Sieht so ein Trojanisches Pferd aus?

A Pio X reformatum


Editio Typica des Missale Romanum 1914 von Pius X., veröffentlicht von Benedikt XV. (in einer Ausgabe des Pustet-Verlags 1920). Benedikt XV
Editio Typica des Missale Romanum 1914 von Pius X., veröffentlicht von Benedikt XV. (in einer Ausgabe des Pustet-Verlags 1920).

Ein Bei­trag von Cle­mens Vic­tor Oldendorf.

Anzei­ge

Mit der Bul­le Divi­no Affla­tu vom 1. Novem­ber 1911 ver­füg­te Pius X. sei­ne weit­rei­chen­de Reform des römi­schen Bre­viers und die­je­ni­ge des Mis­sa­le. Obwohl die Arbei­ten an einer neu­en Edi­tio typi­ca des Mess­buchs im Früh­jahr 1914 began­nen, kam es durch den Ersten Welt­krieg, den Tod von Pius X., schließ­lich durch die Über­la­stung der vati­ka­ni­schen Drucke­rei wegen der Her­aus­ga­be drei­er ver­schie­de­ner Aus­ga­ben des damals völ­lig neu­en Kodex des kano­ni­schen Rechts von 1917 erst im Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XV. zur Appro­ba­ti­on und zum Erschei­nen des von Pius X. refor­mier­ten triden­ti­ni­schen Mess­buchs. Bene­dikt XV. wähl­te dafür sei­nen Namens­tag, den 25. Juli 1920. 

Vorläufigkeit der Reform Papa Sartos  – zwei Jubiläen

Schon damals waren die Fach­leu­te über­zeugt, dass mit dem MR1920 nur eine vor­läu­fi­ge Reform­stu­fe erreicht sein wür­de und erwar­te­ten in eini­gen Jahr­zehn­ten die defi­ni­ti­ven Edi­tio­nes typi­cae von Bre­vier und Mess­buch. Dass der Codex Rubri­carum, der noch unter dem Pon­ti­fi­kat Pius‘ XII. erar­bei­tet wor­den war, von Johan­nes XXIII. als Abschluss der Reform von 1920 betrach­tet wur­de, zeigt sich nicht zuletzt dar­in, dass er das Motu­pro­prio Rubri­carum ins­truc­tum, mit dem er den Codex Rubri­carum appro­bier­te, sei­ner­seits auf den 25. Juli 1960 datiert hat.

Somit wird der 25. Juli 2020 sech­zig Jah­re Codex Rubri­carum mar­kie­ren und vor allem das 100. Jubi­lä­um des von Pius X. erneu­er­ten triden­ti­ni­schen Mis­sa­le Roma­num.

Zwei Dekrete der Glaubenskongregation: Neue Heilige im MR1962 und zusätzliche Präfationen zur Auswahl

Am 25. März 2020 wur­den nun zwei Dekre­te der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on ver­öf­fent­licht. Seit Auf­lö­sung der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on Eccle­sia Dei sind deren Zustän­dig­keit und Kom­pe­ten­zen bekannt­lich auf die Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re über­ge­gan­gen. Die Dekre­te ermög­li­chen zum einen die lit­ur­gi­sche Fei­er von Seli­gen und Hei­li­gen, die seit 1962 selig­ge­spro­chen oder kano­ni­siert wor­den sind, und regeln, wie dies unter intak­ter Wah­rung der alten Rubri­ken gege­be­nen­falls zu gesche­hen hat, zum andern fügen sie optio­nal eini­ge neue Prä­fa­tio­nen hinzu. 

Tat­säch­lich neu im MR1962 sind eine Engel­prä­fa­ti­on (eine sol­che gab es bis dahin im triden­ti­ni­schen Mess­buch über­haupt nicht), eine Mär­ty­rer­prä­fa­ti­on, eine Eigen­prä­fa­ti­on der Braut­mes­se sowie eine sol­che für die Feste des hei­li­gen Johan­nes Bap­tist. Von der Sakra­ment­s­prä­fa­ti­on, der Prä­fa­ti­on zur Kirch­wei­he und ihrem Jah­res­tag und der­je­ni­gen von allen Hei­li­gen und den hei­li­gen Patro­nen, die schon 1963 pro ali­qui­bus locis appro­biert wor­den waren, stellt das Dekret ledig­lich fest und klar, dass sie nun­mehr bei Fei­ern nach dem MR1962 welt­weit ver­wen­det wer­den dürfen. 

Was ist mit der Praefatio propria der Adventszeit?

Merk­wür­dig ist hier, dass die in den 1960er Jah­ren eben­falls man­cher­orts kon­ze­dier­te Advent­s­prä­fa­ti­on uner­wähnt bleibt. Die­se Prä­fa­tio­nen, ein­schließ­lich der­je­ni­gen für den Advent, benutzt auch die Pius­bru­der­schaft schon bis­lang.  Merk­wür­dig ist das Feh­len der Advent­s­prä­fa­ti­on in Quo magis und der zuge­hö­ri­gen Erläu­te­rung aus zwei Gründen: 

Einer­seits ist sie die nach Kom­po­si­ti­on und Aus­sa­ge am mei­sten gelun­ge­ne die­ser Prä­fa­tio­nen, ande­rer­seits schrieb schon 1920 beim Erschei­nen des Mess­buchs von Pius X. Franz Brehm (1872–1937), Kon­sul­tor der Hei­li­gen Riten­kon­gre­ga­ti­on und lit­ur­gi­scher Redak­teur des Ver­la­ges Fried­rich Pustet in Regens­burg, in sei­nem aus die­sem Anlass erschie­ne­nen Buche Die Neue­run­gen im Mis­sa­le:

„Nach­dem bereits jetzt bei der inte­ri­mi­sti­schen Reform des Mis­sa­le zwei neue Prä­fa­tio­nen ein­ge­führt wur­den (gemeint ist eine eige­ne Toten­prä­fa­ti­on und die Prä­fa­ti­on vom hei­li­gen Joseph 1919, Anm. C. V. O.), so steht zu erwar­ten, daß sei­ner­zeit bei der defi­ni­ti­ven Reform die Zahl der Prä­fa­tio­nen noch wei­ter ver­mehrt wird; die Aus­sicht dafür dürf­te um so grö­ßer sein, je bes­ser begrün­det und je häu­fi­ger dies­be­züg­li­che Gesu­che und Wün­sche in Rom vor­ge­bracht wer­den. (…) Ein (…) gewich­ti­ger Grund spricht vor allem für die spä­te­re Ein­füh­rung einer eige­nen Advent­s­prä­fa­ti­on. Wie näm­lich die Quad­ra­ge­si­mal- , die Pas­si­ons- und die öster­li­che Zeit je eine eige­ne Prä­fa­ti­on haben, so wäre es doch sehr ent­spre­chend, daß auch die Advents­zeit ihre eige­ne Prä­fa­ti­on bekommt. Das Feh­len der Advent­s­prä­fa­ti­on ist ein Man­gel im har­mo­ni­schen Aus­bau der Lit­ur­gie, den sogar Lai­en emp­fin­den“ (a. a. O., S. 239, kur­siv hier und stets in Zita­ten zur Her­vor­he­bung, C. V. O.).

Eine verpasste Chance: Weihnachtspräfation als Option an Fronleichnam

Schon damals argu­men­tier­te Brehm auch zugun­sten einer eige­nen Sakra­ment­s­prä­fa­ti­on: „Es hät­te dann jede der 6 pri­vi­le­gier­ten Okta­ven der pri­mä­ren Feste des Herrn eine eige­ne Prä­fa­ti­on“ (a. a. O., S. 240). Die Sakra­ment­s­prä­fa­ti­on gibt es mitt­ler­wei­le längst, und mit dem gest­ri­gen Dekret Quo magis kann sie unzwei­fel­haft welt­weit ver­wen­det wer­den, indes ist das Argu­ment Brehms für eine eige­ne Eucha­ri­stie­prä­fa­ti­on hin­fäl­lig, besitzt doch das Fron­leich­nams­fest auf dem Stand von 1962 lei­der kei­ne Oktav mehr. 

Wenn dem schon so ist und wahr­schein­lich bis auf wei­te­res so blei­ben dürf­te, hät­te man sei­tens der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on die Gele­gen­heit ergrei­fen kön­nen, für das Fron­leich­nams­fest und in Votiv­mes­sen vom aller­hei­lig­sten Altar­sa­kra­ment wenig­stens als Opti­on auch wie­der die Ver­wen­dung der Weih­nachts­prä­fa­ti­on zu gestat­ten, mit der theo­lo­gisch hoch­ste­hend und dog­ma­tisch sinn­reich einst so tref­fend auf den Kon­nex zwi­schen Inkar­na­ti­on und Eucha­ri­stie hin­ge­wie­sen wurde.

Entwarnung für Skeptiker: Alles kann beim Alten bleiben!

Alle am 25. März ver­öf­fent­lich­ten Bestim­mun­gen blei­ben optio­nal. Die Ent­wick­lungs­li­nie wur­de hier bewusst bis 1920 und Pius X. wei­ter zurück­ver­folgt, um die Akzep­tanz der gest­ri­gen Dekre­te, beson­ders der zusätz­li­chen Prä­fa­tio­nen, prin­zi­pi­ell zu erhö­hen. Die Skep­sis, die teil­wei­se wie aus der Pisto­le geschos­sen gegen die aus dem MR1970/​2002 über­nom­me­nen Prä­fa­tio­nen for­mu­liert wor­den ist, lässt sich viel­leicht zer­streu­en, wenn man bedenkt, dass es sich in die­sen Fäl­len nicht um Neu­schöp­fun­gen han­delt, son­dern um Rück­ge­win­nun­gen  aus der vor­triden­ti­ni­schen Quel­le des Sacra­men­ta­ri­um Gel­asia­num. Da, wo es for­ma­le Abwei­chun­gen gab, näm­lich im Aus­klang der Schluss­for­mel der Prä­fa­ti­on, wur­de sie jeweils den im MR1962 bereits vor­kom­men­den Vari­an­ten una voce dicen­tes und sine fine dicen­tes (scherz­haft in männ­li­che und weib­li­che Prä­fa­ti­on unter­schie­den) angeglichen.

Entweder ohnehin Normalfall oder immerhin schon hundertjährige Anregung 

Bei­de Schrit­te, neu hin­zu­kom­men­de Hei­li­ge und eine mode­rat ver­mehr­te Aus­wahl an Prä­fa­tio­nen, wur­den 2007 von Bene­dikt XVI. im Begleit­schrei­ben zu Sum­morum Pon­ti­fi­cum in Aus­sicht gestellt. Dass Selig- und Hei­lig­spre­chun­gen nach einer Edi­tio typi­ca wei­ter­ge­hen und die Betref­fen­den dann auch lit­ur­gisch berück­sich­tigt wer­den kön­nen, ist eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, und im Prin­zip war es die eigent­li­che Abson­der­lich­keit, dass dies in Fei­ern nach dem MR1962 (und unter Ver­wen­dung des Bre­viers von 1962) bis­her nicht mög­lich war, doch wir sehen vor allem, dass man schon 1920 wei­te­re Prä­fa­tio­nen gewünscht hat und davon aus­ging, dass die­se bei einer defi­ni­ti­ven Reform kom­men würden. 

Von den jetzt tat­säch­lich neu hin­zu­kom­men­den Prä­fa­tio­nen gilt zumal, was Brehm schon 1920 in sei­nem 452 Sei­ten star­ken Buch (so umfang­reich und zahl­reich waren die dama­li­gen Neue­run­gen!) wei­ter aus­führt und was hier als Schluss­wort ste­hen soll: 

Es „hin­dert doch nichts, durch Zuta­ten, die nicht ein­mal eigent­lich neu sind, den herr­li­chen Bau der Lit­ur­gie noch schö­ner und eben­mä­ßi­ger zu gestal­ten. Die Ein­füh­rung eini­ger weni­ger Prä­fa­tio­nen kann umso weni­ger ern­ste Schwie­rig­kei­ten bie­ten, wenn man bedenkt, daß der römi­sche Ritus, wie die älte­sten Sakra­men­ta­ri­en bewei­sen, im Lau­fe der Zeit hun­der­te von Prä­fa­tio­nen zähl­te, z. B. nach dem Leo­ni­ni­schen Sakra­men­tar 267, nach dem Gel­asia­ni­schen 56. Ja, es wäre die Hin­zu­fü­gung die­ser weni­gen Prä­fa­tio­nen ein gemä­ßig­tes Zurück­ge­hen auf die frü­he­ren Bräu­che, das um so leich­ter zu bewerk­stel­li­gen wäre, als man nicht nötig hät­te, erst ganz neue For­mu­la­ri­en zu schaf­fen, son­dern aus den bereits vor­han­de­nen nur die schön­sten und pas­send­sten aus­zu­wäh­len brauch­te“ (a. a. O., S. 240f.). 

Bild: MiL

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