
Gedanken von Giuseppe Nardi
Um indirekt Schiller zu bemühen: Das ist der Fluch des Konservativen. Gemeint ist die Person. Konkret Bischof Rudolf Voderholzer, der im Jahr 2024, zwei Tage vor dem Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) die Priesterweihen verbietet.
In dem von Bischof Voderholzer geleiteten Bistum Regensburg befindet sich in Zeitzkofen eines der Priesterseminare der von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Piusbruderschaft, nämlich jenes, an dem die Priesteramtskandidaten des deutschen Sprachraums und der angrenzenden ostmitteleuropäischen Länder ausgebildet werden.
Nun wird sich die Piusbruderschaft nicht um dieses Verbot kümmern, da der Ortsbischof keine Jurisdiktion über sie hat. Wenn Msgr. Voderholzer diesen Schritt dennoch setzt, will er ein Signal aussenden. Doch welches?
Man kann das Verbot als bloßes Ritual abtun, da es schon seit 15 Jahren so praktiziert wird. Doch sollte man?
Papst Franziskus kam es bisher zu, und zwar faktisch, nicht nur theoretisch, Priesterweihen der Tradition zu verbieten. Die Beispiele durchziehen sein Pontifikat von Ciudad del Este bis Fréjus-Toulon. Mehrere traditionsverbundene Gemeinschaften wurden durch ihn zu Tode gewürgt – nur traditionsverbundene wohlgemerkt, bestenfalls noch konservative. Dieses Detail muß angefügt werden, um den Zusammenhang zu verstehen. Diese demonstrative Stoßrichtung ist keine „Verschwörungstheorie“. Von „Verschwörungstheorien“, einer Vokabel des Herrschaftsdiskurses, sprechen bekanntlich jene auffällig gerne, die an einem Status quo festhalten und einer inhaltlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gehen wollen.
Ein Erzbischof bekommt das gerade zu spüren. Heute läuft das römische Ultimatum ab, das ihm gesetzt wurde, um sich wegen des Schisma-Vorwurfes zu rechtfertigen. Natürlich steht die Frage im Raum, ob er in manchem nicht überzeichnet und sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, sprich, unnötig angreifbar gemacht hat. Berechtigt ist auf alle Fälle seine Kritik daran, daß es einem zweifelhaften rechtsstaatlichen Verfahren entspricht, wenn jene über ihn zu Gericht sitzen, allen voran Kardinal Victor Manuel Fernández als Präfekt des Glaubensdikasteriums, die er kritisiert und die ihn gerade deshalb vor Gericht stellen, weil er sie kritisiert.
Das Urteil scheint bereits festzustehen und die ganze Entwicklung ist in allen ihren Facetten ein Jammer.
Doch zurück nach Regensburg. Zaitzkofen, wo sich das Herz-Jesu-Seminar der Piusbruderschaft befindet, liegt eine halbe Stunde Autofahrt südlich der Bischofsstadt. Zwei Kandidaten werden dort morgen zu Priestern geweiht werden, ein Tscheche und ein Ungar.
Warum aber handelt ein Ortsbischof, in dessen Bistum seit 1981 jedes Jahr Priester für die Piusbruderschaft geweiht werden, auch noch im Jahr 2024 wie die repressiven römischen Behörden des bergoglianischen Pontifikats?
Ist Msgr. Voderholzer wirklich überzeugt, daß seine Argumentation die Zustimmung von Benedikt XVI. gefunden hätte, jenem Papst, der ihn auf den Bischofsstuhl des heiligen Emmeram berufen hat? Hängt die Wahrheit an der Person des gerade amtierenden Papstes? Natürlich, es geht vermeintlich nicht um eine Frage der Wahrheit, sondern der Disziplin. Die Disziplin kann aber auch das Instrument der Macht sein, die man andere spüren lassen kann.
Was bringt Msgr. Voderholzer als Argument vor, um die Piusbruderschaft in das böse Eck zu stellen?
„Dies drückt sich aus in der Ablehnung bestimmter Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils, vor allem im Hinblick auf das Verständnis von Religionsfreiheit, Ökumene und den Umgang mit nicht-christlichen Religionen.“
Ja, natürlich, genau das tut es. Und es ist höchst an der Zeit, Teile des Zweiten Vatikanischen Konzils und den daraus hervorgegangenen „nachkonziliaren Geist“ auf den Prüfstand zu stellen. Um genau zu sein, wollte man es pointiert formulieren, wären sie es, die vor Gericht zu stellen wären. Ein faires Gerichtsverfahren kann auch mit einem Freispruch enden.
In jedem Unternehmen, in jedem Verein, in allen menschlichen Kontexten – außer in Ideologien – gilt es als selbstverständlich, daß Maßnahmen nach einer bestimmten Zeit einer Überprüfung unterzogen werden, um zu klären: Haben sie gebracht, was man sich erwartet hat? Wurde erreicht, was mit ihnen erreicht werden sollte?
Es geht um eine Prüfung auf Herz und Nieren mit der erklärten Absicht, je nach Dringlichkeit, bei Bedarf jedoch sofort, zu ändern, was geändert werden muß.
Nun ist es unschwer möglich, einen Vergleich anzustellen zwischen dem, was an Erwartungen vor und während dem Konzil verkündet, ja in die Welt hinausposaunt wurde, und dem, was daraus geworden ist. Letzteres läßt sich, was manchen vielleicht leichter zugänglich ist, sogar empirisch erfassen. Nur ein schnelles Beispiel: Vor dem Konzil waren fast die Hälfte der Bürger der damaligen BRD Katholiken und der sonntägliche Meßbesuch lag bei über 50 Prozent. Und wie sieht es heute aus?
Der Zusammenbruch der einst festgefügten Reihen hat ein klares Datum: das Zweite Vatikanische Konzil, das der 68er-Revolution nicht nachhinkte, sondern ihr als Präludium vorausging. Zeitangaben und Zahlen lügen nicht.
Dennoch wird seit Jahrzehnten an einem offensichtlich falschen Narrativ festgehalten. Über die Gründe, warum dem so war (und ist), soll an dieser Stelle nicht gesprochen werden. Nur soviel: Nichts von diesem Zusammenbruch ist vom Himmel gefallen, sondern Menschenwerk. Und da die Kirche hierarchisch verfaßt ist, handelt es sich dabei um das Werk der Hierarchen.
Und damit sind wir beim Fluch des Konservativen. Bischof Voderholzer ist ein Konservativer. Die Konservativen stehen der Tradition häufig mehr im Weg als die Progressiven. Ideologen auf allen Seiten ausgenommen. Wer mit konservativen Priestern spricht, von denen es mehr gibt, als man gemeinhin meinen könnte, stößt man auf eine seltsame Abwehr, sobald das Gespräch auf das Zweite Vatikanische Konzil kommt. Es genügt, die in Jubelbüchern veröffentlichte Eröffnungsrede von Johannes XXIII. zu lesen, um die Diskrepanz zwischen dem damaligen Anspruch und der vernichtenden Wirklichkeit offenzulegen. Nun würde die intellektuelle Redlichkeit es gebieten, sich deshalb ernsthafte Fragen zu stellen, doch stattdessen folgen Ausflüchte, inhaltsleere einstudierte Floskeln und ein schneller Themenwechsel. Das absurdeste Argument, das nicht selten zu hören ist: Wenn das Konzil nicht gewesen wäre, dann sähe es vielleicht noch schlimmer aus. Echt? Im Ernst? Wer sollte das glauben können?
Die Wahrheit ist, daß das Zweite Vatikanische Konzil zum Tabu erklärt wurde. Und Tabus, so sie nicht von Gott stammen, waren noch nie ein Segen.
Fakt ist, daß das Zweite Vatikanische Konzil für die europäische Welt, also jene, in der das Christentum und die durch das Christentum groß geworden ist, die unbestreitbar brutalste innere Zäsur in der Kirchengeschichte darstellt. Keine äußeren Feinde, keine heidnischen Herrscher, keine Revolutionäre, keine kommunistischen Schlächter. Es ist eine Zersetzung von innen, wie jemand, der den Ast absägt, auf dem er selber sitzt. Und da es im Geistlichen kein Vakuum geben kann, füllen Ersatzreligionen wie Homo‑, Öko‑, Impf- oder horribile dictu Kriegsreligion (alles kann zur Ersatzreligion werden, wo die wahre Religion zersetzt, versteckt, verleugnet und verdrängt wird). Tun manche deutsche Bischöfe etwas anderes als genau das? Die wahre Religion verstecken, um den Ersatzreligionen zu sekundieren, denen vom Establishment gerade gefrönt wird?
Und neben den ideologischen Politspießern füllt auch der Islam die geschaffene Lücke. Wer sich selbst verachtet, öffnet anderen die Türen, die das Haus übernehmen.
Im nächsten Jahr, einem Heiligen Jahr, wird sich der Abschluß des Konzils zum 60. Mal jähren, des einzigen nicht-dogmatischen Konzils der Kirchengeschichte, auf dessen Akzeptanz jedoch beharrt wird, als handle es sich um ein Superdogma. Widersprüche über Widersprüche. Der einzige wirkliche Grund, dessen zu gedenken, wäre ein ernsthafter Kassasturz. Und ja, jeder Bischof und jeder Priester sollte dabei den Sprung über den eigenen Schatten wagen und danach fragen, wie er es mit dem überlieferten Ritus und mit der Tradition hält. Das verlangt einiges an Selbstüberwindung. Gibt es jedoch eine Entschuldigung dafür, es nicht zu tun?
Die Frage nach Tradition und Ritus muß er sich selbst beantworten, aber nicht mit anerzogenen Denkverboten, wie sie seit Jahrzehnten verordnet werden, sondern mit einer wirklich ernsten äußeren Konfrontation und inneren Prüfung. Und auf diesen Prüfstand gehört das Zweite Vatikanische Konzil, ohne Floskeln, ohne vorgefertigte Propagandaparolen, die jeder Beobachter auf Meilen als inhaltsleer, kraft- und leblos erkennt. „Prüft alles und das Gute behaltet“, empfiehlt der Apostel Paulus, dessen Gedenktag morgen ist. Das bedeutet auch: Verwerft das Schlechte, das Unbrauchbare, das Schädliche…
Die Modernisten haben sich so verrannt, daß sie mit wehenden Fahnen in die Selbstauflösung laufen. Es liegt an den Konservativen, den Mut zu fassen und damit Ernst zu machen, eine überfällige katholische TÜV-Prüfung anzustoßen. Dann wird sich auch die Frage der Piusbruderschaft ganz von allein klären, in die eine oder die andere Richtung.
Dazu bedarf es aber anderer, ganz anderer Signale als jener, die Bischof Voderholzer vor den Priesterweihen in Zaitzkofen aussendet. Wird er den Mut und die Kraft dazu finden? Er und die anderen konservativen Bischöfe, Prälaten und Priester? Sie sollten sich ihrer Verantwortung vor Gott, der Geschichte und den Menschen bewußt sein.
Das schreibt einer, der mit der Piusbruderschaft in keinem Zusammenhang steht, aber denkt, daß nicht die Priesterbruderschaft das Problem ist.
Bild: zaitzkofen.fsspx.org (Screenshot)