Die jüngsten Entwicklungen im „Fall Viganò“: Was ist davon zu halten?

Von Tatsachen und Nicht-Tatsachen


Erzbischof Carlo Maria Viganò wird in Rom der Prozeß gemacht, nicht wegen seiner Kritik an Papst Franziskus, sondern wegen der Weigerung, ihn als Papst anzuerkennen, mahnt der Historiker Roberto de Mattei.
Erzbischof Carlo Maria Viganò wird in Rom der Prozeß gemacht, nicht wegen seiner Kritik an Papst Franziskus, sondern wegen der Weigerung, ihn als Papst anzuerkennen, mahnt der Historiker Roberto de Mattei.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

In den ver­gan­ge­nen Wochen stan­den bestimm­te Fak­ten und „Nicht-Fak­ten“ im Mit­tel­punkt der Auf­merk­sam­keit der katho­li­schen sozia­len Medi­en. Die Tat­sa­chen sind wirk­lich pas­siert, die „Nicht-Fak­ten“ sind hypo­the­tisch und kom­men mehr in der Phan­ta­sie der Blogs als in der Rea­li­tät vor.

Eine erste Nicht-Tat­sa­che ist die Exi­stenz eines Doku­ments, das die über­lie­fer­te Mes­se ver­bie­ten oder ein­schrän­ken wür­de. Die­ses Doku­ment, das zuerst von Rora­te Caeli erwähnt wird und dem dann Mes­sain­la­ti­no gründ­lich nach­ge­spürt hat, scheint in einer Schub­la­de des Dik­aste­ri­ums für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung zu lie­gen, viel­leicht schon seit über einem Jahr, ohne daß Papst Fran­zis­kus jemals die Absicht bekun­det hät­te, es zu unter­zeich­nen. Es wäre an die­ser Stel­le viel­leicht bes­ser, erst dar­über zu dis­ku­tie­ren, wenn das Doku­ment aus der Schub­la­de geholt wer­den sollte.

Eine wei­te­re Nicht-Tat­sa­che ist die Mög­lich­keit von Bischofs­wei­hen ohne päpst­li­ches Man­dat durch die Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. Die­se Hypo­the­se wur­de vom Obe­ren des fran­zö­si­schen Distrikts der Bru­der­schaft geäu­ßert, aber der Gene­ral­obe­re des Insti­tuts, Pater Davi­de Pagli­a­ra­ni, erklär­te beim Tref­fen des Mou­ve­ment de la Jeu­nesse Catho­li­que de France, das am 29. und 30. Juni in Cha­teau­roux statt­fand, daß die­se Initia­ti­ve zwar nicht von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen wer­den kann, aber der­zeit nicht auf der Tages­ord­nung steht. Auch hier ist es also bes­ser, zu gege­be­ner Zeit dar­über zu sprechen.

Die Tat­sa­che, die hin­ge­gen die größ­te Auf­merk­sam­keit ver­dient, ist die Ein­lei­tung eines außer­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens gegen Erz­bi­schof Car­lo Maria Viganò durch das Dik­aste­ri­um für die Glau­bens­leh­re. Der Haupt­vor­wurf lau­tet, er habe die Gemein­schaft mit der Kir­che von Rom gebro­chen und sei dem Ver­bre­chen des Schis­mas ver­fal­len. Die Nach­richt wur­de vom Erz­bi­schof selbst am 20. Juni auf sei­nem X‑Account und am fol­gen­den Tag in einer Erklä­rung mit­ge­teilt, in wel­cher der ehe­ma­li­ge Nun­ti­us in den USA erklär­te, daß er nicht an dem Gerichts­ver­fah­ren gegen ihn teil­neh­men wer­de. Am 28. Juni erklär­te Mon­si­gno­re Viganò in einem schar­fen Doku­ment gegen Papst Fran­zis­kus mit dem Titel J’ac­cu­se“ unter ande­rem: „Vor mei­nen Brü­dern im Epi­sko­pat und dem gesam­ten Kir­chen­kör­per kla­ge ich Jor­ge Mario Berg­o­glio der Häre­sie und des Schis­mas an, und als Häre­ti­ker und Schis­ma­ti­ker, for­de­re ich, daß er ver­ur­teilt und vom Thron ent­fernt wird, den er seit über elf Jah­ren unwür­dig besetzt hat. Dies wider­spricht in kei­ner Wei­se dem Sprich­wort Pri­ma Sedes a nemi­ne iudi­ca­tur, denn es ist klar, daß ein Ket­zer, sofern er nicht in der Lage ist, das Papst­amt zu über­neh­men, nicht über den Prä­la­ten steht, die über ihn urteilen.“.

Seit ver­gan­ge­nem Jahr hat­te Mon­si­gno­re Viganò öffent­lich erklärt, daß der Stuhl Petri sei­ner Mei­nung nach von einem Usur­pa­tor besetzt sei, aber mit sei­nem J’ac­cu­se wird sei­ne Posi­ti­on klar und offi­zi­ell. Aus die­sem Grund erklärt er: „Ich erken­ne weder die Auto­ri­tät des Tri­bu­nals, das über mich zu urtei­len bean­sprucht, noch die sei­nes Prä­fek­ten oder derer, die ihn ernannt haben, an.“ Sei­ne Ent­schei­dung, nicht vor Gericht zu erschei­nen, bestä­tigt die Anschul­di­gun­gen, die gegen ihn erho­ben wur­den und auf die er stolz ist, indem er erklärt: „Ich betrach­te die gegen mich erho­be­nen Anschul­di­gun­gen als Ehre“ (Stel­lung­nah­me vom 20. Juni).

Es gibt Stim­men, die dar­auf hin­wei­sen, daß mit den gegen Bischof Viganò ange­kün­dig­ten stren­gen Maß­nah­men nicht mit der glei­chen Stren­ge gegen­über noto­ri­schen Ver­brei­tern von Häre­si­en, wie etwa eini­gen deut­schen Bischö­fen, vor­ge­gan­gen wer­de. Aber die deut­schen Bischö­fe, die die Stra­te­gie des Moder­nis­mus anwen­den, nach der man gegen Rom kämp­fen muß, indem man inner­halb der Mau­ern Roms bleibt, hüten sich, die Auto­ri­tät des Pap­stes öffent­lich zu leug­nen. Zwei­fel­los ver­die­nen sie es, ver­ur­teilt zu wer­den, aber wie könn­te man ihre Ver­ur­tei­lung for­dern, wenn Rom es unter­läßt, die­je­ni­gen zu ver­ur­tei­len, die sei­ne Auto­ri­tät nicht nur fak­tisch, son­dern grund­sätz­lich ablehnen?

Man­che ver­glei­chen den Fall von Msgr. Viganò mit jenem des fran­zö­si­schen Erz­bi­schofs Mar­cel Lefeb­v­re. Der Unter­schied zwi­schen den bei­den Fäl­len ist jedoch offen­sicht­lich. Msgr. Lefeb­v­re hat die Auto­ri­tät Roms nie geleug­net. Nach der ersten Ver­ur­tei­lung des Wer­kes von Ecô­ne durch den Bischof von Frei­burg im Üecht­land im Mai 1975 war es Msgr. Lefeb­v­re selbst, der ange­sichts die­ses Macht­miß­brauchs dar­um bat, daß sein Fall von der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on beur­teilt wird. Am 28. Janu­ar 1978 über­mit­tel­te Kar­di­nal Šeper, Prä­fekt des dama­li­gen Hei­li­gen Offi­zi­ums, Ecô­ne eine umfang­rei­che Doku­men­ta­ti­on mit der Auf­for­de­rung an Msgr. Lefeb­v­re, dar­auf zu ant­wor­ten. Der fran­zö­si­sche Erz­bi­schof führ­te eine umfang­rei­che Kor­re­spon­denz mit dem Hei­li­gen Stuhl, und die Ergeb­nis­se der Unter­su­chung wur­den im Mai 1979 von der Zeit­schrift Itin­é­rai­res ver­öf­fent­licht und erschie­nen dann in deut­scher Über­set­zung unter dem Titel „Erz­bi­schof Mar­cel Lefeb­v­re und das Hei­li­ge Offi­zi­um“ (Media­trix Ver­lag, Wien 1981). Die Lek­tü­re die­ser Doku­men­te ist äußerst auf­schluß­reich, nicht zuletzt um die Posi­ti­on des fran­zö­si­schen Erz­bi­schofs zu ver­ste­hen, der in sei­nem letz­ten Brief an Kar­di­nal Šeper vom 29. Janu­ar 1979 „alles dem Urteil des Hei­li­gen Vaters“ anver­trau­te, der zu die­sem Zeit­punkt bereits Johan­nes Paul II. war. Erz­bi­schof Lefeb­v­re akzep­tier­te dann den Besuch von Kar­di­nal Gagnon, den der Papst 1987 in das Prie­ster­se­mi­nar von Ecô­ne schick­te. Ein Freund und Ver­trau­ter von Kar­di­nal Gagnon, der Prie­ster Charles Theo­do­re Murr, bezeugt, daß der Bericht des kana­di­schen Kar­di­nals die FSSPX und ins­be­son­de­re die Lehr­plä­ne von Ecô­ne lobt (Vor­wort zu Ken­ne­dy Hall: The Defence, Augu­sti­nus Press, 2023). Am Vor­abend der Bischofs­wei­hen in Ecô­ne am 30. Juni 1988 kam es zu inten­si­ven Ver­hand­lun­gen zwi­schen Msgr. Lefeb­v­re und dem dama­li­gen Prä­fek­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, Joseph Kar­di­nal Ratzinger.

Vie­le Bewun­de­rer von Msgr. Viganò, die auf die Nach­richt vom Pro­zeß mit Zustim­mung zum Erz­bi­schof reagier­ten, weil er „so klar spricht wie Msgr. Lefeb­v­re“, im Gegen­satz zu ande­ren Hir­ten, die heu­te ange­sichts der tie­fen Kri­se in der Kir­che schwei­gen, gehen am The­ma vor­bei. Es geht nicht um die Kri­tik von Mon­si­gno­re Viganò an Papst Fran­zis­kus, die in eini­gen Punk­ten berech­tigt ist, son­dern um sei­nen erklär­ten Wunsch, jede Form der Gemein­schaft mit ihm und dem Römi­schen Stuhl abzubrechen.

Außer­dem kann man sich nicht auf einen so schwer­wie­gen­den und radi­ka­len Akt beschrän­ken, indem man ihn ledig­lich in einem Kom­mu­ni­qué ankün­digt, ohne ihm eine gül­ti­ge lehr­mä­ßi­ge Grund­la­ge zu geben. Der Ver­weis auf die Bul­le Cum ex apo­sto­la­tus offi­cio vom 15. Febru­ar 1559, in der Paul IV. fest­stellt, daß ein Häre­ti­ker, selbst wenn er gewählt wird, nicht zur Auto­ri­tät berech­tigt ist, ist äußerst schwach. Die­se Bul­le lehrt nur, daß ein Papst ermahnt wer­den kann, außer es wür­de der Nach­weis erbracht, daß er bereits zum Zeit­punkt sei­ner Wahl ein Häre­ti­ker war. War Kar­di­nal Berg­o­glio einer? Das muß bewie­sen wer­den. Ent­spricht das „Viti­um con­sen­sus“, von dem Msgr. Viganò spricht, der „Cas­si­cia­cum-The­se“ von Msgr. Gué­rard de Lau­riers, auf die sich heu­te das Insti­tut Mater Boni Con­si­lii bezieht? Unab­hän­gig davon, ob dies die Posi­ti­on von Msgr. Viganò ist oder nicht, müß­te sie durch gründ­li­che theo­lo­gi­sche, kir­chen­recht­li­che und kir­chen­ge­schicht­li­che Stu­di­en gestützt wer­den, die bis heu­te nicht vorliegen.

Aber es gibt noch einen ande­ren Aspekt, der noch ent­schei­den­der ist. In den gegen­wär­ti­gen Wir­ren der reli­giö­sen Kri­se ist es nicht mög­lich, spi­ri­tu­ell zu über­le­ben ohne die beson­de­re Hil­fe der Gna­de, die durch die Sakra­men­te kommt, vor allem die häu­fig­sten im täg­li­chen Leben, wie die Kom­mu­ni­on und die Beich­te. Wer sind die Prie­ster, an die man sich laut Mon­si­gno­re Viganò wen­den soll­te, um die not­wen­di­ge geist­li­che Nah­rung zu erhal­ten? Es scheint, daß nicht nur die Insti­tu­te, die sich auf die ehe­ma­li­ge Päpst­li­che Kom­mis­si­on Eccle­sia Dei bezie­hen, von sei­nem Hori­zont aus­ge­schlos­sen sind, son­dern auch die Pius­bru­der­schaft, die gewöhn­lich Pro Pon­ti­fi­ce nostro Fran­cis­co betet.

Und hier kom­men wir zu der abschlie­ßen­den Fra­ge: Wo ist für Mon­si­gno­re Viganò die katho­li­sche Kir­che? Nicht die vir­tu­el­le Kir­che, der vie­le eif­ri­ge Leser tra­di­tio­na­li­sti­scher Blogs anhän­gen, son­dern die rea­le Kir­che, die in ihrer unver­än­der­li­chen Leh­re, in ihrer unun­ter­bro­che­nen apo­sto­li­schen Suk­zes­si­on und in dem Leben, das durch ihre Sakra­men­te ver­mit­telt wird, sicht­bar ist. Ohne die­se sicht­ba­re Kir­che, die der mysti­sche Leib Chri­sti ist, erstickt die Seele.

Shake­speare sag­te: „Die gan­ze Welt ist Büh­ne, und alle Män­ner und Frau­en sind blo­ße Spie­ler“ (Wie es euch gefällt, Akt II, 7). In die­sen Wor­ten steckt eine tie­fe Wahr­heit, aber die Büh­ne der Welt ist kein Blog, denn das Schick­sal der Men­schen, die auf die­ser Büh­ne spie­len, ist ein Dra­ma. Auf dem Spiel steht ihr ewi­ges Leben.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Übersetzung/​Fußnote: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Wikicommons

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