Lehrt der neue Glaubenspräfekt, daß sich die Sünder selbst lossprechen können?

Kardinal Gerhard Müller zerlegt die römische Antwort auf die Dubia von Kardinal Duka zu Amoris laetitia


Das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus sorgt weiterhin für Zweifel, Unsicherheit und Widerspruch. Mit gutem Grund, wie Kardinal Müller ausführt.
Das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus sorgt weiterhin für Zweifel, Unsicherheit und Widerspruch. Mit gutem Grund, wie Kardinal Müller ausführt.

Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler schrieb Kar­di­nal Domi­nik Duka und nahm zur Ant­wort des Glau­bens­dik­aste­ri­ums auf des­sen Dubia bezüg­lich Amo­ris lae­ti­tia Stel­lung. Der ehe­ma­li­ge Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on arbei­te­te deut­lich her­aus, daß nicht nur die laut Papst Fran­zis­kus „ein­zig mög­li­che Inter­pre­ta­ti­on“ von Amo­ris lae­ti­tia durch die Bischö­fe von Bue­nos Aires zwei­deu­tig und zwei­fel­haft ist, son­dern die nun­meh­ri­ge Ant­wort des Glau­bens­dik­aste­ri­ums noch weit schwer­wie­gen­de­re Irr­tü­mer enthält.

Anzei­ge

Als ehe­ma­li­ger Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on kommt der Stel­lung­nah­me von Kar­di­nal Mül­ler beson­de­res Gewicht zu. Kar­di­nal Duka hat­te sich mit einer Rei­he von Zwei­feln (Dubia) an Rom gewandt. Grund waren die Richt­li­ni­en der Bischö­fe der Kir­chen­pro­vinz Bue­nos Aires in Argen­ti­ni­en zur Aus­le­gung des umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris lae­ti­tia. Papst Fran­zis­kus hat­te erklärt, die Richt­li­ni­en der argen­ti­ni­schen Bischö­fe sei­en die „ein­zig mög­li­che Inter­pre­ta­ti­on“ sei­nes Schrei­bens. Kar­di­nal Mül­ler zeigt hin­ge­gen auf, daß die Richt­li­ni­en von Bue­nos Aires nicht nur defi­zi­tär, son­dern irr­t­um­be­haf­tet sind. Für die nun­meh­ri­ge Ant­wort des Glau­bens­dik­aste­ri­ums an Kar­di­nal Duka gel­te das aber noch viel mehr, denn das Glau­bens­dik­aste­ri­um habe zu den Wider­sprü­chen neue und noch schwer­wie­gen­de­re hin­zu­ge­fügt. Schien es bis­her so, daß die Beicht­vä­ter bei der Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner zu den Sakra­men­ten groß­zü­gig sein soll­ten, erklär­te nun das Glau­bens­dik­aste­ri­um, neu­er­dings unter der Lei­tung von Berg­o­gli­os Zieh­sohn Vic­tor Manu­el Fernán­dez, den Fran­zis­kus am 30. Sep­tem­ber zum Kar­di­nal erhob, daß die Gläu­bi­gen gar nicht mehr des Beicht­va­ters bedürf­ten, son­dern sich selbst los­spre­chen und vor ihrem Gewis­sen die Zulas­sung zu den Sakra­men­ten ertei­len könn­ten. Der Beicht­va­ter habe die­se Wil­lens­ent­schei­dung zu akzep­tie­ren. Reue, Buße und die Absicht, nicht mehr zu sün­di­gen, wer­den damit in der Fra­ge für irrele­vant erklärt. Kar­di­nal Mül­ler zeigt die­se gra­vie­ren­den Defi­zi­te in der römi­schen Ant­wort auf und wider­spricht ihr ener­gisch. Das, so der Kar­di­nal, sei nicht Leh­re der Kir­che. Das Schrei­ben von Kar­di­nal Mül­ler an Kar­di­nal Duka wur­de heu­te vom Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster publik gemacht. Hier der voll­stän­di­ge Wortlaut:

Eure Eminenz, lieber Bruder Dominik Duka!

Mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit habe ich die „Ant­wort“ des Dik­aste­ri­ums für die Glau­bens­leh­re (DDF) auf Ihre Dubia zum nach­syn­oda­len apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris Lae­ti­tia („Ant­wort auf eine Rei­he von Fra­gen“, im Fol­gen­den „Ant­wort“) gele­sen und möch­te Ihnen mei­ne Ein­schät­zung mitteilen.

Eines der Dubia, die Sie dem DDF vor­ge­legt haben, betrifft die Aus­le­gung von Amo­ris Lae­ti­tia, die in einem Schrei­ben der Bischö­fe der Regi­on Bue­nos Aires vom 5. Sep­tem­ber 2016 ent­hal­ten ist, wonach Geschie­de­nen, die in einer zwei­ten zivi­len Lebens­ge­mein­schaft leben, der Zugang zu den Sakra­men­ten gewährt wird, auch wenn sie sich wei­ter­hin als Mann und Frau ver­hal­ten ohne den Wil­len, ihr Leben zu ändern. Laut der „Ant­wort“ gehört die­ser Text aus Bue­nos Aires zum ordent­li­chen päpst­li­chen Lehr­amt und wur­de vom Papst selbst ange­nom­men. In der Tat erklär­te Fran­zis­kus, daß die von den Bischö­fen von Bue­nos Aires vor­ge­leg­te Inter­pre­ta­ti­on die ein­zig mög­li­che Aus­le­gung von Amo­ris Lae­ti­tia sei. Die „Ant­wort“ zieht dar­aus die Kon­se­quenz, daß man die­sem Doku­ment von Bue­nos Aires die reli­giö­se Zustim­mung des Ver­stan­des und des Wil­lens geben muß, wie es bei ande­ren Tex­ten des ordent­li­chen Lehr­am­tes des Pap­stes geschieht (vgl. Lumen Gen­ti­um, 25,1).

In die­sem Zusam­men­hang ist es zunächst not­wen­dig, vom Stand­punkt der all­ge­mei­nen Her­me­neu­tik des katho­li­schen Glau­bens aus zu klä­ren, was der Gegen­stand der Zustim­mung des Ver­stan­des und des Wil­lens ist, die jeder Katho­lik dem authen­ti­schen Lehr­amt des Pap­stes und der Bischö­fe ent­ge­gen­brin­gen muß. In der gesam­ten Lehr­tra­di­ti­on und ins­be­son­de­re in Lumen Gen­ti­um 25 betrifft die­se reli­giö­se Zustim­mung die Glau­bens- und Sit­ten­leh­re, die die gesam­te Wahr­heit der Offen­ba­rung wider­spie­gelt und garan­tiert. Die Pri­vat­mei­nun­gen von Päp­sten und Bischö­fen sind aus­drück­lich vom Lehr­amt aus­ge­schlos­sen. Dar­über hin­aus wider­spricht jede Form von lehr­amt­li­chem Posi­ti­vis­mus dem katho­li­schen Glau­ben, denn das Lehr­amt kann nicht leh­ren, was nichts mit der Offen­ba­rung zu tun hat, und auch nicht, was aus­drück­lich der Hei­li­gen Schrift („nor­ma norm­ans non nor­ma­ta“), der apo­sto­li­schen Tra­di­ti­on und frü­he­ren end­gül­ti­gen Ent­schei­dun­gen des Lehr­am­tes selbst wider­spricht (Dei Ver­bum, 10; vgl. DH 3116–3117).

Gibt es also eine reli­giö­se Zustim­mung zum Text von Bue­nos Aires? Aus for­ma­ler Sicht ist es bereits frag­wür­dig, die reli­giö­se Zustim­mung des Ver­stan­des und des Wil­lens zu einer theo­lo­gisch zwei­deu­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on einer par­ti­el­len Bischofs­kon­fe­renz (der Regi­on Bue­nos Aires) zu ver­lan­gen, die ihrer­seits eine erklä­rungs­be­dürf­ti­ge Aus­sa­ge von Amo­ris Lae­ti­tia inter­pre­tiert und deren Kohä­renz mit der Leh­re Chri­sti (Mk 10,1–12) in Fra­ge steht.

In der Tat scheint der Text von Bue­nos Aires zumin­dest mit den Leh­ren von Johan­nes Paul II. (Fami­lia­ris Con­sor­tio, 84) und Bene­dikt XVI. (Sacra­men­tum Cari­ta­tis, 29) in Wider­spruch zu ste­hen. Und auch wenn die „Ant­wort“ dies nicht sagt, muß den Doku­men­ten des ordent­li­chen Lehr­am­tes die­ser bei­den Päp­ste auch die reli­giö­se Zustim­mung des Ver­stan­des und des Wil­lens gege­ben werden.

In der „Ant­wort“ wird jedoch behaup­tet, der Text von Bue­nos Aires bie­te eine Aus­le­gung von Amo­ris Lae­ti­tia in Kon­ti­nui­tät mit frü­he­ren Päp­sten. Ist dies wirk­lich der Fall?

Wer­fen wir zunächst einen Blick auf den Inhalt des Tex­tes von Bue­nos Aires, der in der „Ant­wort“ zusam­men­ge­faßt ist. Der ent­schei­den­de Absatz der „Ant­wort“ betrifft das drit­te Dubi­um. Nach der Fest­stel­lung, daß bereits Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. den Zugang zur Kom­mu­ni­on erlaub­ten, wenn sich Geschie­de­ne und Wie­der­ver­hei­ra­te­te zu einem Leben in Ent­halt­sam­keit ver­pflich­ten, wird die Neu­heit von Fran­zis­kus angedeutet:

„Fran­zis­kus hält an dem Vor­schlag der vol­len Ent­halt­sam­keit für die [zivil] wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen in einer neu­en Ehe fest, räumt aber ein, daß es in der Pra­xis Schwie­rig­kei­ten geben kann, und erlaubt daher in bestimm­ten Fäl­len, nach ange­mes­se­ner Unter­schei­dung, die Spen­dung des Sakra­ments der Ver­söh­nung, auch wenn man der von der Kir­che vor­ge­schla­ge­nen Ent­halt­sam­keit nicht treu bleibt“ [im Text unterstrichen].

Die For­mu­lie­rung „auch wenn man der von der Kir­che vor­ge­schla­ge­nen Ent­halt­sam­keit nicht treu bleibt“ kann auf zwei Arten inter­pre­tiert wer­den. Die erste: Die Geschie­de­nen ver­su­chen, in Ent­halt­sam­keit zu leben, aber ange­sichts der Schwie­rig­kei­ten und auf­grund mensch­li­cher Schwä­che gelingt es ihnen nicht. In die­sem Fall könn­te die „Ant­wort“ in Kon­ti­nui­tät mit der Leh­re des hei­li­gen Johan­nes Paul II. ste­hen. Der zwei­te Fall: Die Geschie­de­nen akzep­tie­ren nicht, in Ent­halt­sam­keit zu leben, und ver­su­chen es ange­sichts der Schwie­rig­kei­ten, auf die sie sto­ßen, nicht ein­mal (es besteht also nicht die Absicht, sich zu ändern). In die­sem Fall käme es zu einem Bruch mit dem frü­he­ren Lehramt.

Alles scheint dar­auf hin­zu­deu­ten, daß sich die „Ant­wort“ auf die zwei­te Mög­lich­keit bezieht. In Wirk­lich­keit wird die­se Zwei­deu­tig­keit im Text von Bue­nos Aires auf­ge­löst, der den Fall, in dem zumin­dest ver­sucht wird, in Ent­halt­sam­keit zu leben (Nr. 5), von ande­ren Fäl­len unter­schei­det, in denen dies nicht der Fall ist (Nr. 6). Für die letzt­ge­nann­ten Fäl­le stel­len die Bischö­fe von Bue­nos Aires fest: „In ande­ren, kom­ple­xe­ren Fäl­len und wenn es nicht mög­lich war, eine Nich­tig­keits­er­klä­rung zu erwir­ken, kann die erwähn­te Opti­on [sich um ein Leben in Ent­halt­sam­keit zu bemü­hen] in der Tat nicht prak­ti­ka­bel sein“.

Es stimmt, daß die­ser Satz eine wei­te­re Unklar­heit ent­hält, da es heißt: „und wenn es nicht mög­lich war, eine Nich­tig­keits­er­klä­rung zu erwir­ken“. Eini­ge, die dar­auf hin­wei­sen, daß der Text nicht sagt: „und wenn die Ehe gül­tig war“, haben die­se kom­ple­xen Umstän­de auf jene Fäl­le beschränkt, in denen, selbst wenn die Ehe aus objek­ti­ven Grün­den nich­tig ist, die­se Grün­de vor dem kirch­li­chen Gericht nicht nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen. Wie wir sehen, ist die her­me­neu­ti­sche Fra­ge nicht gelöst, obwohl Papst Fran­zis­kus das Doku­ment von Bue­nos Aires als die ein­zig mög­li­che Inter­pre­ta­ti­on von Amo­ris Lae­ti­tia dar­ge­stellt hat, denn es gibt immer noch unter­schied­li­che Inter­pre­ta­tio­nen des Doku­ments von Bue­nos Aires. Letzt­lich läßt sich sowohl in der „Ant­wort“ als auch im Text von Bue­nos Aires ein Man­gel an Prä­zi­si­on in der For­mu­lie­rung fest­stel­len, der alter­na­ti­ve Inter­pre­ta­tio­nen zuläßt.

Aber selbst wenn man die­se Unge­nau­ig­kei­ten bei­sei­te läßt, scheint klar zu sein, was sowohl die „Ant­wort“ als auch der Text von Bue­nos Aires bedeu­ten. Man könn­te es wie folgt for­mu­lie­ren: Es gibt beson­de­re Fäl­le, in denen es mög­lich ist, einem Getauf­ten, der nach dem Ein­ge­hen einer sakra­men­ta­len Ehe sexu­el­le Bezie­hun­gen zu einer Per­son unter­hält, mit der er eine zwei­te Ver­bin­dung ein­ge­gan­gen ist, nach einer Zeit der Unter­schei­dung die sakra­men­ta­le Abso­lu­ti­on zu ertei­len, ohne daß der Getauf­te den Ent­schluß fas­sen muß, die­se Bezie­hun­gen nicht fort­zu­set­zen, weil er ent­we­der erkennt, daß dies für ihn nicht mög­lich ist, oder weil er erkennt, daß dies nicht Got­tes Wil­le für ihn ist.

Prü­fen wir zunächst, ob die­se Aus­sa­ge mit den Leh­ren von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. über­ein­stim­men kann. Das Argu­ment der „Ant­wort“, daß Johan­nes Paul II. bereits eini­ge die­ser Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on zuge­las­sen habe und Fran­zis­kus daher nur einen Schritt in die­sel­be Rich­tung mache, ist nicht stich­hal­tig. Die Kon­ti­nui­tät liegt näm­lich nicht in der Tat­sa­che, daß eini­ge bereits zur Kom­mu­ni­on hät­ten zuge­las­sen wer­den kön­nen, son­dern in dem Kri­te­ri­um die­ser Zulas­sung. Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. erlau­ben Geschie­de­nen, die aus schwer­wie­gen­den Grün­den zusam­men­le­ben, ohne sexu­el­le Bezie­hun­gen zu haben, die Kom­mu­ni­on zu emp­fan­gen. Aber sie erlau­ben es nicht, wenn die­se Per­so­nen gewohn­heits­mä­ßig sexu­el­le Bezie­hun­gen haben, denn hier liegt eine objek­tiv schwe­re Sün­de vor, in der man ver­har­ren will und die, soweit sie das Ehe­sa­kra­ment berührt, einen öffent­li­chen Cha­rak­ter annimmt. Der Bruch zwi­schen der Leh­re des Doku­ments von Bue­nos Aires und dem Lehr­amt von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. wird deut­lich, wenn man das Wesent­li­che betrach­tet, das, wie gesagt, das Kri­te­ri­um für die Zulas­sung zu den Sakra­men­ten ist.

Um es deut­li­cher zu machen, stel­len wir uns vor, daß ein zukünf­ti­ges DDF-Doku­ment absur­der­wei­se ein ähn­li­ches Argu­ment für die Erlaub­nis der Abtrei­bung in eini­gen Fäl­len vor­schlägt, etwa so: „Johan­nes Paul II., Bene­dikt XVI. und Fran­zis­kus haben die Abtrei­bung in eini­gen Fäl­len bereits erlaubt, zum Bei­spiel wenn die Mut­ter Gebär­mut­ter­krebs hat und die­ser Krebs behan­delt wer­den muß; jetzt ist die Abtrei­bung in eini­gen ande­ren Fäl­len erlaubt, zum Bei­spiel bei Miß­bil­dun­gen des Fötus, in Kon­ti­nui­tät zu dem, was die vor­he­ri­gen Päp­ste gelehrt haben“. Man sieht, wie falsch die­ses Argu­ment ist. Der Fall einer Ope­ra­ti­on bei Gebär­mut­ter­krebs ist mög­lich, weil es sich nicht um eine direk­te Abtrei­bung han­delt, son­dern um eine unbe­ab­sich­tig­te Fol­ge einer Hei­lungs­maß­nah­me an der Mut­ter (gemäß dem soge­nann­ten Prin­zip der dop­pel­ten Wir­kung). Es gäbe kei­ne Kon­ti­nui­tät, son­dern eine Dis­kon­ti­nui­tät zwi­schen den bei­den Leh­ren, da die letz­te­re den Grund­satz leug­net, der für die erste Posi­ti­on maß­geb­lich war und jede direk­te Abtrei­bung ver­ur­teilt hat.

Die Schwie­rig­keit der Leh­re der „Ant­wort“ und des Tex­tes von Bue­nos Aires besteht jedoch nicht nur dar­in, daß sie nicht mit der Leh­re von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. über­ein­stimmt. Die­se Leh­re steht in der Tat im Gegen­satz zu ande­ren Leh­ren der Kir­che, die nicht nur Aus­sa­gen des ordent­li­chen Lehr­am­tes sind, son­dern end­gül­tig als zum Glau­bens­gut gehö­rend gelehrt wurden.

So lehrt das Kon­zil von Tri­ent die fol­gen­den Wahr­hei­ten: daß das Beken­nen aller schwe­ren Sün­den im Sakra­ment der Beich­te für das Heil not­wen­dig ist (DH 1706–1707); daß das Leben in einer zwei­ten Ver­bin­dung als Ehe­mann und Ehe­frau, wäh­rend das ehe­li­che Band besteht, eine schwe­re Sün­de des Ehe­bruchs ist (DH 1807); daß eine Bedin­gung für die Ertei­lung der Abso­lu­ti­on die Reue des Pöni­ten­ten ist, die die Reue über die Sün­de und die Absicht, nicht mehr zu sün­di­gen, ein­schließt (DH 1676; 1704); daß es für den Getauf­ten nicht unmög­lich ist, die gött­li­chen Gebo­te zu beach­ten (DH 1536,1568). Alle die­se Behaup­tun­gen erfor­dern nicht nur eine reli­giö­se Zustim­mung, son­dern müs­sen mit festem Glau­ben geglaubt wer­den, da sie in der Offen­ba­rung ent­hal­ten sind, oder zumin­dest akzep­tiert und fest geglaubt wer­den, da sie von der Kir­che in einer end­gül­ti­gen Wei­se vor­ge­legt wer­den. Mit ande­ren Wor­ten, es geht nicht mehr um die Wahl zwi­schen zwei Aus­sa­gen des ordent­li­chen Lehr­am­tes, son­dern um die Akzep­tanz von kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­ten der katho­li­schen Lehre.

Das Zeug­nis von Johan­nes Paul II., Bene­dikt XVI. und dem Kon­zil von Tri­ent wird letzt­lich auf das kla­re Zeug­nis des Wor­tes Got­tes zurück­ge­führt, dem das Lehr­amt dient. Jede seel­sor­ge­ri­sche Betreu­ung von Katho­li­ken, die nach einer zivi­len Schei­dung in zwei­ter Ehe leben, muß sich auf die­ses Zeug­nis stüt­zen, denn nur der Gehor­sam gegen­über dem Wil­len Got­tes kann dem Heil der Men­schen die­nen. Jesus sagt: „Wer sei­ne Frau ver­stößt und eine ande­re hei­ra­tet, begeht Ehe­bruch mit ihr; und wenn sie, nach­dem sie ihren Mann ver­sto­ßen hat, einen ande­ren hei­ra­tet, begeht sie Ehe­bruch“ (Mk 10,11f). Und die Kon­se­quenz ist: „Weder Hurer noch Ehe­bre­cher […] wer­den das Reich Got­tes erben“ (1 Kor 6,10). Das bedeu­tet auch, daß die­se Geschie­de­nen nicht wür­dig sind, die Kom­mu­ni­on zu emp­fan­gen, bevor sie die sakra­men­ta­le Abso­lu­ti­on erhal­ten haben, die wie­der­um die Reue über die Sün­den und den Wil­len zur Bes­se­rung vor­aus­setzt. Hier fehlt es nicht an Barm­her­zig­keit, son­dern ganz im Gegen­teil, denn die Barm­her­zig­keit des Evan­ge­li­ums besteht nicht dar­in, die Sün­de zu dul­den, son­dern die Her­zen der Gläu­bi­gen zu erneu­ern, damit sie nach der Fül­le der Lie­be leben, die Chri­stus gelebt und uns zu leben gelehrt hat.

Dar­aus folgt, daß die­je­ni­gen, die die Aus­le­gung von Amo­ris Lae­ti­tia, wie sie der Text von Bue­nos Aires und die „Ant­wort“ bie­ten, ableh­nen, nicht des Dis­sen­ses bezich­tigt wer­den kön­nen. Ihr Pro­blem ist nicht, daß sie einen Gegen­satz zwi­schen dem, was sie ver­ste­hen, und dem, was das Lehr­amt lehrt, sehen, son­dern daß sie einen Gegen­satz zwi­schen zwei ver­schie­de­nen Leh­ren des­sel­ben Lehr­am­tes sehen, von denen eine end­gül­tig bestä­tigt wur­de. Der hei­li­ge Igna­ti­us von Loyo­la lädt uns ein zu glau­ben, daß das, was wir als weiß anse­hen, schwarz ist, wenn die hier­ar­chi­sche Kir­che dies vor­schreibt. Aber der hei­li­ge Igna­ti­us for­dert uns nicht auf, unter Beru­fung auf das Lehr­amt zu glau­ben, daß das, was das Lehr­amt selbst uns zuvor in defi­ni­ti­ver Wei­se als weiß gelehrt hat, schwarz ist.

Die Schwie­rig­kei­ten, die der Text der „Ant­wort“ auf­wirft, hören damit nicht auf. In der Tat geht die „Ant­wort“ in zwei schwer­wie­gen­den Punk­ten über das hin­aus, was in Amo­ris Lae­ti­tia und dem Doku­ment von Bue­nos Aires steht.

Der erste Punkt berührt die Fra­ge: Wer ent­schei­det über die Mög­lich­keit der Ertei­lung der sakra­men­ta­len Abso­lu­ti­on an Geschie­de­ne in zwei­ter Ehe am Ende des Unter­schei­dungs­pro­zes­ses? In dem Dubi­um, das Sie, lie­ber Bru­der, dem DDF vor­ge­legt haben, schla­gen Sie meh­re­re Alter­na­ti­ven vor, die Ihnen mög­lich erschei­nen: Es könn­te der Pfar­rer sein, der Bischofs­vi­kar, der Pöni­ten­ti­ar.… Die in der „Ant­wort“ genann­te Lösung muß für Sie eine ech­te Über­ra­schung gewe­sen sein, die Sie sich nicht ein­mal vor­stel­len konn­ten. In der Tat muß nach dem DDF die end­gül­ti­ge Ent­schei­dung von jedem Gläu­bi­gen nach sei­nem Gewis­sen getrof­fen wer­den (Nr. 5). Dar­aus folgt, daß der Beicht­va­ter ledig­lich die­ser Gewis­sens­ent­schei­dung gehorcht. Es fällt auf, daß es heißt, der Mensch müs­se sich „vor Gott stel­len und ihm sein Gewis­sen mit sei­nen Mög­lich­kei­ten und Gren­zen offen­ba­ren“ (ebd.). Wenn das Gewis­sen die Stim­me Got­tes im Men­schen ist (Gau­di­um et Spes, 36), dann ist nicht klar, was „sein Gewis­sen vor Gott stel­len“ bedeu­tet. Es scheint, daß das Gewis­sen hier eher die pri­va­te Sicht­wei­se jedes ein­zel­nen ist, die dann vor Gott gestellt wird.

Aber las­sen wir die­sen Punkt bei­sei­te und kon­zen­trie­ren wir uns auf die über­ra­schen­de Aus­sa­ge des DDF-Tex­tes. Es sind die Gläu­bi­gen selbst, die ent­schei­den, ob sie die Abso­lu­ti­on erhal­ten oder nicht, und der Prie­ster muß die­se Ent­schei­dung nur akzep­tie­ren! Wenn dies gene­rell für alle Sün­den gilt, dann ver­liert das Sakra­ment der Ver­söh­nung sei­ne katho­li­sche Bedeu­tung. Es ist nicht mehr die demü­ti­ge Bit­te eines Men­schen um Ver­ge­bung, der vor einem barm­her­zi­gen Rich­ter steht, der die Auto­ri­tät Chri­sti selbst emp­fängt, son­dern es ist die Los­spre­chung von sich selbst, nach­dem man sein eige­nes Leben erforscht hat. Dies ist nicht weit ent­fernt von einer pro­te­stan­ti­schen Sicht des Sakra­ments, die von Tri­ent ver­ur­teilt wur­de, indem sie auf der Rol­le des Prie­sters als Rich­ter in der Beich­te besteht (vgl. DH 1685; 1704; 1709). Das Evan­ge­li­um sagt in bezug auf die Schlüs­sel­ge­walt: „Was ihr auf Erden löst, wird im Him­mel gelöst sein“ (Mt 16,19). Aber das Evan­ge­li­um sagt nicht: „Was die Men­schen nach ihrem Gewis­sen beschlie­ßen, daß du auf Erden lösen sollst, wird im Him­mel gelöst sein“. Es ist erstaun­lich, daß das DDF dem Hei­li­gen Vater wäh­rend einer Audi­enz einen Text zur Unter­schrift vor­le­gen konn­te, der einen sol­chen theo­lo­gi­schen Irr­tum ent­hält und damit die Auto­ri­tät des Hei­li­gen Vaters kompromittiert.

Die Über­ra­schung ist umso grö­ßer, als die „Ant­wort“ ver­sucht, sich auf Johan­nes Paul II. zu stüt­zen, um zu argu­men­tie­ren, daß die Ent­schei­dung dem ein­zel­nen Gläu­bi­gen obliegt, wobei sie die Tat­sa­che ver­schweigt, daß der zitier­te Text von Johan­nes Paul II. der „Ant­wort“ direkt ent­ge­gen­steht. In der Tat zitiert die „Ant­wort“ Eccle­sia de Eucha­ri­stia, 37b, wo es in bezug auf den Emp­fang der Eucha­ri­stie heißt: „Das Urteil über den Gna­den­stand steht natür­lich nur dem Betref­fen­den zu, da es eine Gewis­sens­ent­schei­dung ist“. Aber sehen wir uns den spä­ter von Johan­nes Paul II. hin­zu­ge­füg­ten Satz an, der in der „Ant­wort“ nicht zitiert wird und der sich als Haupt­ge­dan­ke die­ses Absat­zes aus Eccle­sia de Eucha­ri­stia her­aus­stellt: „In Fäl­len jedoch, in denen ein äuße­res Ver­hal­ten ernst­haft, offen­kun­dig und dau­er­haft gegen die sitt­li­che Norm ver­stößt, kann die Kir­che in ihrer pasto­ra­len Sor­ge um die gute Ord­nung der Gemein­schaft und um die Ach­tung des Sakra­ments nicht umhin, sich in Fra­ge gestellt zu füh­len. Die Norm des Codex des kano­ni­schen Rechts über die Nicht­zu­las­sung zur eucha­ri­sti­schen Gemein­schaft der­je­ni­gen, die hart­näckig in einer offen­kun­di­gen schwe­ren Sün­de ver­har­ren, bezieht sich auf die­se Situa­ti­on der offen­kun­di­gen mora­li­schen Untaug­lich­keit“ (ebd.). Wie man sieht, hat das DDF die Prä­mis­se des Tex­tes von Johan­nes Paul II. aus­ge­wählt, aber die Haupt­schluß­fol­ge­rung weg­ge­las­sen, die der The­se des DDF ent­ge­gen­steht. Wenn das DDF eine Leh­re prä­sen­tie­ren will, die im Gegen­satz zu der des hei­li­gen Johan­nes Paul II. steht, dann soll­te sie zumin­dest nicht ver­su­chen, den Namen und die Auto­ri­tät des hei­li­gen Pap­stes zu benut­zen. Es wäre bes­ser, ehr­lich ein­zu­ge­ste­hen, daß Johan­nes Paul II. nach Ansicht des DDF mit die­ser Leh­re sei­nes Lehr­am­tes falsch lag.

Die zwei­te Neue­rung in der „Ant­wort“ besteht dar­in, daß jede Diö­ze­se ermu­tigt wird, ihre eige­nen Leit­li­ni­en für die­sen Unter­schei­dungs­pro­zeß zu erstel­len. Dar­aus ergibt sich eine unmit­tel­ba­re Schluß­fol­ge­rung: Wenn die Richt­li­ni­en unter­schied­lich sind, wird es pas­sie­ren, daß Geschie­de­ne die Eucha­ri­stie nach den Richt­li­ni­en einer Diö­ze­se emp­fan­gen kön­nen, aber nicht nach denen einer ande­ren. Die Ein­heit der katho­li­schen Kir­che bedeu­te­te von Anfang an die Ein­heit beim Emp­fang der Eucha­ri­stie: Da wir das­sel­be Brot essen, sind wir der­sel­be Leib (vgl. 1 Kor 10,17). Wenn ein katho­li­scher Gläu­bi­ger die Kom­mu­ni­on in einer Diö­ze­se emp­fan­gen kann, kann er sie in allen Diö­ze­sen emp­fan­gen, die in Gemein­schaft mit der Welt­kir­che ste­hen. Das ist die Ein­heit der Kir­che, die auf der Eucha­ri­stie beruht und in ihr zum Aus­druck kommt. Daher ist die Tat­sa­che, daß eine Per­son die Kom­mu­ni­on in einer Orts­kir­che emp­fan­gen kann und in einer ande­ren nicht, eine genaue Defi­ni­ti­on des Schis­mas. Es ist undenk­bar, daß die „Ant­wort“ des DDF so etwas för­dern möch­te, aber dies wären die wahr­schein­li­chen Aus­wir­kun­gen, wenn man sich ihre Leh­re zu eigen macht.

Was ist der Aus­weg für die­je­ni­gen, die der katho­li­schen Leh­re treu blei­ben wol­len, ange­sichts all die­ser Schwie­rig­kei­ten in der „Ant­wort“ des DDF? Ich habe bereits gesagt, daß der Text von Bue­nos Aires und der Text der „Ant­wort“ nicht prä­zi­se sind. Sie sagen nicht klar, was sie mei­nen, und las­sen daher ande­re Inter­pre­ta­tio­nen offen, auch wenn sie unwahr­schein­lich sind. Dies läßt Raum für Zwei­fel an ihrer Aus­le­gung. Ande­rer­seits ist die Art und Wei­se, wie die „Ant­wort“ die Zustim­mung des Hei­li­gen Vaters fest­hält, näm­lich mit einer ein­fa­chen datier­ten Unter­schrift am Fuß der Sei­te, unge­wöhn­lich. Die übli­che For­mu­lie­rung wäre gewe­sen: „Der Hei­li­ge Vater bil­ligt den Text und ord­net sei­ne Ver­öf­fent­li­chung an (oder erlaubt sie)“, aber nichts davon erscheint in die­ser schlecht redi­gier­ten „Note“. Dies eröff­net einen wei­te­ren Zwei­fel an der Auto­ri­tät der „Ant­wort“.

Die­se Fra­gen erlau­ben uns, ein neu­es Dubi­um auf­zu­wer­fen, ent­spre­chend dem, was ich zuvor for­mu­liert habe: Gibt es Fäl­le, in denen es mög­lich ist, einem Getauf­ten, der sexu­el­le Bezie­hun­gen zu einer Per­son unter­hält, mit der er in einer zwei­ten Ver­bin­dung lebt, nach einer Zeit der Unter­schei­dung die sakra­men­ta­le Abso­lu­ti­on zu ertei­len, wenn die­ser Getauf­te nicht den Wunsch hat, eine Ent­schei­dung zu tref­fen, die­se Bezie­hun­gen nicht fortzusetzen?

Lie­ber Bru­der, solan­ge die­ses Dubi­um nicht geklärt ist, bleibt die Auto­ri­tät der „Ant­wort“ auf Ihre Dubia und die Auto­ri­tät des Brie­fes von Bue­nos Aires in der Schwe­be, da die­se Tex­te Unge­nau­ig­kei­ten ent­hal­ten. Dies läßt einen klei­nen Spiel­raum für die Hoff­nung, daß es eine nega­ti­ve „Ant­wort“ auf die­ses Dubi­um geben wird. In die­sem Fall wären die Haupt­nutz­nie­ßer nicht die Gläu­bi­gen, die ohne­hin nicht ver­pflich­tet wären, eine posi­ti­ve „Ant­wort“ auf das Dubi­um als Wider­spruch zur katho­li­schen Leh­re zu akzep­tie­ren. Der Haupt­nutz­nie­ßer wäre die Auto­ri­tät, die auf das Dubi­um ant­wor­tet, die unver­sehrt blie­be, da sie die Gläu­bi­gen nicht mehr um die reli­giö­se Zustim­mung des Ver­stan­des und des Wil­lens zu Wahr­hei­ten bit­ten wür­de, die der katho­li­schen Leh­re widersprechen.

In der Hoff­nung, daß die­se Erläu­te­rung die Bedeu­tung der „Ant­wort“, die Sie von dem DDF erhal­ten haben, klärt, sen­de ich Ihnen mei­ne brü­der­li­chen Grü­ße in Domi­no Iesu,

+ Card. Ger­hard Lud­wig Mül­ler, Rom

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wikicommons/​OnePeterFive

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