
Von Pater Paolo M. Siano*
Im Juli 2025 kündigte Kardinal Victor Manuel Fernández an, daß das von ihm geleitete Dikasterium für die Glaubenslehre demnächst ein Dokument zu „verschiedenen marianischen Themen“ veröffentlichen werde. Genau ein Jahr zuvor (Juli 2024) hatte besagtes Dikasterium Stellung bezogen gegen: 1) die angeblichen Erscheinungen Unserer Lieben Frau aller Völker in Amsterdam; 2) die Möglichkeit eines dogmatischen Titels „Maria als Miterlöserin“; 3) den Marientitel „Miterlöserin“, wobei es sich dabei auf zwei Reden von Papst Franziskus bezog – die Predigt vom 3. April 2020 sowie die Generalaudienz vom 24. März 2021 (vgl. L’Osservatore Romano, Donnerstag, 11. Juli 2024, S. 8).
Vor wenigen Tagen erreichte mich die „Stimme“, daß das Glaubensdikasterium im kommenden Monat ein Dokument veröffentlichen werde, das – offenbar ausführlicher – den Titel und die Rolle Mariens als Corredemptrix und Mediatrix kritisieren werde. Angesichts der zuvor genannten Ereignisse (Juli 2024 und 2025) halte ich diese „Stimme“ für glaubwürdig. In Erwartung dieses Dokuments verweise ich die Leser zunächst auf meine Artikel, in denen ich die Zulässigkeit des marianischen Titels Miterlöserin verteidige, wie er seit etwa vier Jahrhunderten von katholischen Theologen, Bischöfen und Päpsten verwendet und erklärt wird: Selbstverständlich bedeutet dieser Marientitel keineswegs eine Gleichstellung mit Christus als Erlöser (wie es offenbar von seinen Gegnern mißverstanden wird, unter ihnen Papst Franziskus und das Glaubensdikasterium), sondern bezeichnet vielmehr eine kooperative, Christus untergeordnete Mitarbeit am Erlösungswerk. Darüber hinaus ist zwischen der Lehre von der marianischen Miterlösung und dem Titel Miterlöserin zu unterscheiden. Die miterlösende Lehre wird bereits seit der Zeit der Kirchenväter gelehrt, beispielsweise von den Heiligen Justinus und Irenäus (Maria als Neue Eva). Der Titel Corredemptrix ist jüngeren Datums, wohl mindestens seit dem 15. Jahrhundert, ist aber dennoch legitim und katholisch, sofern er richtig verstanden wird.
Hier die Artikel, auf die ich mich beziehe:
1. Die „Corredemptrix“ im 17. und 18. Jahrhundert
2. Die „Corredemptrix“ im 19. Jahrhundert
3. Die „Corredemptrix“ im 20. Jahrhundert bis Papst Pius XI.
4. Die „Corredemptrix“ im 20. Jahrhundert zur Zeit Papst Pius‘ XII.
5. Die „Corredemptrix“ in der ‚vorbereitenden‘ Phase des Zweiten Vatikanischen Konzils
6. Die „Corredemptrix“ auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil
7. Die „Corredemptrix“ zur Zeit von Papst Paul VI.
8. Die „Corredemptrix“ zur Zeit von Papst Johannes Paul II.
9. Die „Corredemptrix“ zwischen Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus
[Die Übersetzung der Artikelreihe ins Deutsche wird vervollständigt.]
Zusammenfassend läßt sich sagen: Der marianische Titel Miterlöserin wurde seit dem Ende des 16. Jahrhunderts von herausragenden Theologen (Jesuiten, Dominikanern, Franziskanern usw.) positiv verwendet, beispielsweise vom Jesuiten P. Alfonso Salmerón, Theologe beim Konzil von Trient. Auffällig ist jedoch, daß das Heilige Offizium in den Jahren 1620 in Mantua, 1723 in Bologna und 1743 in Ascoli Piceno diesen Titel beanstandete. Angesichts der Zeitspanne, im 17. und 18. Jahrhundert, kann man vielleicht den Einfluß von jansenistischen, protestantenfreundlichen oder aufklärerisch-rationalistischen Vorurteilen auf einige Persönlichkeiten des Heiligen Offiziums jener Zeit vermuten. Fakt ist jedoch, daß abgesehen von diesen drei ungewöhnlichen Eingriffen aus Rom der Titel Corredemptrix in der katholischen Theologie von Theologen und Predigern positiv gebraucht wurde. Auch der Bischof (und spätere Kirchenlehrer) Sankt Alphons Maria von Liguori verwendete ihn – allerdings nur einmal –, wobei er den Marientitel „Mediatrix“ (den wir auch im Zweiten Vaticanum, „Lumen Gentium“ 62, finden) ausführlicher gebrauchte.
Der Titel Miterlöserin tauchte nach der Unterbrechung durch die Französische Revolution und das napoleonische Kaiserreich wieder auf. Katholische Theologen und Prediger, auch Bischöfe, riefen Maria als Corredemptrix an, was auch in den Acta Sanctae Sedis zur Zeit der Päpste Leo XIII. und Pius X. in positivem Sinne erschien – letzterer ein anti-modernistischer Papst, dessen Orthodoxie ohne Zweifel beispielhaft und unanfechtbar ist. Im 20. Jahrhundert wurde der Marientitel Miterlöserin weiterhin positiv nicht nur von Theologen, Predigern und Bischöfen, sondern auch von Päpsten verwendet: Pius XI. (viermal), Pius XII. (einmal in einem Brief auf spanisch), Johannes Paul II. (etwa siebenmal). Viele wissen vielleicht nicht (oder haben es vergessen), daß in den Acta Synodalia des Zweiten Vatikanischen Konzils (den „Acta“, nicht den „Documenta“) das von Papst Johannes XXIII. genehmigte mariologische Schema anerkennt, daß der marianische Titel „Miterlöserin der Menschheit“ an sich sehr wahr ist, aber aus ökumenischen Gründen in den Konzilsdokumenten keine Verwendung fand. Er bleibt jedoch ein wahrer Titel!
Im Buch „Gli appelli del Messaggio di Fatima“ („Die Appelle der Fatima-Botschaft“, Libreria Editrice Vaticana 2001), das von der damaligen Glaubenskongregation geprüft wurde, verwendet die Seherin Schwester Lucia den marianischen Titel „Miterlöserin“ achtmal, selbstverständlich in positivem Sinne.
Trotz all dieser corredemptorischen Tradition, die seit dem 17. Jahrhundert von Heiligen, Theologen, Predigern, Bischöfen und Päpsten vorangetragen wird, gelangte man zu Papst Franziskus, der zum Titel „Miterlöserin“ sich dreimal (2019, 2020, 2021) ablehnend äußerte, wenn auch implizit (trotz seines Mißfallens?) einräumte, daß es einer der „schönen Titel“ sei, eines der „schönen Dinge“, die „die christliche Frömmigkeit“, „die Kirche“ und „die Heiligen“ Maria zugeschrieben hätten (vgl. L’Osservatore Romano, Mittwoch, 24. März 2021, S. 8). Da frage ich mich: Wollen wir im 21. Jahrhundert wirklich gegen die Heiligen, die christliche Frömmigkeit und die Kirche „der Vergangenheit“ (vor und nach dem Konzil!) opponieren, die Maria auch mit dem Titel Miterlöserin anriefen? Halten wir uns für klüger, katholischer, „erleuchteter“ als jene, die uns vorausgingen und Maria ebenfalls so nannten? Die Antwort überlasse ich dem Leser.
Erwähnenswert ist zudem (ein Scherz der Vorsehung?), daß gerade im Pontifikat von Papst Franziskus der Marientitel Miterlöserin im Osservatore Romano mehrfach positiv verwendet wurde, nicht nur viermal, wie von mir in einem früheren Artikel angegeben. Weitere Recherchen ergaben, daß in der „Tageszeitung des Papstes“ und deren Monatsmagazin Donne Chiesa Mondo der Titel Miterlöserin insgesamt mindestens zwölfmal positiv verwendet wurde, davon neunmal in bezug auf eine kongolesische Ordensschwester, die von Papst Franziskus sehr geschätzt und mehrfach in vatikanischen Medien zitiert wurde: Schwester Rita Mboshu Kongo aus der Kongregation der Töchter Mariens, der allerheiligsten Miterlöserin. Während Papst Franziskus den Titel also dreimal kritisierte, berichteten vatikanische Medien von 2013 bis 2023 mindestens neunmal positiv über ihn, und sei es nur, indem sie einfach die Zugehörigkeit der Schwester zu dieser Kongregation nannten: Töchter Mariens, der allerheiligsten Miterlöserin!
Ferner sei erwähnt, daß der sizilianische Episkopat am 16. Februar 1969 das „Credo des Gottesvolkes“ promulgierte (vgl. Lettere Pastorali 1968–1969, unter der Schirmherrschaft von Seiner Eminenz Kardinal Antonio Poma, Erzbischof von Bologna und Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, Centro Francescano „Magistero Episcopale“, Verlag Magistero Episcopale, Verona 1971, S. 953–968).
Die Bischöfe Siziliens erklärten unter anderem: „Wir glauben, daß Maria unsere Miterlöserin ist, weil sie durch ein inniges und unauflösliches Band – nicht als passives Werkzeug, sondern in freier Teilnahme – mit den Geheimnissen der Inkarnation und Erlösung verbunden ist“ (S. 958).
In dem Hirtenbrief „Der Priester und die Eucharistie“ („Il Sacerdote e l’Eucaristia“), veröffentlicht im Bollettino Diocesano Nolano im Juni 1979 (vgl. Lettere Pastorali 1978–1979, S. 369–402), bezeichnete der damalige Bischof von Nola, Monsignore Guerino Grimaldi, Maria als Miterlöserin (S. 397) und „universelle Vermittlerin der Gnade“ (S. 398).
In der dominikanischen Zeitschrift für Philosophie und Theologie Divus Thomas, Band 78, Nr. 4 (1975), fragt Pater Angelo Perego SJ (1913–1988) im Artikel „Konziliare Öffnung für die marianischen Titel Miterlöserin und Mittlerin aller Gnaden“ (S. 363–375):
„[…] Doch kann man nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil noch von der Miterlösung und Mittlerschaft Mariens sprechen? Soll man sagen, diese Marientitel müßten fallengelassen werden, weil das Konzil in dieser Hinsicht zurückhaltend war? Diese besondere Frage sollen die folgenden Seiten beantworten, indem sie zeigen, daß das Konzil die Beseitigung solcher marianischer Attribute nicht verlangt, sondern vielmehr einige theologische Vertiefungslinien für eine solide doktrinäre Ausarbeitung vorschlägt“ (S. 364).
Weiter schreibt Pater Perego:
„Wie Maria intuitu meritorum Christi durch eine präventive Erlösung qualitativ anders erlöst wurde als andere Menschen und deshalb unbefleckt ist, während die anderen es nicht sind, so sieht man ohne Herabsetzung der Würde und des Werkes Christi, ja gerade aufgrund dieses Werkes, keinen Grund, warum Maria nicht Corredemptrix und Mediatrix sein sollte, allerdings in einem spezifisch anderen Sinn als die anderen Heiligen, die abhängig von Christus und aufgrund seiner Verdienste zur Rettung der Seelen mitwirken. Schon aus dieser Überlegung wird deutlich, daß die mariologische Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils keineswegs ein endgültiges Ende der besonderen Funktion Mariens als Miterlöserin und Mittlerin bedeutet. Vielmehr scheint es auf der Grundlage der Konzilstexte, in denen die außergewöhnliche und ganz besondere Vereinigung Marias mit ihrem Sohn im Erlösungswerk betont wird, möglich, eine Mariologie zu entwickeln, die nicht minimalistisch gegenüber der Funktion und Rolle der Jungfrau im Heilsplan der Erlösung ist. Deshalb wäre es willkürlich, auf dem Verhalten des Konzils eine Einschränkung der Freiheit der Theologen zu begründen, diese marianischen Titel Miterlöserin und Mittlerin theologisch vertieft zu erforschen“ (S. 373).
Am Ende seines Artikels stellt A. Perego fest:
„Die besondere Funktion Mariens als Miterlöserin und Mittlerin ersetzt keineswegs das Wirken des Heiligen Geistes, sondern zeigt vielmehr, wie weit die charismatische Wirkung des Geistes in einer einfachen Kreatur gehen kann. Wie Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes Mutter Gottes ist, so ist sie durch dasselbe Wirken unsere Mutter in geistlicher Hinsicht, das heißt, sie hat uns zum übernatürlichen Leben geboren, indem sie in besonderer Weise an der Erlösung mitwirkte, und sie nährt uns beständig in diesem übernatürlichen Leben mit Gnaden, die durch ihre Hände kommen. Die Lehre von der Miterlösung und Mittlerschaft Mariens ist daher nicht durch die Mariologie des Zweiten Vatikanischen Konzils überholt. Vielmehr enthält das Konzil sie in verschiedenen Formen in der Lehre von Mariens geistlicher Mutterschaft und schließt sie deshalb nicht aus, sondern regt ihre besondere Vertiefung in bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche an“ (S. 375.
Weise und vorausschauende Worte.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In zahlriechen seiner Veröffentlichungen geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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