Der „Fall Viganò“ und die „Sackgasse“ von Papst Franziskus

Der „quasi-unfehlbare“ Papst


Die Antwort auf die Anschuldigungen von Nuntius Viganò kommt nicht von Papst Franziskus, sondern von seinem Hausvatikanisten Andrea Tornielli. Er legt ein ganzes Buch vor, kann aber nichts widerlegen.
Die Antwort auf die Anschuldigungen von Nuntius Viganò kommt nicht von Papst Franziskus, sondern von seinem Hausvatikanisten Andrea Tornielli. Er legt ein ganzes Buch vor, kann aber nichts widerlegen. Dafür zeigt er mit dem Finger auf andere und erhöht mit einem gefährlichen Spiel den Einsatz.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Am Ende kam doch eine Ant­wort. Es ist nicht die Ant­wort von Papst Fran­zis­kus, auf die ver­ge­bens gewar­tet wird, aber den­noch eine zumin­dest bedeut­sa­me, die eines Jour­na­li­sten, der zu sei­ner enge­ren Entou­ra­ge gehö­ren. Der Autor ist Andrea Tor­ni­el­li, Vati­ka­nist der Tages­zei­tung La Stam­pa und ver­ant­wort­li­cher Koor­di­na­tor der Inter­net­sei­te Vati­can Insi­der. Er hat soeben in Zusam­men­ar­beit mit dem Jour­na­li­sten Gian­ni Valen­te das Buch „Der Tag des Gerichts“ (Orig. Il Gior­no del Giudi­zio, Edi­zio­ni Piem­me, 255 Sei­ten) über den „Fall Viganò“ ver­öf­fent­licht, und das mit dem elo­quen­ten Unter­ti­tel „Kon­flik­te, Macht­kämp­fe, Miß­brauch und Skan­da­le. Was wirk­lich in der Kir­che passiert“.

Die Grundthese Torniellis

Die Grund­the­se Tor­ni­el­lis lau­tet: Das Zeug­nis von Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò über die Skan­da­le in der Kir­che sei ein „Putsch­ver­such“ gegen Papst Fran­zis­kus im Auf­trag eines inter­na­tio­na­len poli­tisch-media­len Netz­wer­kes, „ver­bün­det mit Tei­len der US-Kir­che und mit Unter­stüt­zung auch in den vati­ka­ni­schen Palä­sten“ (S. 3).

Der Vati­ka­nist von La Stam­pa inter­pre­tiert den statt­fin­den­den Kon­flikt als Macht­kampf und nicht als Kampf der Ideen und scheint zu ver­ges­sen, daß die­ser Kon­flikt nicht von jenen los­ge­tre­ten wur­de, die die Tra­di­ti­on der Kir­che ver­tei­di­gen, son­dern von jenen, die sie umstür­zen wol­len. Zudem bleibt unver­ständ­lich, war­um angeb­lich nur die Kri­ti­ker von Papst Berg­o­glio die Medi­en als „Waf­fe“ ein­set­zen, nicht aber auch sei­ne „Fans“.

Hat nicht der Vati­kan McK­in­sey das Pro­jekt über­tra­gen, alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel zusam­men­zu­fas­sen und eine ein­zi­ge digi­ta­le Platt­form zu schaf­fen, auf der Arti­kel, Bil­der und Pod­cast ver­öf­fent­licht wer­den? Tor­ni­el­li selbst infor­miert uns dar­über in La Stam­pa vom 22. März 2018. Laut dem Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca, P. Anto­nio Spa­da­ro SJ, mißt Papst Fran­zis­kus dem Inter­net und den sozia­len Netz­wer­ken seit dem Tag sei­ner Wahl beson­de­re Bedeu­tung zu.

In jenem Moment „akti­vier­te“ Jor­ge Mario Berg­o­glio „Tau­sen­de von anwe­sen­den Men­schen, indem er sie mit sei­ner Per­son ver­band und mit dem, was geschah, und bewies damit, daß er selbst ein sozia­les Netz­werk ist“, sag­te der Jesu­it, als er sein Buch „Cyber­theo­lo­gie. Das Chri­sten­tum im Inter­net­zeit­al­ter den­ken“ (Orig. Cyber­teolo­gia. Pen­sare il cri­stia­ne­si­mo al tem­po del­la rete“ (Edi­zio­ni Vita e Pen­sie­ro) vorstellte.

Viganòs Anschuldigungen nicht widerlegt

Wenn es Exper­ten der Mani­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken und des instru­men­ta­li­sier­ten Nach­rich­ten­ein­sat­zes gibt, dann fin­den wir sie gera­de unter den eng­sten Mit­ar­bei­tern von Papst Fran­zis­kus – von Spa­da­ro bis Msgr. Dario Edo­ar­do Viganò (nicht zu ver­wech­seln mit Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò), dem ehe­ma­li­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mi­ni­ster des Vati­kans, der im März 2018 zum Rück­tritt gezwun­gen war, weil er einen ver­trau­li­chen Brief von Bene­dikt XVI. gefälscht hat­te. Msgr. Dario Edo­ar­do Viganò gab beim Regis­seur Wim Wen­ders den apo­lo­ge­ti­schen Film „Papst Fran­zis­kus, ein Mann sei­nes Wor­tes“ (Orig. Pope Fran­cis. A Man of his Word) in Auf­trag. In Ita­li­en erscheint regel­mä­ßig eine eige­ne Wochen­zeit­schrift mit dem Titel „Mein Papst“ (Orig. Il mio Papa), die jeweils die Woche im Leben von Papst Fran­zis­kus erzählt.

Kein Papst setz­te die media­len Waf­fen stär­ker und geziel­ter ein als Jor­ge Mario Berg­o­glio. Was die Ent­hül­lun­gen von Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò betrifft, leug­net Tor­ni­el­li nicht, daß Papst Fran­zis­kus direkt vom ehe­ma­li­gen Nun­ti­us in den USA die Infor­ma­tio­nen erhielt, daß Kar­di­nal Theo­do­re McCar­ri­ck sei­ne eige­nen Semi­na­ri­sten und Prie­ster sexu­ell kor­rum­pier­te. Er leug­net auch nicht die Unmo­ral, die in der Kir­che herrscht, und eine ver­brei­te­te Feig­heit, die ihre Aus­brei­tung ermöglicht.

Er gibt zu, daß das Pro­blem des homo­se­xu­el­len Übels „exi­stiert“ (S. 169), wenn er es auch eben­so her­un­ter­spielt wie die Exi­stenz einer Grup­pe akti­ver Sodo­mi­ten in den kirch­li­chen Struk­tu­ren und einer eben­so akti­ven Gay-fri­end­ly-Lob­by, die sie unter­stützt. Tor­ni­el­li kann also Msgr. Viganò nicht wider­le­gen. Sein Ziel ist es, Papst Fran­zis­kus zu ver­tei­di­gen. Er tut dies wie ein Spie­ler, der, wenn er in Schwie­rig­kei­ten gerät, den Ein­satz erhöht. Da er im kon­kre­ten Fall die Exi­stenz einer mas­si­ven Kor­rup­ti­on von Kir­chen­män­nern nicht abstrei­ten kann, ver­sucht er die Ver­ant­wor­tung dafür den Vor­gän­gern von Papst Fran­zis­kus Bene­dikt XVI. und Johan­nes Paul II. anzulasten.

Johannes Paul II. auf die Anklagebank gezerrt

Der Vati­ka­nist von La Stam­pa zerrt vor allem Johan­nes Paul II. auf die Ankla­ge­bank, auf den der kome­ten­haf­te Auf­stieg von Kar­di­nal McCar­ri­ck zurück­geht. „Johan­nes Paul II. hat­te McCar­ri­ck ken­nen­ge­lernt, als er des­sen Diö­ze­se vier Jah­re zuvor besucht hat­te, und war beein­druckt von dem bril­lan­ten Bischof, der sei­ne Semi­na­re zu fül­len wuß­te, auf allen Ebe­nen mit der Poli­tik im Dia­log stand, Akteur des inter­re­li­giö­sen Dia­logs war, fest in den Grund­sät­zen der Moral­leh­re stand und offen für sozia­le Fra­gen war“ (S. 38).

Sei­ne Ernen­nung zum Erz­bi­schof von Washing­ton, über den im Vati­kan bereits „gere­det“ wur­de, ging nicht über die Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, wo sie dis­ku­tiert wor­den wäre, son­dern erfolg­te „auf direk­tem Weg“ „wie es für man­che Ernen­nun­gen geschah und geschieht, die eben ‚von der päpst­li­chen Woh­nung‘ ent­schie­den wer­den, ohne die kol­le­gia­le Dis­kus­si­on durch die Mit­glie­der des Dik­aste­ri­ums zu durch­lau­fen“ (S. 40).

Es sei von Msgr. Viganò „belei­di­gend anzu­deu­ten“, daß 2000, dem Jahr der Ernen­nung McCar­ri­cks, Johan­nes Paul II. „bereits so krank gewe­sen sei, nicht mehr imstan­de gewe­sen zu sein, sich um die Ernen­nun­gen zu küm­mern, nicht ein­mal um die wich­tig­sten, nicht ein­mal um jene, die zu jenem Zeit­punkt zur Zuer­ken­nung des Kar­di­nals­hu­tes und damit zur Teil­nah­me an einem künf­ti­gen Kon­kla­ve führ­ten“. „Es ist nicht nötig, das Geheim­ar­chiv der Nun­tia­tur in Washing­ton zu ken­nen (das Viganò kon­sul­tiert haben wird), um zu wis­sen, daß Papst Woj­ty­la im Jahr 2000 in Wirk­lich­keit noch fünf Jah­re eines unter allen Gesichts­punk­ten noch sehr inten­si­ven Lebens vor sich hat­te“ (S. 40f).

Tor­ni­el­li beharrt auf die­sen Punkt: „Woj­ty­la ist kei­nes­wegs so ‚krank‘, wie Viganò in sei­nem Dos­sier glau­ben machen will. Ganz im Gegen­teil. Er erscheint per­fekt in der Lage, bestimm­te Ernen­nungs­vor­gän­ge zu ver­fol­gen, zumin­dest die bedeu­tend­sten, die wich­tig­sten. Zu die­sen gehör­te ohne Zwei­fel die Ernen­nung des neu­en Erz­bi­schofs der Bun­des­haupt­stadt der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka.“ „Es ist zudem nicht die direk­te Kennt­nis zu ver­ges­sen, die Papst Woj­ty­la von McCar­ri­ck hat­te, einem Bischof, der von Paul VI. ernannt wor­den war, aber gan­ze vier­mal vom pol­ni­schen Papst beför­dert wur­de: zuerst zum Bischof von Metu­chen, einer Diö­ze­se, die ex novo geschaf­fen wur­de; dann die Ver­set­zung nach Newark, einem von Johan­nes Paul II. 1995 besuch­ten Erz­bis­tum; dann die Ernen­nung zum Erz­bi­schof von Washing­ton trotz fort­ge­schrit­te­nen Alters; schließ­lich die sofor­ti­ge Auf­nah­me in das Kar­di­nals­kol­le­gi­um“ (S. 43f).

Durch „Quasi-Unfehlbarkeit“ zum „Papstdiktator“

Am 27. April 2014 wur­de Johan­nes Paul II. aller­dings von Papst Fran­zis­kus – zusam­men mit Johan­nes XXIII. – hei­lig­ge­spro­chen. Die Kano­ni­sie­rung eines Pap­stes bedeu­tet, daß er in Aus­übung sei­nes Amtes als ober­ster Hir­te der Kir­che alle Tugen­den mit heroi­schem Grad gelebt haben muß, ein­schließ­lich die der Pru­den­tia. Wenn aber, ob aus Mit­wis­ser­schaft, Nach­läs­sig­keit oder Unvor­sich­tig­keit, ein Papst einen „sexu­el­len Trieb­tä­ter“ „gedeckt“ hat, kann man berech­tig­ter­wei­se an sei­ner Weis­heit und Klug­heit zweifeln.

Wenn es für Tor­ni­el­li so war, heißt das, daß er Johan­nes Paul II. nicht für einen Hei­li­gen hält. Im übri­gen leug­ne­te ein Prä­lat, der ihm und Papst Fran­zis­kus sehr nahe­steht, Msgr. Giu­sep­pe Sciac­ca, der Sekre­tär der Apo­sto­li­schen Signa­tur und „einer der kom­pe­ten­te­sten Kir­chen­recht­ler der Römi­sche Kurie“ (S. 200), von Tor­ni­el­li selbst am 9. Sep­tem­ber 2014 inter­viewt, die Unfehl­bar­keit der Hei­lig­spre­chun­gen. Wenn die Kano­ni­sie­run­gen nicht unfehl­bar sind, und Papst Fran­zis­kus sich bezüg­lich Johan­nes Paul II. irren konn­te, dann ist es eben­so mög­lich, daß er sich am sel­ben Tag auch dar­in irr­te, die Hei­lig­keit von Johan­nes XXIII. zu pro­kla­mie­ren, und daß er den­sel­ben Feh­ler auch am 14. Okto­ber 2018 began­gen haben könn­te, als er Paul VI. heiligsprach.

Es geht dabei nicht um eine zweit­ran­gi­ge Fra­ge. Indem er den Ein­satz erhöht, stellt Tor­ni­el­li nicht nur die über­na­tür­li­che Pru­den­tia von Papst Woj­ty­la in Fra­ge, son­dern wirft ins­ge­samt einen Schat­ten auf die jüng­sten Hei­lig­spre­chun­gen, und vor allem ent­hüllt er eine Sack­gas­se, in der sich das Pon­ti­fi­kat von Papst Berg­o­glio befin­det. Die Sack­gas­se betrifft gera­de das The­ma der Unfehlbarkeit.

Die Unfehl­bar­keit wird von Papst Fran­zis­kus als Über­bleib­sel der alten Kir­che gese­hen, jener, die pro­kla­mier­te und bann­te, die defi­nier­te und ver­ur­teil­te. Der pasto­ra­le Pri­mat über die Dok­trin und der Barm­her­zig­keit über die Gerech­tig­keit ver­wehrt es Fran­zis­kus, das Munus der Unfehl­bar­keit auszuüben.

Wenn er der Kir­che aber sei­ne Direk­ti­ven auf­zwin­gen will, bedarf Papst Berg­o­glio einer „Qua­si-Unfehl­bar­keit“, die jede Form des Unge­hor­sams gegen sei­nen Wil­len aus­schließt. Um sein Pro­gramm zu ver­wirk­li­chen, ist der „qua­si-unfehl­ba­re“ Papst gezwun­gen, zum „Dik­ta­tor­papst“ zu wer­den, wie es heu­te der Fall ist. Wer der Tra­di­ti­on treu ist, glaubt hin­ge­gen an die päpst­li­che Unfehl­bar­keit und kennt deren Reich­wei­te und auch deren Gren­zen. Die Benen­nung der Gren­zen der Unfehl­bar­keit erlaubt es jenen, die einen sen­sus fidei haben, dem „Papst­dik­ta­tor“ zu widerstehen.

Die Reich­wei­te der Unfehl­bar­keit wird es dem Papst ermög­li­chen, der eines Tages davon Gebrauch machen will, um den Rauch Satans, der in die Kir­che ein­ge­drun­gen ist, zu besei­ti­gen, rechts­kräf­tig die Irr­tü­mer zu ver­ur­tei­len und mit eben­sol­cher Fei­er­lich­keit die ewig gül­ti­ge Wahr­heit des Evan­ge­li­ums zu bekräftigen.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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