Von Antonino Zichichi*
Es gibt keine Gleichung, die die Theorie über den Ursprung des Lebens und die biologische Evolutionstheorie der menschlichen Spezies beschreiben würde. Es gibt auch keine reproduzierbaren Laborexperimente, die als mathematische Grundlage Theorien über den Ursprung des Lebens eine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleihen könnten.
Solange es niemandem gelingt, eine Theorie auf streng mathematische Weise zu formulieren, steht die Evolutionstheorie außerhalb der Wissenschaft. Jede Behauptung, Theorien über den Ursprung des Lebens und die biologische Evolutiontheorie seien wissenschaftliche Wahrheiten, entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage.
Wir haben es hier mit am grünen Tisch konstruierten Theorien zu tun, die zwar mit Worten formuliert sind, aber nicht mit der mathematischen Sprache der Formeln. Und das ist noch nicht alles. Diesen „Worten“ liegen keine reproduzierbaren Ergebnisse zugrunde, d. h. Experimente, die zumindest auf der ersten Stufe der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit stehen, wie sie schon von Archimedes und Galileo Galilei gefordert wurde.
Die derzeit vorherrschende Kultur hat die Evolutionstheorie auf den Sockel einer angeblich großen wissenschaftlichen Wahrheit gestellt, die vor allem den Zweck hat, in völligem Gegensatz zum Glauben zu stehen. Doch die biologische Evolution der menschlichen Spezies hätte den Menschen niemals ins Weltall gebracht. Auch nicht zu Überschallgeschwindigkeiten. Und noch weniger zur Entdeckung der Wissenschaft. Die biologische Evolution der menschlichen Spezies hat insgesamt sehr wenig bewirkt. Um genau zu sein, absolut nichts. Der heutige Mensch ist genau so, wie er auch vor zehntausend Jahren war.
Evolutionisten sagen, daß dies offensichtlich sei und daß sie immer gesagt und wiederholt hätten, daß der typische Zeitrahmen für die menschliche Evolution Millionen, ja Dutzende von Millionen Jahren betrage. Sie werfen mit Jahrmillionen nur so um sich, weil sie dadurch alles in eine für den Menschen unfaßbare Zeitgröße und Ferne rücken und sich damit von jeder Nachweispflicht für ihre Theorie entbinden wollen. Evolutionisten reden dabei so, als ob eine Million oder zehn Millionen Jahre das Ergebnis einer theoretischen Aussage in Verbindung mit einer Gleichung wären. Wenn die Evolutionstheorie eine ernsthafte wissenschaftliche Grundlage hätte, müßte sie in der Lage sein, den genauen Wert der Zeitskalen für die menschliche Evolution zu benennen. Doch dazu ist sie nicht in der Lage. Es entschwindet bei ihr alles in einem Nebel von Jahrmillionen.
Die Evolutionstheorie behauptet nur, Wissenschaft zu sein
Die Evolutionstheorie wird ständig dazu benutzt, die transzendenten Werte unserer Existenz in Frage zu stellen. Der mystifizierte Akt liegt in der angeblichen Existenz von strengen wissenschaftlichen Beweisen, doch die gibt es in diesem sensiblen und wichtigen Bereich unserer materiellen Existenz nicht. Für die aktuell dominante Kultur ist es so, als hätte die Wissenschaft auf irgendeine stringente, also streng reproduzierbare Weise nachgewiesen, daß der Mensch von derselben Tierart abstamme, aus der die Affen hervorgingen. Damit wurde die Theorie der biologischen Evolution der menschlichen Spezies (außer- und unwissenschaftlich) zu einem grundlegenden Kapitel der Wissenschaft erklärt und steht seither im Widerspruch zum Glaubensakt. Kehren wir also zu der grundlegenden Frage zurück: Was ist mit dem Übergang von der inerten Substanz zu lebender Materie? Dieses Problem ist, wie ich behaupte, auf streng wissenschaftliche Weise zu untersuchen. Daß ich Recht habe, beweist die Tatsache, daß es heute weltweit Hunderte von Labors gibt, einige davon sogar geheim, in denen das „Problem of minimal life“ untersucht wird. Was ist damit gemeint? Es ist eben sehr schwierig zu studieren, wie man vom Stein zu einer Schwalbe kommt. Stein und Schwalbe sind zwei äußerst komplizierte Realitäten. Doch nicht nur der Übergang vom Stein zur Katze oder zum Vogel, sondern auch zu weniger komplexen Lebensformen wie Mücken und anderen kleineren Lebewesen ist immer zu kompliziert. Das „Problem des minimalen Lebens“ ist der Übergang von einem sehr kleinen Stück inerter Substanz zu der einfachsten Art, sprich, niedersten Form von lebender Materie. Das Problem besteht darin, zu untersuchen, wie viele winzige Stücke träger Materie wir brauchen, um das simpelste Beispiel einer lebenden Zelle zu erzeugen. Gibt es jemand, der das tun kann? Nein, es gibt niemand. Deshalb gibt es Hunderte von Labors, die sich mit dem sogenannten „zweiten Urknall“ beschäftigen, der als „Problem of minimal life“ bekannt ist. Wäre die Evolutionstheorie eine Wissenschaft, wäre dieses Problem natürlich längst gelöst und die Evolutionstheorie wäre eine Galilei-Wissenschaft der ersten Stufe. Stattdessen besteht die Grundlage der Evolutionstheorie nur aus „Worten“.
Vergleichen wir sie mit dem Zeitrahmen der kulturellen Entwicklung. Wie viele Millionen Jahre müßten wir demnach warten, bis die biologische Evolution einen Adler dazu bringt, mit Überschallgeschwindigkeit zu fliegen? Ein Kätzchen dazu bringt, die verborgene Seite des Mondes sehen zu wollen und tatsächlich zu sehen?
Und wie lange müßten wir warten, bis unsere Nachkommen mit anderen Formen lebender Materie – Adlern und Katzen – die Logik studieren können, die das Universum zusammenhält, vom Protonenkern bis an den Rand des Kosmos? Die kulturelle Evolution übertrumpft also eindeutig die biologische Evolution.
Der Mensch ist kein Tier
Die Evolutionisten behaupten zu wissen, daß der Mensch ein Tier wie jedes andere sei. Das ist aber nicht der Fall. Die Spezies, zu der wir gehören, ist mit einem einzigartigen Privileg ausgestattet: der Vernunft. Dank dieses Privilegs waren wir imstande das kollektive Gedächtnis (die Schrift) zu erfinden und die strenge Logik (die Mathematik) zu entdecken. Und festzustellen, daß wir keine Kinder des Chaos, sondern einer gewaltigen logischen Struktur sind. Die Grundlagen dafür sind: drei Säulen und drei grundlegende Kräfte.
Platon, Aristoteles und Galilei sind nicht mehr unter uns. Doch dank der Erfindung der Schrift können wir wissen, was unsere Vorfahren dachten. Die Löwen, die Elefanten, die Adler, die Affen, die von den Evolutionisten so gerne zitiert werden, haben nicht die geringste Spur eines kollektiven Gedächtnisses hinterlassen. Die Löwen waren nicht in der Lage, den Satz des Pythagoras zu entdecken oder herauszufinden, ob eine Überwelt existiert.
Ein starkes Argument der Evolutionisten sind die gemeinsamen Merkmale unzähliger Tierarten. Analogien. Es gibt aber ein bei weitem wichtigeres. Es ist nicht nur den Formen der lebenden Materie gemeinsam, sondern auch denen der trägen Materie. Wir Physiker waren es, die diese gemeinsame Wurzel entdeckt haben. Ein Stein, ein Baum, ein Adler, ein Mensch bestehen aus denselben Teilchen: Protonen, Neutronen und Elektronen. Das ist aber kein Grund, warum ein Physiker zu dem Schluß käme, daß Steine, Bäume, Adler und Menschen identische Realitäten sind. Die Vielfalt unserer Spezies ist nämlich außerordentlich einzigartig: Niemand kann sie aus fundamentalen Prinzipien, die mit Gleichungen und reproduzierbaren Experimenten verbunden sind, rigoros ableiten. Deshalb kann bisher niemand das Recht für sich in Anspruch nehmen, „den wahren Ursprung unserer Spezies entdeckt zu haben“. Keiner, der weiß, was Wissenschaft bedeutet, würde es wagen, solche Behauptungen aufzustellen.
Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten bewiesen, daß die Evolutionstheorie auf wissenschaftlicher Stringenz beruhe. Wenn ich dieselbe Stringenz anwenden würde, von der die Evolutionisten sprechen, könnte ich behaupten, daß die Überwelt existiert. In der Tat kenne ich, im Gegensatz zu den Evolutionisten für die Evolutionstheorie, die Gleichungen für die Existenz der Überwelt und konnte mit ihnen ein neues Phänomen entdecken, die Evolution of Gaugino Masses (EGM), das es ermöglicht, viele sehr wichtige Details über die Struktur der Überwelt vorherzusagen.
Evolutionismus und galileische Wissenschaft
Obwohl ich also die mathematische Struktur dieser neuen und beeindruckenden hypothetischen Realität ausgearbeitet habe, kann ich aber nicht mit empirischer Gewißheit sagen, ob die Überwelt existiert, weil ein experimenteller Beweis im Sinne Galileis fehlt. Und Galilei lehrt, daß Mathematik nicht ausreicht, um zu wissen, wie die Welt beschaffen ist: Es bedarf eines reproduzierbaren experimentellen Nachweises. Die biologische Evolutionstheorie basiert weder auf einer mathematischen Formel noch auf einem experimentellen Beweis im Sinne Galileis. Und Galilei lehrt, daß es dort, wo es weder einen mathematischen Formalismus noch reproduzierbare Ergebnisse gibt, auch keine Wissenschaft gibt.
Evolutionisten behaupten – wie eingangs erwähnt –, daß die biologische Evolutionstheorie die letzte Grenze der Galilei-Wissenschaft sei. Sie scheinen nicht zu wissen, daß es viel einfachere Probleme gibt, die die Galilei-Wissenschaft nicht beantworten kann. Ich habe bereits gesagt, daß ich seit Jahren versuche, eine bestimmte Antwort auf dieses grundlegende Kapitel der galileischen Wissenschaft zu geben. Solange wir nicht wissen, wie wir so einfache Fragen wie die nach der Existenz der Überwelt beantworten sollen, können sich nur die Anhänger der vorgalileischen Kultur einbilden, sie hätten „den wahren Ursprung unserer Art“ verstanden.
Wäre Galilei unter uns, würde er diese selbstgefälligen Gelehrten auffordern, die Gleichung aufzuschreiben, die diesen „wahren Ursprung“ auf stringente Weise zusammenfassen kann, und mitteilen, welche wiederholbaren experimentellen Ergebnisse die Gültigkeit ihrer Gleichung bestätigt haben. Den Verfechtern der biologischen Evolutionstheorie würde Galilei einfach seine Lehre wiederholen: Ohne reproduzierbare Gleichungen und Experimente gibt es keine Wissenschaft. Die biologische Evolutionstheorie ist keine Wissenschaft im Sinne eines Galileo Galilei, eben weil ihr die Galilei-Bedingungen fehlen, die unabdingbar sind, damit eine Forschungstätigkeit mit dem Etikett Wissenschaft versehen werden kann. Die vorherrschende Kultur hat die Öffentlichkeit nur glauben gemacht, daß der Ursprung des Lebens und die biologische Evolutionstheorie galileische wissenschaftliche Wahrheiten seien. Wir möchten daran erinnern, daß wissenschaftliche Wahrheiten im Stil der Galilei-Wissenschaft drei Glaubwürdigkeitsstufen haben und daß die biologische Evolutionstheorie zu jeder Zeit, wohlgemerkt immer, unter der Mindeststufe wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit lag und auch heute immer noch dort liegt. Die Behauptung, ein Phänomen verstanden zu haben, das noch nicht mit logisch-mathematischer Strenge so formuliert werden kann, daß es zumindest auf die minimale (dritte) Stufe wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit gestellt werden kann, und es auf die menschliche Spezies auszudehnen – wie es die Fanatiker des Evolutionstheorie tun – widerspricht allem, was die galileische Wissenschaft uns zu entdecken und zu verstehen erlaubt hat. Galilei lehrt, daß man nicht von Wissenschaft sprechen kann, solange es nicht einmal eine Gleichung gibt. In der Tat, denn, wenn alles Wissenschaft ist, ist nichts Wissenschaft. Das ist kein triviales Detail. Es hat dreitausend Jahre gedauert, von den Griechen bis zu Galilei, um zu diesem Punkt zu gelangen, und noch heute gibt es Leute, die das nicht verstanden haben und darauf bestehen, Worte mit Gleichungen zu verwechseln. Die wissenschaftliche Debatte in dem sich nahenden Heiligen Jahr muß sich mit Fragen der wirklich großen Wissenschaft befassen und nicht mit Forschungsbereichen, die bis heute nicht einmal ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit erreicht haben.
*Antonino Zichichi, Kern- und Elementarteilchenphysiker, arbeitete viele Jahre an Beschleunigerlaboratorien wie Fermilab bei Chicago und am CERN in Genf. Sein besonderes Forschungsgebiet war die Antimaterie. Er war Professor der Physik an der Universität Bologna, Vorsitzender des Italienischen Nationalinstituts für Kernphysik, Förderer der Errichtung des Neutrino-Untergrund-Laboratoriums im Gran-Sasso-Massiv. Er war Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Physik. 1981 unterlag er durch politisches Tauziehen dem Deutschen Herwig Schopper, der statt Zichichi CERN-Direktor wurde. Zu seinen bekanntesten Büchern, neben seinen Fachpublikationen, gehört eine Galileo-Galilei-Biographie, in dem er dem gängigen Narrativ, Wissenschaft und Glaube seien unvereinbar, widerspricht. Die hinter diesem Narrativ stehende Idee ist auch Grundlage der Evolutionstheorie, deren Unwissenschaftlichkeit Zichichi wiederholt bloßstellte. Zichichi ist Mitgründer der World Federation of Scientists und Träger zahlreicher Wissenschaftspreise. 2012/13 war er als Parteiloser kurzzeitig Kultur- und Identitätsminister in seiner Heimat Sizilien. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift Radici Cristiane (Christliche Wurzeln), Ausgabe 184 (April–Juni 2024).
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana