
Die in Medien kolportierten und vom Vatikan und peruanischen Bischöfen „bestätigten“ Mißbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Juan Luis Cipriani Thorne, emeritierter Erzbischof von Lima und Primas von Peru, verlangt besondere Aufmerksamkeit. Luis Badilla, ehemaliger Herausgeber der Presserundschau Il Sismografo in Rom unternahm den Versuch, die Angelegenheit zu entwirren und etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Einige der bisherigen Fragen bleiben unbeantwortet, vor allem aber kommen neue, teils schwerwiegende Fragen hinzu – und diese richten sich nicht an Kardinal Cipriani Thorne, sondern an Papst Franziskus.
Ende Januar 2025, sieben Jahre nach ihrem bisher geheimen Anfang, explodierte der Skandal um den peruanischen Kardinal Juan Luis Cipriani Thorne, ein bekanntes Mitglied des Opus Dei, der für seine konservativen Positionen berühmt und wegen seiner Intelligenz und seiner Entschiedenheit von seinen Gegnern gefürchtet wurde. Neben kirchlichen Gegnern sammelte sich der Kardinal auch politische Gegner, da er keine Sympathien für die politische Linke zeigte und Perus Präsident Alberto Fujimori (1990–2000) unterstützt hatte. Kardinal Cipriani hatte den Kampf gegen die kommunistisch-maoistische Terrororganisation Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) unter ihrem Anführer Abimael Guzman unterstützt, der unter Fujimori besiegt und wobei Guzman verhaftet werden konnte.
Artikel in El País
Alles begann mit einem Artikel in der spanischen Tageszeitunug El País am 25. Juni, auf den der Kardinal sofort am Sonntag, dem 26. Januar, reagierte, indem er die Vorwürfe des sexuellen Mißbrauchs eines damals 16/17 Jahre alten Jungen im Jahr 1983 zurückwies. Cipriani war damals etwa 40 Jahre alt. Diesem Schreiben ließ der Kardinal einige Tage später, nachdem der Vatikan und peruanische Bischöfe die Anschuldigungen zu unterstützen schienen, ein zweites Schreiben folgen, das mehr Details enthielt.
Wie im Fall Rupnik und in anderen Fällen wird nun bei Cipriani die inzwischen schon übliche Enthüllung zelebriert: Alles wurde vertuscht, und so spielen alle Beteiligten nun ihr eigenes Spiel, verteidigen ihre eigenen Interessen und bedienen sich der bereits bekannten und bewährten Manipulationen. Nach den bisherigen Erfahrungen in diesen Jahren des Pontifikats von Franziskus ist das einzig Wahre, daß die Wahrheit nie bekannt werden wird.
Wer lügt? Papst Franziskus oder Kardinal Cipriani?
Luis Badilla erstellte eine Chronologie der wichtigsten bekannten Fakten, der in der folgenden Darstellung weitgehend gefolgt wird.
- 1983. Angeblicher sexueller Mißbrauch eines 16/17jährigen Jungen in Peru durch den damaligen Pater Juan Luis Cipriani, Spiritual am Priesterseminar von Lima (1981–1983).
- 2018 (Sommer). 35 Jahre später erhält Papst Franziskus einen Brief von einem mutmaßlichen Mißbrauchsopfer (heute etwa 58/59 Jahre alt). Vermittler für die Übergabe des Briefes ist der Chilene Juan Carlos Cruz, ein Journalist, der heute Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommision ist. Als Jugendlicher war Cruz, heute selbst bekennender Homosexueller, Opfer des chilenischen Priesters und Homo-Serienmißbrauchstäters Fernando Karadima.
- 2018 (August). Der Vatikan informiert Kardinal Cipriani, damals Erzbischof von Lima und Primas von Peru, über den Mißbrauchsvorwurf, der ihn betrifft, gewährt dem Beschuldigten aber weder Akteneinsicht noch wird ihm irgendein Dokument zur Sache ausgehändigt. Es werden ihm auch keine Einzelheiten genannt. Alles gilt als geheim.
- 2019 (19. Dezember). Der Nuntius in Peru, Msgr. Nicola Girasoli, informiert Kardinal Cipriani mündlich über eine Reihe von Sanktionen, die von der damaligen Glaubenskongregation gegen ihn verhängt wurden. Dazu gehörte auch ein absolutes Schweigegebot, das der Kardinal bis zum Samstag, dem 25. Januar 2025, aufrechterhielt. Mit dieser Geste, die durch einen öffentlichen Brief an die Zeitung El País noch verstärkt wurde, eröffnete Kardinal Cipriani, der in zwei Konklaven (2005/Ratzinger und 2013/Bergoglio) Papstwähler war, eine Art Abrechnung mit Franziskus, der sich der Papst natürlich nicht entziehen konnte.
- 2020 (4. Februar). Der Papst empfängt den inzwischen emeritierten Kardinal Cipriani, der erzählt: „Unter diesen Umständen hat Franziskus mir erlaubt, meine pastorale Tätigkeit wiederaufzunehmen, was ich sofort getan habe“. Niemand im Vatikan störte sich an diesem Verhalten, das theoretisch eine offene Verletzung der Vereinbarungen von 2019 und eine Geste sehr schweren Ungehorsams gegenüber dem Papst darstellte. Diese Reaktion scheint die Darstellung von Kardinal Cipriani zu bestätigen, daß Franziskus damals die gegen ihn verhängten Sanktionen aufgehoben hatte. Seit fünf Jahren ist Kardinal Cipriani wieder als Seelsorger tätig, sogar innerhalb der vatikanischen Mauern in einem Dikasterium, dem er als Mitglied angehört.
- 2025 (25. Januar). In der Zeitung El País erscheint ein Artikel, der den Kardinal als mutmaßlichen pädophilen Mißbrauchstäter beschuldigt und zahlreiche Details über die ungewöhnliche Art und Weise enthüllt, wie die Affäre sowohl vom Vatikan als auch vom Kardinal selbst behandelt wurde.
- 2025 (26. Januar). Erklärung von Pater Ángel Gómez-Hortigüela, Vikar des Opus Dei in Peru, um eine sanfte und konfuse Selbstkritik zu üben und die Nähe und Solidarität mit den Pädophilie-Opfern zu bekräftigen. Diese Passage wird seither wie eine Litanei wiederholt, jeden Tag, doch ohne glasklare und vollständige Wahrheit wird es keine Gerechtigkeit geben oder sie wird nur schwach und unglaubwürdig sein.
- 2025 (26. Januar). Das Presseamt des Heiligen Stuhls bestätigt die Affäre, sagt aber nichts weiter dazu.
- 2025 (28. Januar). Brief von Kardinal Castillo, dem Nachfolger von Kardinal Cipriani als Erzbischof von Lima und Primas von Peru.
- 2025 (29. Januar). Kardinal Cipriani weist erneut alle Mißbrauchsvorwürfe von sich, bestätigt jedoch, die Annahme der 2018 gegen ihn verhängten vatikanischen Sanktionen unterzeichnet zu haben.
Von der ganzen Affäre war in der Vergangenheit, also bis zum 25. Januar 2025, nichts bekannt. Bekannt war jedoch die alte gegenseitige Abneigung zwischen Cipriani und Bergoglio. Ein Detail hatte schon in der Vergangenheit die Aufmerksamkeit einiger Beobachter geweckt. In der offiziellen Biographie von Kardinal Cipriani auf der Internetseite des Heiligen Stuhls steht bis heute kein Datum für die Emeritierung des Kardinals, die am 25. Januar 2019 formell „aus Altersgründen“ erfolgte. Der Erzbischof von Lima war Ende Dezember 2018 75 Jahre alt geworden.
Was ist geschehen und was passiert gerade?
1. Progressive gegen Konservative
Das Thema könnte eine einfache, unmittelbare und auch zutreffende Lesart haben, wie in den Kommentaren zahlreicher Journalisten zu sehen ist, nämlich, daß Papst Franziskus dem Opus Dei gerade den Todesstoß versetzt, nachdem er vor einiger Zeit dem Werk Gottes den von Johannes Paul II. gewährten Rechtsstatus einer Personalprälatur entzogen hatte.
Franziskus, der progressive lateinamerikanische Jesuit, gegen Kardinal Cipriani vom konservativen Opus Dei. Das ist die Ansicht vieler Analysten zu diesem Thema, und sie haben Recht damit.
Die Einschätzung der Jesuiten entspricht dabei allerdings nur bedingt den Tatsachen. In der Region vom Rio Grande bis Patagonien sind und waren die Jesuiten die Erzieher der Mittel- und Oberschicht. „Die oft behauptete massive Präsenz von Jesuiten unter den Armen ist eine grobe Mystifizierung“, so Luis Badilla. Die auffällig mißbilligende Betonung durch Papst Bergoglio, daß das Opus Dei konservativ sei, was von ihm nahestehenden Laien, Klerikern und Journalisten noch verstärkt wird, ist nichts anderes als eine Form der Selbstdarstellung, um sich selbst als progressiven Jesuiten zu präsentieren. Pater Bergoglio stand lange im Konflikt mit der Leitung des Jesuitenordens in Argentinien. Dabei ging es zwar auch um Gehorsamsfragen, aber nicht um den Gegensatz progressiv und konservativ. Das ließ das Bild entstehen, er, der von linken Jesuiten bestraft wurde, sei ein Konservativer. Eine ganz persönliche Mystifizierung.
2. Eine schmerzhafte Unwahrheit
Papst Bergoglio war schon als junger Mann gegen das Opus Dei, wie argentinische Quellen versichern. Die Liste der Gesten gegen das Werk ist lang und durchaus bekannt, nicht nur in Argentinien. Badilla berichtet das persönliche Zeugnis eines treuen Freundes von Kardinal Bergoglio, an den sein jugendlicher Sohn vor Jahren die Frage richtete: „Wer sind diese Katholiken, die sich Opus [Dei] nennen?“ Die Antwort des damaligen Kardinalerzbischofs von Buenos Aires war eindeutig: „Warum? Hast du den Eindruck, daß es sich um Christen handelt.“
Das Opus Dei wußte seit dem Tag der Wahl von Franziskus, wohin es gehen würde, „und nichts, was danach geschah, überraschte die Hierarchie und die Mitglieder des Werkes, außer einer Lüge des Papstes“: die, daß an den Reformen, die er zur Änderung der Statuten in die Wege geleitet hatte, zwei Kanonisten/Theologen des Opus Dei mitgewirkt hatten, um den Eindruck zu erwecken, daß es sich um „Reformen“ handelte, die mit dem Werk und seiner Führungsspitze abgesprochen waren.
Im übrigen war und ist die Strategie des Opus Dei ein altbekanntes Gebot der Beharrlichkeit: sich wie ein Schilfrohr biegen und warten, bis die Flut vorüber ist!
3. Die „Wahrheiten“ des Papstes und des Kardinals
Wie bereits erwähnt, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die Wahrheit im Fall Cipriani bekannt werden wird. Heute ist nicht bekannt, und es ist fast sicher, daß es auch nie bekannt werden wird, ob die Anschuldigungen gegen Cipriani wahr oder falsch sind. Die von Papst Franziskus im Jahr 2019 getroffenen Entscheidungen deuten darauf hin, daß der Pontifex den peruanischen Kardinal schwerer Verbrechen für schuldig hält. Niemand weiß jedoch, auf welche Beweise sich die vom Papst verhängten Sanktionen stützen. Kurzum, wieder einmal stößt man im Pontifikat von Franziskus auf ein Geheimnis, auf etwas schwer Faßbares und Undurchdringliches, auf einen Neuzugang im Schrank der bergoglianischen Leichen. Könnte die Wahrheit gesagt werden? Ja, natürlich, aber wir sind offenbar nicht in einer Zeit der Wahrheit.
4. Die Manipulation des Papstes
Wie schon in anderen Fällen und Situationen betreibt Papst Franziskus offenbar Tatsachenmanipulation, um daraus medialen Profit zu schlagen. Die Presse ist erwartungsgemäß sofort auf den Zug aufgesprungen, um einen tödlichen Schlag gegen das Opus Dei zu verkünden. Ist ein solcher Schlag denkbar? Ja, die Abneigung von Papst Franziskus gegen das Opus Dei ist bekannt, und so ist ein gezielter und geplanter Schlag durchaus plausibel.
In dieser ganzen Geschichte, über die wenig oder gar nichts bekannt ist, bleiben viele von Fragen unbeantwortet. Vier scheinen uns zentral zu sein:
a) Warum wurden dem Kardinal nicht die für seine Verteidigung erforderlichen Unterlagen ausgehändigt und warum wurden die schweren Strafen nicht schriftlich mitgeteilt?
b) Wie ist es zu erklären, daß im Leben der Kirche und ihrer höchsten Hierarchien so schwerwiegende Tatsachen für alle – Beschuldigte wie Ankläger – so behandelt werden, wie es in der Darstellung von Kardinal Cipriani und den Erklärungen des Presseamtes des Heiligen Stuhls zum Ausdruck kommt?
c) Wer hat warum aus den geheimen Schubladen, in denen die Unterlagen zu diesem Fall versteckt waren, diese Dokumente zu einem bestimmten Zeitpunkt der Redaktion der spanischen Zeitung El País zugespielt?
d) Natürlich ist das auch die Frage, warum Kardinal Cipriani 2019 die ihm auferlegten Sanktionen akzeptierte und dies durch seine Unterschrift bestätigte, wie er selbst nun bekanntgab.
Keine Unterlagen, aber ein Mea culpa des Opus Dei
Nach dem öffentlichen Brief von Kardinal Cipriani an El País wurde am 26. Januar eine Erklärung des derzeitigen Vikars des Opus Dei in Peru, Pater Ángel Gómez-Hortigüela, an die Mitglieder und Freunde des vom heiligen Josemaria Escrivá de Balaguer (1905–1975) gegründeten Werks online gestellt.
Der Vikar bestätigt, daß „Cipriani in den Jahren, in denen er Priester im Opus Dei war (bis 1988, als er zum Bischof geweiht wurde), eine umfassende und großzügige pastorale Tätigkeit mit Tausenden von Gläubigen, Jugendlichen und Erwachsenen in unserem Land ausgeübt hat“.
„Unabhängig davon und als Regionalvikar“, fügt Pater Ángel Gómez-Hortigüela jedoch hinzu, „entschuldige ich mich von ganzem Herzen, wenn ich nicht in der Lage war, einer Person, die angehört werden wollte, vollständig entgegenzukommen. Als ich 2018 mit der Bitte um ein Treffen mit dem Beschwerdeführer konfrontiert wurde, wußte ich, daß ich mich nicht in eine formelle Anklage einmischen konnte, die bereits beim Heiligen Stuhl eingereicht worden war, was der angemessene Weg ist, wenn es um einen Kardinal geht. Da ich in diesem Fall keine juristische Kompetenz besitze, reagierte ich, als mich eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers um ein Treffen bat, in der Annahme, daß das Treffen nicht positiv verlaufen könnte. Heute weiß ich, daß ich ihm einen persönlichen, menschlichen und geistlichen Empfang hätte bieten können, den er, wie ich weiß, von anderen Opus-Dei-Leuten erhalten hat.“
„Ich weise auch darauf hin“, heißt es in der Erklärung des Opus Dei Peru weiter, „daß es in den Jahren, in denen Pater Juan Luis Cipriani als Priester in das Opus Dei inkardiniert war [bis 1988], keine Spur von einem formellen Verfahren gibt. (…) Damals war man sich nicht so bewußt wie heute, welche Verfahren für die Begleitung der Betroffenen am besten geeignet sind. Heute, mit dem Bewußtsein aller in der Kirche, hat jede Anzeige einen klaren Weg und kann nicht im Bereich privater Gespräche bleiben, mit Menschen, die jetzt verstorben sind und mit anderen, die nicht identifiziert werden können. (…) Ich möchte nicht schließen, ohne meine Solidarität mit all den Menschen zu bekräftigen, die innerhalb und außerhalb der Kirche unter Mißbrauchsfällen gelitten haben, die nie genug sein kann.“
Nun fragt man sich, warum der Vikar des Opus Dei solche entschuldigenden (und Kardinal Cipriani indirekt belastenden) Aussagen tätigt, obwohl er einen Satz vorher erklärte, daß es „keine Spur“ von Anschuldigungen gegen den damaligen Priester und späteren Bischof und Kardinal gab.
Kardinal Cipriani ist bis zum Beweis des Gegenteils unschuldig, so verlangen es die Standards eines Rechtsstaates, was offenbar manche auch in der Kirche zu vergessen scheinen. Mit anderen Worten, er hat ein Recht auf die Unschuldsvermutung.
Nach der Anschuldigung des Papstes gegen Cipriani, falls diese wahr ist, hätte Franziskus einen regulären und fairen kanonischen Prozeß eröffnen müssen. Ein Verfahren mit vollen Rechten für die Anklage und die Verteidigung. Der Papst hätte erst am Ende des gesamten Prozesses eingreifen müssen, wenn es nötig gewesen wäre. Das ist wahres Recht und das ist Gerechtigkeit gemäß der christlichen Doktrin.
Wenn all das, was von Kardinal Cipriani angeprangert wurde (Verweigerung verschiedener Rechte, darunter eine abscheuliche: dem Beschuldigten ein absolutes Schweigegebot aufzuerlegen), würde dies zeigen, daß wir es mit einer weiteren Verletzung der Menschenrechte durch Papst Bergoglio zu tun haben (der ständig betont, sie zu respektieren und zu verteidigen).
Ciprianis Darstellung
Kardinal Cipriani bestätigte in seinem zweiten Brief vom 29. Januar, in dem er erneut alle Mißbrauchsvorwürfe zurückwies, ein Dokument mit den von Papst Franziskus gegen ihn verhängten Sanktionen am 19. Dezember 2019 unterschrieben zu haben.
Er bestätigt auch, daß er von Papst Franziskus persönlich im Februar 2020 die Aufhebung der Sanktionen erhalten hatte. Der Vatikan aber teilte in den vergangenen Tagen mit, daß die Sanktionen weiterhin in Kraft seien.
„Es wird deutlich, daß sich in dieser Affäre ein feines Netz aus Lügen, Manipulationen und Mystifikationen spinnt“, schreibt Luis Badilla. So bleiben Fragen. Die ersten sind: Wer lügt? Bergoglio oder Cipriani? Und warum?
Diesen Überlegungen ist der Vollständigkeit halber eine kurze Zusammenfassung des Briefes des derzeitigen Erzbischofs von Lima, Carlos Kardinal Castillo, hinzuzufügen, in dem er Papst Franziskus seine volle Unterstützung zusichert. Man versteht den Grund für dieses Schreiben nicht.
Soll man aus den Stellungnahmen des Erzbischofs und des Vorstandes der Peruanischen Bischofskonferenz schließen, daß sie von der Schuld Ciprianis ausgehen, weil er damals gemäß Aufforderung von Papst Franziskus das Sanktionsdokument unterzeichnet hat?
Die Frage ist dann aber umso mehr, ob es stimmt, daß Franziskus 2020 in der Audienz für Kardinal Cipriani die gegen ihn verhängten Sanktionen wieder aufgehoben hat. Daraus ließe ich wiederum im Umkehrschluß schließen, daß die Ermittlungen gegen den Kardinal dessen Unschuld erbracht haben.
In der Erklärung von Kardinal Castillo findet sich ein kryptischer Satz: „In den letzten Monaten gibt es nach ernsthaften und genauen Untersuchungen Personen und Institutionen, die sich weigern, die Wahrheit der Fakten und der Entscheidungen des Heiligen Stuhls anzuerkennen. Wir bitten alle, zur Vernunft zu kommen, durch einen Weg der Bekehrung, der den Verzicht auf eitle Rechtfertigungen, Verbohrtheit und Ablehnung der Wahrheit beinhaltet.“
Was will der derzeitige Primas von Peru damit sagen? An wen sind diese Worte gerichtet? Will er sagen, Kardinal Cipriani solle, auch wenn er unschuldig ist, die Sanktionen des Vatikans gegen seine Person akzeptieren, weil der Papst das so will?
Das Mißbrauchsverbrechen, dessen Bekämpfung und ihre Instrumentalisierung
Die Kirche scheint den Kampf gegen den Mißbrauch zu verliereen, und damit verliert sie Glaubwürdigkeit.
- Dafür ist maßgeblich eine feindselig gesinnte weltliche Presse verantwortlich, die den Mißbrauchsskandal als willkommene Gelegenheit sieht, die Kirche zu schwächen und letztlich irrelevant zu machen.
- Verantwortlich dafür ist aber in erster Linie jeder Mißbrauchstäter. Jeder Kleriker, der sich schuldig gemacht hat.
- Verantwortlich dafür ist jedoch auch der Umgang mit dem Mißbrauchsskandal durch die Kirche. Papst Franziskus verkündet völlige Transparenz, doch die Wirklichkeit ist immer wieder das Gegenteil davon. Hinzu kommt der Eindruck, daß die Schuld eines Mißbrauchstäters vom Naheverhältnis zum Papst oder seiner nächsten Vertrauten abzuhängen scheint.
Daher ist mit Bedauern festzustellen, daß „Anti-Pädophilie-Profis“, wie Badilla sie nennt, das Feld beackern, die Gewissens- und Machtmißbrauch ignorieren und bei der Bekämpfung der Pädophilie im Klerus den Trick der „doppelten Standards“ anwenden: „Den Freunden der Macht alles, den Feinden nicht einmal die Gerechtigkeit“, wie ein peronistisches Motto lautet. Irgendwann scheint sich jeder Kreis zu schließen.
Diese Methode hat dazu geführt, daß der Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch in der Kirche mit schockierenden Unsicherheiten behaftet ist, da es mittlerweile – und in zunehmendem Maße – nicht mehr leicht ist, zwischen der Verfolgung und Anprangerung einer sehr schweren Sünde und eines schweren Verbrechens und der listigen und unanständigen Methode zu unterscheiden, die die Instrumente dieses Kampfes dazu benutzt, Andersdenkende oder Kritiker zu vernichten, Gegner zu diskreditieren und Karrieren in der kirchlichen Welt zu beenden. Ein solches Verhalten ist ein Nagel im Sarg der Kirche, wie ihn sich manche wünschen. Ein Beispiel dafür ist der Fall Marko Ivan Rupnik.
Wenn es wahr ist, wie Kardinal Cipriani sagt, daß, nachdem er über die Pädophilie-Anzeige gegen ihn informiert wurde, ihm 16 Monate lang niemand in der zuständige Behörde an der Römischen Kurie zugehört hat, bedeutet das, daß die minimalen Rechtsstandards, die Menschenrechte und auch die Menschenwürde im Vatikan nicht respektiert werden. Eine Person verbal zu beschuldigen, aber nicht anzuhören, sondern nach 16 Monaten mit einer Liste von Strafen beim Beschuldigten wieder aufzutauchen, gab es wann?
„Nicht einmal in der Sowjetunion“, meint Luis Badilla.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
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