
Eine Analyse von Nico Spuntoni (Il Giornale), der in der Ernennung von Msgr. Victor Manuel Fernández zum Präfekten des römischen Glaubensdikasteriums einen „point of no return“ im Pontifikat von Franziskus sieht:
Von Nico Spuntoni
Obwohl die Römische Kurie für ihn bisher nicht wesentlich war, wird Monsignore Víctor Manuel Fernández ihr wichtigstes Dikasterium leiten. Vor weniger als zwanzig Jahren lag die Glaubenskongregation in den Händen von Joseph Kardinal Ratzinger, bis vor sechs Jahren in denen des bewährten Gerhard Kardinal Müller. Nun wird das ehemalige Heilige Offizium aus den Händen des gemäßigten Jesuiten Luis Francisco Kardinal Ladaria Ferrer in die des 60jährigen Argentiniers übergehen, den man in seiner Heimat „discípulo predilecto“ („Lieblingsjünger“ ) und „mejor intérprete“ („bester Interpret“ ) von Franziskus nennt.
Die Rache
Mit seiner Wahl für das Amt, das bisher als Hüter der katholischen Orthodoxie galt, wollte Jorge Mario Bergoglio persönlich Rache an den Pontifikaten der Vergangenheit nehmen. Zum x‑ten Mal. Tatsächlich zögerte der damalige Kardinal Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires und Großkanzler der Universidad Católica Argentina nicht, sich mit der Kurie anzulegen, die der Ernennung seiner rechten Hand Fernández zum Rektor die päpstliche Zustimmung verweigern wollte.
Der damalige argentinische Primas kam nicht gerne nach Rom, wie sein Geständnis beweist, daß er die Sixtinische Kapelle erst 2005 zum ersten Mal in seinem Leben sah, als er am Konklave nach dem Tod von Johannes Paul II. teilnahm. Um dennoch das päpstliches Grüne Licht für die von ihm vorgenommene Ernennung zum Rektor der UCA zu erhalten, nahm er ein Flugzeug und setzte sich in einem zweijährigen Tauziehen mit der Kurie durch.
Diese Episode zeugt von der eisernen Beziehung zwischen Franziskus und dem neuernannten Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre, die in den Tagen der 5. Generalkonferenz des Rates der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik (CELAM) im Jahr 2007 zementiert wurde, als der damalige Kardinal den Vorsitz des Redaktionskomitees des Abschlußdokuments innehatte und den jungen Theologen aus Córdoba neben sich haben wollte.
Das Ergebnis war das Aparecida-Dokument – benannt nach dem brasilianischen Tagungsort -, das als programmatisches Manifest des künftigen bergoglianischen Pontifikats gilt und das der argentinische Papst nicht zufällig den im Vatikan empfangenen lateinamerikanischen Staatsoberhäuptern übergab. Kardinal Angelo Scola, Hauptkonkurrent im jüngsten Konklave, benutzte das Bild des „Schlags in den Magen der Kirche“ (wie „gesund“ auch immer), um das Papsttum von Franziskus zu definieren: die Ernennung von Fernández an die Spitze des Dikasteriums für die Glaubenslehre ist ein Beispiel dafür.
Es wurde befürchtet, daß der Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, ein großer Befürworter der Agenda des deutschen Synodalen Weges, der ein Schisma innerhalb der Kirche zu provozieren drohte, in den Palast des Heiligen Offiziums kommen könnte. Die Wahl von Fernández beruhigt aber keineswegs jene, die Wilmer fürchteten, sondern wird im Gegenteil als Beweis dafür gewertet, daß die ehemalige Glaubenskongregation von nun an nicht mehr eine Bremse gegenüber den radikalsten Forderungen sein wird, sondern ein Beschleuniger dieser Forderungen.
Das Enfant prodige des argentinischen Episkopats
Víctor Manuel Fernández, der während des Pontifikats von Benedikt XVI. als Rektor der in Rom wenig beliebten Universidad Católica Argentina tätig war, erklomm in kurzer Zeit nach der Wahl seines Lehrmeisters Jorge Mario Bergoglio den kirchlichen cursus honorum. Zwei Monate nach dem historischen 13. März 2013 hatte Franziskus ihn zum Erzbischof erhoben, ohne ihm ein Diözesanamt zuzuweisen, sondern ihn an der Spitze der Universität zu belassen, was noch nie zuvor geschehen war.
Dann, im Jahr 2018, erfolgte seine Ernennung zum Erzbischof von La Plata anstelle von Monsignore Héctor Rubén Aguer, einem Prälaten mit einer theologischen und pastoralen Sensibilität, die weit von seiner eigenen entfernt ist. Eine Zäsur, die an die Zäsur erinnert, die nun im ehemaligen Heiligen Offizium mit der Amtsübergabe von Kardinal Ladaria stattfinden wird. Monsignore Aguer hat sich in den vergangenen Jahren als kritische Stimme gegenüber der Linie des Pontifikats von Franziskus hervorgetan und fand kürzlich sogar harte Worte für die bevorstehende Synode zur Synodalität, an der Fernández als Leiter des Dikasteriums teilnehmen wird, indem er sagte, daß „das synodale Programm, wie das der deutschen Synode, eine andere Kirche zeichnet, heterogen in bezug auf die große und einmütige Tradition“.
Angesichts der Kritik, an der es in den letzten Jahren auch in Argentinien nicht gefehlt hat, meldete sich Monsignore Fernández stets öffentlich zu Wort, um Papst Franziskus zu verteidigen. Dies tat er zum Beispiel angesichts der Kontroverse, die durch den Dokumentarfilm ausgelöst wurde, der einen Ausschnitt aus einem Interview zeigte, in dem Franziskus sich für Homo-Partnerschaften öffnete.
Damals schrieb Tucho – so sein Spitzname – in den sozialen Medien, daß „Bergoglio immer anerkannt hat, daß es in Wirklichkeit sehr enge Verbindungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts gibt, ohne sie als Ehe zu bezeichnen, die keine sexuelle Beziehung an sich bedeuten, sondern eine sehr intensive und stabile Verbindung“. Bei der Festlegung der Linie des Pontifikats hat Fernández in den vergangenen Jahren gegenüber der argentinischen Presse erklärt, daß „es Dinge gibt, die die Kirche nicht mehr tun kann: Jede verurteilende, aggressive oder autoritäre Haltung gegenüber Andersdenkenden oder Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit der Situation zurechtzukommen, ist aufgrund ihrer Grenzen inakzeptabel geworden“. Das sind ähnliche Worte, wie sie sich in dem Brief finden, den Franziskus anläßlich seiner Ernennung zum Präfekten an ihn schrieb, wo es heißt:
„Das Dikasterium, dem Sie vorstehen, ging zu anderen Zeiten so weit, unmoralische Methoden anzuwenden. Das waren Zeiten, in denen statt der Förderung theologischer Kenntnisse mögliche Irrtümer in der Lehre verfolgt wurden. Was ich von Ihnen erwarte, ist sicherlich etwas ganz anderes“.
Die Ideen des neuen Präfekten
Der Theologe Víctor Manuel Fernández, an den Luisella Scrosati vor wenigen Tagen erinnerte, hat sich im Gegensatz zu dem, was der heilige Paul VI. in Humanae Vitae geschrieben hat, offen über die Verwendung von Verhütungsmitteln geäußert. Zu einem anderen brennenden Thema, der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, sagte der neue Präfekt, er sei dagegen, wenn sie Verwirrung über die Tatsache stiften, daß die einzige Ehe die zwischen einem Mann und einer Frau ist, fügte aber gleichzeitig hinzu, daß „eine Segnung, die so erteilt wird, daß sie diese Verwirrung nicht stiftet, geprüft und bestätigt werden muß“. Eine andere Position als die, die im Responsum der Glaubenskongregation von 2021 formuliert wurde.
In einem Interview mit der Tageszeitung Domani erklärte Tucho, er sei das Opfer von Vorurteilen jener, die ihn kritisieren und ihn für einen „ignoranten lateinamerikanischen Usurpator“ halten. Es ist allerdings eine Tatsache, daß er an die Spitze der ehemaligen Obersten Kongregation gekommen ist, weil er mit dem Papst freundschaftlich und dauerhaft zusammengearbeitet hat. Genauso wie es eine Tatsache ist, daß die lateinamerikanische Herkunft an der Spitze des Heiligen Stuhls nicht als Diskriminierung angesehen werden kann, da sie den Papst selbst, den Präfekten des wichtigsten Dikasteriums und den Substituten im Staatssekretariat miteinander verbindet.
Diskontinuität
Die Art und Weise, wie die Ernennung von Monsignore Fernández vonstatten ging, wie der Betroffene selbst berichtet, zeugt davon, daß das Pontifikat von Franziskus endgültig in eine neue Phase eingetreten ist. Tucho erzählte nämlich, daß der Papst ihn mit einigem Nachdruck gebeten habe, die Ernennung anzunehmen, und ihn vom Krankenhaus aus angerufen habe, in dem er stationär behandelt wurde. Dieser Umstand erinnert an ein Konzept, das der neue Präfekt bereits in der Vergangenheit geäußert hat: „Nein, es gibt kein Zurück mehr. Auch wenn Franziskus nicht mehr Papst ist, bleibt sein Erbe bestehen“, sagte er 2015 gegenüber dem Corriere della Sera. Indem er seinen langjährigen Ghostwriter seit Aparecida auswählt und ihm die Aufgabe überträgt, dafür zu sorgen, daß die Dokumente der anderen Dikasterien „das jüngste Lehramt berücksichtigen“, will Franziskus versuchen, dieses Erbe abzusichern wohl wissend, daß das Pontifikat keine weiteren zehn Jahre dauern wird.
Die Ernennung von Fernández, die jetzt stattgefunden hat, sowie andere Ernennungen und Verzichtserklärungen der letzten Zeit zeigen einen anderen Aspekt des gegenwärtigen Pontifikats: Auf Seiten des Papstes gab es eine Form von Respekt gegenüber Benedikt XVI, die den von ihm selbst vorgegebenen Fahrplan nur verlangsamt, aber keineswegs blockiert hat. Der Brief an den neuen Präfekten – falls es überhaupt noch nötig war – bestätigt den Wunsch nach Diskontinuität, mit dem Franziskus beschlossen hat, die Kirche zu regieren.
Obwohl die Absicht, ein neues Kapitel der Vergangenheit aufzuschlagen, bereits seit dem Abend des 13. März 2013 erkennbar war, versuchte der argentinische Papst teilweise, seinen revolutionären Elan zu dämpfen, solange sein Vorgänger noch lebte: In diesem Sinne sind die zunächst erfolgte Bestätigung des von Ratzinger gewählten Gerhard Müller im ehemaligen Heiligen Offizium oder die Berufung von Kardinal Robert Sarah in die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung oder die – zunächst wirksame, dann nur noch formale Amtsausübung von Monsignore Georg Gänswein als Präfekt des Päpstlichen Hauses sowie die Nachfolge von Kardinal Rainer Maria Woelki im Erzbistum Köln in Kontinuität mit seinem Freund Joachim Meisner zu interpretieren.
Vielleicht hatte nicht einmal Franziskus – um Ratzingers eigene Worte zu zitieren – gedacht, daß „das letzte Stück des Weges vom Kloster bis zur Himmelspforte, wo Petrus steht, so lang sein könnte“, und angesichts der verrinnenden Jahre beschloß er, die Maßnahmen, die ihm wohl schon vorher vorschwebten, nicht länger aufzuschieben. So datiert Traditionis custodes, das die von Benedikt XVI. gewünschte Freigabe der sogenannten lateinischen Messe aufhob, auf das Jahr 2021, acht Jahre nach seiner Wahl. Der Tod Ratzingers Ende 2022 und die gleichzeitige Zunahme seiner eigenen gesundheitlichen Probleme beschleunigten die Umsetzung des Programms von Franziskus. Wenn der Sand in der Sanduhr zur Neige geht, ist es nicht mehr Zeit für Gradualität, und die Besetzung eines Schlüsselpostens wie des Dikasteriums für die Glaubenslehre mit einem engen Vertrauten ist eine Garantie dafür, daß die in diesen fast elf Jahren in Gang gesetzten Prozesse nicht auf Eis gelegt werden.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
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