Die Pandemie-Katechese von Papst Franziskus

Das bedingungslose Grundeinkommen und sein Fürsprecher


Franziskus erneuerte bei der Generalaudienz unter Verweis auf das Coronavirus die Forderung nach erinem bedingungslosen universalen Grundeinkommen.
Franziskus erneuerte bei der Generalaudienz unter Verweis auf das Coronavirus die Forderung nach einem bedingungslosen universalen Grundeinkommen.

(Rom) Das Coro­na­vi­rus wird seit des­sen meß­ba­rem Auf­tre­ten in Euro­pa von ver­schie­de­ner Sei­te für unter­schied­li­che For­de­run­gen genützt. Oder soll­te man bes­ser sagen: miß­braucht? Auch Papst Fran­zis­kus unter­stützt eine sol­che For­de­rung mit tief­grei­fen­den, in ihrem gan­zen Aus­maß nicht abseh­ba­ren sozia­len und gesell­schafts­po­li­ti­schen Fol­gen. Wie das?

Anzei­ge

Eine der ersten die­ser Tritt­brett­fah­rer-For­de­run­gen, die mit dem Auf­tre­ten des Coro­na­vi­rus ver­stärkt wuren, war das bard­geld­lo­se Zah­len, womit die Abschaf­fung des Bar­gel­des inten­diert ist. Die Erklä­rung, wes­halb es einen nach­voll­zieh­ba­ren Zusam­men­hang zwi­schen Bar­geld und Coro­na­vi­rus geben soll­te, blieb dürf­tig. Um genau zu sein, blieb man die Begrün­dung schul­dig bzw. wur­de die Erst­be­haup­tung, der blo­ße Kon­takt kön­ne zur Infi­zie­rung füh­ren und in Fol­ge töd­lich sein, schnell wider­legt. Die Bestre­bun­gen zur Bar­geld­ab­schaf­fung hal­ten den­noch unver­dros­sen an, weil die Grün­de dafür ganz ande­rer Natur sind.

Die Ver­käu­fe­rin­nen an den Super­markt­kas­sen, die im März von jenen als Hel­din­nen dar­ge­stellt wur­den, die zuerst das Land in die Zwangs­qua­ran­tä­ne geschickt, die Super­markt­an­ge­stell­ten aber als eine der weni­gen Grup­pen davon aus­ge­nom­men hat­ten, wur­den trotz des angeb­lich hoch anstecken­den und den Mas­sen­tod brin­gen­den Virus nicht krank. Wäre auch nur ein Infek­ti­ons­fall auf­ge­tre­ten, hät­te den Regie­rungs­an­ord­nun­gen fol­gend der Super­markt gesperrt wer­den müs­sen. Es wur­de kurio­ser­wei­se aber kein Fall einer Super­markt­schlie­ßung bekannt. Dabei hat kaum jemand mehr mit Bar­geld zu tun als Kas­sie­re­rin­nen – allen Auf­for­de­run­gen zum bar­geld­lo­sen Zah­len zum Trotz.

Das „bedingungslose Grundeinkommen“

Eine ande­re For­de­rung, die schon eini­ge Zeit vor dem Coro­na­vi­rus auf­trat, ist die nach einem „bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men“. Der Begriff trat ver­ein­zelt nach Kriegs­en­de auf. So fin­det sich der älte­ste Beleg inter­es­san­ter­wei­se in einer Aus­ga­be der „Infor­ma­tio­nen zur poli­ti­schen Bil­dung“ des Jah­res 1952. Das ist die Publi­ka­ti­on der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, die in jenem Jahr gera­de unter der Bezeich­nung Bun­des­zen­tra­le für Hei­mat­dienst gegrün­det wor­den war. Um den Arg­wohn wecken­den, mit den West­al­li­ier­ten ver­bun­de­nen Begriff „Umer­zie­hung“ (Ree­du­ca­ti­on) zu ver­mei­den, sprach die Bun­des­re­gie­rung bei der Auf­trags­be­stim­mung für die neue Bun­des­ein­rich­tung von „Reori­en­tie­rung“. Nach der Erst­nen­nung ver­schwand das The­ma auch schon wie­der für län­ge­re Zeit von der Bildfläche.

Der „Weg ins Paradies“

Wirk­lich greif­bar wird die For­de­rung nach einem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men erst nach 1989, also nach dem Zusam­men­bruch des Rea­len Sozia­lis­mus des Ost­blocks. Erste Bele­ge fin­den sich 1991 in der Gewerk­schaft­li­chen Rund­schau des Schwei­ze­ri­schen Gewerk­schafts­bun­des (SGB) und dann kurz vor der Jahr­tau­send­wen­de durch die The­sen des Sozi­al­phi­lo­so­phen und Mar­xi­sten André Gorz, eigent­lich Ger­hard Hirsch, dann Ger­hard Horst (1923–2007). Der Wie­ner, Sohn eines jüdi­schen Vaters, der wegen des Anti­se­mi­tis­mus zur katho­li­schen Kir­che kon­ver­tier­te, und einer katho­li­schen Mut­ter, der die NS-Zeit in der Schweiz ver­brach­te, ging nach dem Krieg nach Frank­reich und wur­de ein Mit­ar­bei­ter von Jean-Paul Sart­re und Simo­ne de Beau­voir. Auf­grund sei­ner deut­schen Mut­ter­spra­che erlang­te der Kult­au­tor der Neo­mar­xi­sten auch im deut­schen Sprach­raum eini­gen Einfluß.

André Gorz (1923–2007)

Mit dem Zusam­men­bruch des Ost­block-Kom­mu­nis­mus wur­de Gorz zu einem gei­sti­gen Schritt­ma­cher der cha­mä­le­on­haf­ten Anpas­sung an die neu­en Ver­hält­nis­se (Fran­cis Fuku­ya­ma „Das Ende der Geschich­te“). Sei­ne angeb­li­che Abwen­dung vom Mar­xis­mus war mehr eine Muta­ti­on, bes­ser gesagt ein Klei­der­wech­sel. Die alten Begrif­fe, die bis­her zur Iden­ti­fi­zie­rung dien­ten, wur­den fal­len­ge­las­sen und gegen neue Eti­ket­ten aus­ge­tauscht. Über­gangs­wei­se wur­de der Begriff Öko­so­zia­lis­mus geprägt, dann auch auf­ge­ge­ben. Seit­her fir­miert die alte Lin­ke, als Neu­for­mie­rung von Alt- und Neo­mar­xi­sten, mit Gorz’ Hil­fe als „öko­lo­gi­sche Linke“.

Gorz, ein per­sön­li­cher Freund von Her­bert Mar­cuse, der sich aber vor allem an den The­sen von Ivan Illich ori­en­tier­te, ent­fal­te­te seit den spä­ten 60er Jah­ren sei­ne Varia­ti­on des mar­xi­sti­schen Den­kens, des­sen Kon­stan­ten anti-auto­ri­tä­re Kri­tik sowie Insti­tu­ti­ons- und Kapi­ta­lis­mus­kri­tik waren, wie sich an den Titeln sei­ner wich­tig­sten Wer­ke able­sen läßt: „Zur Stra­te­gie der Arbei­ter­be­we­gung im Neo­ka­pi­ta­lis­mus“ (1967), „Die Aktua­li­tät der Revo­lu­ti­on“ (1970), „Sozia­lis­mus und Revo­lu­ti­on“ (1975), „Wege ins Para­dies“ (1983) und „Kri­tik der öko­no­mi­schen Ver­nunft“ (1989).

1997 erhob er schließ­lich in „Misè­res du pré­sent, rich­es­ses du pos­si­ble“, die deut­sche Aus­ga­be erschien 2000 unter dem Titel „Arbeit zwi­schen Mise­re und Uto­pie“, die For­de­rung nach einem „bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men“, was offen­bar sein aktu­ell­ster „Weg ins Para­dies“ sein soll­te. Kur­ze Zeit nach dem Erschei­nen der deut­schen Aus­ga­be wur­den in den Län­dern des deut­schen Sprach­raums Initia­ti­ven und Ver­ei­ni­gun­gen wie BIEN-Austria und BIEN-Schweiz gegrün­det, die das Anlie­gen in die Öffent­lich­keit tru­gen. Gorz ließ dabei kei­nen Zwei­fel, daß der Öko­lo­gis­mus nur ein Mit­tel zum Zweck sei, eine „Büh­ne“, wie er es nann­te, um das eigent­li­che Ziel zu ver­wirk­li­chen: den Aus­stieg aus dem Kapitalismus.

2007 beging Gorz Selbstmord.

Marxismus recycelt

Phil­ip­pe Van Parijs

An einem jün­ge­ren Ver­fech­ter des bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens, dem bel­gi­schen Mar­xi­sten Phil­ip­pe Van Parijs, einem Schü­ler Gerald Cohens (1941–2009), des Begrün­ders des Ana­ly­ti­schen Mar­xis­mus, wird eine Ver­net­zung mit katho­li­schen Insti­tu­tio­nen deut­li­cher. Van Parijs, Inha­ber des Hoo­ver-Lehr­stuhls für Wirt­schaft und Sozi­al­ethik an der wal­lo­ni­schen Uni­ver­si­té catho­li­que de Lou­vain, war meh­re­re Jah­re auch Gast­pro­fes­sor an der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Havard und der flä­mi­schen Katho­lie­ke Uni­ver­si­teit Leu­ven. Er grün­de­te 1986 das Basic Inco­me Euro­pean Net­work (BIEN), des­sen bei­de ersten Kon­gres­se, 1986 und 1988, an katho­li­schen Uni­ver­si­tä­ten in Bel­gi­en statt­fan­den. Grö­ße­re Auf­merk­sam­keit erziel­ten Ver­ei­ni­gung und The­se schritt­wei­se erst ab 1990. 1994 erfolg­te die glo­ba­le Aus­rich­tung und Umbe­nen­nung in Basic Inco­me Earth Net­work.

Poli­tisch auf­ge­grif­fen wur­de das Anlie­gen öffent­lich bis­her am kon­se­quen­te­sten von Par­tei­en der radi­ka­len Lin­ken des post­kom­mu­ni­sti­schen Kontextes.

Gorz und Van Parijs sind nur zwei Ver­tre­ter, die einen theo­re­ti­schen Unter­bau für die For­de­run­gen lie­fer­ten. An Van Parijs ist erkenn­bar, daß damit eine wei­te­re, älte­re Strö­mung ver­bun­den ist: der Ver­such einer Alli­anz von Sozia­lis­mus und Chri­sten­tum. Zu den Mit­glie­dern von Netz­werk Grund­ein­kom­men, seit 2004 der bun­des­deut­sche Able­ger von BIEN, zäh­len bei­spiels­wei­se der Bund der Deut­schen Katho­li­schen Jugend (BDKJ) und die Katho­li­sche Arbeit­neh­mer-Bewe­gung (KAB).

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren zeich­ne­te sich ab, daß die For­de­rung zum Main­stream wird. Wie das? Weil sie nicht mehr nur aus links­ra­di­ka­ler und damit ver­netz­ter links­ka­tho­li­scher Ecke kommt. Weit wirk­mäch­ti­ger, aber weni­ger leicht erkenn­bar ist neu­er­ding die För­de­rung die­ser Idee durch glo­bal täti­ge Unter­neh­men, deren Mana­ge­r­ebe­nen dahin­ge­hend belehrt wer­den. Wie pas­sen aber so unter­schied­li­che Sek­to­ren als Ver­fech­ter der­sel­ben Idee zusammen? 

Karl Pop­per (1902–1994)

Die Glo­ba­li­sten basteln längst an einer ande­ren Welt und neu­en Wirt­schafts­zwei­gen, wozu Social Engi­nee­ring gehört. Die­ser Begriff des Wie­ner Phi­lo­so­phen Karl Pop­per, der wie Gorz aus wohl­ha­ben­dem jüdi­schem Milieu stamm­te (Pop­pers Eltern kon­ver­tier­ten aus assi­mi­la­to­ri­schen Grün­den zum Pro­te­stan­tis­mus), und sei­ner Idee der „offe­nen Gesell­schaft“, wur­de nicht zufäl­lig 1945, also bei Kriegs­en­de, geprägt, als gegen­über den Besieg­ten Aus­sicht für des­sen Anwen­dung bestand. Pop­per war nach dem Ersten Welt­krieg akti­ver Kom­mu­nist gewe­sen, eben­so sein Onkel, der Wie­ner Natio­nal­öko­nom und Sta­ti­sti­ker Wal­ter Schiff, der nach dem Ersten Welt­krieg von der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tei nomi­nier­ter Vize­prä­si­dent des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik wur­de. Schiff, Ver­tre­ter des lin­ken Par­tei­flü­gels, wur­de 1930 Vor­sit­zen­der des öster­rei­chi­schen Bun­des der Freun­de der Sowjet­uni­on und schließ­lich Mit­glied der ille­ga­len Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Öster­reichs. Er ver­ließ Öster­reich etwas spä­ter als sein Nef­fe, ging aber gleich nach Groß­bri­tan­ni­en, wo sich bei­de wie­der begeg­ne­ten. Im Gegen­satz zu Pop­per, der sich in Rich­tung eines abstrak­ten Radi­kal­li­be­ra­lis­mus beweg­te, blieb Schiff ein so eiser­ner Ver­fech­ter der sozia­li­sti­schen Plan­wirt­schaft, daß er es sich sogar auf sei­nen Grab­stein schrei­ben ließ. Pop­per, der in sei­nem Leben über den Hori­zont von links und libe­ral nicht hin­aus­kam, kri­ti­sier­te zwar vul­gär­mar­xi­sti­sche Ver­ein­nah­mun­gen von Karl Marx und sei­nen Schrif­ten, wie er es nann­te, traf selbst aber kei­ne Vor­sor­ge, daß es ihm und sei­nem anthro­po­lo­gi­schen Wol­ken­kuckucks­heim nicht gleich ergeht.

Die erwähn­ten glo­ba­li­sti­schen Eli­ten, die sich heu­te auf Pop­per beru­fen (beson­ders pla­ka­tiv tut dies Geor­ge Sor­os mit sei­nen Open Socie­ty Foun­da­ti­ons) rech­nen, da von ihnen betrie­ben, mit einer zuneh­men­den Robo­ti­sie­rung (Digi­ta­li­sie­rung, künst­li­che Intel­li­genz, selbst­fah­ren­de LKWs, PKWs, selbst­flie­gen­de Hub­schrau­ber, Mann­schafts-lose Car­go­schif­fe) aller Lebens­be­rei­che, was zu einem mil­lio­nen­fa­chen und ersatz­lo­sen Abbau von Arbeits­plät­zen füh­ren wird. Antrieb dafür ist die Gewinn­stei­ge­rung durch Redu­zie­rung der Per­so­nal­ko­sten. Zur „sozia­len Abfe­de­rung“ die­ser ange­streb­ten Ent­wick­lung soll das par­al­lel pro­pa­gier­te „bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men“ die­nen. Dabei steht weni­ger geleb­te Men­schen­freund­lich­keit im Mit­tel­punkt, son­dern die blan­ke Angst vor sozia­len Unru­hen. Sie fol­gen dabei dem Grund­satz der Pri­va­ti­sie­rung der Gewin­ne bei gleich­zei­ti­ger Sozia­li­sie­rung der Kosten. 

Dabei fin­den sie aus­ge­rech­net in der radi­ka­len Lin­ken die bereit­wil­lig­ste Unter­stüt­zung, ein Spie­gel­bild jener selt­sa­men Alli­anz zwi­schen Super­rei­chen und poli­ti­scher Lin­ken, die sich in ihrer aktu­el­len Auf­la­ge seit den 90er Jah­ren als Fol­ge des Ber­li­ner Mau­er­falls her­aus­bil­de­te und in der EU auch poli­tisch ton­an­ge­bend ist. 

Die­se infor­mel­le Alli­anz erlaubt es eini­gen Super­rei­chen zu Lasten der All­ge­mein­heit und auf Kosten der Mit­tel­schicht unver­schämt rei­cher zu wer­den, indem sie sich den Rücken durch immer neue, vom Staat zu erbrin­gen­de Sozi­al­lei­stun­gen frei­hal­ten. Bereits im alten Rom wur­de die Stadt­be­völ­ke­rung zeit­wei­se auf Staats­ko­sten ver­kö­stigt, damit Kai­ser und Sena­to­ren­fa­mi­li­en, die dama­li­ge Ober­schicht, in der Haupt­stadt Ruhe hatten.

Heu­te lau­tet die Devi­se: diri­gi­sti­scher Mar­xis­mus für die Mas­sen, solan­ge die Gel­deli­ten den Ton ange­ben können.

Die Haken an der Geschichte

Die Sache hat jedoch gleich meh­re­re Haken, wobei auf die damit ver­bun­de­ne Umver­tei­lung zu Lasten der Steu­er­zah­ler, also jener Bevöl­ke­rungs­schich­ten, die den Staat und sei­ne Dien­ste am Leben erhal­ten, gar nicht ein­ge­gan­gen wer­den soll. 

Erwähnt sei aber, daß par­al­lel eine Mensch­heits­re­du­zie­rung durch glo­ba­le Dezi­mie­rung der Bevöl­ke­rung ange­strebt wird, was im Westen bereits seit den spä­ten 60er Jah­ren erschreckend erfolg­reich prak­ti­ziert wird. So erfolg­reich, daß eben­so­lan­ge die Bevöl­ke­rungs­ver­lu­ste durch Mas­sen­ein­wan­de­rung aus­ge­gli­chen wer­den müs­sen, was zu einem mas­si­ven Umbau des Staats­vol­kes führt, und das Pro­blem einer schnell fort­schrei­ten­den Über­al­te­rung der Bevöl­ke­rung den­noch nicht in den Griff gebracht wird. Auf die­sen Kon­text mach­te jüngst der Öko­nom und Finanz­ethi­ker Etto­re Got­ti Tede­schi mah­nend auf­merk­sam, der unter Bene­dikt XVI. Prä­si­dent der Vatik­an­bank IOR war.

Ein wei­te­rer, prin­zi­pi­el­ler Haken besteht dar­in, daß durch das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men neue For­men der Abhän­gig­keit geschaf­fen wer­den, die einer Refeu­da­li­sie­rung gleich­kom­men und sogar die Gefah­ren einer neu­en Art von Leib­ei­gen­schaft in sich ber­gen. Wenn in jün­ge­rer Zeit ver­mehrt Ver­glei­che zum real exi­stie­ren­den Sozia­lis­mus gezo­gen wer­den, den man 1989 end­gül­tig für unter­ge­gan­gen hielt, dann hat das nicht zuletzt auch damit zu tun. Zu tun haben sie natür­lich, empi­risch erheb­bar, mit dem anstei­gen­den Steu­er­an­teil des Staa­tes, der in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bei genau­er Rech­nung unter Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel auf sagen­haf­te 60 Pro­zent gestei­gert wur­de, was eine ent­spre­chen­de Zunah­me der Umver­tei­lung durch Trans­fer­lei­stun­gen bedeu­tet. In Deutsch­land herrscht „mehr Sozia­lis­mus als Markt­wirt­schaft“, wie Bru­no Bandu­let in der jüng­sten Aus­ga­be von Cato for­mu­lier­te.

Der freie Mensch, dem der pas­si­ve Staat die Frei­heit garan­tiert, sich frei ent­fal­ten zu kön­nen, also den Beruf sei­ner Wahl anstre­ben und Fami­lie grün­den zu kön­nen, droht zum betreu­ten und bevor­mun­de­ten Abhän­gi­gen eines akti­ven, zwangs­läu­fig sozia­li­sti­schen Staa­tes zu wer­den. Das dahin­ter­ste­hen­de Staats­ver­ständ­nis ist nicht das gemein­sa­me, sinn­vol­le und ver­nünf­ti­ge Hilfs­mit­tel des Ein­zel­nen und der Gemein­schaft, son­dern ein den Bür­gern über­ge­ord­ne­ter, von ihnen abge­ho­be­ner, all­mäch­ti­ger Kon­trol­leur. Er über­wacht und maß­re­gelt die Bür­ger nicht mehr im Namen einer Ideo­lo­gie, wie zu Zei­ten des Kom­mu­nis­mus vor 1989, son­dern im Namen eines angeb­li­chen „Kon­sen­ses“, der in Wirk­lich­keit die Inter­es­sen jener Min­der­heit wider­spie­gelt, die den Staat kon­trol­liert. Wer das sein wird, läßt sich anhand der Ent­wick­lun­gen in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren unschwer erken­nen. Es sind jene Kräf­te, denen es gelingt, per­sön­lich uner­kannt zu blei­ben, aber die öffent­li­che Mei­nung zu steu­ern. Die The­men, für die die immer ein­wand­frei­er funk­tio­nie­ren­den Mecha­nis­men ein­ge­setzt wer­den, sind belie­big aus­tausch­bar: ob die angeb­lich nicht ver­hin­der­ba­re ille­ga­le Mas­sen­ein­wan­de­rung von 2015/​16, der angeb­lich men­schen­ver­schul­de­te Kli­ma­wan­del von 2018/​19 oder die Maß­nah­men gegen das angeb­lich mas­sent­öd­li­che Coro­na­vi­rus 2020. 

Pop­pers Social Engi­nee­ring wird in sei­ner ange­wand­ten Form daher auch mit „sozia­le Mani­pu­la­ti­on“ über­setzt. Dabei ist es letzt­lich wenig rele­vant, ob Pop­per es so oder anders gemeint hatte.

Papst Franziskus‘ „Pandemie-Katechese“

Kri­ti­ker wer­fen Papst Fran­zis­kus vor, genau die­se „alter­na­tiv­lo­se“ Agen­da zu unter­stüt­zen. Tat­säch­lich war nicht nur aus dem päpst­li­chen Umfeld bereits eini­ges an Zustim­mung in Rich­tung eines bedin­gungs­lo­sen Ein­kom­mens zu hören. Fran­zis­kus selbst mach­te sich, kaum hat­ten die Regie­run­gen das öffent­li­che Leben der Staa­ten abge­würgt, zum inter­na­tio­na­len Für­spre­cher eines „glo­ba­len Grund­ein­kom­mens“. Sein erster Vor­stoß erfolg­te Anfang April, der zwei­te Anfang Juni. Die heu­ti­ge Kate­che­se kann als Ergän­zung dazu gese­hen werden.

Am 12. April ver­öf­fent­lich­te Fran­zis­kus ein Schrei­ben an die Sozi­al­be­we­gun­gen, in dem er postu­lier­te: „Kein Arbei­ter ohne Rech­te“ und unter Ver­weis auf die Coro­na­maß­nah­men der Regie­run­gen, die er mit kei­nem Wort kri­ti­sier­te, ein „uni­ver­sa­les Grund­ein­kom­men“ forderte.

Einen Monat nach Fran­zis­kus zogen 40 Bischö­fe der Angli­ka­ner und Luthe­ra­ner in Kana­da nach und for­der­ten unter Hin­weis auf das Coro­na­vi­rus (ohne Kri­tik der Regie­rungs­maß­nah­men) von Pre­mier­mi­ni­ster Tru­deau ein bedin­gungs­lo­ses Grundeinkommen.

La Civil­tà Cat­to­li­ca, die Fran­zis­kus direkt ver­bun­de­ne römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift, wie­der­hol­te Anfang Juni aus der Feder des fran­zö­si­schen Jesui­ten Gaël Giraud unter Beru­fung auf den Papst die For­de­rung. In der Zeit­schrift kann kein Arti­kel ohne vor­he­ri­ge Druck­erlaub­nis des Vati­kans erschei­nen. Zu den ihm wich­ti­gen The­men übt Fran­zis­kus per­sön­lich die Zen­sur aus. P. Giraud, der unter den sozia­li­sti­schen und ex-sozia­li­sti­schen Staats­prä­si­den­ten Fran­çois Hol­lan­de und Emma­nu­el Macron von 2015–2019 Chef­öko­nom der staat­li­chen Fran­zö­si­schen Ent­wick­lungs­hil­fe­agen­tur war (Agence fran­çai­se de déve­lo­p­pe­ment) stell­te in dem Arti­kel die For­de­rung als „pro­phe­ti­sche Reform“ dar, wobei er offen­ließ, nach wel­chem Modell sie kon­kret erfol­gen soll­te. Die­se Ein­schrän­kung begrün­de­te er damit, daß Fran­zis­kus „nur“ jenen eine Stim­me geben wol­le, die kei­ne hät­ten. Die Betrof­fe­nen selbst müß­ten sagen, was sie wol­len. Sie allein hät­ten dar­über zu entscheiden.

Römische Jesuitenzeitschrift: Forderung von Papst Franziskus nach einem universalen Grundeinkommen ist eine prophetische Reform.
Römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift: For­de­rung von Papst Fran­zis­kus nach einem „uni­ver­sa­len Grund­ein­kom­men“ ist eine „pro­phe­ti­sche Reform“.

Den­noch: Auch in die­sem Punkt, so Kri­ti­ker, gibt Papst Fran­zis­kus als mora­li­sche Auto­ri­tät sei­nen Segen zu den Ziel­set­zun­gen der radi­ka­len Lin­ken oder, je nach Sicht­wei­se, einer klei­nen glo­ba­li­sti­schen Min­der­heit. Die heu­ti­ge Mitt­wochs­ka­te­che­se kann in die­se Rich­tung ver­stan­den werden.

Die Anspra­chen des Pap­stes bei sei­nen Gene­ral­au­di­en­zen unter­schei­den sich in der Regel von sei­nen eige­nen Tex­ten. Unter­schie­de in The­ma­tik, Satz­bau und Wort­wahl sind über­deut­lich. Kri­ti­ker der päpst­li­chen Amts­füh­rung hal­ten die Mitt­wochs­ka­te­che­se für etwas „vom Besten“ sei­nes Pon­ti­fi­kats, was kon­kret besa­gen will, daß sie von ganz ande­rer Sei­te im Vati­kan for­mu­liert wer­den. Bis­her ließ Fran­zis­kus wenig Inter­es­se an den Kate­che­sen erken­nen, was dar­an deut­lich wird, daß er die vor­be­rei­te­ten Tex­te ver­liest. Dane­ben beka­men päpst­li­che Gesten in der Begeg­nung mit den Anwe­sen­den ein grö­ße­res Gewicht.

Heu­te zeig­te sich die päpst­li­che Anspra­che in einem ande­ren Kleid. Papst Fran­zis­kus hält wei­ter­hin an der „sozia­len Distan­zie­rung“ wegen Coro­na fest und ver­zich­tet auf einen per­sön­li­chen Kon­takt mit den Gläu­bi­gen. Eine wirk­li­che Gene­ral­au­di­enz exi­stiert seit Mit­te März nicht mehr. Fran­zis­kus hält sei­ne Kate­che­se im Apo­sto­li­schen Palast im engen Kreis sei­ner für die Gene­ral­au­di­enz zustän­di­gen Mit­ar­bei­ter. Der „Kon­takt“ zur Außen­welt erfolgt digitalisiert.

Der heu­te von Fran­zis­kus vor­ge­tra­ge­ne Text hebt sich inhalt­lich von sei­nen vor­be­rei­te­ten, stär­ker theo­lo­gisch aus­ge­rich­te­ten Mitt­wochs­ka­te­che­sen ab. Er ist ein „ech­ter“ Fran­zis­kus. Er ent­hält einen sozio­lo­gi­schen und poli­ti­schen Schwer­punkt. Fran­zis­kus sprach über die „Pan­de­mie“, die „schwie­ri­ge Lage der Armen“ und „die gro­ße Ungleich­heit in der Welt“. Das Coro­na­vi­rus, so der Papst, habe die­se „gro­ße Ungleich­heit“ erst „deut­lich auf­ge­zeigt“. Wie und wo dies gesche­hen sei, sag­te Fran­zis­kus aller­dings nicht. Statt­des­sen ging er direkt zu den „Heil­mit­teln“ dage­gen über.

„Es braucht daher nicht nur Lösun­gen zur Bekämp­fung des Krank­heits­er­re­gers, son­dern auch Heil­mit­tel gegen das ‚gro­ße Virus‘ der sozia­len Unge­rech­tig­keit und Aus­gren­zung der Ärmsten.“

Das ist zwar wohl­klin­gend, nur: Was will es bedeu­ten? Was will Fran­zis­kus damit kon­kret sagen?

Letzt­lich kann der Ein­druck eines Tritt­brett­fah­rers des Coro­na­vi­rus ent­ste­hen, des­sen „Pan­de­mie“ auch nach einem hal­ben Jahr noch nicht ein­tre­ten will. Doch Fran­zis­kus hielt sich bis­her weder mit der Fra­ge nach dem Virus selbst, nach sei­ner mög­li­chen geist­li­chen Dimen­si­on noch mit den Regie­rungs­maß­nah­men auf.

Fran­zis­kus erteil­te heu­te statt­des­sen einen Auf­trag und nahm eine sozio­lo­gi­sche Defi­ni­ti­on des Kir­chen­ver­ständ­nis­ses vor:

„Die vor­ran­gi­ge Opti­on für die Armen ent­springt der Lie­be Got­tes und ist nicht die Auf­ga­be eini­ger weni­ger, son­dern Sen­dung der gan­zen Kirche.“

Die Kir­che defi­nier­te „Armut“ bis­her aller­dings umfas­sen­der, als es in der sozi­al­po­li­ti­schen Eng­füh­rung von Fran­zis­kus der Fall ist. Vor allem ver­band sie in erster Linie eine theo­lo­gi­sche Dimen­si­on damit. Auf irri­tie­ren­de Wei­se wird die­se Neu­deu­tung sicht­bar, wenn Fran­zis­kus bei der heu­ti­gen Gene­ral­au­di­enz ausführte:

„So geht die­se Opti­on über die not­wen­di­ge kon­kre­te Unter­stüt­zung hin­aus und bedeu­tet, dass wir gemein­sam mit den Armen unter­wegs sind, dass wir uns von den Not­lei­den­den evan­ge­li­sie­ren, von ihrer Erfah­rung des Heils, ihrer Weis­heit und Krea­ti­vi­tät ‚anstecken‘ lassen.“

Das Ver­ständ­nis von Evan­ge­li­sie­rung, der Mis­si­ons­auf­trag, den Chri­stus sei­nen Jün­gern erteil­te, wird von Fran­zis­kus auf irri­tie­ren­de Wei­se umge­deu­tet. Im Neu­en Testa­ment fin­det sich kein Auf­trag des Herrn, der lau­tet: „Laßt euch von den Not­lei­den­den evangelisieren“.

In einen gera­de­zu mar­xi­sti­schen Duk­tus ver­fällt Fran­zis­kus im näch­sten Satz, wenn er sagt:

„Wir müs­sen zusam­men­ar­bei­ten, um kran­ke sozia­le Struk­tu­ren zu hei­len und zu verändern.“

Die heu­ti­ge Mitt­wochs­ka­te­che­se läßt jenen Traum von einer Ein­heit von Sozia­lis­mus und Chri­sten­tum auf­blit­zen, die para­do­xer­wei­se das glei­che Ziel anstrebt wie die aktu­ell domi­nie­ren­den Kräf­te, die hin­ter der demo­kra­ti­schen Fas­sa­de des Westens wirk­lich bestimmen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/La civil­tà cattolica/​Wikicommons (Screen­shots)

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