Brief von Erzbischof Luigi Negri an die Opfer des islamischen Attentats von Manchester


Die Unfähigkeit einer konsumfixierten, poitisch korrekten Gesellschaft Antworten zu geben. Im Bild die Kundgebung in Manchester am 23. Mai im Gedenken an die Opfer des islamischen Attentats vom Vortag.
Die Unfähigkeit einer konsumfixierten, poitisch korrekten Gesellschaft Antworten zu geben. Im Bild die Kundgebung in Manchester am 23. Mai im Gedenken an die Opfer des islamischen Attentats vom Vortag.

(Lon­don) Am 22. Mai ver­üb­te ein „Sol­dat des Kali­fats“ der Dschi­had­mi­liz Isla­mi­scher Staat (IS) in Man­che­ster ein Selbst­mord­at­ten­tat, bei dem 22 Besu­cher eines Kon­zer­tes der US-Pop­sän­ge­rin Aria­na Gran­de getö­tet und min­de­stens 59 wei­te­re Per­so­nen ver­letzt wur­den. Erz­bi­schof Lui­gi Negri schrieb den Opfern einen Brief, in dem er eini­ge für die poli­ti­sche Kor­rekt­heit unlieb­sa­me Din­ge anspricht.

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Der Isla­mi­sche Staat (IS) bekann­te sich über sei­nen Pres­se­dienst Amaq zum Atten­tat. Unter Ter­ro­ris­mus­exper­ten gilt das Bekennt­nis als authen­tisch, da sich die Dschi­ha­di­sten in der Ver­gan­gen­heit nur zu Taten bekann­ten, die tat­säch­lich auf sie zurück­ge­hen. Als Atten­tä­ter wur­de der Mus­lim Sal­man Rama­dan Abe­di iden­ti­fi­ziert. Abe­di wur­de 1994 in Groß­bri­tan­ni­en gebo­ren. Sei­ne Fami­lie stammt aus Liby­en und hat­te mit dem Sta­tus von „Flücht­lin­gen“ Auf­nah­me im Ver­ei­nig­ten König­reich gefun­den. Abe­di war bri­ti­scher Staats­bür­ger und leb­te in Manchester.

Die ein­zi­ge, medi­al sicht­ba­re Ant­wort auf das Atten­tat brach­te die Unfä­hig­keit der poli­ti­cal cor­rect­ness zum Aus­druck, auf den isla­mi­schen Ter­ro­ris­mus eine ange­mes­se­ne Ant­wort zu geben. Roß und Rei­ter wer­den nicht genannt, weil der Islam im Zusam­men­hang mit dem Ter­ro­ris­mus nicht erwähnt wer­den darf. Durch die­sen selbst­um­ge­häng­ten Maul­korb läßt sich aber nicht erklä­ren, was pas­siert. So blei­ben nur hilf­lo­se, lee­re Flos­keln wie „Man­che­ster ver­eint gegen Haß“. Und wel­che Ant­wort soll eine Homo-Fah­ne sein, wie sie auf der Gedenk­ver­an­stal­tung für die Opfer am 23. Mai in Man­che­ster zur Schau getra­gen wurde?

Ariana Grande (2015)
Aria­na Gran­de (2015)

Nur am Ran­de genannt, aber nicht uner­wähnt soll sein: Aria­na Gran­de ist ein „klas­si­sches“ Pro­dukt des Show­biz. Die getauf­te Katho­li­kin erklär­te wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Bene­dikt XVI., der katho­li­schen Kir­che wegen der kirch­li­chen Ableh­nung der Homo­se­xua­li­tät den Rücken zu keh­ren. Gran­de trat bereits bei der LGBT Pri­de in New York auf und gab bekannt, sich für die Kab­ba­la zu inter­es­sie­ren, eine obsku­re mit­tel­al­ter­li­che, jüdi­sche „Geheim­leh­re“, die unter Ver­tre­tern des US-Film- und Musik­ge­schäfts in Mode ist. Der isla­mi­sche Atten­tä­ter war gleich alt wie die 23jährige Sän­ge­rin und Schauspielerin.

Erz­bi­schof Lui­gi Negri rückt die jun­gen Opfer des Atten­tats in den Mit­tel­punkt sei­nes Geden­kens, die Toten wie die Ver­letz­ten. Die Mehr­heit ist zwi­schen 15 und 25 Jah­ren alt. Das jüng­ste Todes­op­fer war erst acht. Die Mut­ter hat­te das Mäd­chen und des­sen älte­re Schwe­ster ins Kon­zert mit­ge­nom­men. Das Atten­tat fand um 22.30 Uhr Orts­zeit statt. Erz­bi­schof Negri spricht von den „armen Kin­dern einer Gesell­schaft, die die Exi­stenz des Bösen leug­net“. Den Opfern, die­sen „Kin­dern unse­rer Gesell­schaft“, schrieb er einen Brief:

Liebe Kinder,

ich will Euch so nen­nen, wenn ich Euch auch nicht per­sön­lich ken­ne. In den lan­gen, schlaf­lo­sen Stun­den, die auf die Nach­richt von die­sem schreck­li­chen Atten­tat folg­ten, in dem vie­le von Euch das Leben ver­lo­ren haben und vie­le ver­letzt wur­den, habe ich mich Euch ganz nahe gefühlt.

Ihr seid zur Welt gekom­men, man­che viel­leicht nicht ein­mal erwünscht, und nie­mand hat Euch einen „ange­mes­se­nen Grund zu leben“ genannt, wie ihn der gro­ße Ber­na­nos von sei­nen Gene­ra­tio­nen der Erwach­se­nen ein­for­der­te. Ihr wur­det in die Gesell­schaft hin­ein­ge­setzt mit zwei gro­ßen Grund­sät­zen: daß Ihr tun könnt, was Ihr wollt, weil jeder Eurer Wün­sche ein Recht ist, und daß es von Bedeu­tung ist, die größt­mög­li­che Zahl von Kon­sum­gü­tern zu besitzen.

Ihr seid so auf­ge­wach­sen in der Annah­me, alles zu haben. Wenn Ihr ein exi­sten­ti­el­les Pro­blem hat­tet – so hat man das ein­mal genannt – und es Euren Eltern, Euren Erwach­se­nen mit­ge­teilt habt, stand bereits die psy­cho­ana­ly­ti­sche Sit­zung bereit, um das Pro­blem zu behe­ben. Sie haben aller­dings ver­ges­sen, Euch zu sagen, daß es auch das Böse gibt. Das Böse ist eine Per­son. Es ist nicht eine Rei­he von Kräf­ten oder Ener­gien. Es ist eine Per­son. Die­se Per­son war dort bei Eurem Kon­zert und hat gelau­ert. Und der schreck­li­che Flü­gel des Todes, den die­se Per­son mit sich führt, hat Euch mitgerissen.

Mei­ne Kin­der, Ihr seid gestor­ben, so wie Ihr gelebt habt: sinn­los. Aber seid nicht besorgt: Sie haben Euch nicht gehol­fen, zu leben, aber dafür wer­den sie Euch ein „opti­ma­les“ Begräb­nis berei­ten, bei der sich die lee­re lai­zi­sti­sche Wort­bla­se bei Anwe­sen­heit aller Ver­tre­ter von Staat und Gesell­schaft – lei­der auch der reli­giö­sen – maxi­mal auf­plu­stern wird. Natür­lich wird Euer Begräb­nis unter frei­em Him­mel statt­fin­den, auch für jene, die glau­ben, weil der ein­zi­ge akzep­tier­te Tem­pel nur mehr die Natur ist. Robes­pierre wür­de dar­über lachen, weil nicht ein­mal er auf eine sol­che Phan­ta­sie gekom­men ist.

Abge­se­hen davon fin­den auch in den Kir­chen kei­ne Begräb­nis­se mehr statt, weil heu­te die Hin­ter­blie­be­nen im Mit­tel­punkt ste­hen. Und weil heu­te, wie Kar­di­nal Sarah mit Gedan­ken­schär­fe bemerk­te, auch in der katho­li­schen Kir­che die Beer­di­gung Got­tes zele­briert wird. Aber kei­ne Sor­ge: Sie wer­den nicht ver­ges­sen, Eure Plüsch­tie­re auf die Geh­stei­ge zu legen und ande­re Erin­ne­rungs­stücke aus Eurer Kind­heit und Eurer Jugend. Und dann wird alles ganz schnell durch die Rhe­to­rik jener archi­viert, die zu sol­chen Tra­gö­di­en nichts zu sagen haben, weil sie ins­ge­samt zum Leben nichts zu sagen haben.

Ich hof­fe, daß zumin­dest eini­ge die­ser Gurus des Zeit­gei­stes – aus Kul­tur, Poli­tik und Reli­gi­on – in die­ser Situa­ti­on ihre Wor­te für sich behal­ten und uns nicht mit ihren übli­chen Reden belä­sti­gen, um uns zu erklä­ren, daß „es kein Reli­gi­ons­krieg“ ist, daß „die Reli­gi­on von Natur aus offen ist für Dia­log und Ver­ständ­nis“ usw.

Ich wün­sche mir statt des­sen, daß es einen Moment des stil­len Respekts gibt, vor allem vor Euren vom Haß des Teu­fels nie­der­ge­mäh­ten Leben, aber auch vor der Wahr­heit. Die Erwach­se­nen soll­ten vor allem Respekt vor der Wahr­heit haben. Es mag sein, daß sie der Wahr­heit nicht die­nen, aber sie soll­ten zumin­dest Respekt vor ihr haben.

Ich jeden­falls, ein alter Bischof, der noch an Gott glaubt, an Chri­stus und an die Kir­che, wer­de am Tag Eurer Begräb­nis­se eine Hei­li­ge Mes­se für Euch alle zele­brie­ren, damit Ihr auf der ande­ren Sei­te – was auch immer Euer reli­giö­ses Han­deln gewe­sen sein mag – dem zärt­lich­sten Ant­litz der Got­tes­mut­ter begeg­net, die Euch in Ihre Arme neh­men und Euch wegen Eures ver­geu­de­ten Lebens trö­sten möge – ver­geu­det nicht durch Eure Schuld, aber durch die Schuld Eurer Erwachsenen.

Text/​Übersetzung Giu­sep­pe Nardi
Bild: The Gua­di­an (Screen­shot)

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