Hinter dem Trump-Attentat

Traum und Wirklichkeit


Am 14. Juli wurde Donald Trump beinahe Opfer eines Mordanschlags. Der Schnappschuß eines AP-Fotografen, der Trump im Moment kurz nach dem Attentat zeigt, prägt die Wahrnehmung
Am 14. Juli wurde Donald Trump beinahe Opfer eines Mordanschlags. Der Schnappschuß eines AP-Fotografen, der Trump im Moment kurz nach dem Attentat zeigt, prägt die Wahrnehmung

Von Rober­to de Mattei*

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Poli­ti­sche Ver­bre­chen kenn­zeich­nen nicht nur die ame­ri­ka­ni­sche Geschich­te, in der inner­halb von hun­dert Jah­ren vier Prä­si­den­ten ermor­det wur­den, son­dern sind im Westen Teil der Geschich­te der Macht. Geor­ge Minois, ein fran­zö­si­scher Histo­ri­ker, der die­sem The­ma ein Buch gewid­met hat („Le cou­teau et le poi­son. L’assassinat poli­tique en Euro­pe 1400–1800″, Fay­ard, Paris 1997), stellt fest, daß der Mord am Ende des Mit­tel­al­ters, im Zeit­al­ter des Huma­nis­mus und der Renais­sance, Teil der poli­ti­schen Pra­xis wur­de. Damals waren Gift und Dolch die bevor­zug­ten Mit­tel, um poli­ti­sche Geg­ner nie­der­zu­hal­ten, ohne daß dies bedeu­te­te, die Grund­sät­ze der bestehen­den Ord­nung in Fra­ge zu stel­len. Nach der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on erhielt das poli­ti­sche Ver­bre­chen eine ideo­lo­gi­sche Dimen­si­on, die in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten unbe­kannt war. Die auf­ein­an­der­fol­gen­den Kom­plot­te und Atten­ta­te gin­gen nicht auf Palast­ver­schwö­run­gen oder Hof­in­tri­gen zurück, son­dern waren das Ergeb­nis eines poli­ti­schen und ideo­lo­gi­schen Projekts.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr­hun­derts hat die revo­lu­tio­nä­re Lin­ke mit Hun­der­ten von Auf­stän­den und Anschlä­gen ganz Euro­pa mit Blut über­zo­gen. Unter den Schlä­gen der Anar­chi­sten und der Geheim­bün­de fie­len Zar Alex­an­der II. (1881), der Prä­si­dent der Fran­zö­si­schen Repu­blik Sadi Car­not (1894), Kai­se­rin Eli­sa­beth von Öster­reich (1898), König Umber­to I. von Ita­li­en (1900), US-Prä­si­dent Wil­liam McKin­ley (1901), König Alex­an­der von Ser­bi­en (1903), König Karl I. von Por­tu­gal (1909), König Georg I. von Grie­chen­land (1913) und schließ­lich Erz­her­zog Franz Fer­di­nand von Öster­reich. Die­ses letz­te poli­ti­sche Atten­tat, das am 28. Juni 1914 ver­übt wur­de, war der Aus­lö­ser für den Ersten Weltkrieg.

Revo­lu­tio­nä­re poli­ti­sche Mor­de haben nichts mit der katho­li­schen Theo­rie des Tyran­nen­mords zu tun, die der hei­li­ge Tho­mas von Aquin in der Sum­ma Theo­lo­giae (I‑II, q. 105, a. 1 ad 2) und De Regi­mi­ne prin­ci­pum (I, 6) dar­ge­legt hat. Nach Ansicht des Doc­tor Ange­li­cus kann ein Tyrann, der sei­ne Herr­schaft miß­braucht, nicht durch Pri­vat­in­itia­ti­ve getö­tet wer­den, aber wenn es für das Gemein­wohl not­wen­dig ist und es kei­ne höhe­re Instanz gibt, an die man sich wen­den kann, kann sich das gan­ze Volk gegen ihn erhe­ben. In der Nach­fol­ge des hei­li­gen Tho­mas von Aquin tra­ten zwi­schen dem 16. und 17. Jahr­hun­dert die Dok­to­ren der Zwei­ten Scho­la­stik, Robert Bell­ar­min und Fran­cis­co Sua­rez, auf, die den Auf­stand gegen den Für­sten erlaub­ten, sofern das Gemein­wohl dies erfor­der­te und es eine ernst­haf­te und kon­kre­te Aus­sicht auf Erfolg gab. In die­sem Sin­ne ermu­tig­te der hei­li­ge Pius V. zum Auf­stand gegen die eng­li­sche Köni­gin Eli­sa­beth I., die er 1570 exkom­mu­ni­zier­te und für ent­thront erklär­te. Tho­mas von Aquin und die deut­schen Ver­schwö­rer vom 20. Juli 1944 wur­den von Oberst Jean-Marie Bastien-Thiry zu sei­ner Ver­tei­di­gung ange­führt, der am 11. März 1963 nach dem geschei­ter­ten Atten­tat von Petit-Clamart auf den fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten Charles De Gaul­le erschos­sen wurde.

Im 20. Jahr­hun­dert gab es zahl­rei­che poli­ti­sche Atten­ta­te, von denen eini­ge noch immer geheim­nis­um­wit­tert sind, wie die auf US-Prä­si­dent John Fitz­ge­rald Ken­ne­dy (1963) und Papst Johan­nes Paul II. (1981), aber nie ohne Auf­trag­ge­ber oder Kom­pli­zen aus Poli­tik und Ideologie.

Im 21. Jahr­hun­dert wer­den Anschlä­ge ver­übt, die nicht poli­tisch moti­viert sind, son­dern häu­fig auf Haß, Fru­stra­ti­on, Gel­tungs­drang oder den Wahn­sinn ein­zel­ner zurück­zu­füh­ren sind. Zu den sozia­len Ursa­chen, die in Ame­ri­ka zur Recht­fer­ti­gung poli­ti­scher Gewalt­ak­te ange­führt wer­den, gehört der freie Zugang zum Waf­fen­markt, aber die Patho­lo­gie der Gewalt ist auch in Euro­pa ver­brei­tet und braucht kei­ne Waf­fen, um ihren zer­stö­re­ri­schen Geist zum Aus­druck zu brin­gen. In Wirk­lich­keit gibt es in den USA wie in Euro­pa eine Pan­de­mie von Gei­stes­krank­hei­ten, die den Nähr­bo­den für jede Art von Gewalt bil­den. Der bri­ti­sche Histo­ri­ker Niall Fer­gu­son zitiert einen sei­ner Kol­le­gen von der New York Uni­ver­si­ty: „In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten gab es noch nie eine Gene­ra­ti­on, die so ‚depres­siv, ängst­lich und zer­brech­lich‘ war wie die Gene­ra­ti­on Z, die zwi­schen 1997 und 2012 gebo­re­nen Ame­ri­ka­ner, mit ‚außer­or­dent­lich hohen Raten von Angst, Depres­si­on, Selbst­ver­let­zung, Selbst­mord und Zer­brech­lich­keit‘“ (Il Foglio, 6. März 2023).

Die wahn­sin­ni­gen Hand­lun­gen von Ein­zel­per­so­nen stel­len kei­nen Aus­nah­me­fall dar, son­dern sind Aus­druck der psy­chi­schen Labi­li­tät der west­li­chen Gesell­schaft, die den Gebrauch der Ver­nunft ver­liert, weil sie die Eck­pfei­ler des Glau­bens und des Natur­rechts ver­lo­ren hat. Aus­druck die­ser intel­lek­tu­el­len Labi­li­tät ist der Erfolg vir­tu­el­ler Bewe­gun­gen wie QAnon und Blue­A­non, spie­gel­bild­li­che Aus­prä­gun­gen des  rechts- und links­extre­men Neo-Kom­plot­tis­mus. Das geschei­ter­te Atten­tat auf Donald Trump am 14. Juli in der Stadt But­ler löste eine Flut von Wort­mel­dun­gen in den sozia­len Medi­en aus, bei denen das Nar­ra­tiv über das, was pas­siert ist, wich­ti­ger ist als das, was pas­siert ist. QAnon, das die Covid-Pan­de­mie als eine zur Unter­wer­fung der Mensch­heit orga­ni­sier­te Far­ce bezeich­net hat­te, sagt, es sei sicher, daß ein „anti­fa­schi­sti­scher Ter­ro­rist“, der mit dem israe­li­schen Mos­sad unter einer Decke stecke, auf Trump geschos­sen habe.  Blue­A­non erwi­dert, daß die Schie­ße­rei ein insze­nier­tes Atten­tat war, das mit Unter­stüt­zung der Geheim­dien­ste orga­ni­siert wor­den sei, um Trump zum Hel­den zu machen. „Noch nie in der Geschich­te“, schreibt der Jour­na­list Gian­ni Riot­ta unter Beru­fung auf eine Unter­su­chung des Luiss Data­l­ab und der Ita­li­an Digi­tal Media Obser­va­to­ry UE  (Teil der Euro­päi­schen Beob­ach­tungs­stel­le für digi­ta­le Medi­en EDMO), „hat ein ein­zi­ges Ereig­nis sol­che Mas­sen an Des­in­for­ma­ti­on aus­ge­löst, die es in bezug auf Umfang und Online-Durch­drin­gung mit den tra­di­tio­nel­len Quel­len auf­neh­men kön­nen“ (La Repubbli­ca, 16. Juli 2024). 

Der außer­ge­wöhn­li­che Schnapp­schuß von  Asso­cia­ted Press, auf dem Donald Trump blu­tend mit erho­be­ner Faust und der ame­ri­ka­ni­schen Flag­ge im Hin­ter­grund zu sehen ist, ver­mit­telt das Bild eines kämp­fe­ri­schen und ent­schlos­se­nen Anfüh­rers. Das Foto wur­de  jedoch umge­hend von den Geg­nern durch künst­li­che Intel­li­genz retu­schiert und zeigt den Agen­ten im Vor­der­grund, der zufrie­den lacht. Laut lin­ken Glo­ba­li­sten sei die Schie­ße­rei von Trump selbst ermu­tigt, mög­li­cher­wei­se sogar orga­ni­siert wor­den. Für die rech­ten Anti-Glo­ba­li­sten ist der Ver­such, Trump zu eli­mi­nie­ren, hin­ge­gen Teil einer Rei­he von kri­mi­nel­len Anschlä­gen, die bereits gegen den slo­wa­ki­schen Mini­ster­prä­si­den­ten Robert Fico und den unga­ri­schen Mini­ster­prä­si­den­ten Vik­tor Orbán wegen ihrer Oppo­si­ti­on gegen die Neue Welt­ord­nung ver­übt wur­den. Die Stär­ke der gegen­sätz­li­chen Nar­ra­ti­ve ist in Wirk­lich­keit das äußerst schwa­che ‚cui pro­dest‘.

Sind wir bei­spiels­wei­se sicher, daß die Besei­ti­gung von Donald Trump nur der glo­ba­li­sti­schen Lin­ken nüt­zen wür­de? In einem Arti­kel in Il Cor­rie­re del­la Sera vom 15. Juli stellt Pao­lo Mie­li fest, daß Trump eine Per­sön­lich­keit ist, von der man sich alles erwar­ten kann, und daß sei­ne Wahl den Fein­den des Westens kei­nen siche­ren Vor­teil bie­ten wür­de: „Für Mos­kau, Peking und Tehe­ran wäre ein Bür­ger­krieg, der die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zer­rüt­tet, auf jeden Fall beque­mer als Trumps Unbe­re­chen­bar­keit.“ Die Nach­richt von der Exi­stenz eines ira­ni­schen Kom­plotts zur Ermor­dung Trumps (ver­brei­tet von der New York Times am 16. Juli) scheint Mie­lis Ana­ly­se zu bestä­ti­gen, was natür­lich nicht bedeu­tet, daß Tehe­ran, Mos­kau oder Peking hin­ter dem Atten­tat auf Trump stecken, son­dern ledig­lich, daß es kei­ne Bewei­se dafür gibt, daß der „Deep Sta­te“ sei­ne Hand im Spiel hat.

Die Mos­kau-Kor­re­spon­den­tin von La Repubbli­ca, Rosal­ba Castel­let­ti, berich­te­te am 16. Juli, daß es einen Film gibt, der von Kreml-Ana­ly­sten wie eine Vor­her­sa­ge ange­se­hen wird: „Civil War“ von Alex Gar­land. Der Film zeigt den statt­fin­den­den Zer­fall der Ver­ei­nig­ten Staa­ten durch die Augen zwei­er Pres­se­fo­to­gra­fen, die durch ein ver­wü­ste­tes Land rei­sen. In Mos­kau wird die­ses Sze­na­rio als das Schick­sal des Westens gese­hen, das auch das Ergeb­nis der gei­sti­gen Ver­wir­rung ist, in dem sich die­ser befin­det. Des­halb muß man sich ange­sichts von Ereig­nis­sen wie dem Atten­tat vom 14. Juli an die Rea­li­tät der Fak­ten hal­ten, ohne von ihr abzu­wei­chen und ohne sich in ima­gi­nä­ren Erzäh­lun­gen zu ver­lie­ren. Donald Trump lebt, weil die Kugeln, die auf ihn abge­feu­ert wur­den, ihn um weni­ge Mil­li­me­ter ver­fehlt haben, und er ist auf dem besten Weg, der näch­ste Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu wer­den. Aber noch ist alles mög­lich. Nur Gott sieht vor­aus, bestimmt und kennt das Geheim­nis der geschicht­li­chen Ereig­nis­se. Wer behaup­tet, die ver­bor­ge­ne Wahr­heit von allem zu ken­nen, und jedes Ereig­nis den Manö­vern von Men­schen zuschreibt, läuft Gefahr, in einer Welt der Träu­me zu leben. Es erwar­tet ihn lei­der ein böses und dra­ma­ti­sches Erwachen.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/agendadigitale.eu

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