Die Kirchenchronik ist um ein überraschendes Kapitel reicher geworden. Der Jesuitenorden befindet sich seit General Pedro Arrupe zahlenmäßig im freien Fall. Der Arrupe-Teil des Ordens ist seither so zielstrebig orientierungslos, daß Jesuiten entscheidend die Nachkonzilsverwirrung hervorbrachten und erfolgreich der Weltkirche implementierten. Karl Rahner, der weitaus einflußreichste Konzilstheologe, war Jesuit. Doch nicht alle Jesuiten gehören der Arrupe-Fraktion an. Viele versuchten gegenzusteuern. Manche verließen den Orden auch, um in andere Orden zu wechseln oder Neugründungen ins Leben zu rufen. Nun gibt es sogar einen Jesuiten, der es unter Papst Franziskus nicht mehr aushielt und nicht nur dem Orden den Rücken kehrte, sondern Sedisvakantist wurde. Ein sedisvakantistischer Jesuit ist in der Tat eine ungewöhnliche Besonderheit.
Auf Facebook und Instagram wurde die Nachricht bekanntgegeben, daß der US-Jesuit Pater James Marshall nach 30 Jahren im Ordensstand den Jesuitenorden verlassen und sich dem Institutum Catholicum Romanum (Roman Catholic Institute) angeschlossen hat.
Jesuiten verpflichten sich, anders als die anderen Orden, in einem vierten Gelübde zur besonderen Treue gegenüber dem Papst. Aus diesem Grund gilt es als Widerspruch, daß ein Jesuit selbst auf dem Stuhl Petri sitzt. Aber das ist eine andere Frage. Dieses vierte Gelübde läßt es umso erstaunlicher sein, daß sich ein Jesuit nun von seinem Orden und der Einheit mit Rom abwandte, um sich einer sedisvakantistischen Richtung anzuschließen.
Pater James Marshall ist in den USA zudem kein unbekannter Priester. Er ist durch seinen Einsatz für die Priests for Life (Priester für das Leben) vor allem in der sehr aktiven Lebensrechtsbewegung bekannt. Die Priests for Life wurden 1991 vom damaligen Erzbischof von San Francisco kanonisch errichtet und setzen sich in besonderer Weise für das Lebensrecht und den Schutz ungeborener Kinder ein. Sie entstanden als Antwort auf den Ruf von Papst Johannes Paul II. an die Kirche, sich gegen die „Kultur des Todes“ zu stemmen und dieser eine Kultur des Lebens entgegenzusetzen.
Unter dem Pontifikat von Papst Franziskus drehte sich der Wind aber radikal und die Priester für das Leben stören seither die neue kirchliche Obrigkeit. Gegen ihren Gründer Father Frank Pavone, Priester und Kopf der Bewegung, wurde ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet und Pavone im November 2022 unter allerlei Vorwänden laisiert.
Peter James Marshall ein „Priester für das Leben“
Pater James Marshall wurde in El Paso in Texas geboren. 1991 trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Vor seinem Ordenseintritt hatte er in Texas einen Bachelor in Informatik erworben. Anschließend studierte er Philosophie und Theologie an der St. Louis University und an der Jesuit School of Theology at Berkeley. 2003 wurde er zum Priester geweiht und diente in Texas, New Mexico und zuletzt Florida in verschiedenen Seelsorgebereichen, unterrichtete am Propädeutikum in Dallas, wo er zugleich auch Krankenhausseelsorger war. In dieser Zeit schloß er sich den Priestern für das Leben an, nachdem er bereits während seines Studiums in Kalifornien begonnen hatte, sich für Lebensrechtsfragen zu engagieren. Er unterstützte Rachel’s Vineyard (Rachels Weinberg), war in der Post-Abortion-Seelsorge tätig, betete mit Lebensschützern vor Abtreibungseinrichtungen. Förderte das Project Gabriel für Einkehrtage und Exerzitien für Mitarbeiter und Aktivisten der Lebensrechtsbewegung, saß im Vorstand verschiedener Lebensrechtsorganisationen, vor allem im Bereich Förderung von Ehe und Familie. In diesem Zusammenhang hielt er speziell Ignatianische Exerzitien als besonders starkes Mittel im Kampf gegen die „Kultur des Todes“.
In Florida scheint Pater James Marshall in Kontakt zu den Sedisprivationisten des Roman Catholic Institute gekommen zu sein. Dort existiert der Orden der Schwestern des heiligen Thomas von Aquin (Sisters of St. Thomas Aquinas), der zum Roman Catholic Institute gehört. Der Orden errichtet in Brooksville in Florida ein neugotisches Kloster im traditionellen Stil als Mutterhaus. Verbunden mit dem Kloster ist die Academy Queen of All Saints, eine sedisprivationistische Privatschule, die von der ersten Grundschulklasse bis zur Hochschulreife führt.
Das Roman Catholic Institute entstand 1994 als Abspaltung der Priesterbruderschaft St. Pius V. (FSSPV).
Die Priesterbruderschaft St. Pius V. (FSSPV) war 1983 als Abspaltung aus der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) hervorgegangen, als Erzbischof Marcel Lefebvre vier US-amerikanische Priester der Bruderschaft wegen Ungehorsams ausschloß, weil sie sich weigerten nach dem Missale Romanum von 1962 zu zelebrieren und stattdessen das überarbeitete Missale von 1911 verwenden. Fünf weitere Priester und auch Seminaristen der Piusbruderschaft folgten den Ausgeschlossenen und gründeten gemeinsam die neue sedisvakantistische Priesterbruderschaft St. Pius V. Diese lehnt die kirchliche Hierarchie des Novus Ordo ab, weil sie dessen Weihen nicht anerkennt, sondern den Standpunkt vertritt, daß der Heilige Stuhl in Rom seit der nachkonziliaren Liturgiereform unbesetzt sei.
Donald Sanborn, Gründer und Bischof des „Roman Catholic Institute“
Donald Sanborn, einer der 1983 ausgeschlossenen Piusbrüder, trennte sich 1994 von der sedisvakantistischen Priesterbruderschaft St. Pius V. und gründete das sedisprivationistische Roman Catholic Institute. Der Sedisprivationismus ist eine Spielart des Sedisvakantismus. Sedisprivationisten vertreten nicht den Standpunkt, daß der Heilige Stuhl vakant sei. Die seit dem Konzil gewählten Päpste werden zwar als erwählt anerkannt, doch könnten diese Päpste aufgrund der seither gelehrten Häresien ihr Amt, also die päpstliche Gewalt und die damit verbundenen Vollmachten, nicht rechtmäßig ausüben.
Sanborn gründete 1995 das Seminarium Sanctissimae Trinitatis (Holy Trinity Seminary), mit Sitz in Pennsylvania. Dabei handelt es sich um ein Priesterseminar zur Ausbildung von traditionalistischen Priestern, die allerdings den sedisprivationistischen Standpunkt vertreten. Das Roman Catholic Institute verfügt aktuell über drei Bischöfe und eine nicht bekannte Anzahl an Priestern, die verschiedene Meßorte in den USA, Australien, Frankreich, England, Polen und Spanien betreuen.
Zur sedisprivationistischen Position heißt es auf der Internetseite der Schwestern des heiligen Thomas von Aquin:
„Die Kongregation ist nach Maßstäben aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanum organisiert. Die Kongregation bekennt, daß das Zweite Vatikanische Konzil und die lehrmäßigen, disziplinären und liturgischen Reformen, die daraus hervorgegangen sind, wesentliche Veränderungen des katholischen Glaubens darstellen. Sie erklärt, daß diese häretischen, schlechten und gotteslästerlichen Reformen in keiner Weise von der römisch-katholischen Kirche ausgehen können, da sie in ihren Lehren, ihren Disziplinen und ihrem liturgischen Gottesdienst unfehlbar ist. Daher lehnt die Kongregation diese Reformen ab und hält an der unverfälschten und unangetasteten traditionellen katholischen Lehre, Disziplin und Liturgie fest. Die Kongregation bekennt, daß die Mitglieder der Novus-Ordo-Hierarchie trotz allen Anscheins von Autorität weder wahre katholische Päpste noch wahre katholische Bischöfe sind und nicht die Autorität besitzen, zu regieren, denn sie sind die Urheber der lehrmäßigen, disziplinarischen und liturgischen Greuel, die in unsere heiligen Stätten eingedrungen sind.“
2002 wurde Sanborn vom sedisprivationistischen Bischof Robert McKenna zum Bischof geweiht. Der Dominikaner McKenna war 1958 von Kardinal Amleto Cicognani, damals Apostolischer Delegat in den USA, später Kardinalstaatssekretär, zum Priester geweiht worden. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, an dem er als Übersetzer mitgewirkt hatte, wandte sich Pater McKenna vom nachkonziliaren Kirchenkurs ab und schloß sich der Orthodoxen Römisch-Katholischen Bewegung (ORCM) an. 1986 ließ er sich von dem französischen sedisprivationistischen Bischof und Ordensmitbruder Michel-Louis Guérard des Lauries OP zum Bischof weihen. Guérard des Lauries, der unter Pius XII. als Professor an der Päpstlichen Lateranuniversität gelehrt hatte, war 1981 von Erzbischof Pierre Martin Ngo Dinh Thuc in Toulon zum Bischof geweiht worden. Erzbischof Ngo Dinh Thuc war ein Bruder des südvietnamesischen Staatspräsidenten Ngo Dinh Diem, der 1963 mit Billigung der USA durch einen Militärputsch gestürzt und dabei ermordet worden war.
Pater Marshall zog sich die Exkommunikation zu
Alle genannten Weihen gelten, soweit überschaubar, als gültig, aber unerlaubt, weshalb sich alle Beteiligten die Exkommunikation latae sententiae zuzogen.
Aufgrund der Ablehnung der Novus-Ordo-Weihen wurde auch Pater James Marshall neu geweiht. Am zweiten Novemberwochenende erhielt er von dem deutschstämmigen argentinischen Bischof German Fließ, einem der drei Bischöfe des sedisprivationistischen Roman Catholic Institute, die Diakonatsweihe. Fließ studierte am genannten Priesterseminar und wurde 2010 von Sanborn zum Priester geweiht. 2022 erfolgte seine Bischofsweihe.
Demnächst soll die Priesterweihe von Pater James Marshall erfolgen, der aufgrund der Neuweihen auch der Exkommunikation verfallen ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: threads.net/@romancatholicmedia/mostholytrinityseminary.org/sistersofaquinas.org (Screenshots)
Interessanter Priester, interessanter Artikel!
Ich bin immer wieder erstaunt, was es alles für Gruppen innerhalb der katholischen Traditionsbewegung gibt!
Aber was ist mit Erzbischof Carlo Maria Viganò und seinem Priesterseminar?
Dass die Päpste seit dem zweiten vatikanischen Konzil, mit Ausnahme von Papst Benedikt, der schon einen riesigen Trümmerhaufen, bzw. einen Augiasstall vor sich hatte, bei dem es sehr schwierig war etas zu retten, oder gar ernsthaft gegen ihn zu opponieren, noch den Niedergang der Kirche stets befeuert haben, und dass, was sie an Häresien gelehrt und an Abfall bewirkt haben in keinem Verhältnis steht zu dem was sie vielleicht an einzelnen guten Früchten in einer rasant verfallenden, sprich sich pervertierenden Welt noch hervorgebracht haben, ist doch selbst vielen etwas ernsthafter lebenden Protestanten schon aufgefallen.
Das Unerfreuliche ist, dass das ganze traditionelle Lager heillos zerstritten ist oder wenigstens uneins in solchen Auffassungen – und dadurch haben Franziskus und Co leichtes Spiel, während die Modernisten und Pseudo-Katholiken „una voce“ sprechen. Ihnen willfährt Franziskus offensichtlich mehr als unserem Herrn und Heiland. Oder war es Jesus Christus, der den Segen über Ehebrecher und Homosexuelle von ihm verlangt hat? Wohl kaum. Solange es keine traditionelle pressure group gibt, kämpfen wir deshalb alle auf verlorenem Posten.
Das beweist nur die Katholizität des „Tradi-Lagers“. Es gibt kein Regelwerk, das für eine Situation wie heute, ein Papst, der nicht den katholischen Glauben lehrt, sondern Häresien und Blasphemien, Anweisungen gibt. Der Papst ist das Prinzip der Einheit und weil es aktuell keinen Papst gibt, ist es auch um die Einheit der „Tradis“ nicht gut bestellt. Wobei es doch eine gewisse Einheit gibt, die darin besteht, dass sich jeder „Tradi“ wünscht, dass das II. Vatikanum ein furchtbarer Albtraum war. Uneinigkeit besteht in der Frage, wie man damit umgehen soll, wobei ich der Meinung bin, dass die Mehrheit eine Verurteilung des II. Vatikanums befürwortet.
es gibt keine Einheit, da ja von verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen wird
„Ablehung der NO-Weihen“ ist etwas unscharf. Die Traditionalisten halten die neuen Sakramente a. G. Von Formmängeln für ungültig bzw. zweifelhaft. Daher wird sub conditione nachgeweiht.
Auch EB Viganò hielt seine Bischofsweihe für zweifelhaft und ließ sich von Bischof Wlliamson nachweihen.