Von Roberto de Mattei*
Nur wenige kennen und beten zum heiligen Josef Freinademetz, einem missionarischen Heiligen, der unsere Verehrung in der gegenwärtigen Stunde verdient.
Josef wurde am 15. April 1852 in Oies im Gadertal, einem Dorf inmitten von Wiesen und Wäldern am Fuß hoher Berge, als Sohn einer tiefgläubigen Bauernfamilie geboren. Er war Tiroler, genauer gesagt Ladiner, Untertan von Franz Joseph, Kaiser von Österreich-Ungarn. Die Ladiner sind eine kleine Sprachgruppe in einigen Dolomitentälern in der Diözese Brixen. In dieser kleinen Bischofsstadt in Südtirol wurde Josef am 25. Juli 1875 zum Priester geweiht. Er entschied sich, Missionar zu werden, und trat in die einige Jahre zuvor vom heiligen Arnold Janssen (1837–1909) gegründete Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Steyler Missionare) ein.
Am 2. März 1879 erhielt er von Papst Leo XIII. das Missionskreuz, kehrte seiner Heimat, einem der schönsten Orte der Welt, den Rücken und reiste nach China, um nie wieder nach Europa zurückzukehren. Er missionierte hauptsächlich im südlichen Shandong-Gebiet. China war für ihn ein Kampffeld, und der Missionar war entschlossen, hart für die Bekehrung eines Volkes zu kämpfen, das den wahren Gott noch nicht kannte. „Ich bin schon mehr Chinese als Tiroler und will auch im Himmel Chinese bleiben“, schreibt er am 9. Februar 1892.
Im Jahr 1899 begann der Aufstand der Boxer, eines antichristlichen Geheimbundes, der vom kaiserlichen Hof in Peking unter der Führung von Kaiserinmutter Cixi (1835–1908) unterstützt wurde. Der Krieg gegen die westliche Präsenz in China, der direkt in Shandong ausbrach, setzte im Juni 1900 ein und dauerte bis September 1901. Tausende Katholiken starben als Märtyrer. Unter ihnen die heiligen Franziskanerbischöfe Antonino Fantosati, Apostolischer Vikar von Süd-Hunan, und Gregorio Maria Grassi, Apostolischer Vikar von Nord-Shansi, der zusammen mit seinem Koadjutor-Vikar, dem heiligen Francesco Fogolla, getötet wurde. Pater Freinademetz trotzte dem Tod, indem er seine Missionsstation nicht verließ. Am 6. Juli 1901 schrieb er an seine Geschwister.
„Die Gefahren des vergangenen Jahres waren so zahlreich und so groß, daß fast alle, sogar unsere Missionare, mich schon für verloren hielten. Ich war des Martyriums so vieler anderer aber nicht würdig. Ihr werdet sicher gehört haben, daß vier Bischöfe, etwa vierzig Missionare und vielleicht zwanzig- oder dreißigtausend Christen getötet wurden. Was für Verfolgungen, was für Schrecken, was für Qualen! Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie sehr diese armen Christen leiden mußten.“
Innerhalb kurzer Zeit unternahm ein Bündnis von acht Nationen eine Militärexpedition nach China und besetzte Peking. Die Shandong-Mission konnte ihr Apostolat wieder aufnehmen und Pater Freinademetz wurde zum Provinzoberen der Steyler-Missionare ernannt. Die letzten Jahre seines Lebens waren bitter für ihn wegen eines schmerzlichen Konfliktes mit seinem einstigen Missionsgefährten Johann Baptist von Anzer (1851–1903), dessen Verhalten er nicht guthieß.
Pater Freinademetz verfaßte eine Denkschrift, in dem er die einzelnen Vorwürfe gegen seinen Vorgesetzten darlegte. Die Congregatio de Propaganda Fide lud Bischof Anzer nach Rom ein, wo er 1903 verstarb. Der neue Bischof hätte Josef Freinademetz heißen sollen, aber Kardinal Kopp, Fürstbischof von Breslau, sprach das Veto der deutschen Reichsregierung gegen ihn aus, weil Pater Freinademetz Österreicher war. Der Missionar verbarg seine Enttäuschung nicht. „Nicht deshalb, weil ich nicht Bischof werden kann – vielleicht ist niemand überzeugter als ich, wie sehr diese Ehre meinem Denken fremd ist, und das sage ich aus tiefstem Herzen –, sondern, weil ich aus Prinzip ausgeschlossen wurde.“
Am 18. Januar 1907 feierte die südliche Shandong-Mission ihr Silbernes Jubiläum. Pater Freinademetz zog folgende Bilanz:
„Vor 25 Jahren haben wir mit 158 Christen begonnen. Heute haben wir 40.000 Getaufte und ebenso viele Katechumenen. Der Herr ist wirklich gut.“
Der heldenhafte Missionar hatte um sich herum aus dem Nichts eine Christenheit wachsen sehen: den Bau von Kirchen, Häusern und Kapellen, Reisen über Flüsse und Berge, Predigten und Katechesen, Taufen und alle anderen gespendeten Sakramente. Das alles zielte nicht nur auf die Bekehrung der einzelnen Seelen, sondern auf die Christianisierung eines Volkes, gemäß der plantatio Ecclesiae, die, wie Johannes Paul II. sagte, ein zugleich sakramentales und institutionelles Werk ist: „Es ist vor allem notwendig zu versuchen, überall christliche Gemeinden zu errichten, die ‚Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt‘ sind und sich zu Kirchen entwickeln. (…) Diese kirchengeschichtliche plantatio Ecclesiae ist nicht abgeschlossen: sie ist vielmehr bei vielen Menschengruppen erst zu beginnen“ (Enzyklika Redemptoris Missio vom 7. Dezember 1990).
1907 brach in China eine Typhus-Epidemie aus. Pater Freinademetz, der sein Möglichstes getan hatte, um den Kranken zu helfen, erkrankte selbst und seine Gesundheit verschlechterte sich rasch. In einem Brief an seine Mitbrüder schrieb er:
„Ich sterbe im vollen Vertrauen auf die Barmherzigkeit des göttlichen Herzens, auf die Fürsprache Mariens, Seiner und meiner Mutter, und des heiligen Josef, meines Schutzpatrons und Schirmherrn für einen guten Tod. Mögen wir uns eines Tages im Himmel alle vereint in aeternum et ultra für alle Ewigkeit wiedersehen.“
Pater Josef Freinademetz starb am 28. Januar 1908 im Alter von 56 Jahren in Taikia, dem Haupthaus der Steyler Missionare. Seine Leiche wurde in chinesischer Erde begraben. 45 Jahre später wurde das alte Reich der Mitte zum kommunistischen China Mao Tse-tungs. Sein Grab ist heute ein Wallfahrtsort wie sein Geburtshaus im Gadertal. Paul VI. sprach Pater Freinademetz 1975 selig und Johannes Paul II. am 1. Oktober 2003 zusammen mit dem Gründer seines Ordens, Arnold Janssen, heilig. Kardinal Thomas Tien Ken-sin (1898–1967) von den Steyler Missionaren, 1946 von Pius XII. zum Erzbischof von Peking ernannt, der später zur Flucht gezwungen war, bewahrte zeitlebens das Bild des Missionars, den er als Regens des Priesterseminars kennengelernt hatte. Er bezeugte:
„Man hatte den Eindruck, daß ihn nichts ablenken könnte. Er war ein großer Mann des Gebets“.
Der ihn verehrende Don Divo Barsotti schrieb, er habe seine missionarische Berufung „in heroischer Hingabe gelebt und sich ohne Maß für das Heil des Volkes eingesetzt, das Gott ihm anvertraut hatte“ (Giuseppe Freinademetz, un cristiano felice, Memi 2014, S. 36).
Ungefähr siebzig Briefe von Pater Freinademetz sind erhalten, geschrieben in Deutsch und Italienisch an die Familie und an die Priester des Gadertals. Diese Korrespondenz hat einen außerordentlichen Wert, weil sie uns den missionarischen Geist in der Kirche verstehen läßt und vor allem, was es heißt, ein Heiliger zu sein. Das Lebensprogramm des Steyler Missionars ist in einem Brief vom 28. April 1879 zusammengefaßt:
„Ich bin nicht hier aus einer Laune heraus oder um Gold und Silber zu verdienen, sondern um Seelen zu gewinnen, erkauft mit dem kostbarsten Blut Gottes; um Krieg zu führen gegen den Teufel und die Hölle; um die Tempel der falschen Götter niederzuwerfen; um an ihrer Stelle das Holz des Kreuzes einzupflanzen; um die armen Heiden, die auch unsere Brüder sind, die Liebe eines gekreuzigten Gottes, des Heiligsten Herzens Jesu und der allerseligsten Maria kennenlernen zu lassen.“
Aber das gravierendste Problem ist für Pater Freinademetz der moralische Verfall des Westens.
„Die größte Geißel für uns und für die armen Chinesen werden allmählich die vielen treulosen und vollkommen korrupten Europäer, die jetzt beginnen, ganz China zu überschwemmen. Sie sind zwar Christen, aber sie sind schlimmer als die Heiden; sie kümmern sich nur darum, Geld zu verdienen, um allen weltlichen Freuden nachzugehen“ (28. Mai 1902).
„Die Zeiten sind traurig“ und „die Religionslosigkeit greift die ganze Welt an“, schrieb er am 25. Juni 1905. Am 23. Januar 1908, kurz vor seinem Tod, wiederholte er noch einmal:
„Die Chinesen sind keine Feinde der Religion, und wenn Europa heutzutage so christlich wäre, wie es sein könnte und sollte, dann würde ganz China, davon bin ich überzeugt, christlich werden. Welch ein Triumph für die heilige Kirche! Aber der Wind, der aus Europa weht, ist sehr kalt und ungut, weshalb zu befürchten ist, daß die armen Chinesen Heiden bleiben und noch schlimmer als die Heiden werden. Wir müssen viel beten.“
Wenn das China des 20. Jahrhunderts die Botschaft von Marx und Lenin dem Evangelium von Christus entgegensetzte, liegt die Verantwortung dafür vor allem beim Westen. Aber die Einladung des heiligen Josef Freinademetz, viel für China zu beten, hat eine noch größere Dringlichkeit und Notwendigkeit in einem historischen Moment, in dem die obersten Autoritäten der Kirche dem Missionsepos den Rücken gekehrt haben, um eine unheilvolle Übereinkunft mit dem kommunistischen China zu suchen, das heute die Welt mit seinem Gift infiziert. Vertrauen wir unsere Gebete dem heiligen Josef Freinademetz an.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/freinademetz.it (Screenshot)