Die Friderizianischen Templer zwischen Kirche und Gnosis?

Katholische Neo-Templer am Rande zur Esoterik


Friderizianische Templer erheben Anspruch auf ein zweifelhaftes "Templererbe".
Friderizianische Templer erheben Anspruch auf ein zweifelhaftes "Templererbe".

Von Pater Pao­lo M. Sia­no*

Im Jahr 2012 grün­de­te Cor­ra­do Maria Arme­ri in Gerace (Pro­vinz Reg­gio Cala­b­ria) den „Sou­ve­rä­nen Mönchs(Ritter)Orden der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler“, kurz Fri­de­ri­zia­ni­sche Temp­ler [Fried­richs-Temp­ler] genannt. Der Orden prä­sen­tiert sich als katho­li­sche Bru­der­schaft und nimmt in sizi­lia­ni­schen und kala­bri­schen Radio- und Fern­seh­sen­dern zu aktu­el­len The­men Stel­lung. Sie nen­nen sich fri­de­ri­zia­nisch, weil sie sich auch an dem Stau­fer Fried­rich II. (1194–1250), König von Sizi­li­en, Her­zog von Schwa­ben, römisch-deut­scher König, Kai­ser des Hei­li­gen Römi­schen Rei­ches und König von Jeru­sa­lem, orientieren.

Anzei­ge

Mei­nes Wis­sens ver­fügt der Orden der­zeit über kei­ne eige­ne Web­site im Inter­net. Es gibt eine alte, nicht mehr aktua­li­sier­te Sei­te von 2014. Aktiv ist hin­ge­gen eine Face­book-Sei­te der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler der Grup­pe bzw. des Prio­rats Tera­mo. Fotos und Online-Arti­kel zei­gen die Anwe­sen­heit der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler in Kir­chen für reli­giö­se Ver­samm­lun­gen oder für Zere­mo­nien der Inve­sti­tur oder der „Erhe­bung“ zum Rit­ter oder zur Dame (z. B. in Tera­mo, im Jahr 2020 und im Jahr 2021). Der Orden nimmt auch Frau­en auf.

Im Juni 2021 nah­men die Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler in der Kathe­dra­le von Tera­mo an der Fron­leich­nams­mes­se teil, wel­che vom Bischof ange­führt wur­de. Unter den anwe­sen­den Rit­tern befan­den sich der Groß­mei­ster des Ordens Cor­ra­do Arme­ri und sei­ne Inter­na­tio­na­le Vika­rin Melin­da Mic­e­li, die anschlie­ßend ihr Buch „Tem­pla­ris Com­pen­di­umvor­stell­te. Wäh­rend der Mes­se wur­de Gene­ral Dome­ni­co Troz­zi als Pri­or von Tera­mo ein­ge­setzt. Troz­zi war 20 Jah­re lang Kom­man­deur der Flie­ger­staf­fel der Staats­po­li­zei in Palermo.

„Tem­pla­ris Com­pen­di­um“ von Melin­da Miceli

Im Jahr 2020 ernann­te der Groß­mei­ster der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler, Cor­ra­do Arme­ri, Dr. Melin­da Mic­e­li (Jahr­gang 1974) zur Vika­rin des Groß­mei­sters des Groß­mei­ster­sit­zes für Kunst und inter­na­tio­na­le Kul­tur.

Mic­e­li ist Kunst­kri­ti­ke­rin, Schrift­stel­le­rin, Roman­au­to­rin und inter­es­siert sich auch für eso­te­ri­sche The­men.

Ich hal­te das Buch „Tem­pla­ris Com­pen­di­um. Die gan­ze Weis­heit der Temp­ler in einem Band1 von Melin­da Mic­e­li für sehr inter­es­sant. Ich wer­de wich­ti­ge Begrif­fe her­vor­he­ben.

Wie ande­re Neu­temp­ler-Rea­li­tä­ten, die ich bereits beschrie­ben habe, schreibt auch Mic­e­li den Temp­lern eso­te­ri­sches, gno­sti­sches Wis­sen, Leh­ren und Prak­ti­ken zu. Es han­delt sich um einen offi­zi­el­len Text mit einem loben­den „Vor­wort“ (S. 3f) von Groß­mei­ster Cor­ra­do Maria Arme­ri.

Im Anhang des Buches von Mic­e­li fin­det sich auf S. 170 ein Absatz von Groß­mei­ster Arme­ri („Die neue Ära der Temp­ler“), dann das „Katho­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis“ der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler, das am 8. Dezem­ber 2012 ver­kün­det wur­de (S. 170–174), ihre „Dis­zi­pli­nar­ord­nung“ (S. 177–182), ihr „Gebet“ (S. 183), „Der geist­li­che Weg der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler“ (S. 184–186), der 2014 von ihrem geist­li­chen Beglei­ter Msgr. Giu­sep­pe Gre­co (Erz­diö­ze­se Syra­kus) skiz­ziert wur­de, „Die Ver­tei­di­gung des Glau­bens“ (S. 186f), „Die fri­de­ri­zia­ni­sche Kul­tur“ (S. 187f), „Das Zeug­nis von Msgr. Vin­cen­zo Fili­ce“ (S. 189–192), „Das gehei­me Alpha­bet der Tem­pel­rit­ter“ (S. 193–195).

Im Katho­li­schen Glau­bens­be­kennt­nis der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler fin­den wir ein wohl­klin­gen­des Glau­bens­be­kennt­nis, wel­ches das gan­ze Para­dies anruft: die Hei­li­ge Drei­fal­tig­keit, die Unbe­fleck­te Emp­fäng­nis, die Engel, die Hei­li­gen, vom hei­li­gen Fran­zis­kus bis zum hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la… Wun­der­bar. Das grund­sätz­li­che Pro­blem besteht dar­in, daß die­ses Glau­bens­be­kennt­nis im Wider­spruch zu ver­schie­de­nen Inhal­ten von Melin­da Mic­e­lis Text steht, einem Text, der von Groß­mei­ster Arme­ri gebil­ligt und ein­ge­lei­tet wur­de: Wäh­rend die Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler sich selbst als katho­lisch bezeich­nen und glau­ben, daß sie „zu den Rit­ter­brü­dern des Tem­pels von Jeru­sa­lem gehö­ren, deren unsterb­li­chen Glau­ben wir hüten und schüt­zen“ (S. 171), schreibt die Vika­rin des Groß­mei­sters den Temp­lern Gno­sis und Eso­te­rik zu. Schau­en wir uns eini­ge Pas­sa­gen in die­sem Zusam­men­hang an.

Melin­da Mic­e­li behaup­tet das Vor­han­den­sein von „Affi­ni­tä­ten in Leh­re und Orga­ni­sa­ti­on“ zwi­schen den Temp­lern und den „Ismai­li­ten“ des „Alten Man­nes vom Ber­ge“ [gemeint sind die ismai­li­ti­schen Ass­as­si­nen], d. h. den „am wei­te­sten ent­wickel­ten isla­mi­schen Krei­sen“, zu denen auch „Sufis“ und „Der­wi­sche“ gehö­ren (vgl. S. 15). Mic­e­li behaup­tet wei­ter, daß die Temp­ler „eine dop­pel­te Hier­ar­chie“ hat­ten, „eine zugäng­li­che Hier­ar­chie“ und „eine okkul­te, über­ge­ord­ne­te Hier­ar­chie“ (vgl. S. 19).

Mit den fol­gen­den Aus­sa­gen zeigt Mic­e­li wenig Kennt­nis der Geschich­te und Theo­lo­gie der christ­li­chen Lit­ur­gie und Mes­se: „Die Mes­se, die aus der anti­ken und ori­en­ta­li­schen Welt im enge­ren Sin­ne stammt, gab es nicht vor dem ober­sten Regu­la­tor, Inno­zenz III. Im Osten war es ursprüng­lich ein magi­sches und apo­tro­päi­sches Instru­ment der Anbe­tung, das vom Hin­du­is­mus und Bud­dhis­mus über­nom­men wur­de. Die­se archai­sche Aura ist nie ver­blaßt und zeigt sich in der Lit­ur­gie der Mes­se, die gre­go­ria­nisch gesun­gen und latei­nisch gespro­chen wird“ (S. 55).

Mic­e­li ist der Ansicht, daß die Spi­ri­tua­li­tät des hei­li­gen Franz von Assi­si, der „Bru­der Eli­as, Alchi­mist und poli­ti­scher Bera­ter von Kai­ser Fried­rich II.“ nahe­stand, „mit den Temp­lern ver­bun­den“ war (vgl. S. 80). Ich weiß nicht, auf wel­cher Grund­la­ge Mic­e­li behaup­tet: „Die Mut­ter von Fran­zis­kus war Kathare­rin, und es ist kein Zufall, daß die fran­zis­ka­ni­sche Spi­ri­tua­li­tät dem Kathar­er­tum viel näher­stand als der katho­li­schen Kir­che, zumin­dest in ihren äuße­ren For­men“ (S. 80).

Die Autorin macht auch den hei­li­gen Fran­zis­kus zu einem Eso­te­ri­ker und Gno­sti­ker: „Fran­zis­kus war ein Johan­nes­jün­ger, d. h. er gehör­te zu jener gei­sti­gen Strö­mung, zu der auch die Katha­rer, Albi­gen­ser, Bogo­mi­len, Pata­re­ner, Dolz­i­nia­ner, Getreu­en der Lie­be, Rosen­kreu­zer und Temp­ler gehör­ten, die in ihrem Glau­ben und Den­ken mit den Sufis, Kab­ba­li­sten, aber auch Bud­dhi­sten und Hin­dus voll­kom­men über­ein­stimm­ten“ (S. 81).

Melin­da Mic­e­li (rechts) in der Sakri­stei der Kathe­dra­le von Teramo

Laut Mic­e­li gehör­te das Castel del Mon­te in Apu­li­en den Temp­lern und die­se hat­ten „ihr Idol Bapho­met“ (vgl. S. 115). Castel del Mon­te: ein Ort, an dem „die okkul­te Wis­sen­schaft der Alche­mie“ prak­ti­ziert wur­de (S. 115), ein Ort, der „die höch­ste Syn­the­se der eso­te­ri­schen Kul­tur jener Zeit“ sym­bo­li­siert (S. 116).

Das Sie­gel der Temp­ler, das zwei Rit­ter auf einem Pferd zeigt, steht „für den Dua­lis­mus und das Gleich­ge­wicht der Gegen­sät­ze, auf das sich ihr Ide­al bezieht“ (S. 117); „in jedem von uns“ gibt es das „Männ­li­che“ und das „Weib­li­che“ (vgl. S. 117).

Mic­e­li ver­bin­det die Temp­ler „mit der Mut­ter­göt­tin“ (S. 122), mit dem „hei­li­gen Weib­li­chen“ (S. 122), mit „Orten der ener­ge­ti­schen Anbe­tung, der Har­mo­nie der bei­den Ener­gien, des Männ­li­chen, das vom Him­mel her­ab­steigt, und des Weib­li­chen, das aus der Erde auf­steigt“ (S. 122).

Nach Mic­e­li ist der „Dra­che“ (oder „Satan“), der vom hei­li­gen Micha­el besiegt wur­de, „ein Sym­bol des Bösen, das unter­wor­fen, aber nie ganz aus­ge­löscht wer­den kann, weil es für die Evo­lu­ti­on funk­tio­nal ist“ (S. 124). Das Böse ist also not­wen­dig?

Zusam­men mit dem Eso­te­ri­ker und Alche­mi­sten Ful­ca­nel­li sieht Mic­e­li die Kathe­dra­len als stei­ner­ne Bücher mit magi­schen und alche­mi­sti­schen Sym­bo­len (vgl. S. 132), Sym­bo­le für das kos­mi­sche Wir­ken „zwei­er gegen­sätz­li­cher Prin­zi­pi­en, des Lichts und des Dun­kels“ (vgl. S. 133).

Mic­e­li erwähnt die „Gro­ße Mut­ter, die Erde, deren Kult sich je nach histo­ri­scher Epo­che in Isis bis hin zu Maria Mag­da­le­na ver­kör­pert hat“ (S. 135f).

Laut Melin­da Mic­e­li ist ein wich­ti­ges Sym­bol des Temp­ler­or­dens in Frank­reich „der Temp­ler­dorn“ (S. 145, Her­vor­he­bung im Ori­gi­nal). Die Vika­rin des Groß­mei­sters schreibt dem Temp­ler­dorn eine eso­te­ri­sche Bedeu­tung und den Temp­lern bestimm­te Prak­ti­ken gegen­über dem „Dorn“ zu:

„Nach Ansicht der Hin­dus besteht der mensch­li­che Kör­per aus zwei Polen: einem unte­ren, der dem Kreuz­bein ent­spricht, und einem obe­ren, der dem Schä­del ent­spricht. Bestimm­te Yoga­tech­ni­ken bewir­ken, daß eine bestimm­te Ener­gie, die an der Basis der Wir­bel­säu­le vor­han­den ist, über die­se bis zum Schei­tel auf­steigt. Die­ser Pfad ist gleich­be­deu­tend mit Erleuch­tung. Die Ener­gie wird mit der einer auf­ge­roll­ten Schlan­ge ver­gli­chen, die sich ent­rol­len muß. Die­se Pra­xis wird Kun­da­li­ni genannt und ist das Prin­zip des Yoga. Die bibli­sche Schlan­ge und die Uräus-Schlan­ge auf der Stirn des Pha­rao sind die glei­chen Bil­der der Kun­da­li­ni“ (S. 145f).

Mic­e­li fährt fort: „Wäh­rend des Pro­zes­ses gegen die Temp­ler muß­ten sie auch die Exi­stenz einer Pra­xis in ihren Kapel­len offen­ba­ren: Der Mei­ster küß­te das Kreuz­bein, d. h. den unte­ren Teil der Wir­bel­säu­le, um die ‚Erweckung der Schlan­ge‘ anzu­re­gen, damit die­se Ener­gie auf exak­te und kon­trol­lier­te Wei­se auf­stei­gen konn­te. Nach Ansicht der Hin­dus kann das Erwa­chen tat­säch­lich gefähr­lich sein, bis hin zu Wahn­sinn und sogar zum Tod“ (S. 146).

Mic­e­li beschreibt Maria Mag­da­le­na als eine Frau, die sich den „hei­li­gen Stu­di­en bei den Esse­nern oder dem Prie­ster­tum der Isis“ wid­met, dann Jesus folgt und in Frank­reich in einer Höh­le leben wird, wo „sie sich nur von Engel­s­ener­gien ernährt“ (S. 147).

Nach Mic­e­li ist die Schwar­ze Madon­na „Isis“, die ägyp­ti­sche Göt­tin der Weis­heit, „die Gno­sis“ (vgl. S. 148). Und eben­so: „Das Glau­bens­be­kennt­nis der Temp­ler ist also ein gno­sti­sches Chri­sten­tum, von Maria Mag­da­le­na und ihren Jün­gern in Süd­frank­reich ver­brei­tet und vor dem Kle­rus ver­bor­gen prak­ti­ziert. Der Initia­ti­ons­kult des weib­li­chen isi­di­schen Prin­zips der gött­li­chen Weis­heit wur­de als Mari­en­ver­göt­te­rung und Ver­eh­rung der Schwar­zen Madon­na getarnt. Nach die­sem Bekennt­nis, das dem der Katha­rer ähnelt, ist jeder Mann und jede Frau ein Sohn und eine Toch­ter Got­tes, fähig, ihre eige­ne spi­ri­tu­el­le Erleuch­tung zu erlan­gen und ohne Ver­mitt­ler in höhe­re Him­mel auf­zu­stei­gen. […] Nach Ansicht der Temp­ler wür­den die Leh­ren der katho­li­schen Kir­che den Anhän­ger in die Unter­drückung durch einen rach­süch­ti­gen Gott füh­ren. Die katho­li­sche Kir­che ver­folg­te den Gno­sti­zis­mus wie nie zuvor und das erleuch­te­te Wis­sen um die Gött­lich­keit des Selbst wur­de ver­folgt […]“ (S. 148).

Inve­sti­tur eines Fried­richs-Temp­lers durch Groß­mei­ster Arme­ri (mit Schwert)

Spä­ter ver­bin­det die Autorin Maria Mag­da­le­na auch mit der gno­sti­schen und magi­schen Kul­tur (vgl. S. 154). Sie sei „Gött­li­che Lehr­mei­ste­rin der himm­li­schen Weis­heit und der Gno­sis“ (S. 157).

Mic­e­li bestä­tigt damit die gegen die Temp­ler erho­be­nen Anschul­di­gun­gen. Ihnen wur­den „got­tes­lä­ster­li­che Hand­lun­gen wie das drei­ma­li­ge Anspucken des Kreu­zes und die Ver­flu­chung Chri­sti bei der Ein­set­zung“ zuge­schrie­ben (S. 161). Laut Mic­e­li ver­leug­ne­ten und opfer­ten die Temp­ler mit die­ser Geste das Hei­lig­ste nur, um es in sei­nem Erlö­sungs­han­deln zu befrei­en… (vgl. S. 161).

Dann folgt auch der Vor­wurf der Anbe­tung „eines bär­ti­gen Kop­fes, des Bapho­met, für den“, davon ist Mic­e­li über­zeugt, „der gesam­te Orden eine beson­de­re Ver­eh­rung zeig­te“ (S. 161).

Mic­e­li führt wei­ter aus: „Der Bapho­met, der von den Inqui­si­to­ren als Kopf des Teu­fels oder Moham­meds bezeich­net wur­de, hat­te eine viel tie­fe­re eso­te­ri­sche Bedeu­tung als die simp­len Anschul­di­gun­gen, die gegen die Temp­ler erho­ben wur­den“ (S. 161).

Spä­ter schreibt Mic­e­li: „Die Anbe­tung des Bapho­met muß auch mit Hil­fe der her­me­ti­schen Tra­di­ti­on unter­sucht wer­den; auf vie­len Dar­stel­lun­gen wird der Bapho­met als Janus mit zwei Gesich­tern dar­ge­stellt, das heißt, er hat zwei Gesich­ter, ein wei­ßes und ein schwar­zes, in den glei­chen Far­ben wie der Baus­sant, die Flag­ge, die die Temp­ler im Kampf führ­ten. Dies ver­an­laßt die Temp­ler-For­scher, das ideo­lo­gi­sche Prin­zip des Dua­lis­mus, also das der Ver­ei­ni­gung der Gegen­sät­ze, als Grund­la­ge des gesam­ten spi­ri­tu­el­len und phi­lo­so­phi­schen Weis­heits­den­kens der alten Kul­tu­ren anzu­neh­men“ (S. 162).

Mic­e­li fährt über die Temp­ler fort: „Ihre Bezie­hun­gen zum Islam und zum Sufis­mus, sei­nem spi­ri­tu­ell­sten Teil, ziel­ten dar­auf ab, Berüh­rungs­punk­te mit dem Chri­sten­tum zu fin­den und eine ein­zi­ge Reli­gi­on zu schaf­fen, die allen Krie­gen, ver­steckt unter dem Sie­gel des Glau­bens, ein Ende set­zen wür­de. Die Rit­ter waren davon über­zeugt, daß Gott der ‚Eine’ ist, aber von den Men­schen in ver­schie­de­ne Enti­tä­ten dekli­niert wur­de, die in der Ver­ei­ni­gung der reli­giö­sen Gegen­sät­ze jenen Zusam­men­halt fin­den müß­ten, der allein in der Lage wäre, zum wah­ren Gott zu gelan­gen“ (S. 162).

In Wirk­lich­keit macht Melin­da Mic­e­li die Temp­ler zu Gno­sti­kern und Eso­te­ri­kern und wider­spricht sich selbst, wenn sie die Anschul­di­gun­gen, die Temp­ler sei­en eine „eso­te­ri­sche Sek­te“, als „unred­lich“ bezeich­net (vgl. S. 164).

***

Schau­en wir uns auch das Video „Die Ent­deckung der Temp­ler­ge­heim­nis­se mit der Schrift­stel­le­rin Melin­da Mic­e­li“ 2 (Minu­te 11:28) an, das am 8. Mai 2021 auf You­Tube ver­öf­fent­licht wur­de. Gotha Tv World inter­viewt die Autorin von „Tem­pla­ris Com­pen­di­um“. Hören wir uns eini­ge der Aus­sa­gen von Melin­da Mic­e­li an.

Die Temp­ler sind „Ver­wah­rer eines Wis­sens, so alt wie die Erde“ (Min. 1:30–1:36), „von der Kir­che beauf­tragt, die Geheim­nis­se ande­rer Reli­gio­nen zu ent­decken“ (1:40–1:44). „Ihre For­schun­gen hat­ten auch zur Errich­tung eines Göt­zen geführt, was sein [des Temp­ler­or­dens] Ende war“ (1:46 –1:53). Das Buch ent­stand auf Wunsch von Groß­mei­ster Cor­ra­do Arme­ri (vgl. 1:53–1:57). Die Tem­pel­her­ren sind ein „mysti­scher, aske­ti­scher und auch geheim­nis­vol­ler Orden“ (3:20–3–25). Mic­e­li fragt sich, wie ein Orden wie die Temp­ler, der für die Kir­che kämpf­te, als „häre­tisch“ bezeich­net wer­den konn­te (vgl. 4:36–4:53). Mic­e­li erklärt, daß die Anschul­di­gun­gen der Ket­ze­rei die „sym­bo­li­sche und sehr her­me­ti­sche Visi­on, die der alten christ­li­chen Tra­di­ti­on des Her­me­tis­mus ange­hört“ (4:53–5:13), nicht berück­sich­tigt haben, und des­halb will sie mit die­sem Buch die Wahr­heit über die Temp­ler wie­der­her­stel­len (vgl. 5:20–5:22) …

Zum „Mythos“ der Temp­ler stellt Mic­e­li fest: „Die­ser Mythos ist aktu­el­ler denn je, denn die Losung, die das gesam­te her­me­ti­sche Wis­sen der Temp­ler ver­bin­det, ist die Kon­ju­ga­ti­on der Gegen­sät­ze, das heißt, die Ver­schmel­zung der Gegen­sät­ze. Das wur­de nie ver­stan­den“ (6:00–6:17).

Die Temp­ler „glaub­ten an die Dupli­zi­tät des kos­mi­schen Prin­zips“ (6:45–6:48), d. h. an Geist und Mate­rie, die in „per­fek­tem Gleich­ge­wicht“ (6:54–6:55) gehal­ten wer­den müs­sen, um „Evo­lu­ti­on zu errei­chen“ (7:01–7:02). Dann stellt die Autorin fest, daß „auch das Sym­bol des Bapho­met, das als sata­nisch behaup­tet wur­de, nicht sata­nisch ist, son­dern ein Code zur Ent­schlüs­se­lung des­sen, was eine Art Totem zur Abwehr des Bösen sein könn­te. Sol­ve et Coagu­la. Der glei­che Stern, der sich auf der Stirn die­ses Göt­zen befin­det, der Juden­stern, hat sei­ne Spit­ze nicht nach unten gerich­tet, so wie die sata­ni­schen, son­dern nach oben. Das bedeu­tet, daß es sich um ein posi­ti­ves Idol han­delt, nicht um ein sata­ni­sches“ (7:05–7.35).

Mic­e­li sagt schließ­lich, daß „das Buch auch initia­tisch ist“ (8:23–8:24). Die ersten neun Temp­ler ver­füg­ten über „über­le­ge­nes initia­ti­sches Wis­sen“ (9:24–9:26), „sie waren ein­ge­weih­te Wesen, die bereits zur Erkennt­nis prä­dis­po­niert und prä­de­sti­niert waren“ (9:34–9:40). Mic­e­li weist dar­auf hin, daß „das Buch dem Orden gehört“ (9:55–9:57), von dem sie „die Inter­na­tio­na­le Vika­rin für Kul­tur und Kunst“ ist (10:04–10:06). Und sie erklärt: „Unser Ziel ist es, die neue Ära der Temp­ler zu ver­brei­ten“ (11:13–11:17).

Ich schlie­ße mit eini­gen Fragen:

Groß­mei­ster Arme­ri (3. v. l.), Sym­bol der Fried­richs-Temp­ler und Melin­da Mic­e­li. Arme­ri wird von ande­ren Neu­temp­lern vor­ge­wor­fen, Frei­mau­rer zu sein.

Tei­len die Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler die Temp­ler­weis­heit (Gno­sis, Eso­te­rik, Bapho­met – Ver­ei­ni­gung der Gegen­sät­ze, Kun­da­li­ni, Küs­sen des Kreuz­beins usw.), die von der Inter­na­tio­na­len Vika­rin mit einem loben­dem Vor­wort des Groß­mei­sters vor­ge­stellt wird, und in wel­chem Maße?

Was sagen die Mon­signo­ri und Kle­ri­ker, die als Beschüt­zer und geist­li­che Beglei­ter der Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­ler fun­gie­ren, zu all dem? Wer­den ihre Inve­sti­tu­ren wei­ter­hin in den Kir­chen stattfinden?

Kann man mit Fug und Recht behaup­ten, daß es auch unter den Fri­de­ri­zia­ni­schen Temp­lern sol­che gibt, die ver­su­chen, Gegen­sät­ze wie Kir­che und Gno­sis zu vereinen?

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. Von Katho​li​sches​.info wur­de bis­her von ihm veröffentlicht:

In der Rei­he Eso­te­rik und Gno­sis:

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Twitter/​Facebook/​Wikicommons (Screen­shots


1 Ori­gi­nal­ti­tel: Tem­pla­ris Com­pen­di­um. Tut­ta la Sapi­en­za Tem­pla­re in un gran­de com­pen­dio, San­to­co­no Edi­to­re, Roso­li­ni 2021.

2 Ori­gi­nal­ti­tel: „Alla Sco­per­ta dei Segre­ti Tem­pla­ri con la Scrittri­ce Melin­da Miceli“.

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1 Kommentar

  1. Das behan­del­te Buch ist typisch für den Okkul­tis­mus: es wer­den sämt­li­che eso­te­ri­sche Leh­ren der Welt zu einen syn­kre­ti­sti­schen Brei ver­mengt. Was Initia­ti­on wirk­lich ist, soll­te die Autorin viel­leicht bei R. Gué­non nachlesen.

    Eine initia­ti­sche Gemein­schaft kann nicht ein­fach gegrün­det wer­den wie ein Fuß­ball­ver­ein, son­dern am Anfang muß ein über­welt­li­cher Ein­fluß ( eine Gna­de) ste­hen. Eine sol­che wird aber nicht ein­mal vom Grün­der behaup­tet ( zumin­dest laut Arti­kel). Die neue Gemein­schaft dürf­te also einer der unzäh­li­gen pseu­do-initia­to­ri­schen Grup­pen sein, „berei­chert“ um ‚folk­lo­ri­sti­sche‘ Ele­men­te, also ins­ge­samt eher harmlos.

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