(Rom) Selbstbestimmung vor Verweigerung aus Gewissensgründen? In diesem Sinn faßte jedenfalls die Linksregierung der Region Latium (Italien) den Beschluß, am öffentlichen Krankenhaus San Camillo in Rom nur mehr Gynäkologen zu beschäftigen, die nicht aus Gewissensgründen die Mitwirkung an Abtreibungen verweigern.
Das italienische Abtreibungsgesetz von 1978 sieht das Recht vor, daß Ärzte und anderes medizinisches Personal aus Gewissensgründen eine Beteiligung an der Tötung ungeborener Kinder ablehnen können. Dazu müssen sie eine entsprechende Erklärung abgeben, was viele Ärzte bereits am Beginn ihres Berufseinstieges tun. Von diesem Recht macht sogar der größte Teil der italienischen Ärzteschaft Gebrauch. Die Gesamtzahl liegt bei über 70 Prozent, in manchen Regionen sogar über 80 Prozent. Besonders groß ist die Zahl der Verweigerer an öffentlichen Krankenhäusern. In der Region Latium und der Stadt Rom sind es 91 Prozent aller Gynäkologen. In manchen Gegenden gibt es überhaupt keine Abtreibungsärzte.
„Die Vorsehung hat dem diabolischen Mechanismus der Staatsabtreibung Prügel zwischen die Beine geworfen und das genau durch jene, die als Exekutoren bestimmt wurden, die Ärzte.“
Diese Worte schrieb Alfredo De Matteo 2013 in der Corrispondenza Romana. Die Abtreibungslobby mit ihrer diabolischen Tötungslogik schäume vor Wut. Bereits damals wurden Pläne gewälzt, die Ärzte zum Töten zu zwingen. Das erweist sich rechtlich jedoch als schwierig.
Faktisches Berufsverbot für Lebensschützer unter den Ärzten
Aus diesem Grund geht die Regierung von Latium einen anderen Weg, indem sie den Brotkorb höher hängt. Der Beschluß, nur mehr Gynäkologen anzustellen, die zu Abtreibungen bereit sind, kommt einem Berufsverbot für Verweigerer aus Gewissensgründen gleich, die aus dem öffentlichen Bereich ausgeschlossen werden.
Latiums linksdemokratischer Regierungschef Nicola Zingaretti betonte zwar, daß es sich bei dem Beschluß nicht um einen „Krieg gegen die Religion“ handle, „wir wollen nur ein Recht garantieren“.
Vor 39 Jahren wurde die Abtreibung in Italien, wie zuvor in anderen Ländern, nur als ultima ratio in „aussichtslosen“ Situationen legalisiert. Heute wird hingegen ungeniert ein „Recht“ auf Tötung eines ungeborenen Kindes behauptet. Vor allem duldet ein Recht keinen Widerspruch. Das „Recht“ ein unschuldiges Menschenleben zu töten, wird durch den Beschluß der Regionalregierung über das Recht gestellt, sich der Mitwirkung an der Tötung eines unschuldigen Menschenlebens zu verweigern. Die „Kultur des Todes“ wird über die „Kultur des Lebens“ gestellt.
Nicola Zingaretti ist ein ehemaliger Kommunist, der seit seinem 20. Lebensjahr von Beruf Parteiangestellter ist. Zunächst war er es für die Kommunistische Partei (KPI), dann für deren Nachfolgeparteien. Sein älterer Bruder, der Schauspieler Luca Zingaretti, ist im deutschen Sprachraum als Hauptdarsteller der Fernsehserie Commissario Montalbano bekannt. Luca Zingaretti gehörte in seiner Jugend der linksextremen Partei der Proletarischen Einheit für den Kommunismus an, die sich 1984 der KPI anschloß.
Ähnlich wie Nicola Zingaretti äußerte sich auch die bekannte Vertreterin der Radikalen Partei, Emma Bonino: „Das [Abtreibungs-] Gesetz ist sehr klar und die Institutionen müssen den [Abtreibungs-] Dienst garantieren. Unabhängig vom Gewissen des Einzelnen hat der Staat die Pflicht, die Gesetze zur Anwendung zu bringen. Das ist keine Diskriminierung für niemand, sondern nur endlich die Anwendung des Gesetzes.“ Man beachte, wie Bonino, eine der führenden Abtreibungsverfechterinnen Italiens, die Worte Abtreibung und Kind meidet. Bonino bezichtigte sich in den 70er Jahren selbst, mehr als 10.000 ungeborene Kinder getötet zu haben. Papst Franziskus bezeichnete sie dennoch als eine „ganz Große“.
Bonino, spezialisiert auf alle möglichen „Diskriminierungen“, vor allem fiktive, auf denen sie seit 45 Jahren ihre politischen Kampagnen aufbaut, will keine Diskriminierung der Ärzte erkennen, denen mit Regierungsbeschluß grundsätzlich die Anstellung an einem öffentlichen Krankenhaus verweigert wird, weil sie aus Gewissensgründen eine Mitwirkung an Abtreibungen ablehnen. Bonino bleibt auch im hohen Alter, trotz päpstlichen Lobes, was sie schon immer war: eine blinde Ideologin.
Ganz anders sieht es die Ärztekammer, die den Beschluß kritisierte: „Nur ein höheres Wohl könnte vielleicht in bestimmte Situationen ein Übergehen des Grundrechts auf Verweigerung aus Gewissensgründen rechtfertigen. Dieses höhere Wohl ist in der konkreten Angelegenheit nicht erkennbar. Abgesehen davon entspricht es nicht den Tatsachen, daß im öffentlichen Gesundheitswesen der Abtreibungsdienst bisher nicht gemäß Gesetz gewährleistet war.“ Die Ärztekammer bekräftigte damit, daß der Beschluß der Regionalregierung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgte.
Bischöfe und Gesundheitsministerin sprechen von „Verletzung“ der geltenden Rechtsordnung
Sowohl die Italienische Bischofskonferenz als auch Italiens Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin kritisierten den Beschluß als „Verletzung“ der geltenden Rechtsordnung. Lorenzin gehört der christdemokratischen Partei Neue rechte Mitte (NCD) an, die italienweit als Juniorpartner mit den Linksdemokraten regiert, in der Region Latium aber in der Opposition sitzt.
Im September 2016 hatte Lorenzin mit einer beispielhaften Kampagne für Aufsehen gesorgt: Sie ließ italienweit ein Plakat mit der Aufschrift „Schönheit bleibt, Fruchtbarkeit nicht“ plakatieren, auf dem eine Frau eine laufende Sanduhr hält. Mit dieser Aktion wollte Lorenzin gegen die Geburtenrate mobilisieren, die sich in etlichen westeuropäischen Staaten, darunter auch Italien, seit Jahren auf einem historischen Tiefstand befindet. Der linke Mainstream überschüttete sie dafür mit Hohn und Spott. Das Thema Geburten, Kinder und Fruchtbarkeit darf diesem zufolge in der Öffentlichkeit nur unter den Stichworten Abtreibung und Verhütung behandelt werden.
Ein Blick auf die Schlagzeilen führender deutschsprachiger Medien genügt, um zu sehen, wie die positive Initiative der christdemokratischen Ministerin zunichte gemacht wurde: „Fruchtbarkeitstag empört Italien“ (Augsburger Allgemeine), „Regierungskampagne für mehr Kinder sorgt für Empörung“ (Badische Zeitung), „Mamma mia. Italiens Jugend gegen Fruchtbarkeitstag“ (Süddeutsche Zeitung), „Massive Kritik an Italiens Gesundheitsministerin“ (Die Presse), „Heftige Proteste gegen Italiens Kampagne zur Fruchtbarkeit“ (t‑online.de), „Geburtenkampagne geht nach hinten los“ (ORF), oder noch heftiger: „Rassismusvorwurf gegen italienische Kampagne zur Fruchtbarkeit“ (Der Standard), „Rassismusvorwurf: Fruchtbarkeits-Broschüre zurückgezogen“ (Münchner Merkur) und schließlich „Italien stoppt miserable Fruchtbarkeitskampagne“ (Die Welt).
Die europäischen Völker liegen im Sterben, doch für die Weitergabe des Lebens zu werben, das ist „miserabel“.
Kardinal Ruini: „Abtreibungsgesetz ist da, um zu helfen, nicht abzutreiben“
Kardinal Camillo Ruini, ehemaliger Kardinalvikar von Rom und Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, sieht im neuen Beschluß der Regierung von Latium einen „Zwangsakt“ der Abtreibungsbefürworter, mit dem gegen das Abtreibungsgesetz von 1978 verstoßen werde. Man dürfe „nicht müde werden“, so der Kardinal, daran zu erinnern, daß es nicht dem Ziel und Geist des Abtreibungsgesetzes entspricht, „denen die Abtreibung zu ermöglichen, die abtreiben wollen“. „Geist und Ziel des Gesetzes ist es, wenn schon, ihnen zu helfen, nicht abzutreiben“, so Ruini.
Der Beschluß der Regionalregierung will Abtreibungsärzte bevorzugen und Ärzte, die aus Gewissensgründen verweigern, benachteiligen. Der Hintergedanken, so Corrispondenza Romana, scheint dabei zu sein, junge Mediziner durch schlechtere Berufsaussichten von einer Verweigerung aus Gewissensgründen abzuhalten. Damit haftet dem Beschluß auch der Geruch der Nötigung an.
Der Beschluß wird ein Nachspiel vor dem Verwaltungsgerichtshof haben. Dennoch sei anhand der öffentliche Diskussion festzustellen, so Alfredo De Matteo, daß offenbar beide großen politischen Lager sich mit dem Abtreibungsgesetz und dem Massenmord an unschuldigen Kindern „arrangiert“ haben. Die Linke aus Überzeugung, die Rechte aus Gleichgültigkeit und Opportunismus. Die öffentliche Schlagabtausch, der auf den skandalösen Beschluß der Region folgte, erinnerte mehr an Pflichtübungen. Den „Konsens“ oder Status quo scheint keine nennenswerte politische Kraft ernsthaft in Frage stellen zu wollen. Die Rechte wirkt geistig zu schwach, um einen wirklichen gesellschaftspolitischen Kampf führen und durchzustehen zu können. Geistig ermüdet, beschränken sich die Parteien rechts der Mitte mehr auf das Sichern von Posten und Pöstchen und setzen ihre Energien vor allem auf Wirtschaftsfragen. Um die Gesellschaftspolitik wird ein großer Bogen gemacht. Die ist fest in linker Hand.
Lebensrechtsbewegung muß unermüdlich die ganze Wahrheit über den Greuel der Abtreibung sagen
Aus deren Sicht entspricht der Angriff auf das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen durch und durch ihrer Abtreibungslogik. Die Lebensrechtsbewegung scheint nur im defensiven Bereich Erfolge erzielen zu können, zum Beispiel in der Verteidigung des Rechts auf Verweigerung aus Gewissensgründen, das rechtlich abgesichert ist und vor Gericht Bestand haben wird. Das sei aber zu wenig, so Alfredo De Matteo. Die Lebensrechtsbewegung muß die Wahrheit über den Greuel der Abtreibung sagen, und zwar die ganze Wahrheit. Dadurch muß sie die trägen Parteien zwingen, sich nicht mit der geltenden Abtreibungsgesetzgebung abzufinden. Diese ist in sich ungerecht und daher durch und durch schlecht. Sie enthält nichts Gutes, sondern tritt das grundlegendste Recht aller Rechte mit Füßen, das Recht auf Leben. Ein Gesetz, das dieses elementarste Recht leugnet, enthält implizit auch die Leugnung eines Rechts auf Verweigerung aus Gewissensgründen. Dessen muß man sich bewußt werden. Diese grundsätzlichen Wahrheiten sind öffentlich auszusprechen und immer neu zu wiederholen. Das Böse kann nur zersetzen und zerstören, aber nicht Gutes hervorbringen und aufbauen. Damit wendet es sich letztlich gegen sich selbst. Dem ist das Gute entgegenzusetzen, das allein Gutes hervorbringen und aufbauen kann, so Alfredo De Matteo.
Am kommenden 20. Mai findet in Rom der 7. Marsch für das Leben statt, der innerhalb weniger Jahre zu einer der größte Lebensrechtskundgebungen Europas geworden ist. Eine Gelegenheit, um für die Wahrheit und das Leben ein kräftiges Zeichen zu setzen. „Wir hoffen, daß die Ärzteschaft massiv daran teilnehmen wird“ so De Matteo.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL