Als Nuntius an die Front

Erzbischof Georg Gänswein ist neuer Botschafter in den baltischen Staaten


Die drei baltischen Staaten unterhalten seit 1991 diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Einzig Litauen kann auf eine lange eigenstaatliche Tradition zurückblicken. Estland und Lettland unterstanden vier Hochstiften und dem Livländischen Schwertbrüderorden und bildeten neben Preußen den zweiten Ordensstaat des Deutschen Ordens
Die drei baltischen Staaten unterhalten seit 1991 diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Einzig Litauen kann auf eine lange eigenstaatliche Tradition zurückblicken. Estland und Lettland unterstanden vier Hochstiften und dem Livländischen Schwertbrüderorden und bildeten neben Preußen den zweiten Ordensstaat des Deutschen Ordens

(Rom) Erz­bi­schof Georg Gäns­wein wur­de von Papst Fran­zis­kus zum Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in den bal­ti­schen Staa­ten ernannt. Lan­ge hat es gedau­ert, von man­chen war es her­bei­ge­re­det wor­den, nun ist es so weit: Der deut­sche Titu­lar­erz­bi­schof von Urbi­sa­glia und eme­ri­tier­te Prä­fekt der Prä­fek­tur des Päpst­li­chen Hau­ses wur­de zum Apo­sto­li­schen Nun­ti­us (Bot­schaf­ter) für Litau­en, Est­land und Lett­land bestellt. Dies gab das vati­ka­ni­sche Pres­se­amt heu­te mit­tag bekannt.

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Die drei bal­ti­schen Repu­bli­ken wer­den seit 1991 von einem gemein­sa­men Nun­ti­us betreut. Seit­her, seit dem Ende der Sowjet­uni­on, bestehen wie­der vol­le diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen. Die drei Repu­bli­ken waren in den 40er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts von der kom­mu­ni­sti­schen UdSSR annek­tiert wor­den. Diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen mit dem Hei­li­gen Stuhl hat­te es bereits in der Zwi­schen­kriegs­zeit gege­ben, als die drei Staa­ten unab­hän­gig und sou­ve­rän wurden.

Sitz der Apo­sto­li­schen Nun­tia­tur ist Wil­na, die Haupt­stadt Litau­ens. In der Zwi­schen­kriegs­zeit hat­te es für Lett­land in Riga ab 1926 eine eige­ne Nun­tia­tur gege­ben. Als die Rote Armee im Zuge des Hit­ler-Sta­lin-Abkom­mens (Rib­ben­trop-Molo­tow-Abkom­men) 1940 zunächst Lett­land und Est­land, dann auch Litau­en besetz­te, wur­den die vati­ka­ni­schen Diplo­ma­ten sofort aus­ge­wie­sen. Die Ver­tre­tun­gen exi­stier­ten de fac­to nicht mehr, wur­den vom Hei­li­gen Stuhl aber nie auf­ge­ho­ben. Dar­an änder­te sich auch nichts wäh­rend der deut­schen Herr­schaft von 1941 bis 1944.

Im 18. Jahr­hun­dert war das bal­ti­sche Gebiet, je nach Gegend, für 120 bis 200 Jah­re unter rus­si­sche Kon­trol­le gera­ten. Wie Frank­reich an den nicht-fran­zö­si­schen Rhein dräng­te, so dräng­te Ruß­land an die nicht-rus­si­sche Ost­see. 1918 wur­de mit Unter­stüt­zung des Deut­schen Reichs die Unab­hän­gig­keit der drei bal­ti­schen Repu­bli­ken ausgerufen.

Von 2019 bis März 2024 war der Kroa­te Msgr. Petar Rajič Nun­ti­us in Wil­na. Er ist heu­te Apo­sto­li­scher Nun­ti­us in Ita­li­en und San Marino.

Msgr. Gäns­wein war seit Anfang 2020 fak­tisch beschäf­ti­gungs­los. Damals sus­pen­dierte ihn Fran­zis­kus von sei­nem Amt als Prä­fek­ten des Päpst­li­chen Hau­ses. Nach dem Tod von Bene­dikt XVI. schick­te Fran­zis­kus den Deut­schen ohne Auf­trag zurück in sein Hei­mat­bis­tum. Nach andert­halb Jah­ren erging nun doch ein neu­er Auf­trag, was Gäns­weins Lands­mann Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler seit sie­ben Jah­ren ver­wehrt ist.

Das Bal­ti­kum ist der­zeit aller­dings ein hei­ßes Pfla­ster. Est­land und Lett­land gren­zen direkt an Ruß­land, Litau­en immer­hin an Weiß­ruß­land. Die geo­po­li­tisch inter­es­san­te Suwal­ki-Lücke, die Ruß­land vom nord­öst­li­chen Preu­ßen trennt, das seit Kriegs­en­de rus­sisch ist, könn­te sowohl über Litau­en als auch über Polen geschlos­sen wer­den. Der neue Nun­ti­us kommt gewis­ser­ma­ßen an die Front­li­nie zwi­schen dem US-domi­nier­ten West­block und dem heu­ti­gen Mos­kau, das sich als Erbe der Zaren versteht.

Bei den Litau­ern, Let­ten und Esten gibt es, aus histo­risch nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den, mas­si­ve Res­sen­ti­ments gegen Ruß­land. Die Bereit­schaft zum Krieg mit Ruß­land, der einer Revan­che gleich­kä­me, ist in der poli­ti­schen Füh­rung Polens, aber auch des Bal­ti­kums hoch. Alle drei Repu­bli­ken sind Teil der EU und der NATO. Ihre öst­li­che Gren­ze ist EU-Außen­gren­ze und NATO-Grenze.

Der neue Nun­ti­us wird eini­ges zu tun haben, um mäßi­gend auf die Staats­füh­run­gen ein­zu­wir­ken, wobei die Litau­er katho­lisch, die Let­ten luthe­risch und katho­lisch und die Esten histo­risch luthe­risch sind. In Est­land bil­den die Ortho­do­xen die stärk­ste Reli­gi­ons­ge­mein­schaft. Sie sind Nach­kom­men der zur Sowjet­zeit ange­sie­del­ten Rus­sen mit und ohne est­ni­sche Staats­bür­ger­schaft. Als Luthe­ra­ner beken­nen sich nur mehr acht Pro­zent der Esten, wäh­rend der weit­aus größ­te Teil sich als reli­gi­ons­los oder athe­istisch bezeich­net. Der Kom­mu­nis­mus führ­te hier in reli­giö­ser Hin­sicht zu einer radi­ka­len Entwurzelung.

Die rus­si­schen Min­der­hei­ten (Russen/​Weißrussen) machen in Lett­land 27 Pro­zent, in Est­land 24 Pro­zent und in Litau­en sie­ben Pro­zent aus. 

Die Behand­lung Gäns­weins durch Fran­zis­kus hat­te für erheb­li­che Miß­bil­li­gung gesorgt. Der Image­scha­den wur­de nun geschickt in sein Gegen­teil ver­kehrt. Gäns­wein hat­te sich, trotz erheb­li­cher per­sön­li­cher Demü­ti­gun­gen, die er erdul­den muß­te, zuletzt im Herbst 2023 eine Aus­la­dung in Madrid, maxi­ma­le Zurück­hal­tung auf­er­legt. Das ermög­lich­te ihm nun die lan­ge Zeit für unwahr­schein­lich gel­ten­de Rück­kehr. Aller­dings inter­es­sie­ren Fran­zis­kus in Per­so­nal­fra­gen Loya­li­tä­ten mehr als Inhalte.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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1 Kommentar

  1. Ich weiß nicht, ob das ein Akt des Wohl­wol­lens ist nach einem auf­er­leg­ten Akt der Buße? Wenn es so wäre, wür­de ich das pro­ble­ma­tisch fin­den: Jemand erst demü­ti­gen, um ihm dann wie­der ein Amt zu geben – die­se Zei­ten sind vor­bei und wir nen­nen das heu­te Amts- und Macht­miss­brauch, Hei­li­ger Vater! Oder han­delt sich eher um ein „Him­mel­fahrts­kom­man­do“? Ich kann mir beim besten Wil­len nicht vor­stel­len, dass die Nun­tia­tur an der Gren­ze zu Russ­land ein beson­ders belieb­ter Posten ist der­zeit? – Wie es auch sei: Wenig­stens sind für den Erz­bi­schof die Zei­ten der Demü­ti­gung vor­bei, was mich auf­rich­tig freut. Ich schät­ze ihn wie vie­le, vie­le ande­re sehr und wür­de ihm wün­schen, dass der näch­ste Papst sein Qua­li­tä­ten zu hono­rie­ren weiß. Gäns­wein gehört in ein Spit­zen­amt im Vati­kan, als Glau­bens­prä­fekt zum Bei­spiel. Und wür­den die Din­ge dort rich­tig lau­fen, dann wäre das auch so – aber weil sie eben nicht rich­tig lau­fen, wer­den dort Leu­te wie „Tucho“ in Amt und Wür­den gebracht und das sagt ja mehr als alles?! Wir müs­sen Gott dank­bar sein, wenn die­ser Spuk – und das mei­ne ich wört­lich so – vor­über ist, und wir müs­sen ihn bit­ten, dass er sich nicht wiederhole.

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