Randbemerkungen zur Verurteilung von Kardinal Pell

Die Mühlen der Justiz


Kardinal Pell könnte morgen in Untersuchungshaft genommn werden.
Kardinal Pell könnte morgen in Untersuchungshaft genommen werden.

(Ade­lai­de) Nach lan­ger Geheim­nis­tue­rei wur­de vom austra­li­schen Gericht, vor dem sich Kar­di­nal Geor­ge Pell ver­ant­wor­ten muß­te, bekannt­ge­ge­ben, daß er schul­dig gespro­chen wur­de. Das Urteil über­rascht, und das letz­te Wort in der Sache dürf­te noch nicht gespro­chen sein. 

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Der Kar­di­nal beteu­er­te in allen Momen­ten sei­ne Unschuld. Im Som­mer 2018 gelang­ten die Geschwo­re­nen nicht zu der vor­ge­schrie­be­nen Ein­stim­mig­keit. Der Rich­ter mach­te dar­auf von der Mög­lich­keit Gebrauch, die Geschwo­re­nen aus­zu­tau­schen und das Ver­fah­ren zu wie­der­ho­len. Im Dezem­ber wur­de im zwei­ten Anlauf die Ein­stim­mig­keit erreicht. 

Von den zwei Chor­kna­ben, die der damals, 1996, soeben ernann­te Erz­bi­schof von Mel­bourne angeb­lich „miß­braucht“ haben soll, trat nur einer als Anklä­ger auf. Der ande­re ist bereits seit meh­re­ren Jah­ren tot. Er starb an einer Über­do­sis Dro­gen, hat­te aber sei­ner Mut­ter gegen­über mehr­fach ver­si­chert, nicht miß­braucht wor­den zu sein. Der Vater schloß sich hin­ge­gen der Ankla­ge an und for­dert Scha­dens­er­satz. Der Anklä­ger ging erst 2015 an die Öffent­lich­keit, als das von ihm genann­te, angeb­li­che zwei­te Opfer bereits tot war. Den­noch wur­de der Kar­di­nal für bei­de ver­ur­teilt, weil anson­sten auch die Aus­sa­ge des ein­zi­gen Bela­stungs­zeu­gen in sich zusam­men­ge­fal­len wäre. Ent­la­stungs­zeu­gen, von denen es meh­re­re gibt, wur­den offen­bar als unglaub­wür­dig ein­ge­stuft. Die Urteils­be­grün­dung in die­sen Punk­ten wird aus­schlag­ge­bend für das Beru­fungs­ver­fah­ren sein.

Kar­di­nal Pell wur­de jah­re­lang mit immer neu­en Anschul­di­gun­gen durch die austra­li­schen Medi­en gepeitscht. Ver­ur­teilt wur­de er in kei­nem jener Fäl­le, son­dern in einem ganz ande­ren. Die Medi­en­kam­pa­gnen kamen einer Vor­ver­ur­tei­lung gleich, da sie jeden­falls in der Öffent­lich­keit eine „offen­kun­di­ge“ Täter­schaft konstruierten

Der Kar­di­nal könn­te wegen des Schuld­spruchs erster Instanz mor­gen in Unter­su­chungs­haft genom­men wer­den. Ob er alters­be­dingt gegen Kau­ti­on auf frei­em Fuß blei­ben kann, wird der Rich­ter entscheiden.

Drei viel­leicht unbe­deu­ten­de Beob­ach­tun­gen am Rande.

Beobachtung 1

Die welt­li­chen Medi­en berich­ten in gro­ßer Auf­ma­chung über die Ver­ur­tei­lung. In der Tat han­delt es sich um die erste ihrer Art eines Kar­di­nals. Das allein erklärt die media­le Auf­merk­sam­keit aber nicht. Es geht zwi­schen den Zei­len und in den Kom­men­ta­ren zu offen­sicht­lich nicht nur um den Fall, von dem kein Jour­na­list nähe­res berich­tet, dafür aber um laut­star­ke kir­chen­po­li­ti­sche Anmer­kun­gen, Abrech­nun­gen, Mah­nun­gen und For­de­run­gen – natür­lich mit den übli­chen Unter­tö­nen und aus der übli­chen Rich­tung. Der Fall des inzwi­schen lai­sier­ten, ehe­ma­li­gen Kar­di­nals Theo­do­re McCar­ri­ck, der sich unbe­streit­ba­re Schand­ta­ten zuschul­den kom­men ließ, war den welt­li­chen Medi­en im Ver­gleich kaum ein „Krä­hen“ wert. Es kommt offen­bar weni­ger auf tat­säch­li­che oder angeb­li­che Taten an, son­dern mehr auf die Per­so­nen und noch mehr auf deren inhalt­li­che Posi­tio­nen – der kon­ser­va­ti­ve Pell ist eben kein pro­gres­si­ver McCarrick.

Beobachtung 2

Die Bekannt­ga­be der Ver­ur­tei­lung erster Instanz, das Urteil ist nicht rechts­kräf­tig, erfolg­te einen Tag nach dem defi­ni­ti­ven Abschluß aller Tref­fen zum Anti-Miß­brauchs­gip­fel in Rom. Das Urteil wur­de bereits am 11. Dezem­ber gefällt und dann bis zum heu­ti­gen Tag zurück­ge­hal­ten. Begrün­det wur­de dies mit einem wei­te­ren Fall, der nicht beein­flußt wer­den soll­te. Die Staats­an­walt­schaft ließ inzwi­schen die Ankla­ge in der Sache fal­len. Wie auch immer erstaunt die „Pünkt­lich­keit“. Auf eine bemer­kens­wer­te zeit­li­che Koin­zi­denz im Fall Pell mach­te bereits Mar­can­to­nio Colon­na, rec­te Hen­ry Sire, in sei­nem Buch „Der Dik­ta­tor­papst“ auf­merk­sam. Das war zu einem Zeit­punkt, als der vor­läu­fi­ge Aus­gang noch nicht bekannt war. Das muß nichts bedeu­ten, kann es aber. Sire ging es um die Abfol­ge der Ereig­nis­se, die dazu führ­ten, daß Pell 2017 Rom ver­ließ, vom Papst fal­len­ge­las­sen und in sei­nen Zustän­dig­kei­ten demon­tiert wur­de. Dar­an waren bestimm­te Stel­len im Vati­kan nicht unschul­dig. Sire insi­nu­iert Kon­tak­te nach Austra­li­en. Das­sel­be zeit­li­che Zusam­men­fal­len wie­der­hol­te sich nun im Zusam­men­hang mit der Urteils­ver­kün­dung. Zuviel Koinzidenz?

Beobachtung 3

Kar­di­nal Pell wur­de heu­te vom Vati­kan „prä­ven­tiv“ die öffent­li­che Aus­übung sei­nes Prie­ster­tums ent­zo­gen, obwohl das Urteil noch kei­ne Rechts­kraft besitzt. Bereits einen Tag nach der Urteils­fäl­lung im Dezem­ber ent­band ihn Papst Fran­zis­kus vom C9-Kar­di­nals­rat. Das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt begrün­de­te die schnel­le und viel­leicht vor­ei­li­ge Ent­schei­dung mit dem Hin­weis, daß der Ver­ur­tei­lung erster Instanz Rech­nung zu tra­gen sei, wenn­gleich der Vati­kan auf „das Ergeb­nis des Beru­fungs­ver­fah­rens“ hof­fe, und der Kar­di­nal ein „Recht zur Ver­tei­di­gung bis zur letz­ten Instanz“ habe. Die schnel­le Reak­ti­on ist das Gegen­teil des­sen, wor­an sich Papst Fran­zis­kus bis­her ori­en­tier­te. Pell wur­de eben­so „prä­ven­tiv“ vom Vati­kan unter­sagt, sich Min­der­jäh­ri­gen zu nähern. Nimmt die­se Ent­schei­dung eine neue Linie vor­weg, die der Vati­kan ab nun ver­tre­ten wird?

Man wird sehen, wie das Ver­fah­ren wei­ter­geht. Die Müh­len der Justiz mah­len. Soll­te Pell schul­dig sein, dürf­te der heu­ti­ge Tag als ein Wen­de­punkt in die Kir­chen­ge­schich­te ein­ge­hen. Soll­te er unschul­dig sein, steht der 26. Febru­ar samt dem Miß­brauchs­gip­fel für ein Water­loo der päpst­li­chen Glaubwürdigkeit.

Pells Anwalt kün­dig­te Beru­fung an. 

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­News (Screen­shot)

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