Ist die Affäre Cipriani eine Affäre Franziskus?

Mißbrauch, Mißbrauchsbekämpfung und Instrumentalisierung


Die Kathedrale von Lima: Wer lügt in der Causa Cipriani Thorne? Kardinal Cipriani oder Papst Franziskus?
Die Kathedrale von Lima: Wer lügt in der Causa Cipriani Thorne? Kardinal Cipriani oder Papst Franziskus?

Die in Medi­en kol­por­tier­ten und vom Vati­kan und perua­ni­schen Bischö­fen „bestä­tig­ten“ Miß­brauchs­vor­wür­fe gegen Kar­di­nal Juan Luis Cipria­ni Thor­ne, eme­ri­tier­ter Erz­bi­schof von Lima und Pri­mas von Peru, ver­langt beson­de­re Auf­merk­sam­keit. Luis Badil­la, ehe­ma­li­ger Her­aus­ge­ber der Pres­se­rund­schau Il Sis­mo­gra­fo in Rom unter­nahm den Ver­such, die Ange­le­gen­heit zu ent­wir­ren und etwas Licht ins Dun­kel zu brin­gen. Eini­ge der bis­he­ri­gen Fra­gen blei­ben unbe­ant­wor­tet, vor allem aber kom­men neue, teils schwer­wie­gen­de Fra­gen hin­zu – und die­se rich­ten sich nicht an Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne, son­dern an Papst Franziskus.

Ende Janu­ar 2025, sie­ben Jah­re nach ihrem bis­her gehei­men Anfang, explo­dier­te der Skan­dal um den perua­ni­schen Kar­di­nal Juan Luis Cipria­ni Thor­ne, ein bekann­tes Mit­glied des Opus Dei, der für sei­ne kon­ser­va­ti­ven Posi­tio­nen berühmt und wegen sei­ner Intel­li­genz und sei­ner Ent­schie­den­heit von sei­nen Geg­nern gefürch­tet wur­de. Neben kirch­li­chen Geg­nern sam­mel­te sich der Kar­di­nal auch poli­ti­sche Geg­ner, da er kei­ne Sym­pa­thien für die poli­ti­sche Lin­ke zeig­te und Perus Prä­si­dent Alber­to Fuji­mo­ri (1990–2000) unter­stützt hat­te. Kar­di­nal Cipria­ni hat­te den Kampf gegen die kom­mu­ni­stisch-mao­isti­sche Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on Sen­de­ro Lumi­no­so (Leuch­ten­der Pfad) unter ihrem Anfüh­rer Abima­el Guz­man unter­stützt, der unter Fuji­mo­ri besiegt und wobei Guz­man ver­haf­tet wer­den konnte.

Artikel in El País

Alles begann mit einem Arti­kel in der spa­ni­schen Tages­zei­tu­n­ug El País am 25. Juni, auf den der Kar­di­nal sofort am Sonn­tag, dem 26. Janu­ar, reagier­te, indem er die Vor­wür­fe des sexu­el­len Miß­brauchs eines damals 16/​17 Jah­re alten Jun­gen im Jahr 1983 zurück­wies. Cipria­ni war damals etwa 40 Jah­re alt. Die­sem Schrei­ben ließ der Kar­di­nal eini­ge Tage spä­ter, nach­dem der Vati­kan und perua­ni­sche Bischö­fe die Anschul­di­gun­gen zu unter­stüt­zen schie­nen, ein zwei­tes Schrei­ben fol­gen, das mehr Details enthielt.

Wie im Fall Rup­nik und in ande­ren Fäl­len wird nun bei Cipria­ni die inzwi­schen schon übli­che Ent­hül­lung zele­briert: Alles wur­de ver­tuscht, und so spie­len alle Betei­lig­ten nun ihr eige­nes Spiel, ver­tei­di­gen ihre eige­nen Inter­es­sen und bedie­nen sich der bereits bekann­ten und bewähr­ten Mani­pu­la­tio­nen. Nach den bis­he­ri­gen Erfah­run­gen in die­sen Jah­ren des Pon­ti­fi­kats von Fran­zis­kus ist das ein­zig Wah­re, daß die Wahr­heit nie bekannt wer­den wird.

Wer lügt? Papst Franziskus oder Kardinal Cipriani?

Luis Badil­la erstell­te eine Chro­no­lo­gie der wich­tig­sten bekann­ten Fak­ten, der in der fol­gen­den Dar­stel­lung weit­ge­hend gefolgt wird.

  • 1983. Angeb­li­cher sexu­el­ler Miß­brauch eines 16/​17jährigen Jun­gen in Peru durch den dama­li­gen Pater Juan Luis Cipria­ni, Spi­ri­tu­al am Prie­ster­se­mi­nar von Lima (1981–1983).
  • 2018 (Som­mer). 35 Jah­re spä­ter erhält Papst Fran­zis­kus einen Brief von einem mut­maß­li­chen Miß­brauchs­op­fer (heu­te etwa 58/​59 Jah­re alt). Ver­mitt­ler für die Über­ga­be des Brie­fes ist der Chi­le­ne Juan Car­los Cruz, ein Jour­na­list, der heu­te Mit­glied der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mi­si­on ist. Als Jugend­li­cher war Cruz, heu­te selbst beken­nen­der Homo­se­xu­el­ler, Opfer des chi­le­ni­schen Prie­sters und Homo-Seri­en­miß­brauchs­tä­ters Fer­nan­do Karadima.
  • 2018 (August). Der Vati­kan infor­miert Kar­di­nal Cipria­ni, damals Erz­bi­schof von Lima und Pri­mas von Peru, über den Miß­brauchs­vor­wurf, der ihn betrifft, gewährt dem Beschul­dig­ten aber weder Akten­ein­sicht noch wird ihm irgend­ein Doku­ment zur Sache aus­ge­hän­digt. Es wer­den ihm auch kei­ne Ein­zel­hei­ten genannt. Alles gilt als geheim.
  • 2019 (19. Dezem­ber). Der Nun­ti­us in Peru, Msgr. Nico­la Gira­so­li, infor­miert Kar­di­nal Cipria­ni münd­lich über eine Rei­he von Sank­tio­nen, die von der dama­li­gen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on gegen ihn ver­hängt wur­den. Dazu gehör­te auch ein abso­lu­tes Schwei­ge­ge­bot, das der Kar­di­nal bis zum Sams­tag, dem 25. Janu­ar 2025, auf­recht­erhielt. Mit die­ser Geste, die durch einen öffent­li­chen Brief an die Zei­tung El País noch ver­stärkt wur­de, eröff­ne­te Kar­di­nal Cipria­ni, der in zwei Kon­kla­ven (2005/​Ratzinger und 2013/​Bergoglio) Papst­wäh­ler war, eine Art Abrech­nung mit Fran­zis­kus, der sich der Papst natür­lich nicht ent­zie­hen konnte.
  • 2020 (4. Febru­ar). Der Papst emp­fängt den inzwi­schen eme­ri­tier­ten Kar­di­nal Cipria­ni, der erzählt: „Unter die­sen Umstän­den hat Fran­zis­kus mir erlaubt, mei­ne pasto­ra­le Tätig­keit wie­der­auf­zu­neh­men, was ich sofort getan habe“. Nie­mand im Vati­kan stör­te sich an die­sem Ver­hal­ten, das theo­re­tisch eine offe­ne Ver­let­zung der Ver­ein­ba­run­gen von 2019 und eine Geste sehr schwe­ren Unge­hor­sams gegen­über dem Papst dar­stell­te. Die­se Reak­ti­on scheint die Dar­stel­lung von Kar­di­nal Cipria­ni zu bestä­ti­gen, daß Fran­zis­kus damals die gegen ihn ver­häng­ten Sank­tio­nen auf­ge­ho­ben hat­te. Seit fünf Jah­ren ist Kar­di­nal Cipria­ni wie­der als Seel­sor­ger tätig, sogar inner­halb der vati­ka­ni­schen Mau­ern in einem Dik­aste­ri­um, dem er als Mit­glied angehört.
  • 2025 (25. Janu­ar). In der Zei­tung El País erscheint ein Arti­kel, der den Kar­di­nal als mut­maß­li­chen pädo­phi­len Miß­brauchs­tä­ter beschul­digt und zahl­rei­che Details über die unge­wöhn­li­che Art und Wei­se ent­hüllt, wie die Affä­re sowohl vom Vati­kan als auch vom Kar­di­nal selbst behan­delt wurde.
  • 2025 (26. Janu­ar). Erklä­rung von Pater Ángel Gómez-Hor­ti­güela, Vikar des Opus Dei in Peru, um eine sanf­te und kon­fu­se Selbst­kri­tik zu üben und die Nähe und Soli­da­ri­tät mit den Pädo­phi­lie-Opfern zu bekräf­ti­gen. Die­se Pas­sa­ge wird seit­her wie eine Lita­nei wie­der­holt, jeden Tag, doch ohne glas­kla­re und voll­stän­di­ge Wahr­heit wird es kei­ne Gerech­tig­keit geben oder sie wird nur schwach und unglaub­wür­dig sein.
  • 2025 (26. Janu­ar). Das Pres­se­amt des Hei­li­gen Stuhls bestä­tigt die Affä­re, sagt aber nichts wei­ter dazu.
  • 2025 (28. Janu­ar). Brief von Kar­di­nal Castil­lo, dem Nach­fol­ger von Kar­di­nal Cipria­ni als Erz­bi­schof von Lima und Pri­mas von Peru.
  • 2025 (29. Janu­ar). Kar­di­nal Cipria­ni weist erneut alle Miß­brauchs­vor­wür­fe von sich, bestä­tigt jedoch, die Annah­me der 2018 gegen ihn ver­häng­ten vati­ka­ni­schen Sank­tio­nen unter­zeich­net zu haben.

Von der gan­zen Affä­re war in der Ver­gan­gen­heit, also bis zum 25. Janu­ar 2025, nichts bekannt. Bekannt war jedoch die alte gegen­sei­ti­ge Abnei­gung zwi­schen Cipria­ni und Berg­o­glio. Ein Detail hat­te schon in der Ver­gan­gen­heit die Auf­merk­sam­keit eini­ger Beob­ach­ter geweckt. In der offi­zi­el­len Bio­gra­phie von Kar­di­nal Cipria­ni auf der Inter­net­sei­te des Hei­li­gen Stuhls steht bis heu­te kein Datum für die Eme­ri­tie­rung des Kar­di­nals, die am 25. Janu­ar 2019 for­mell „aus Alters­grün­den“ erfolg­te. Der Erz­bi­schof von Lima war Ende Dezem­ber 2018 75 Jah­re alt geworden.

Was ist geschehen und was passiert gerade?

1. Progressive gegen Konservative

Das The­ma könn­te eine ein­fa­che, unmit­tel­ba­re und auch zutref­fen­de Les­art haben, wie in den Kom­men­ta­ren zahl­rei­cher Jour­na­li­sten zu sehen ist, näm­lich, daß Papst Fran­zis­kus dem Opus Dei gera­de den Todes­stoß ver­setzt, nach­dem er vor eini­ger Zeit dem Werk Got­tes den von Johan­nes Paul II. gewähr­ten Rechts­sta­tus einer Per­so­nal­prä­la­tur ent­zo­gen hat­te.
Fran­zis­kus, der pro­gres­si­ve latein­ame­ri­ka­ni­sche Jesu­it, gegen Kar­di­nal Cipria­ni vom kon­ser­va­ti­ven Opus Dei. Das ist die Ansicht vie­ler Ana­ly­sten zu die­sem The­ma, und sie haben Recht damit.
Die Ein­schät­zung der Jesui­ten ent­spricht dabei aller­dings nur bedingt den Tat­sa­chen. In der Regi­on vom Rio Gran­de bis Pata­go­ni­en sind und waren die Jesui­ten die Erzie­her der Mit­tel- und Ober­schicht. „Die oft behaup­te­te mas­si­ve Prä­senz von Jesui­ten unter den Armen ist eine gro­be Mysti­fi­zie­rung“, so Luis Badil­la. Die auf­fäl­lig miß­bil­li­gen­de Beto­nung durch Papst Berg­o­glio, daß das Opus Dei kon­ser­va­tiv sei, was von ihm nahe­ste­hen­den Lai­en, Kle­ri­kern und Jour­na­li­sten noch ver­stärkt wird, ist nichts ande­res als eine Form der Selbst­dar­stel­lung, um sich selbst als pro­gres­si­ven Jesui­ten zu prä­sen­tie­ren. Pater Berg­o­glio stand lan­ge im Kon­flikt mit der Lei­tung des Jesui­ten­or­dens in Argen­ti­ni­en. Dabei ging es zwar auch um Gehor­sams­fra­gen, aber nicht um den Gegen­satz pro­gres­siv und kon­ser­va­tiv. Das ließ das Bild ent­ste­hen, er, der von lin­ken Jesui­ten bestraft wur­de, sei ein Kon­ser­va­ti­ver. Eine ganz per­sön­li­che Mystifizierung.

2. Eine schmerzhafte Unwahrheit

Papst Berg­o­glio war schon als jun­ger Mann gegen das Opus Dei, wie argen­ti­ni­sche Quel­len ver­si­chern. Die Liste der Gesten gegen das Werk ist lang und durch­aus bekannt, nicht nur in Argen­ti­ni­en. Badil­la berich­tet das per­sön­li­che Zeug­nis eines treu­en Freun­des von Kar­di­nal Berg­o­glio, an den sein jugend­li­cher Sohn vor Jah­ren die Fra­ge rich­te­te: „Wer sind die­se Katho­li­ken, die sich Opus [Dei] nen­nen?“ Die Ant­wort des dama­li­gen Kar­di­nal­erz­bi­schofs von Bue­nos Aires war ein­deu­tig: „War­um? Hast du den Ein­druck, daß es sich um Chri­sten handelt.“

Das Opus Dei wuß­te seit dem Tag der Wahl von Fran­zis­kus, wohin es gehen wür­de, „und nichts, was danach geschah, über­rasch­te die Hier­ar­chie und die Mit­glie­der des Wer­kes, außer einer Lüge des Pap­stes“: die, daß an den Refor­men, die er zur Ände­rung der Sta­tu­ten in die Wege gelei­tet hat­te, zwei Kanonisten/​Theologen des Opus Dei mit­ge­wirkt hat­ten, um den Ein­druck zu erwecken, daß es sich um „Refor­men“ han­del­te, die mit dem Werk und sei­ner Füh­rungs­spit­ze abge­spro­chen waren.

Im übri­gen war und ist die Stra­te­gie des Opus Dei ein alt­be­kann­tes Gebot der Beharr­lich­keit: sich wie ein Schilf­rohr bie­gen und war­ten, bis die Flut vor­über ist!

3. Die „Wahrheiten“ des Papstes und des Kardinals

Wie bereits erwähnt, ist es höchst unwahr­schein­lich, daß die Wahr­heit im Fall Cipria­ni bekannt wer­den wird. Heu­te ist nicht bekannt, und es ist fast sicher, daß es auch nie bekannt wer­den wird, ob die Anschul­di­gun­gen gegen Cipria­ni wahr oder falsch sind. Die von Papst Fran­zis­kus im Jahr 2019 getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen deu­ten dar­auf hin, daß der Pon­ti­fex den perua­ni­schen Kar­di­nal schwe­rer Ver­bre­chen für schul­dig hält. Nie­mand weiß jedoch, auf wel­che Bewei­se sich die vom Papst ver­häng­ten Sank­tio­nen stüt­zen. Kurz­um, wie­der ein­mal stößt man im Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus auf ein Geheim­nis, auf etwas schwer Faß­ba­res und Undurch­dring­li­ches, auf einen Neu­zu­gang im Schrank der berg­o­glia­ni­schen Lei­chen. Könn­te die Wahr­heit gesagt wer­den? Ja, natür­lich, aber wir sind offen­bar nicht in einer Zeit der Wahrheit.

4. Die Manipulation des Papstes

Wie schon in ande­ren Fäl­len und Situa­tio­nen betreibt Papst Fran­zis­kus offen­bar Tat­sa­chen­ma­ni­pu­la­ti­on, um dar­aus media­len Pro­fit zu schla­gen. Die Pres­se ist erwar­tungs­ge­mäß sofort auf den Zug auf­ge­sprun­gen, um einen töd­li­chen Schlag gegen das Opus Dei zu ver­kün­den. Ist ein sol­cher Schlag denk­bar? Ja, die Abnei­gung von Papst Fran­zis­kus gegen das Opus Dei ist bekannt, und so ist ein geziel­ter und geplan­ter Schlag durch­aus plausibel.

In die­ser gan­zen Geschich­te, über die wenig oder gar nichts bekannt ist, blei­ben vie­le von Fra­gen unbe­ant­wor­tet. Vier schei­nen uns zen­tral zu sein:

a) War­um wur­den dem Kar­di­nal nicht die für sei­ne Ver­tei­di­gung erfor­der­li­chen Unter­la­gen aus­ge­hän­digt und war­um wur­den die schwe­ren Stra­fen nicht schrift­lich mit­ge­teilt?
b) Wie ist es zu erklä­ren, daß im Leben der Kir­che und ihrer höch­sten Hier­ar­chien so schwer­wie­gen­de Tat­sa­chen für alle – Beschul­dig­te wie Anklä­ger – so behan­delt wer­den, wie es in der Dar­stel­lung von Kar­di­nal Cipria­ni und den Erklä­run­gen des Pres­se­am­tes des Hei­li­gen Stuhls zum Aus­druck kommt?
c) Wer hat war­um aus den gehei­men Schub­la­den, in denen die Unter­la­gen zu die­sem Fall ver­steckt waren, die­se Doku­men­te zu einem bestimm­ten Zeit­punkt der Redak­ti­on der spa­ni­schen Zei­tung El País zuge­spielt?
d) Natür­lich ist das auch die Fra­ge, war­um Kar­di­nal Cipria­ni 2019 die ihm auf­er­leg­ten Sank­tio­nen akzep­tier­te und dies durch sei­ne Unter­schrift bestä­tig­te, wie er selbst nun bekanntgab.

Keine Unterlagen, aber ein Mea culpa des Opus Dei

Nach dem öffent­li­chen Brief von Kar­di­nal Cipria­ni an El País wur­de am 26. Janu­ar eine Erklä­rung des der­zei­ti­gen Vikars des Opus Dei in Peru, Pater Ángel Gómez-Hor­ti­güela, an die Mit­glie­der und Freun­de des vom hei­li­gen Jose­ma­ria Escri­vá de Bala­guer (1905–1975) gegrün­de­ten Werks online gestellt.
Der Vikar bestä­tigt, daß „Cipria­ni in den Jah­ren, in denen er Prie­ster im Opus Dei war (bis 1988, als er zum Bischof geweiht wur­de), eine umfas­sen­de und groß­zü­gi­ge pasto­ra­le Tätig­keit mit Tau­sen­den von Gläu­bi­gen, Jugend­li­chen und Erwach­se­nen in unse­rem Land aus­ge­übt hat“.

„Unab­hän­gig davon und als Regio­nal­vi­kar“, fügt Pater Ángel Gómez-Hor­ti­güela jedoch hin­zu, „ent­schul­di­ge ich mich von gan­zem Her­zen, wenn ich nicht in der Lage war, einer Per­son, die ange­hört wer­den woll­te, voll­stän­dig ent­ge­gen­zu­kom­men. Als ich 2018 mit der Bit­te um ein Tref­fen mit dem Beschwer­de­füh­rer kon­fron­tiert wur­de, wuß­te ich, daß ich mich nicht in eine for­mel­le Ankla­ge ein­mi­schen konn­te, die bereits beim Hei­li­gen Stuhl ein­ge­reicht wor­den war, was der ange­mes­se­ne Weg ist, wenn es um einen Kar­di­nal geht. Da ich in die­sem Fall kei­ne juri­sti­sche Kom­pe­tenz besit­ze, reagier­te ich, als mich eine Ver­trau­ens­per­son des Beschwer­de­füh­rers um ein Tref­fen bat, in der Annah­me, daß das Tref­fen nicht posi­tiv ver­lau­fen könn­te. Heu­te weiß ich, daß ich ihm einen per­sön­li­chen, mensch­li­chen und geist­li­chen Emp­fang hät­te bie­ten kön­nen, den er, wie ich weiß, von ande­ren Opus-Dei-Leu­ten erhal­ten hat.“

„Ich wei­se auch dar­auf hin“, heißt es in der Erklä­rung des Opus Dei Peru wei­ter, „daß es in den Jah­ren, in denen Pater Juan Luis Cipria­ni als Prie­ster in das Opus Dei inkar­di­niert war [bis 1988], kei­ne Spur von einem for­mel­len Ver­fah­ren gibt. (…) Damals war man sich nicht so bewußt wie heu­te, wel­che Ver­fah­ren für die Beglei­tung der Betrof­fe­nen am besten geeig­net sind. Heu­te, mit dem Bewußt­sein aller in der Kir­che, hat jede Anzei­ge einen kla­ren Weg und kann nicht im Bereich pri­va­ter Gesprä­che blei­ben, mit Men­schen, die jetzt ver­stor­ben sind und mit ande­ren, die nicht iden­ti­fi­ziert wer­den kön­nen. (…) Ich möch­te nicht schlie­ßen, ohne mei­ne Soli­da­ri­tät mit all den Men­schen zu bekräf­ti­gen, die inner­halb und außer­halb der Kir­che unter Miß­brauchs­fäl­len gelit­ten haben, die nie genug sein kann.“

Nun fragt man sich, war­um der Vikar des Opus Dei sol­che ent­schul­di­gen­den (und Kar­di­nal Cipria­ni indi­rekt bela­sten­den) Aus­sa­gen tätigt, obwohl er einen Satz vor­her erklär­te, daß es „kei­ne Spur“ von Anschul­di­gun­gen gegen den dama­li­gen Prie­ster und spä­te­ren Bischof und Kar­di­nal gab.

Kar­di­nal Cipria­ni ist bis zum Beweis des Gegen­teils unschul­dig, so ver­lan­gen es die Stan­dards eines Rechts­staa­tes, was offen­bar man­che auch in der Kir­che zu ver­ges­sen schei­nen. Mit ande­ren Wor­ten, er hat ein Recht auf die Unschuldsvermutung.

Nach der Anschul­di­gung des Pap­stes gegen Cipria­ni, falls die­se wahr ist, hät­te Fran­zis­kus einen regu­lä­ren und fai­ren kano­ni­schen Pro­zeß eröff­nen müs­sen. Ein Ver­fah­ren mit vol­len Rech­ten für die Ankla­ge und die Ver­tei­di­gung. Der Papst hät­te erst am Ende des gesam­ten Pro­zes­ses ein­grei­fen müs­sen, wenn es nötig gewe­sen wäre. Das ist wah­res Recht und das ist Gerech­tig­keit gemäß der christ­li­chen Doktrin.

Wenn all das, was von Kar­di­nal Cipria­ni ange­pran­gert wur­de (Ver­wei­ge­rung ver­schie­de­ner Rech­te, dar­un­ter eine abscheu­li­che: dem Beschul­dig­ten ein abso­lu­tes Schwei­ge­ge­bot auf­zu­er­le­gen), wür­de dies zei­gen, daß wir es mit einer wei­te­ren Ver­let­zung der Men­schen­rech­te durch Papst Berg­o­glio zu tun haben (der stän­dig betont, sie zu respek­tie­ren und zu verteidigen).

Ciprianis Darstellung

Kar­di­nal Cipria­ni bestä­tig­te in sei­nem zwei­ten Brief vom 29. Janu­ar, in dem er erneut alle Miß­brauchs­vor­wür­fe zurück­wies, ein Doku­ment mit den von Papst Fran­zis­kus gegen ihn ver­häng­ten Sank­tio­nen am 19. Dezem­ber 2019 unter­schrie­ben zu haben.

Er bestä­tigt auch, daß er von Papst Fran­zis­kus per­sön­lich im Febru­ar 2020 die Auf­he­bung der Sank­tio­nen erhal­ten hat­te. Der Vati­kan aber teil­te in den ver­gan­ge­nen Tagen mit, daß die Sank­tio­nen wei­ter­hin in Kraft seien.

„Es wird deut­lich, daß sich in die­ser Affä­re ein fei­nes Netz aus Lügen, Mani­pu­la­tio­nen und Mysti­fi­ka­tio­nen spinnt“, schreibt Luis Badil­la. So blei­ben Fra­gen. Die ersten sind: Wer lügt? Berg­o­glio oder Cipria­ni? Und warum?

Die­sen Über­le­gun­gen ist der Voll­stän­dig­keit hal­ber eine kur­ze Zusam­men­fas­sung des Brie­fes des der­zei­ti­gen Erz­bi­schofs von Lima, Car­los Kar­di­nal Castil­lo, hin­zu­zu­fü­gen, in dem er Papst Fran­zis­kus sei­ne vol­le Unter­stüt­zung zusi­chert. Man ver­steht den Grund für die­ses Schrei­ben nicht.

Soll man aus den Stel­lung­nah­men des Erz­bi­schofs und des Vor­stan­des der Perua­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz schlie­ßen, daß sie von der Schuld Cipria­nis aus­ge­hen, weil er damals gemäß Auf­for­de­rung von Papst Fran­zis­kus das Sank­ti­ons­do­ku­ment unter­zeich­net hat?

Die Fra­ge ist dann aber umso mehr, ob es stimmt, daß Fran­zis­kus 2020 in der Audi­enz für Kar­di­nal Cipria­ni die gegen ihn ver­häng­ten Sank­tio­nen wie­der auf­ge­ho­ben hat. Dar­aus lie­ße ich wie­der­um im Umkehr­schluß schlie­ßen, daß die Ermitt­lun­gen gegen den Kar­di­nal des­sen Unschuld erbracht haben.

In der Erklä­rung von Kar­di­nal Castil­lo fin­det sich ein kryp­ti­scher Satz: „In den letz­ten Mona­ten gibt es nach ernst­haf­ten und genau­en Unter­su­chun­gen Per­so­nen und Insti­tu­tio­nen, die sich wei­gern, die Wahr­heit der Fak­ten und der Ent­schei­dun­gen des Hei­li­gen Stuhls anzu­er­ken­nen. Wir bit­ten alle, zur Ver­nunft zu kom­men, durch einen Weg der Bekeh­rung, der den Ver­zicht auf eit­le Recht­fer­ti­gun­gen, Ver­bohrt­heit und Ableh­nung der Wahr­heit beinhaltet.“

Was will der der­zei­ti­ge Pri­mas von Peru damit sagen? An wen sind die­se Wor­te gerich­tet? Will er sagen, Kar­di­nal Cipria­ni sol­le, auch wenn er unschul­dig ist, die Sank­tio­nen des Vati­kans gegen sei­ne Per­son akzep­tie­ren, weil der Papst das so will?

Das Mißbrauchsverbrechen, dessen Bekämpfung und ihre Instrumentalisierung

Die Kir­che scheint den Kampf gegen den Miß­brauch zu ver­lie­re­en, und damit ver­liert sie Glaubwürdigkeit. 

  • Dafür ist maß­geb­lich eine feind­se­lig gesinn­te welt­li­che Pres­se ver­ant­wort­lich, die den Miß­brauchs­skan­dal als will­kom­me­ne Gele­gen­heit sieht, die Kir­che zu schwä­chen und letzt­lich irrele­vant zu machen. 
  • Ver­ant­wort­lich dafür ist aber in erster Linie jeder Miß­brauchs­tä­ter. Jeder Kle­ri­ker, der sich schul­dig gemacht hat.
  • Ver­ant­wort­lich dafür ist jedoch auch der Umgang mit dem Miß­brauchs­skan­dal durch die Kir­che. Papst Fran­zis­kus ver­kün­det völ­li­ge Trans­pa­renz, doch die Wirk­lich­keit ist immer wie­der das Gegen­teil davon. Hin­zu kommt der Ein­druck, daß die Schuld eines Miß­brauchs­tä­ters vom Nahe­ver­hält­nis zum Papst oder sei­ner näch­sten Ver­trau­ten abzu­hän­gen scheint.

Daher ist mit Bedau­ern fest­zu­stel­len, daß „Anti-Pädo­phi­lie-Pro­fis“, wie Badil­la sie nennt, das Feld beackern, die Gewis­sens- und Macht­miß­brauch igno­rie­ren und bei der Bekämp­fung der Pädo­phi­lie im Kle­rus den Trick der „dop­pel­ten Stan­dards“ anwen­den: „Den Freun­den der Macht alles, den Fein­den nicht ein­mal die Gerech­tig­keit“, wie ein pero­ni­sti­sches Mot­to lau­tet. Irgend­wann scheint sich jeder Kreis zu schließen.

Die­se Metho­de hat dazu geführt, daß der Kampf gegen den sexu­el­len Miß­brauch in der Kir­che mit schockie­ren­den Unsi­cher­hei­ten behaf­tet ist, da es mitt­ler­wei­le – und in zuneh­men­dem Maße – nicht mehr leicht ist, zwi­schen der Ver­fol­gung und Anpran­ge­rung einer sehr schwe­ren Sün­de und eines schwe­ren Ver­bre­chens und der listi­gen und unan­stän­di­gen Metho­de zu unter­schei­den, die die Instru­men­te die­ses Kamp­fes dazu benutzt, Anders­den­ken­de oder Kri­ti­ker zu ver­nich­ten, Geg­ner zu dis­kre­di­tie­ren und Kar­rie­ren in der kirch­li­chen Welt zu been­den. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist ein Nagel im Sarg der Kir­che, wie ihn sich man­che wün­schen. Ein Bei­spiel dafür ist der Fall Mar­ko Ivan Rupnik.

Wenn es wahr ist, wie Kar­di­nal Cipria­ni sagt, daß, nach­dem er über die Pädo­phi­lie-Anzei­ge gegen ihn infor­miert wur­de, ihm 16 Mona­te lang nie­mand in der zustän­di­ge Behör­de an der Römi­schen Kurie zuge­hört hat, bedeu­tet das, daß die mini­ma­len Rechts­stan­dards, die Men­schen­rech­te und auch die Men­schen­wür­de im Vati­kan nicht respek­tiert wer­den. Eine Per­son ver­bal zu beschul­di­gen, aber nicht anzu­hö­ren, son­dern nach 16 Mona­ten mit einer Liste von Stra­fen beim Beschul­dig­ten wie­der auf­zu­tau­chen, gab es wann? 

„Nicht ein­mal in der Sowjet­uni­on“, meint Luis Badilla.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

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