
Ein Gastkommentar von Hubert Hecker
Der Limburger Bischof Georg Bätzing, zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, berichtete kürzlich von seiner Privataudienz bei Papst Franziskus: Er habe den Papst „über den Stand des Synodalen Wegs informiert“. Daraufhin habe Franziskus „uns ermutigt, den eingeschlagenen Synodalen Weg weiterzugehen, die anstehenden Fragen offen und ehrlich zu diskutieren und zu Empfehlungen für ein verändertes Handeln der Kirche zu kommen.“ Bätzing ergänzte: Er habe dem Papst versichert, „dass kolportierte Zuschreibungen, wonach sich die Kirche in Deutschland auf Sonderwege begeben wolle, aus der Luft gegriffen seien“.1
Erhebliche Bedenken im Vatikan gegen den Synodalen Weg in Deutschland
Die entscheidende Frage ist, was Bischof Bätzing dem Papst als „Stand des Synodalen Wegs“ vorgetragen hat. Denn nur darauf bezieht sich die päpstliche Ermutigung zum Weitergehen. Hat er etwa Formeln aus früheren Stellungnahmen gebraucht wie ’Reformprozess mit der Perspektive der Evangelisierung‘? Mit solchen weltkirchlich allseits akzeptierten Framing-Parolen hatte schon Kardinal Marx im September 2019 die vatikanischen Vorbehalte zum Synodalen Weg zu entschärfen versucht. Der damalige DBK-Vorsitzende verkündete nach einer Privataudienz in Rom, der Papst habe keine Einwände gegen den Synodalen Weg mehr, man solle weitermachen. Wie sich die Statements gleichen!
Aber mitnichten konnte mit solchen Formelkompromissen die vatikanische und weltkirchliche Kritik am deutschen Sonderweg zum Verstummen gebracht werden. Selbst in dem dpa-Bericht zu Bätzings Rombesuch heißt es: „In der Zentralverwaltung der katholischen Weltkirche im Vatikan gibt es erhebliche Bedenken gegen diesen (deutschen) Reformprozess.“ Der Papst selbst zeigte sich in seiner Mittwochsansprache vom 25. 11. 2020 „äußerst traurig“ über kirchliche Initiativen, die „die Kirche wie eine Partei mit demokratischen Verfahren oder einem synodalen Weg“ organisieren wollten. Ohne Hören auf die Lehre der Apostel, ohne Gebet, die Eucharistie und die Liebe in Gemeinschaft entwickle sich die Kirche zu einem „schönen humanitären wohltätigen Verein“. Was in der Kirche jenseits der erwähnten Eckpunkte wachse, sei ohne Fundament und „auf Sand gebaut“.2
Zweifellos war die kritische Passage mit dem Schlüsselbegriff ‚synodaler Weg‘ auf die Kirche in Deutschland gemünzt. Die kritischen Punkte passen zu der deutschen Synodalpraxis: Nicht einmal am Beginn des Synodalen Wegs hat man eine Eucharistiefeier gehalten. Auch das Gebet und das Hören auf die Lehre der Apostel spielen bei den Synodalversammlungen nur eine marginale Rolle. Nicht im Lichte des Evangeliums sollen die Zeitströmungen geprüft und gedeutet werden, sondern umgekehrt soll die biblisch-kirchliche Lehre auf den Prüfstand gestellt werden, um sie „im Lichte von humanwissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte“ zu verändern.3 Hat Bischof Bätzing den Papst über diese geistlichen Defizite und die verweltlichte Ausrichtung des Synodalen Wegs informiert?
Tendenzen der Verweltlichung
Die Kirche sollte auf den „Dialog mit dem Zeitgeist“ setzen. Das forderte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode verwies die Synodalversammlung auf die faktische Lebenswirklichkeit als Basis von Normentwicklung und Theologie. Kardinal Reinhard Marx empfahl die Orientierung an den säkularen „humanwissenschaftlichen Erkenntnissen“. Der Forumstext IV (S. 18) gibt als Ziel des Synodalen Wegs an, dass „die katholische Theologie auf die Höhe der geltenden Wertmaßstäbe einer säkularen, liberalen Demokratie“ zu bringen sei. Die Stimmen und Stimmung von Bischöfen für verweltlichte Zielsetzungen bedeuten so ziemlich das Gegenteil von Neuevangelisierung. Jedenfalls ist bei der deutschen Synodalversammlung kaum eine „Verwurzelung in Jesus Christus“ festzustellen, die Franziskus als Eckpunkt jeder kirchlich-synodalen Versammlung feststellt. Würde der Papst bei genauer Kenntnis der Ausrichtung des Synodalen Wegs diesem zustimmen?
Die Analyse der Textvorlagen der Foren bestätigt die Befürchtungen von Franziskus, dass der Synodale Weg in verweltlichte Tendenzen abgleitet. Über die Lehrveränderungen soll die Synodalversammlung am Ende mit Mehrheitsentscheidung demokratisch abstimmen. Bei dem Streben nach demokratischer Willensbildung sei der Verweis auf den göttlichen Willen ausgesprochen hinderlich und „abträglich für den notwendigen Dialog“, wie ZdK-Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel feststellte. Offenbar sind die Kritiken aus der Weltkirche und die „erheblichen Bedenken im Vatikan“ gegen der deutschen Sonderweg doch nicht einfach aus der Luft gegriffen.
Der Dissens mit der weltkirchlichen Lehre zur Segnung von homosexuellen Paaren …
Bei der Frage nach den liturgischen Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren wird der Dissens des Synodalen Wegs mit der katholischen Lehre der Weltkirche besonders deutlich. Die Mehrheit des Synodalforums zur katholischen Sexualmoral fordert eine kirchlich-liturgische Segensfeier für homosexuelle Paare und ebenso für zweitverheiratete Paare, bei denen noch das sakramentale Eheband besteht, die aber als Geschiedene zivilrechtlich neu verheiratet sind. Auch Bischof Bätzing unterstützt die synodale Argumentation: Wenn „Menschen in verantwortungsvollen, treuen und fürsorglichen Partnerschaften leben“, dann sollte die Kirche der Bitte um kirchliche Paar-Segnung nachkommen. Das ergebe sich aus pastoralen und dogmatischen Gründen. Vorsorglich behauptet die Synoden-Theologin Julia Knop, dass Homosexualität – und damit Homo-Partnerschaft – eine Schöpfungsvariante neben der Ehe sei. Die biblisch basierte Lehre der Kirche dagegen lautet, dass Gott die Menschen als Mann und Frau in komplementärer Zuordnung geschaffen hat und auf dieser unauflöslichen Eheverbindung der Segen Gottes liegt. Die Kirche ist daher nicht legitimiert, für nicht ehefähige oder ehewillige Paare in Analogie zum Brautpaarsegen den Segen Gottes herabzurufen.
… geht auf die sexualethische Neulehre des Synodalen Wegs zurück
Auf Abwege von der kirchlichen Lehre ist das Synodalforum IV schon in einem früheren Diskussionsstadium gekommen. Die Mehrheit der Synodalen befürwortet eine sexualethische Neulehre. Danach werden der menschlichen Sexualität diverse Sinn-Funktionen zugeschrieben wie Lustgewinnung, Beziehungspflege, Fürsorge, Identitätsfindung, Zuweisung von sozialen Rollen, Fortpflanzung etc. Die Sinndimensionen sollen nicht mehr unter die biblisch-kirchlichen Leitwerte von Liebe, Treue und Offenheit für Kinder gestellt werden, sondern jeder der genannten „Sinn-Werte“ einschließlich von self sex, vorehelichem Sex, Homo-Sex oder Sexualität der geschiedenen Zweitverheirateten seien für sich wertzuschätzen, sofern sie sozial oder selbst-„verantwortlich“ praktiziert würden.
Nach dem Plädoyer von Bernhard Meuser hat diese Fragmentierung der Liebe in Sinnfunktion, etwa als Trennung der Lust von der Treue, der Treue von der Liebe, der Liebe vom Kinderkriegen zerstörerische Wirkung für die personale Entwicklung und sozialen Beziehungen. „Denn nur in der Liebe ist Ganzheit – und alles unterhalb der Liebe hat nur in Hinsicht auf die Liebe Sinn: Die Freiheit ist nur Freiheit, wenn sie sich binden will. Die Lust ist nur Lust, wenn in ihr die Liebe gefeiert wird.“4
Aus der fragmentierten Sexualmoral folgen weitere fatale Wertverschiebungen: Wenn alle verantworteten sexuellen Handlungen der Getauften positiv zu würdigen sind, bleibt für die klassische katholische Ehe nur noch die Nische mit der Beschriftung übrig: ethische „Höchstform“ für Idealchristen. Glaubt Bischof Bätzing, mit diesem Sondervotum einer deutsch-synodalen Mehrheitsmeinung würde er in Rom und der Weltkirche reüssieren können?
Kein wissenschaftliches Mandat für eine neue kirchliche Sexuallehre
Seit der Veröffentlichung der MHG-Studie im Herbst 2018 behaupten die leitenden DBK-Bischöfe, für den Missbrauch durch vier Prozent der Priester und die Vertuschung durch kirchliches Leitungspersonal seien nicht vorrangig übergriffige Täter und pflichtvergessene Bischöfe verantwortlich, sondern „systemische Problemhorizonte“ (Bätzing), kirchliche Machtstrukturen, die DNA der Kirche oder es wird der Kirche eine „institutionelle Schuld“ (Marx) aufgebürdet. Zu den angeblich missbrauchsfördernden Systemfehlern gehöre auch die „lehramtliche Sexualmoral“. Das habe die MHG-Studie aufgedeckt und deshalb eine Revision der kirchlichen Sexuallehre empfohlen. Jedoch konnten weder Kardinal Marx noch Bischof Bätzing für die Behauptungen belastbare Quellenangaben aus der besagten Studie angegeben. Denn in der 366-seitigen MHG-Forschungsarbeit ist diesbezüglich nur ein einziger Hinweis (auf Seite 235) enthalten – und der auch nur als These von externen Autoren. Jedenfalls ist die Behauptung vom Risikofaktor katholische Sexuallehre in keiner Weise Forschungsergebnis der Studie. Die „Zusammenfassung“ der Forschungsarbeit enthält auch keine Empfehlung, die ganze kirchliche Sexualmoral auf den Prüfstand zu stellen. Somit hat die Synodalversammlung durch die MHG-Studie kein wissenschaftliches Mandat bekommen, die Sexuallehre der Kirche zu ändern. Die Forderung nach einer neuen katholischen Sexualethik beruht eher auf einer aus der Luft gegriffenen Kolportage. Wann werden die leitenden DBK-Bischöfe ihrer Pflicht zur wissenschaftlichen Redlichkeit und Transparenz nachkommen, indem sie die unzutreffende Begründung für das Forum IV benennen und der Öffentlichkeit mitteilen?
Als weiteres Begründungsmantra für die Neukonzipierung der katholischen Sexualmoral lassen Kardinal Marx und Bischof Bätzing verlauten, die Kirche habe es bisher versäumt, die neueren „Erkenntnisse der Humanwissenschaften“ zu rezipieren. Darauf beruft sich auch die Synodenmehrheit, wenn sie als Leitmotiv der neuen Sexualethik eine „generell positive Würdigung menschlicher Sexualität“ fordert. Dieser Paradigmenwechsel zu einer neuen sexualethischen Werteordnung, wie oben beschrieben, soll mit dem Strahlenkranz ‚humanwissenschaftlicher Erkenntnisse‘ vermittelt werden.
Doch bei diesem Vorgehen werden elementare Grundsätze wissenschaftlicher Methodik missachtet:
- Die für Normsysteme zentrale Frage nach dem Zusammenhang von Realität und Normfindung, von empirischer Wissenschaft und Werteanalysen wird nicht geklärt.
- Die Behauptung von neueren „humanwissenschaftlichen Erkenntnissen“ ohne Quellenangabe ist nicht seriös, insofern man damit einer kritischen Auseinandersetzung mit Quellentexten und Autoren aus dem Wege geht.
- Der pauschale Hinweis auf den „Stand der Wissenschaft“ ist ein Totschlagargument mit der Anmutung, alle anderen Theorien und Schlussfolgerungen als die vom Synodentextautor Schockenhoff seien nicht wissenschaftsfundiert.
- Außerdem gibt es keinen einheitlichen Stand der Wissenschaft angesichts verschiedener, teilweise sich widersprechender Sexualtheorien.
- Weiterhin sollten die humanwissenschaftlichen Fehlentwicklungen in den Jahrzehnten nach 1968 zu denken geben, als damals renommierte Sexualwissenschaftler wie Helmut Kentler und Michel Foucault behaupteten, Sexualkontakte von Erwachsenen zu Kindern würden Letzteren nicht schaden. Die belgischen Bischöfe übernahmen damals die kriminelle Pädosex-Wissenschaft als kirchliche Lehre, bis Kardinal Ratzinger 1999 dem schändlichen belgischen Irrweg ein Ende setzte.
Auf dem Hintergrund dieser wissenschaftsmethodischen Mängelliste sollte man sich auf den Ansatz besinnen, den schon die Theologen der frühen Christen gegenüber den hellenistischen Zeitströmungen anwandten:
Statt der pauschalen Zustimmung zu den herrschenden Wissenschaftsschulen wäre es Aufgabe der katholischen Moraltheologie, in kritischer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Richtungen der säkularen Wissenschaften deren Thesen und Tendenzen nach christlichen Werteprinzipien zu prüfen, gegebenenfalls zu verwerfen oder Anregungen für die Entwicklung einer katholischen Sexualethik zu bekommen. Das war das Vorgehen des polnischen Moraltheologen Karol Wojtyla.
Doch die Mehrheit der deutschen Moraltheologen sowie des Forums hält nichts von diesem urchristlichen Prüfverfahren. Sie versteift sich auf die Voreinstellung, die säkularen Lehren der Humanwissenschaften generell als positiv anzusehen, an denen man sich orientieren sollte. Die Kehrseite von diesem Anpassungsbestreben ist die pauschale Ablehnung der überlieferten Lehre der Kirche zu Sexualität und Ehe. Es gibt im Synodenkontext keine ernsthafte Bereitschaft zu einem Studium der neueren kirchlichen Ansätze – etwa der Vertiefung der kirchlichen Sexuallehre durch Papst Johannes Paul II. mit der personalorientierten Theologie des Leibes und der Enzyklika „Familiaris consortio“ sowie deren vielfältige Folgestudien. Stattdessen wird die kirchliche Sexualethik im Forumstext denunziert als „Verbotsmoral“, leib- und lustfeindlich, unverständlich, nicht menschengerecht, lebensfern, gar als eine lebensfeindliche Gesetzesethik.
Diese Vorabfestlegungen der Synodenmehrheit entsprechen nicht der „offenen und ehrlichen Diskussion der anstehenden Fragen“, wie sie der Papst einfordert.
Bild: Wordle
1 Zitate aus einem dpa-Bericht
2 Katholisch.de vom 25.11.2020: Papst Franziskus gegen zu viel Demokratie in der Kirche
3 Interview mit Bischof Bätzing vom 24.3.3021 auf der Seite bistumlimburg.de
4 Moral ist Flankenschutz für die Liebe, Interview mit Bernhard Meuser, in: Die Tagespost 15.10.2020
Man sollte doch diesem Papst nichts glauben. Der redet mal so, mal anders wie es ihm gerade passt. In Wahrheit steht er nehr oder weniger für die Liberalisierung des Glaubensguts und er ist sicher bestens darüber informiert, was beim Synodalen Weg so vor sich geht. Nach aussen widerspricht der Papst manchem, aber lässt die Dinge doch gewähren, um sie so langfristig in seine beabsichtigte Richtung zu drängen. Inzwischen und nach acht Jahren seines Pontifikats sollte man die Absichten von Bergoglio so langsam durchschaut haben. Er hat ja auch oft genug gegen die Rigiden wie er sie nennt gewettert.
Von Ihnen genau auf den Punkt gebracht!
Hätte Rom etwas dagegen (gegen den synodalen Weg), dann wären in den
deutschen Bistümern schon längst die Köpfe der „Chefs“ gerollt.
Da wird schon eher Kardinal Woelki abgesetzt – wovon ich sogar ausgehe.
Bergoglio hat nichts dagegen, nur preschen sie für seinen Geschmack zu sehr vor. Das könnte ja den Aufstand der Tradis auf den Plan rufen!