
Von Wolfram Schrems*
Auf den Artikel Wie viele Sr. Lucia von Fatima gibt es eigentlich? vom 21. September gab es zahlreiche Reaktionen, die meisten davon positiv. Offenbar konnte ein Unbehagen im gläubigen Volk artikuliert werden. Denn natürlich war es schon vielen aufgefallen, daß die ab 1967 als Sr. Lucia dos Santos von Fatima präsentierte Person der echten Seherin, wie sie von älteren Photographien bekannt war, nicht ähnlich sah.
Daher im folgenden einige weiterführende Ergänzungen im Zusammenhang mit Identität von Sr. Lucia.
Zur Chronologie: Dorotheerinnenorden, Karmel, Interview mit P. Fuentes
Ein allfälliges Mißverständnis soll noch einmal angesprochen werden, obwohl die Redaktion das schon richtiggestellt hat. Aber es ist wichtig, um die Chronologie zu verstehen:
Das auf der Seite Avangelista verwendete Photo, zu dem im Artikel vom 21. September verlinkt wurde, ist insofern irreführend, als Sr. Lucia dos Santos mit Erlaubnis von Papst Pius XII. den Dorotheerinnenorden verlassen hatte und am 25. März 1948 in den Karmel von Coimbra übergewechselt war. Das Photo, das Sr. Lucia im Dorotheerinnenhabit zeigt, dient somit nicht der Illustration der Zeitangabe zu dem von P. Augustin Fuentes geführten Interview vom 26. Dezember 1957. Dieses Photo muß ja eben vor dem 25. März 1948 entstanden sein.
Dieses Interview, in dem die Seherin mit ernster Miene und von der Ignoranz der Kirche erschüttert massive Warnungen und düstere Prophezeiungen ausspricht, sollte später zum Anlaß von Maßnahmen gegen sie selbst werden: Das Interview wird zwar 1958 mit Erlaubnis des Bischofs von Fatima publiziert und niemand bezweifelt dessen Authentizität. Nach dem Tod von Papst Pius XII. am 9. Oktober 1958 bricht jedoch eine aggressive Politik gegen Sr. Lucia aus:
Das Interview mit P. Fuentes wird plötzlich in einem anonymen Bericht des bischöflichen Ordinariats von Coimbra als betrügerisch hingestellt. P. Fuentes habe die Aussagen von Sr. Lucia frei erfunden. Nach Fatima.org hat über fünfundvierzig Jahre danach (offensichtlich jedoch bis heute im Jahr 2019, also sechzig Jahre) kein Amtsträger der Diözese Coimbra die Verantwortung für diesen Bericht übernommen. Demgemäß sei dieses Dokument juristisch auch null und nichtig.
Das Dritte Geheimnis von Fatima – immer im Hintergrund der Ereignisse
Am 8. Februar 1960 wird eine anonyme vatikanische Presseaussendung veröffentlicht, wonach das Dritte Geheimnis nicht veröffentlicht und höchstwahrscheinlich „für immer unter absolutem Verschluß bleiben“ würde. Die über die Nachrichtenagentur A. N. I. verbreitete Presseaussendung bezieht sich auf das Dritte Geheimnis, das bekanntlich auf ausdrückliche Anweisung der Muttergottes im Jahr 1960 veröffentlicht hätte werden sollen, wie folgt:
„Es wurde soeben in sehr verläßlichen vatikanischen Kreisen festgestellt, daß der Brief höchstwahrscheinlich niemals geöffnet wird, in dem Sr. Lucia die Worte niederschrieb, die Unsere Liebe Frau als Geheimnis drei Hirtenkindern in der Cova da Iria anvertraut hatte.“
Es ist schon aufgefallen, daß sich „die Worte“ Unserer Lieben Frau in der von der Glaubenskongregation am 26. Juni 2000 veröffentlichten Erklärung zum Dritten Geheimnis nirgendwo finden. Die Gesamtkirche wartet also noch immer auf die Worte Unserer Lieben Frau, die die Vision, die in der Erklärung der Glaubenskongregation beschrieben wird, ausdeuten sollen. Das ist hier aber nicht unser eigentliches Thema. Für dieses ist von Interesse, daß der Vatikan im Jahr 1960 Sr. Lucia offiziell über das Dritte Geheimnis zu sprechen verbietet.
Schweigebefehl und Isolation – in der Kirche des „Dialogs“
Sr. Lucia darf auch keine Besucher mehr empfangen, außer enge Verwandte und Menschen, die sie schon lange Zeit kennt. Ihr langjähriger Beichtvater und Seelenführer, P. José da Silva Aparacio, ein Jesuit von tadellosem Ruf, wird nach seiner Rückkehr aus Brasilien an einem Besuch bei Sr. Lucia gehindert (!).
Im Jahr 1961 wird P. Fuentes als Postulator für die Seligsprechung von Jacinta und Francisco unter Berufung auf den schon erwähnten anonymen Report des Ordinariats von Coimbra vom 2. Juli 1959 abgesetzt – und das trotz der Unterstützung durch den Kardinalprimas von Mexiko und seinen eigenen Erzbischof.
Sr. Lucia wird also isoliert. Der neuentdeckte und vielfach gepriesene „Dialog“ wird in diesem Fall nicht geführt.
Eine neue Sr. Lucia: optimistische und strahlende Photos – oder nicht?
Und im Jahr 1967 taucht eine neue Sr. Lucia auf, gut gelaunt und optimistisch.
Mark Fellows schreibt allerdings in Fatima in Twilight (S. 191), daß Sr. Lucia beim Besuch von Papst Paul VI. am 13. Mai verzweifelt um ein Vieraugengespräch ersuchte, das der Papst aber nicht gewährte. Sie möge – so der Papst – ihre Mitteilungen an ihren Bischof richten. Daraufhin habe Sr. Lucia vor der Menschenmenge geweint.
Es ist evident, daß die Photos des Ereignisses diesem Narrativ widersprechen. Dort ist eine gut gelaunte, gleichsam konspirativ auftretende Sr. Lucia zu sehen, deren Aufgabe es offenbar ist, die neue Politik von Papst Paul VI. in den Massenmedien propagandistisch zu unterstützen:
Allerdings gibt es ein anderes Photo, das genau dieselbe Szene darzustellen scheint, aber ohne die Karmelitin:
Noch ein überraschendes Bild gibt es einmal mit dem Papst alleine und dann mit beiden Personen.
Auf diese Diskrepanz kann man sich keinen Reim machen. Wer sollte hier Photomontagen oder Retuschen anfertigen? Andererseits ist das für das gegenständliche Thema kein großes Problem, weil im Internet Filmausschnitte greifbar sind, auf denen sehr wohl die neue Sr. Lucia mit dem Papst zu sehen ist: (bei 0:39), oder hier (bei 2:32).
Im Buch von Mark Fellows existiert ein Photo, auf dem die Schwester kniefällig um das ebengenannte Vieraugengespräch zu betteln scheint. Das legt auch die Bildunterschrift nahe. Allerdings scheint es sich eher um die Austeilung der hl. Kommunion zu handeln. Zudem sind Augen und Stirn vom Schleier verdeckt, man kann die Identität der Person also nicht mit Sicherheit sagen.
Wie auch immer: Die Filmausschnitte und Photos mit einer zufrieden lächelnden, manchmal sogar konspirativ lachenden Karmelitin passen mit dem Narrativ einer Seherin, deren Audienzgesuch vom Papst abgewiesen wird, nicht zusammen.
Je dreister die Lüge, desto massiver die Selbstzensur
Das ist die einzige Schwäche des ansonsten verdienstvollen Fellows-Buches: Die eklatanten Unterschiede in der Physiognomie und im Betragen von Sr. Lucia 1 und Sr. Lucia 2 werden nicht thematisiert. Und das, obwohl der Autor auf einer Seite ein Bild von Sr. Lucia im Dorotheerinnenhabit publiziert, das auf „circa 1946“ datiert ist, und ein Bild von Sr. Lucia in Fatima 1967. Das Problem mit den beiden Bildern ist, daß sie nicht dieselbe Person zeigen. Der aus den Jahreszahlen zu erschließende Altersunterschied von ca. 21 Jahren geht zudem aus den Photos in keiner Weise hervor.
Und trotzdem sehen es viele nicht. Ich gestehe, daß auch ich selbst diese Diskrepanz nicht sah oder anerkannte.
Klar ist jedenfalls, daß eine Täuschung umso wirksamer ist, je selbstbewußter sie vorgetragen wird. Wir kennen es aus Des Kaisers neuen Kleidern und aus unserer Lebenserfahrung: Nur Kinder und Narren sagen die Wahrheit (normalerweise). Die anderen fügen sich der öffentlichen Lüge.
Langer Rede, kurzer Sinn:
Wer ist diese Person?
Wer ist diese Person, die seit dem Fatima-Besuch von Papst Paul VI. die Seherin von Fatima darstellen sollte? Diese Frage ist umso drängender, da der Papst in seiner Ansprache weder auf die Erscheinungen von 1917 einging, noch auf die bekannten Teile des Fatima-Geheimnisses hinwies, sondern die „Lehre des II. Vaticanums in lebendigen Begriffen“ darlegen wollte, und nicht von Gott sondern vom Menschen sprach:
„Menschen, seid Menschen. Menschen, seid gut, seid weise, seid offen für die Erwägungen des allgemeinen Guts der Welt. Menschen, seid großzügig … Menschen, bedenkt das Gewicht und die Wichtigkeit dieser Stunde, die für die Welt von heute und von morgen entscheidend sein kann. Und beginnt wiederum einander zu begegnen mit dem Willen, eine neue Welt zu errichten“ (Fellows, 191).
Zudem behandelte der Papst Portugals Präsident Antonio de Oliveira Salazar rüde, einen Mann, der Portugal vor dem Überschwappen des spanischen Bürgerkrieges, vor dem II. Weltkrieg, vor dem Kommunismus und vor der Übernahme durch internationale Finanzeliten bewahrt hatte und sich so als Werkzeug der göttlichen Vorsehung erwies, einen Mann, der als Katholik und Zölibatär seine ganze Lebenskraft seinem Vaterland widmete.
Es ist völlig ausgeschlossen, daß die echte Seherin diese Reihe an Skandalen mit gutgelauntem Lachen kommentiert hätte. Aber offenbar brauchte die Regie dieses Treffens jemanden, der die neuen, humanistischen Lehren des Konzilspapstes mit sozusagen göttlicher Bestätigung approbierte. Denn wenn die Seherin gutgelaunt zustimmt, muß es ja der Wille des Himmels sein, nicht?
Klarerweise widerspricht der Bericht von Fellows, der sich seinerseits auf Fatima: Intimate Joy, World Event von Frère François de Marie des Anges, stützt, der Aussage der Photos.
Die Sachlage ist also verwirrend, um das Mindeste zu sagen. Verwirrung ist aber bekanntlich kein Zeichen des Heiligen Geistes.
Daher stellt sich auch die andere nächstliegende Frage:
Was geschah mit Sr. Lucia dos Santos?
Da nach 1958 Sr. Lucia zu einem Leben des Schweigens und der Isolation gezwungen worden war, verschwand sie aus dem Blick der gläubigen Welt. Erst 1967 taucht wieder jemand dieses Namens auf. Diese neue Person hat aber ihre Botschaft der nachkonziliaren Kirche angepaßt.
Was passierte also mit Sr. Lucia? Wurde sie ins Ausland transferiert, wo sie möglicherweise unerkannt lebte und verstarb? Starb sie in den Jahren des auferlegten Schweigens, also etwa während des Konzils, das so viel Unglück über Kirche und Welt brachte?
Geschah am Ende gar eine Greueltat?
Das ist in Anbetracht der Infiltration der Kirche (wie sie von Malachi Martin in Windswept House beschrieben wird, zuletzt auch von Taylor Marshall in Infiltration) nicht auszuschließen.
Was wußten die jeweiligen Päpste? Die Kardinäle? Der Ortsbischof?
Klar ist nur, daß mit dem Tod von Pius XII. Sr. Lucia ihren Protektor verlor und gleichsam schutzlos war. Für skrupellose Menschen ist die Klausur eines Karmelitinnenklosters klarerweise kein zu respektierendes Hindernis. Daher stellt sich auch die Frage: Was wußte der Karmeliterorden?
Weitere Ermittlungen sind notwendig
Dr. Peter Chojnowski zitiert auf seiner Seite einen Privatdetektiv zu genau diesem Fall:
Yes, I do think that we have reached and passed the point where any reasonable person would want a formal Church investigation into the substitution issue.
Ja, ich glaube tatsächlich, daß wir einen Punkt erreicht und sogar überschritten haben, an dem jede vernünftige Person eine formelle Untersuchung durch die Kirche betreffs der Angelegenheit des Austausches der Personen wollen würde.
Es geht also um eine schwerwiegende Angelegenheit. Selbstverständlich ist die kirchliche Autorität derzeit dermaßen kompromittiert, daß jede Hoffnung auf eine objektive Untersuchung völlig unrealistisch ist. Das war schon mit der Untersuchung der Vatikanbank und der Homo-Netzwerke so. Es ist derzeit ausgeschlossen, daß der Hl. Stuhl ernsthaft die Frage nach der Identität von Sr. Lucia angeht. Es ist aber indiziert, daß einige Kardinäle und Bischöfe, naturgemäß besonders der portugiesische Episkopat, in dieser Angelegenheit lästig werden.
Die Frage nach der Identität der letzten Seherin von Fatima wird aber nicht mehr weggehen. Daher noch einmal:
Was passierte mit Sr. Lucia?
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, seit der Lektüre von Mark Fellows Fatima in Twilight vor acht Jahren mit der Thematik beschäftigt.
Bild: Cor Mariae/Youtube (Screenshots)