
Bereits vor Weihnachten stand die Frage im Raum, wer neuer Dekan des Kardinalskollegiums wird. Eine Antwort zeichnet sich noch immer nicht ab, da Franziskus den beliebtesten Kandidaten nicht will und daher die Wahl verschoben wurde. Der Kardinaldekan ist der formal ranghöchste Kirchenvertreter nach dem Papst.
Seit Wochen wird in Rom an ein Ereignis erinnert, das von enormer Bedeutung für die Kirche ist: das Auslaufen des Mandats von Kardinal Giovanni Battista Re als Dekan des Kardinalskollegiums. Am 19. Januar war es soweit und das Mandat von Kardinal Re endete.
Es mag auf den ersten Blick wie eine rein bürokratische Angelegenheit erscheinen, aber der Dekan der Kardinäle, der Primus inter pares unter den mehr als zweihundert Purpurträgern (von denen 138 derzeit in einem Konklave wahlberechtigt sind), spielt eine Rolle von grundlegender Bedeutung, nicht nur im täglichen Leben, sondern insbesondere dann, wenn der Apostolische Stuhl vakant wird. In der Zeit der sogenannten Sedisvakanz, der papstlosen Zeit, nimmt der Kardinaldekan eine zentrale Position ein.
Es ist der Kardinaldekan, der während des Übergangs die Zügel der Kirche in die Hand nimmt. Er ist derjenige, der den Riten des Konklaves vorsteht: den Abstimmungen in der Sixtinischen Kapelle, aber auch den Arbeiten der Generalkongregationen, die dem Konklave vorausgehen.
Jahrhundertelang erfolgte die Wahl des Dekans des Heiligen Kollegiums auf Lebenszeit. Gewählt haben ihn die Kardinalbischöfe der suburbikarischen Bistümer. 1965 stellte Papst Paul VI. ihnen die Patriarchen der katholischen Ostkirchen im Kardinalsrang gleich.
Papst Franziskus aber hat in der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium vom 19. März 2022, mit der er der Römischen Kurie eine neue Verfassung gab, festgelegt, daß auch dieses hohe Amt zeitlich befristet wird, mit einer nur mehr fünfjährigen Amtszeit, die zudem nur einmal verlängert werden kann. Franziskus bestimmte bereits zu einem früheren Zeitpunkt, daß alle Kardinalbischöfe wahlberechtigt sind. Derzeit zählt die Kirche dreizehn Kardinalbischöfe.
Seit einiger Zeit ist bekannt, daß der 2019 gewählte Kardinal Re, der vor kurzem seinen 91. Geburtstag beging, eine mögliche Wiederwahl nicht mehr in Erwägung zieht. Deshalb hat hinter den Kulissen ein regelrechter Wahlkampf um die Ernennung eines Nachfolgers begonnen.
Die beiden Hauptkandidaten sind der Subdekan, das ist der argentinische Kardinal Leonardo Sandri (der ebenfalls aus Buenos Aires stammt wie Bergoglio), und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Für die Wahl des neuen Dekans ist seit Tagen alles vorbereitet. Alle Wähler sind bereits in Rom und warten darauf, zur Abstimmung gerufen zu werden. Der Staatssekretär, der sich bis zum 20. Januar auf einer Auslandsreise befand, hatte seine Rückkehr nach Rom absichtlich beschleunigt, aber bis jetzt ist noch nichts geschehen.
Der Argentinier Sandri galt lange Zeit als Favorit. Franziskus soll jedoch seine Meinung geändert haben. Nun heißt es, die beiden Argentinier, die sich vor den Kameras brüderlich umarmen, sollen sich seit Jahrzehnten in Abneigung zugetan sein. Diese Abneigung gehe auf die letzten Jahre des Pontifikats von Johannes Paul II. zurück, als Sandri unter dem sehr mächtigen Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano zu dessen Substituten im vatikanischen Staatssekretariat ernannt wurde. Damals, in den Jahren 2000 bis 2007, soll er mit Zustimmung seines direkten Vorgesetzten alle von Jorge Mario Bergoglio, dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires, vorgeschlagenen Ernennungen abgelehnt haben.
Wie es plötzlich heißt, möchte Franziskus sich nicht weiteren Anschuldigungen aussetzen, daß er zu viele wichtige Positionen mit Argentiniern oder Lateinamerikanern besetze. Das Argument scheint aber allein schon deshalb wenig überzeugend, weil der Kardinaldekan eben nicht vom Papst ernannt, sondern von den Kardinalbischöfen gewählt wird.
Derzeit wird von Rom aus einer der einflußreichsten lateinamerikanischen Gegenspieler Bergoglios demontiert: Kardinal Juan Luis Cipriani Thorne, emeritierter Erzbischof von Lima und Primas von Peru, ein Mitglied des Opus Dei. Cipriani Thorne werden gute Kontakte zu Kardinal Sandri nachgesagt. Franziskus, der Cipriani Thorne 2019 emeritierte, erlegte ihm zugleich eine Schweigepflicht auf. Als der Kardinal nun von Medien angegriffen wurde, brach dieser sein Schweigen und wies die Anschuldigung entschieden zurück. Werden da alte Rechnungen beglichen? Es tobt jedenfalls ein Machtkampf hinter den Kulissen, der direkt mit den Vorbereitungen zum nächsten Konklave zusammenhängt.
Aufgrund der Wahlordnung im Konklave, die alle Kardinäle, die das 80. Lebensjahr vollendet haben, von der Papstwahl ausschließt, wäre derzeit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin der rangälteste Kardinalbischof und würde im Konklave die Aufgaben des Kardinaldekans übernehmen. Kardinal Sandri feierte im November 2023 sein 80. Wiegenfest. Er darf daher, selbst wenn er zum Kardinaldekan gewählt werden sollte, nicht am Konklave teilnehmen. Der ranghöchste Kardinalbischof unter den Papstwählern würde stellvertretend seine Position einnehmen.
So scheint Kardinal Parolin wieder einmal der lachende Dritte zu sein. Die Frage ist, ob Franziskus das will.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)
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