das Leben zu achten. Horan, der zwischen 1970 und 1988 einen enormen Einfluß auf den Rechtsschutz des Lebens in Amerika hatte, prangerte in seiner Rede die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Hirntod“ an, über den man in jenen Jahren zu reden begann.
Der Arzt Herbert Ratner (1907–1997), Direktor von Child and Family Quarterly, ebenfalls Amerikaner, bezeichnete die Abtreibung als logische Folge eines Prozesses, der seinen kapillaren und diffusesten Aspekt in der Ausbreitung von Methoden der künstlichen Empfängnisverhütung und in der Entfernung der Kinder von der Mutter schon ab dem Stillen und dem Kindergarten hat.
Die Französin Geneviève Poullot (1928–2018), Generalsekretärin von Laissez-les vivre und nationale Verantwortliche von SOS Futures Mères, hob zwei Aspekte der Abtreibungspropaganda hervor: die systematische Verunglimpfung der Mutterschaft, die als Unfall und fast als Krankheit dargestellt wird, und die Sympathie für die Abtreibung, deren tragische Realität hinter einer verfälschenden Terminologie verborgen ist.
In ihrem Bericht, der von Michel de Penfentenyo (1927–2018) verlesen wurde, sprach Émérentienne de Lagrange (1904–1994), Professorin in Clermont-Ferrand, das Problem der Förderung der Abtreibung durch mächtige „kulturelle“ und wirtschaftliche Kräfte an, die von Freimaurerlogen orchestriert werden.
Der französische Chirurg und Demograph Emmanuel Tremblay (1920–2009), Vorsitzender von Europa Pro Vita, erklärte, wie die Abtreibung den Westen unter einen großen Teil der antiken Welt und vieler sogenannter „primitiver“ Gesellschaften degradiert und den Weg zu einer schrecklichen Todeskette auftut, die Abtreibung, Euthanasie und die Vernichtung politischer Gegner in den Konzentrationslagern verbindet.
Der belgische Anwalt Charles Convent (1908–1995), Sekretär von Europa Pro Vita, erläuterte die aktuelle Situation und forderte die Anti-Abtreibungsorganisationen auf, mit der Abtreibung und ihren Theoretikern die Tendenzen zur sexuellen Revolution und zur Pornographie zu bekämpfen, die den Boden für die Abtreibungsmentalität bereiten.
Peggy Norris, Vorsitzende des International Pro Life Information Centre, und Rev. Alan Rabjohns, Vorsitzender von SPUC, zeigten den Kampf gegen das Abtreibungsgesetz und seine Folgen in England auf; Rev. Eugene Ahern, Chefredakteur des Magazins Right to Life News, stellte die Situation in Australien vor. Rechtsanwalt Patrick Trueman, geschäftsführender Direktor von Americans United for Life, beschrieb die Methoden des Pro-Life-Kampfes auf der Ebene der Gesetzgebung und des Wahlkampfs in den Vereinigten Staaten, während Dr. Jean-Jacques Pitteloud von der Association Suisse des Médecins pour le Respect de la Vie die wichtigsten Anti-Abtreibungs-Initiativen seines Landes vorstellte.
Unter den anderen Rednern erinnern wir noch an den Niederländer Karel F. Gunning, Vorsitzender des World Federation of Doctors who Respect Human Life; Mercedes Wilson, Vorsitzende des US- Zweigs der World Organization of the Ovulation Method-Billings; Prof. Manlio Mazziotti di Celso, Universität Rom; Prof. Honorio Sanjuan Nadal, Vorsitzender der Asociación Pro Respeto A La Vida Humana in Barcelona; Dr. François Megevand vom Centre d’Études pour une Politique de la Vie; Dr. Massimo Introvigne, Alleanza Cattolica; Dr. Hartwig Holzgartner, Vorsitzender des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes München (Bayern); Dr. Gottfried Roth, Professor für Pastoralmedizin in Wien und Chefredakteur von Arzt und Christ; Pater Pedro Richards, Passionist, Direktor des Centro Nacional de Planificacion Natural de la Familia; Stefan Wilkanowicz, Direktor der Zeitschrift Znake und Mitglied der Laienkommission des polnischen Episkopats.
Agostino Sanfratello, der Vorsitzende von Alleanza per la Vita, schloß den Kongreß mit der Feststellung, daß die Rückeroberung der Wahrheit und ihrer sozialen Projektion möglich ist, wenn es gelingt, die eigene Schwäche, die Schlaffheit einer bestimmten katholischen Welt und die Täuschungen und Fallen der Gegner zu überwinden.
„Vertrauen wir den Ausgang unseres Kampfes und die gute Sache der Verteidigung des unschuldigen Blutes so vieler ihrer Kinder der allerseligsten Jungfrau Maria an und bitten wir sie, uns die Kraft zu verschaffen, die notwendig ist, um den guten Kampf zu kämpfen.“
Die Konferenz, die mit einem zustimmenden Schreiben von Kardinal Joseph Höffner, Erzbischof von Köln und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eröffnet wurde, endete am Samstag, dem 26. April 1980, mit einer Sonderaudienz des Heiligen Vaters Johannes Paul II. Bei dieser Gelegenheit sprach der Papst kurz mit einzelnen Teilnehmern und richtete diese Worte an die Anwesenden:
„Ganz besonders möchte ich all jene grüßen, die sich in den Dienst des Lebens gestellt haben und diesen Dienst zu einem Ideal machen, dem sie ihre Intelligenz, ihre Vorstellungskraft, ihre Zeit, ihre Kräfte widmen. Das Menschenleben ist heilig, das heißt, es ist jeder willkürlichen Macht entzogen, die es schädigen, verletzen oder gar unterdrücken will. Vom Moment der Empfängnis bis zum letzten Augenblick des natürlichen Überlebens in der Zeit verdient es Respekt, Aufmerksamkeit und Anstrengung, um seine Rechte zu schützen und seine Qualität zu heben. Deshalb kann ich all jene, die sich dem Dienst an dieser sehr edlen Sache verschrieben haben, nur gutheißen und ermutigen, und ich bitte Gott, sie zu segnen.“
Am 11. Februar 1994 gründete Johannes Paul II. mit dem Motu Proprio Vitae Mysterium die Päpstliche Akademie für das Leben und betraute Prof. Jérôme Lejeune mit dem Vorsitz, der drei Monate später versterben sollte. Am 25. März 1995 veröffentlichte der Heilige Vater die Enzyklika Evangelium Vitae.
Die internationale Konferenz von 1980 hat zweifellos dazu beigetragen, die Bedingungen für eine stärkere und wirksamere Verteidigung des Lebens in Italien und in der Welt zu schaffen und kann eine Anregung für eine Vereinigung der Kräfte im gegenwärtigen Moment sein, wie es bereits mit den Märschen für das Leben in der Welt geschieht.
Ich habe an der Organisation dieses Kongresses mitgewirkt und wollte Zeugnis von ihm geben in Erwartung, daß Prof. Agostino Sanfratello, der Initiator der Veranstaltung und Pionier der Lebensrechtsbewegung in Italien, eine umfangreichere Erinnerung daran vorlegen wird.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
„In der allgemeinen Einführung zu den Arbeiten sprach der Dominikanerpater Tito Sante Centi (1915–2011) von der Objektivität von Ethik und Moral und zeigte auf, wie aus der Negation dieser objektiven Moral der perfekte Relativismus entsteht, laut dem alles, was geschieht, gerecht ist allein deshalb, weil es geschieht.“
Ihr habt keine Chance gegen den Determinismus mit eurem neuen Pfingsten. Sie werden euch überrollen und ihr werdet am Ende mit fliegenden Fahnen die 30 Silberlinge entgegennehmen und die Freilassung Barabbas fordern.
Per Mariam ad Christum,