(Rom) Erzbischof Georg Gänswein wurde von Papst Franziskus zum Apostolischen Nuntius in den baltischen Staaten ernannt. Lange hat es gedauert, von manchen war es herbeigeredet worden, nun ist es so weit: Der deutsche Titularerzbischof von Urbisaglia und emeritierte Präfekt der Präfektur des Päpstlichen Hauses wurde zum Apostolischen Nuntius (Botschafter) für Litauen, Estland und Lettland bestellt. Dies gab das vatikanische Presseamt heute mittag bekannt.
Die drei baltischen Republiken werden seit 1991 von einem gemeinsamen Nuntius betreut. Seither, seit dem Ende der Sowjetunion, bestehen wieder volle diplomatische Beziehungen. Die drei Republiken waren in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts von der kommunistischen UdSSR annektiert worden. Diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl hatte es bereits in der Zwischenkriegszeit gegeben, als die drei Staaten unabhängig und souverän wurden.
Sitz der Apostolischen Nuntiatur ist Wilna, die Hauptstadt Litauens. In der Zwischenkriegszeit hatte es für Lettland in Riga ab 1926 eine eigene Nuntiatur gegeben. Als die Rote Armee im Zuge des Hitler-Stalin-Abkommens (Ribbentrop-Molotow-Abkommen) 1940 zunächst Lettland und Estland, dann auch Litauen besetzte, wurden die vatikanischen Diplomaten sofort ausgewiesen. Die Vertretungen existierten de facto nicht mehr, wurden vom Heiligen Stuhl aber nie aufgehoben. Daran änderte sich auch nichts während der deutschen Herrschaft von 1941 bis 1944.
Im 18. Jahrhundert war das baltische Gebiet, je nach Gegend, für 120 bis 200 Jahre unter russische Kontrolle geraten. Wie Frankreich an den nicht-französischen Rhein drängte, so drängte Rußland an die nicht-russische Ostsee. 1918 wurde mit Unterstützung des Deutschen Reichs die Unabhängigkeit der drei baltischen Republiken ausgerufen.
Von 2019 bis März 2024 war der Kroate Msgr. Petar Rajič Nuntius in Wilna. Er ist heute Apostolischer Nuntius in Italien und San Marino.
Msgr. Gänswein war seit Anfang 2020 faktisch beschäftigungslos. Damals suspendierte ihn Franziskus von seinem Amt als Präfekten des Päpstlichen Hauses. Nach dem Tod von Benedikt XVI. schickte Franziskus den Deutschen ohne Auftrag zurück in sein Heimatbistum. Nach anderthalb Jahren erging nun doch ein neuer Auftrag, was Gänsweins Landsmann Kardinal Gerhard Müller seit sieben Jahren verwehrt ist.
Das Baltikum ist derzeit allerdings ein heißes Pflaster. Estland und Lettland grenzen direkt an Rußland, Litauen immerhin an Weißrußland. Die geopolitisch interessante Suwalki-Lücke, die Rußland vom nordöstlichen Preußen trennt, das seit Kriegsende russisch ist, könnte sowohl über Litauen als auch über Polen geschlossen werden. Der neue Nuntius kommt gewissermaßen an die Frontlinie zwischen dem US-dominierten Westblock und dem heutigen Moskau, das sich als Erbe der Zaren versteht.
Bei den Litauern, Letten und Esten gibt es, aus historisch nachvollziehbaren Gründen, massive Ressentiments gegen Rußland. Die Bereitschaft zum Krieg mit Rußland, der einer Revanche gleichkäme, ist in der politischen Führung Polens, aber auch des Baltikums hoch. Alle drei Republiken sind Teil der EU und der NATO. Ihre östliche Grenze ist EU-Außengrenze und NATO-Grenze.
Der neue Nuntius wird einiges zu tun haben, um mäßigend auf die Staatsführungen einzuwirken, wobei die Litauer katholisch, die Letten lutherisch und katholisch und die Esten historisch lutherisch sind. In Estland bilden die Orthodoxen die stärkste Religionsgemeinschaft. Sie sind Nachkommen der zur Sowjetzeit angesiedelten Russen mit und ohne estnische Staatsbürgerschaft. Als Lutheraner bekennen sich nur mehr acht Prozent der Esten, während der weitaus größte Teil sich als religionslos oder atheistisch bezeichnet. Der Kommunismus führte hier in religiöser Hinsicht zu einer radikalen Entwurzelung.
Die russischen Minderheiten (Russen/Weißrussen) machen in Lettland 27 Prozent, in Estland 24 Prozent und in Litauen sieben Prozent aus.
Die Behandlung Gänsweins durch Franziskus hatte für erhebliche Mißbilligung gesorgt. Der Imageschaden wurde nun geschickt in sein Gegenteil verkehrt. Gänswein hatte sich, trotz erheblicher persönlicher Demütigungen, die er erdulden mußte, zuletzt im Herbst 2023 eine Ausladung in Madrid, maximale Zurückhaltung auferlegt. Das ermöglichte ihm nun die lange Zeit für unwahrscheinlich geltende Rückkehr. Allerdings interessieren Franziskus in Personalfragen Loyalitäten mehr als Inhalte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Ich weiß nicht, ob das ein Akt des Wohlwollens ist nach einem auferlegten Akt der Buße? Wenn es so wäre, würde ich das problematisch finden: Jemand erst demütigen, um ihm dann wieder ein Amt zu geben – diese Zeiten sind vorbei und wir nennen das heute Amts- und Machtmissbrauch, Heiliger Vater! Oder handelt sich eher um ein „Himmelfahrtskommando“? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Nuntiatur an der Grenze zu Russland ein besonders beliebter Posten ist derzeit? – Wie es auch sei: Wenigstens sind für den Erzbischof die Zeiten der Demütigung vorbei, was mich aufrichtig freut. Ich schätze ihn wie viele, viele andere sehr und würde ihm wünschen, dass der nächste Papst sein Qualitäten zu honorieren weiß. Gänswein gehört in ein Spitzenamt im Vatikan, als Glaubenspräfekt zum Beispiel. Und würden die Dinge dort richtig laufen, dann wäre das auch so – aber weil sie eben nicht richtig laufen, werden dort Leute wie „Tucho“ in Amt und Würden gebracht und das sagt ja mehr als alles?! Wir müssen Gott dankbar sein, wenn dieser Spuk – und das meine ich wörtlich so – vorüber ist, und wir müssen ihn bitten, dass er sich nicht wiederhole.