(Rom) Bischof Gustavo Oscar Zanchetta wurde erlaubt, in den Vatikan zurückzukehren. Anfang Juni war gegen ihn ein Ausreiseverbot aus Argentinien verhängt worden. Zanchetta gehört neben Ex-Kardinal McCarrick zu den Fällen von Bischöfen in der Kirche, die das Image von Papst Franziskus im Zusammenhang mit dem sexuellen Mißbrauchsskandal besonders belasten.
Msgr. Zanchetta gehörte bereits zu den Protegés des damaligen Erzbischofs von Buenos Aires, Kardinal Jorge Mario Bergoglio. Unter ihm wurde der Fundamentaltheologe Untersekretär der Argentinischen Bischofskonferenz. Als Generalvikar war er zudem in seiner Heimatdiözese Quilmes für die Finanzen zuständig. Zum Papst gewählt ernannte ihn Franziskus im Sommer 2013 zum Bischof von Oran.
Die Ernennung erfolgte, obwohl Zanchetta vorgeworfen wurde, die Finanzen seines Heimatbistums Quilmes in prekärem Zustand zu hinterlassen. Trotz entsprechendem Ersuchen rückte Franziskus von der Entscheidung nicht ab. Darauf geschah mit den Finanzen des Bistum Oran Ähnliches.
Im Sommer 2017 verschwand Zanchetta plötzlich und über Nacht aus seinem Bistum. Sein Aufenthaltsort war unbekannt. Der Bischof war einfach verschwunden. Über die Gründe konnte nur spekuliert werden. Zunächst wurden die zerrütteten Finanzen für das Abtauchen verantwortlich gemacht. Nach einem halben Jahr tauchte Zanchetta ebenso plötzlich und ohne eine Erklärung wieder auf – allerdings nicht mehr in seinem Bistum, sondern im Vatikan.
Papst Franziskus hatte seinen Zögling wenige Tage nach seinem Verschwinden, und offiziell auf dessen Wunsch hin, von seiner Diözese entbunden.
Zum Erstaunen von Beobachtern wurde Zanchetta, trotz seines für einen Bischof höchst ungewöhnlichen Verhaltens und erwiesener Nichteignung, nach seinem Wiederauftauchen von Papst Franziskus mit einem hohen Amt in der Apostolischen Güterverwaltung (APSA) betraut. Zudem durfte Zanchetta in Santa Marta wohnen, in unmittelbarer Nähe zum Papst. Die Entscheidung löste neuerliche Irritationen aus: Wie konnte der Papst ausgerechnet einen Bischof mit der Güterverwaltung des Heiligen Stuhls beauftragen, der die Finanzen von gleich zwei Bistümern zerrüttet hatte?
Anfang 2019 wurde schließlich durch Ermittlungen der argentinischen Staatsanwaltschaft bekannt, daß nicht die Finanzlage Zanchetta zum fluchtartigen Verlassen seines Bistums Oran veranlaßt hatte. Vielmehr waren schwerwiegende Anschuldigungen eines sexuellen Fehlverhaltens gegen ihn erhoben worden. Der Heilige Stuhl entschuldigte sich über den Vatikansprecher mit dem Hinweis, sexuelle Mißbrauchsopfer hätten sich erst nach der Berufung Zanchettas an die Römische Kurie gemeldet. Erst dadurch seien Vorwürfe gegen den Bischof in Rom bekanntgeworden. Zanchetta stellte sein Amt im Vatikan ruhend. Papst Franziskus beauftragte einen argentinischen Vertrauten und Erzbischof, die Angelegenheit zu untersuchen.
Diese Darstellung wurde im Frühjahr 2019 auf eine für Papst Franziskus peinliche Weise widerlegt. Es wurden Beweise vorgelegt, daß die Generalvikare und weitere hohe Prälaten des Bistums bereits seit 2015 in Eingaben den Vatikan über ein homosexuelles Doppelleben des Bischofs informiert und um Intervention ersucht hatten. Auf dem Smartphone Zanchettas waren Bilder gefunden worden, die den Bischof in unstatthaften Posen zeigten. Zudem, so der Regens des diözesanen Priesterseminars, habe der Bischof versucht, Seminaristen homosexuell zu korrumpieren. Der Regens habe sich bemüht, Seminaristen nie mit dem Bischof alleine zu lassen.
Die schützende Hand
Franziskus, so der Vorwurf, habe aber seine schützende Hand über seinem Zögling gehalten. Erst als die argentinische Staatsanwaltschaft zu Jahresbeginn Ermittlungen wegen sexuellen Mißbrauchs gegen Zanchetta einleitete, reagierte der Vatikan.
Die schützende Hand von Franziskus ließ im Zuge des Anti-Mißbrauchsgipfels, der im Februar 2019 im Vatikan stattfand, Zweifel zur Glaubwürdigkeit des regierenden Papstes aufkommen.
Papst Franziskus stellte im Mai 2019 in einem Interview mit einem mexikanischen Fernsehsender die Ereignisse noch einmal anders dar. Dort sagte er, im Widerspruch zu den Erklärungen des Vatikansprechers, bereits 2017 die Eingaben gegen Zanchetta gelesen zu haben. Er habe dem Bischof den Rücktritt „befohlen“ und eine psychiatrische Untersuchung in Spanien angeordnet, die allerdings keine Auffälligkeiten ergeben habe. In Rom sei Zanchetta, immer auf päpstliche Anordnung hin, lediglich „geparkt“ worden, um die Nachfolge im Bistum Oran zu regeln und die Untersuchungen gegen Zanchetta durchführen zu können.
Die Schilderung weist einige Haken auf. Demnach hätte Franziskus die irritierende Flucht aus dem Bistum angeordnet, durch die eine verstörte Diözese zurückgelassen wurde. Die Schilderung erklärt zudem nicht, weshalb Zanchetta nach seinem Wiederauftauchen, das ebenso ohne jede Erklärung geschah, ein hohes Amt im Vatikan erhielt, das erst ruhend gestellt wurde, als die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte. Warum sollte die Ernennung zur Nummer Drei der APSA notwendig sein, um die Anschuldigungen gegen Zanchetta zu prüfen?
Am 6. Juni wurde in Argentinien gegen Zanchetta das Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von zwei Seminaristen eröffnet. Ermittlungen zu weiteren Mißbrauchsfällen laufen. Der Bischof leistet der Vorladung Folge und kehrte in seine Heimat zurück. Dort verhängte die Staatsanwaltschaft ein Ausreiseverbot gegen ihn.
Richter Claudio Alejandro Parisi erteilte Zanchetta am vergangenen Freitag aber eine Sondergenehmigung, aus „Arbeitsgründen“ in den Vatikan zurückkehren zu dürfen. Die Entscheidung wurde von argentinischen Medien mit Staunen aufgenommen, da Zanchetta seit Jahresbeginn von seiner Arbeit im Vatikan suspendiert ist.
Inzwischen ist Zanchetta nach Santa Marta zurückgekehrt. Direktor von Santa Marta ist Msgr. Battista Mario Salvatore Ricca, ein Vatikandiplomat, der wegen seiner homosexuellen Eskapaden für solches Aufsehen sorgte, daß er in den Vatikan zurückbeordert werden mußte.
Zanchetta mußte sich verpflichten, am 8. August, dem nächsten Verhandlungstermin, wieder in Argentinien vor Gericht zu erscheinen. Richter Parisi betonte, daß die Restriktionen gegen den Bischof durch die Sondergenehmigung nicht aufgehoben sind. Die Entscheidung des Richters erfolgte gegen den Widerspruch der Staatsanwaltschaft.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)