Die politische Dimension der Verteidigung des Naturrechts

Der Fall Frankreich


Erklärung der Menschenrechte (1789): Die Kritik an schlechten Gesetzen genügt nicht, es muß Kritik an den Quellen geübt werden, die schlechte Gesetze möglich machen, so Abbé Claude Barthe.
Erklärung der Menschenrechte (1789): Die Kritik an schlechten Gesetzen genügt nicht, es muß Kritik an den Quellen geübt werden, die schlechte Gesetze möglich machen, so Abbé Claude Barthe.

Von Abbé Clau­de Barthe*

Anzei­ge

Die Lawi­ne von gesell­schafts­po­li­ti­scher Geset­zen in Frank­reich seit mehr als einem hal­ben Jahr­hun­dert, die alle direk­te Angrif­fe auf das Natur­recht dar­stel­len, hat in einem Teil der katho­li­schen Welt zu einer weit ver­brei­te­ten und aus­drück­li­chen Dele­gi­ti­mie­rung jener poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen geführt, die die­se Angrif­fe im Zuge der auf 1968 fol­gen­den Indi­vi­dua­lis­mus-Wel­le voll­zo­gen haben; und zu einer Art Explo­si­on, mit der die Kir­che im Sta­tus des Zwei­ten Vati­ca­num in die Luft geflo­gen ist.

Die „Homo-Ehe“ und die Erhe­bung der Abtrei­bung in den Ver­fas­sungs­rang haben das Kli­ma unter die­sen Katho­li­ken ver­schärft. Daher die Fra­ge: Was ist zu tun?

In Frank­reich haben Manif pour tous gegen die Homo-Ehe und der Marsch für das Leben gegen das „Recht“ auf Abtrei­bung einen enor­men katho­li­schen Akti­vis­mus aus­ge­löst. Lei­der ist es die­sen Bewe­gun­gen nicht gelun­gen, die­se Geset­ze auf­zu­he­ben oder zu ändern, obwohl sie eine beträcht­li­che Wir­kung des öffent­li­chen Zeug­nis­ses hat­ten und einen grö­ße­ren Zusam­men­halt der Grup­pen bewirkt haben, die sich in einer feind­se­li­gen Gesell­schaft die­sen Geset­zen ent­ge­gen­stel­len. Aber könn­te die Wir­kung nicht grö­ßer sein, wenn schon nicht quan­ti­ta­tiv, so doch zumin­dest qualitativ?

Die­se Fra­ge führ­te zu einer Debat­te, die von der vier­zehn­tä­gig erschei­nen­den Zeit­schrift L’Hom­me nou­veau mit dem Arti­kel: „Die Über­le­ben­den. Wie kämp­fen, ohne das System zu stär­ken?“ von Tho­mas Las­ser­nat vom 9. März 2024 ange­sto­ßen wur­de, der dar­in äußer­te, daß wie­der­keh­ren­de For­men des Pro-Life-Akti­vis­mus nur die insti­tu­tio­nel­len Struk­tu­ren, die schlech­te Geset­ze her­vor­brin­gen, gestärkt hätten.

Dann folg­te ein Dos­sier: „Fünf­zig Jah­re Wider­stand gegen die Abtrei­bung: Kön­nen wir eine Bilanz zie­hen?“ (6. April 2024), mit zwei Arti­keln von Michel Jan­va und Jean-Pierre Mau­gend­re, die auf Las­ser­nats Posi­ti­on reagier­ten, indem sie nuan­ciert dar­leg­ten, daß die öffent­li­che Demon­stra­ti­on der­zeit die ein­zig Mög­lich­keit ist, um die Debat­te in der Öffent­lich­keit in Gang zu brin­gen, und einem Arti­kel von Phil­ip­pe Maxence, der dazu auf­rief, Prio­ri­tät der Fra­ge nach einem Aus­weg aus der moder­nen Demo­kra­tie ein­zu­räu­men, indem er die Wor­te aus der Radio­bot­schaft von Pius XII. vom Juni 1941 zitier­te: „Von der Form, die der Gesell­schaft gege­ben wird, ob sie mit den gött­li­chen Geset­zen in Ein­klang steht oder nicht, hängt das Wohl oder Wehe der See­len ab.“

In Anleh­nung an Phil­ip­pe Maxence möch­ten wir hier Über­le­gun­gen zu den größ­ten Früch­ten anstel­len, die die­ser katho­li­sche Kampf her­vor­brin­gen könn­te, näm­lich zumin­dest den Beginn einer Infra­ge­stel­lung ihrer insti­tu­tio­nel­len Quel­le, aber auch unmit­tel­ba­rer ihrer Meta­sta­sen in der Kir­che; und die Festi­gung der gesam­ten katho­li­schen Welt in ihrer Ent­schlos­sen­heit, Chri­stus in den Insti­tu­tio­nen herr­schen zu lassen.

Die fortschreitende Zersetzung der öffentlichen Moral im Namen eines „neuen Rechts“ (Immortale Dei, 1885)

Die Erklä­rung der Men­schen­rech­te von 1789 ver­an­ker­te den revo­lu­tio­nä­ren Bruch: Von nun an ging die Macht nicht mehr von Gott aus, wie Pau­lus im Brief an die Römer 13,1 fest­stellt, son­dern „das Prin­zip aller Sou­ve­rä­ni­tät liegt wesent­lich in der Nati­on“ (Art. 3), und das Gesetz als „Aus­druck des all­ge­mei­nen Wil­lens“ (Art. 6) wur­de von sei­nem Bezug auf das Gesetz Got­tes abgekoppelt.

Aller­dings ver­schwan­den nicht alle Ele­men­te der tra­di­tio­nel­len Gesell­schafts­ord­nung mit einem Schlag, und gro­ße Tei­le des Natur­rechts blie­ben erhal­ten, zum Bei­spiel in der Gesetz­ge­bung zu Ehe und Fami­lie, die, abge­se­hen von der Schei­dung, bis in die 1960er Jah­re nicht tief­grei­fend infra­ge gestellt wur­de.1 Es bleibt jedoch die Tat­sa­che, daß das Gemein­we­sen im Prin­zip plötz­lich auf­hör­te, den Grund­sät­zen des natür­li­chen und christ­li­chen Rechts zu ent­spre­chen. Und die­se Neue­rung zeig­te sich bereits im August 1792.

Auf den 10. August, den Tag der Revo­lu­ti­ons­wei­he, folg­te unmit­tel­bar das Gesetz vom 30. August 1792, das die „Auf­lö­sung der Ehe durch Schei­dung“ ein­führ­te, dann das Gesetz vom 20. Sep­tem­ber 1792, das die Säku­la­ri­sie­rung des Fami­li­en­stan­des ein­führ­te, wobei die Zivil­ehe zur ein­zi­gen gesetz­lich aner­kann­ten Ehe wur­de. In der Zeit des Kon­su­lats kam die Ver­pflich­tung hin­zu, der kirch­li­chen Ehe­schlie­ßung, sofern eine sol­che statt­fand, die zivi­le Ehe­schlie­ßung vor­aus­ge­hen zu las­sen (Gesetz vom 10. Ger­mi­nal An X, das ist der 8. April 1802), was im Code civil (Code Napo­lé­on, dem Zivil­ge­setz­buch) und im Straf­ge­setz­buch fest­ge­schrie­ben wurde.

Die­se tyran­ni­sche Bestim­mung gegen die Frei­heit der Kir­che wur­de nie auf­ge­ho­ben, auch nicht mit der Tren­nung von Kir­che und Staat im Jahr 1905: Die Fei­er der kirch­li­chen Ehe­schlie­ßung bleibt in Frank­reich der Fei­er der repu­bli­ka­ni­schen [stan­des­amt­li­chen] Ehe­schlie­ßung untergeordnet.

Die Restau­ra­ti­on bekräf­tig­te die Unauf­lös­lich­keit der Ehe und schaff­te die Schei­dung mit dem Gesetz vom 8. Mai 1816 wie­der ab, das von Lou­is de Bonald erwirkt wur­de, der ent­ge­gen der Auf­klä­rung die Ehe als „Eck­stein der Gesell­schaft“ und die Schei­dung als „revo­lu­tio­nä­res Gift“ betrach­te­te. In der Drit­ten Repu­blik wur­de die Ehe­schei­dung mit dem Naquet-Gesetz vom 27. Juli 1884 wie­der ein­ge­führt. Spä­ter wur­den eini­ge Ände­run­gen vor­ge­nom­men, dar­un­ter die Mög­lich­keit, die Schei­dung im gegen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men der Ehe­gat­ten zu beschlie­ßen (Gesetz vom 11. Juli 1975).

In der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts häuf­ten sich dann die „sozio­struk­tu­rel­len“ Geset­ze gegen Ehe und Fami­lie (die Geset­ze gegen die Bil­dungs­frei­heit, die ein kom­ple­xe­res The­ma dar­stel­len, wer­den hier nicht behandelt):

  • Das Neu­wirth-Gesetz vom 9. Dezem­ber 1967, das in Frank­reich den Ver­kauf und die Anwen­dung von Ver­hü­tungs­mit­teln erlaubte.
  • Das Gesetz vom 3. Janu­ar 1972, das den Gleich­heits­grund­satz von ehe­li­chen und unehe­li­chen Kin­dern in Erb­schafts­an­ge­le­gen­hei­ten fest­schrieb (ein Gesetz vom 3. Dezem­ber 2001 gewähr­te ihnen, ein­schließ­lich den Kin­dern aus Ehe­bruch, völ­li­ge Gleich­heit), wur­de damals nur von weni­gen wie dem Juri­sten Hen­ri Maze­aud ange­pran­gert, obwohl es dem Schutz der Fami­lie schadete.
  • Das Gesetz über die „frei­wil­li­ge Unter­bre­chung der Schwan­ger­schaft“, sprich Abtrei­bung, das am 20. Dezem­ber 1974 pro­be­wei­se ein­ge­führt, 1979 bestä­tigt und in der Fol­ge immer wie­der ver­län­gert wurde.
  • Das Gesetz vom 15. Novem­ber 1999 zur Ein­füh­rung des Zivi­len Soli­da­ri­täts­pakts (PACS, einer zivil­recht­li­chen Part­ner­schaft), das ermög­licht, was Sozio­lo­gen als „neue Form der Ehe“ bezeich­nen, sowohl für Paa­re, die aus einem Mann und einer Frau bestehen, als auch für Homo-Paare.
  • Das Tau­bi­ra-Gesetz vom 17. Mai 2013, das die Ehe für homo­se­xu­el­le Paa­re öff­net und ihnen mit der „adop­ti­on homo­pa­ren­ta­le“ das Adop­ti­ons­recht ermöglicht.
  • Das Gesetz vom 2. August 2021, das les­bi­schen Paa­ren und unver­hei­ra­te­ten Frau­en den Zugang zur künst­li­chen Befruch­tung verschafft.
  • Das Gesetz vom 20. Febru­ar 2022, das auch unver­hei­ra­te­ten Paa­ren die Adop­ti­on von Kin­dern ermöglicht.
  • Das Ver­fas­sungs­ge­setz vom 8. März 2024 über das „Recht“ auf Abtreibung.

Und bald wird ein Gesetz fol­gen, das die Eutha­na­sie zuläßt.

Das Recht, ein unschul­di­ges Kind zu töten, als ein Grund­recht zu defi­nie­ren stellt sym­bo­lisch den Höhe­punkt der Vor­herr­schaft des „all­ge­mei­nen Wil­lens“ gegen­über dem gött­li­chen Wil­len dar. Doch weder der Pro­test gegen die­se demo­kra­ti­sche Hei­lig­spre­chung noch gegen die Abtrei­bung dür­fen die vor­an­ge­gan­ge­nen unna­tür­li­chen Angrif­fe gegen die Fami­lie ver­ges­sen las­sen: das Tau­bi­ra-Gesetz, das PACS-Gesetz, das Neu­wirth-Gesetz, das Naquet-Gesetz.

Yves-Marie Ade­line schrieb in einem Arti­kel im Cour­ri­er des Stra­tèges vom 4. März 2024 über den zurück­ge­leg­ten Weg: „Nun sind wir also ange­kom­men: Die­se Ver­fas­sungs­än­de­rung mar­kiert in Wirk­lich­keit die Voll­endung der Demo­kra­tie, d. h. ein Regime, in dem der Bür­ger kei­ne über sich selbst hin­aus­ge­hen­de Bin­dung, kein Gesetz der Anti­go­ne, son­dern nur die Frei­heit anerkennt.“

Von der Versuchung, die Folgen anzuprangern, ohne den Ursachen auf den Grund zu gehen

Die­se soge­nann­ten Geset­ze, „denn unge­rech­te Geset­ze sind viel gewalt­tä­ti­ger als Geset­ze“ 2, wur­den von der Natio­nal­ver­samm­lung kraft ihrer Sou­ve­rä­ni­tät erlas­sen. Es ist mög­lich, durch Bekennt­nis und kon­kre­te Aktio­nen Druck auf sie aus­zu­üben, um zu ver­su­chen, die­se Beschlüs­se zu kip­pen, so wie es die Gewerk­schaf­ten mit ihren Kund­ge­bun­gen tun. Wir müs­sen uns jedoch dar­über im kla­ren sein, daß wir uns damit auf dem Boden des Refor­mis­mus befin­den, der in eini­gen Fäl­len zu Ergeb­nis­sen füh­ren kann, die zwar vor­läu­fig, aber den­noch gül­tig sind.

Vor allem, wenn der Druck beson­ders stark wird: Die bei­den größ­ten Demon­stra­tio­nen von Manif pour tous im Janu­ar und März 2013 waren sehr beein­druckend und erin­ner­ten an jene des Mou­ve­ment pour l’é­co­le lib­re [Bewe­gung für die freie Schu­le] im Jahr 1984, die die Regie­rung in die Knie zwang; aller­dings mit dem gro­ßen Unter­schied, daß das Mou­ve­ment pour l’é­co­le letzt­lich eine inter­ne Bewe­gung inner­halb der demo­kra­ti­schen Welt war, ein Tau­zie­hen zwi­schen ihrem rech­ten Flü­gel, mit sei­ner katho­li­schen Wäh­ler­schaft, und ihrem lin­ken Flügel.

Was aber zur Dis­kus­si­on gestellt wer­den muß, ist das Prin­zip die­ser Geset­ze, d. h., daß die Mög­lich­keit, gegen das Natur­recht zu ver­sto­ßen (Unauf­lös­lich­keit der Ehe, Ste­ri­li­sie­rung von Frau­en für sexu­el­le Hand­lun­gen, Abtrei­bung), dem „all­ge­mei­nen Wil­len“ unter­liegt. Es ist daher unzu­rei­chend, sich dar­auf zu beschrän­ken, Druck auf die poli­ti­sche Macht aus­zu­üben, um schlech­te Geset­ze zu ändern, und wäre selbst dann unzu­rei­chend, wenn – was nicht der Fall ist – dies eine gewis­se vor­über­ge­hen­de Wir­kung zei­ti­gen würde.

Die Unzu­läng­lich­keit ist im wesent­li­chen die­sel­be wie in den ver­schie­de­nen Epi­so­den der Mobi­li­sie­rung, zu der die kirch­li­chen Behör­den die Katho­li­ken im Kampf gegen die anti­kle­ri­ka­len Geset­ze auf­ge­for­dert haben. Im Grun­de han­del­te es sich dabei um den Ver­such einer groß ange­leg­ten Reform­ak­ti­on: die Ein­bin­dung der welt­li­chen Insti­tu­tio­nen, um sie dar­an zu hin­dern, schlech­te Geset­ze zu erlas­sen. Damit war man aber nicht so erfolg­reich wie erhofft.

Damit wir uns rich­tig ver­ste­hen: Wir wol­len damit nicht sagen, daß die Orga­ni­sa­ti­on von Druck durch Demon­stra­tio­nen und ähn­li­ches auf die demo­kra­ti­schen Mäch­te, um sie zur Auf­he­bung eines Geset­zes zu bewe­gen, ein Akt des Ral­li­e­ment ist [Annä­he­rung der katho­li­schen Kir­che an die fran­zö­si­sche Repu­blik Ende des 19. Jahr­hun­derts], son­dern nur, daß die Unzu­läng­lich­keit bei­der Schrit­te iden­tisch ist, wenn sie nicht auf die eine oder ande­re Wei­se mit der Ver­ur­tei­lung der unge­rech­ten Prin­zi­pi­en ein­her­geht, die die Ver­ab­schie­dung unge­rech­ter Geset­ze ermöglichen.

Die verpaßte Gelegenheit der Manif pour tous: die Befreiung der kirchlichen von der republikanischen Ehe

Wenn Druck aus­ge­übt wer­den soll, unter ande­rem durch Demon­stra­tio­nen, dann soll­te so expli­zit und päd­ago­gisch als mög­lich klar sein, daß das End­ziel, und sei es auch noch so fern, die Wie­der­her­stel­lung einer insti­tu­tio­nell christ­li­chen Gesell­schaft ist. Denn wenn der kon­se­quen­te Katho­lik in einer Gesell­schaft lebt, einer beruf­li­chen Tätig­keit nach­geht, sei­ne Kin­der erzieht und sein reli­giö­ses Leben orga­ni­siert, die der natür­li­chen und christ­li­chen Ord­nung inhä­rent fremd ist, muß er alle sei­ne Hand­lun­gen (oder mög­li­cher­wei­se sei­ne Ent­hal­tun­gen) wie die Lini­en einer per­spek­ti­vi­schen Zeich­nung auf das Ziel aus­rich­ten, und sei es eben auch noch so weit ent­fernt und rein uto­pisch, indem er zurück­zu­weist, was den Platz der christ­li­chen Stadt ein­ge­nom­men hat.

Neh­men wir als Bei­spiel die ver­paß­te Gele­gen­heit von Manif pour tous. Der Wider­stand der Katho­li­ken gegen das Tau­bi­ra-Gesetz woll­te ver­hin­dern, daß die soge­nann­te „Homo-Ehe“ in das staat­li­che Ehe­recht auf­ge­nom­men wird. Letzt­lich kämpf­ten die­se Katho­li­ken für eine „gute“ repu­bli­ka­ni­sche Ehe, die zumin­dest in die­ser Hin­sicht dem Natur­recht ent­spricht, wenn sie schon die Mög­lich­keit der Schei­dung vorsieht.

Wie bereits erwähnt, ist die Gesetz­ge­bung zur Zivil­ehe ein Aus­druck der Tyran­nei, die der katho­li­schen Kir­che durch den lai­zi­sti­schen Cha­rak­ter des Staa­tes auf­er­legt wird. Es ver­pflich­tet die katho­li­schen Ehe­leu­te (unter Andro­hung straf­recht­li­cher Sank­tio­nen für den Prie­ster), sich vor der Spen­dung des Ehe­sa­kra­ments, das für sie die ein­zig gül­ti­ge Ehe ist3, einer staat­li­chen Zere­mo­nie zu unter­zie­hen, der sie kei­ner­lei Wert bei­mes­sen, ohne die aber die mit der Insti­tu­ti­on der Ehe ver­bun­de­nen zivi­len Rech­te nicht aner­kannt wer­den (die sich heu­te frei­lich nur mehr auf Schen­kun­gen zwi­schen den Ehe­leu­ten und die Aus­übung gegen­sei­ti­ger Erb­rech­te beschränken).

Man hät­te also den Rah­men, in dem sich Katho­li­ken als Glie­der der Stadt gegen die gleich­ge­schlecht­li­che „Ehe“ aus­spre­chen soll­ten, klar erklä­ren müssen:

  • Zum einen war ihre Oppo­si­ti­on kei­nes­wegs bloß die Aus­übung einer demo­kra­ti­schen Mei­nungs­frei­heit, son­dern eine mora­li­sche Pflicht, Zeug­nis gegen eine Gewalt zu geben, die in kei­ner Wei­se Anspruch auf Rechts­cha­rak­ter hat.
  • Zum ande­ren bot ihnen die­se wei­te­re Abwei­chung der repu­bli­ka­ni­schen Ehe vom Natur­recht eine histo­ri­sche Gele­gen­heit, über die Aner­ken­nung der sakra­men­ta­len Ehe­schlie­ßung als der für Katho­li­ken ein­zig not­wen­di­gen zu ver­han­deln, wie dies in Ita­li­en und Spa­ni­en und unter bestimm­ten Bedin­gun­gen sogar in Eng­land der Fall ist, wo die kirch­li­che Ehe auto­ma­tisch als Zivil­ehe gilt. Die For­de­rung nach die­ser Befrei­ung der kirch­li­chen Ehe von der zur Belie­big­keit ver­kom­me­nen Zivil­ehe hät­te bedeu­tet, ganz kon­kret von der Kri­tik am Gesetz zu einer Kri­tik an der Quel­le des Geset­zes über­zu­ge­hen. Allein die Tat­sa­che, daß die­se grund­sätz­li­che For­de­rung auf den Tisch gelegt wor­den wäre, selbst wenn sie erfolg­los geblie­ben wäre, hät­te die Kri­tik an die­sem Gesetz, viel wei­ter gebracht.

Es ist klar, daß letzt­lich nur die fran­zö­si­schen Bischö­fe befugt waren, die­se Befrei­ung der kirch­li­chen Ehe mit den herr­schen­den Mäch­ten zu ver­han­deln. Sie könn­ten dies übri­gens immer noch auf kal­tem Wege tun, aber das ist viel schwieriger.

All das führt uns zu der Fest­stel­lung, daß der Druck, der von den akti­ven Katho­li­ken aus­ge­übt wird, gene­rell min­de­stens eben­so wie auf die poli­ti­schen Macht­ha­ber und Urhe­ber repres­si­ver oder kri­mi­nel­ler Geset­ze auch auf die Hir­ten der Kir­che gerich­tet wer­den soll­te, die gegen­über den Macht­ha­bern zu füg­sam sind. So wie die Ven­dea­ner von ihren Her­ren ver­lang­ten, die Initia­ti­ve zu ergrei­fen und sie anzu­füh­ren, soll­te es das vor­ran­gi­ge Ziel der katho­li­schen Akti­vi­sten für das König­tum Chri­sti sein, dafür zu sor­gen, daß ihre Hir­ten bei ihren For­de­run­gen gegen­über einer säku­la­ren Gesell­schaft für die Frei­heit der Kir­che die Füh­rung über­neh­men. Zumal wir bei dem Druck, den die­se Katho­li­ken gegen die Tötung der Unschul­di­gen aus­üben, ja nicht vom Niveau des Drucks spre­chen, den die mexi­ka­ni­schen Cri­ste­ros gegen die kir­chen­feind­li­chen Geset­ze ausübten.

Außer­dem ist offen­sicht­lich, daß die Pas­si­vi­tät die­ser Bischö­fe, mit bemer­kens­wer­ten Aus­nah­men, und die Schwä­che ihrer Inter­ven­tio­nen eine der Haupt­ur­sa­chen für die katho­li­sche Ohn­macht ist. Die Hir­ten der Kir­che haben im all­ge­mei­nen jeden Ver­such auf­ge­ge­ben, eine insti­tu­tio­nell christ­li­che Gesell­schaft wiederherzustellen.

Wie auch immer man den Text des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils über die Reli­gi­ons­frei­heit inter­pre­tie­ren mag, es bleibt die Tat­sa­che, daß die Leh­re von Chri­stus König von den Kir­chen­füh­rern schlicht und ein­fach auf­ge­ge­ben wurde.

Die Bischöfe sollen wieder zu Defensores civitatis werden

Wir ver­wei­sen oft auf die Rol­le des „defen­sor civi­ta­tis“, die die Bischö­fe spiel­ten, als das Römi­sche Reich unter den Schlä­gen der Völ­ker­wan­de­rung zusam­men­brach. In der Tat sind die Hir­ten der Kir­che dazu beru­fen, die Unter­stüt­zung des­sen zu über­neh­men, was in der Stadt in einem Moment, in dem ihre natür­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen schwin­den, wie­der auf­ge­rich­tet wer­den kann. Eines ist sicher: Die Kir­che, und nur die Kir­che, ist heu­te in der Lage, die Wahr­heit vor den Augen der Men­schen guten Wil­lens leuch­ten zu las­sen „denn es ist ein Licht, das an einem fin­ste­ren Ort scheint, bis der Tag anbricht“ (2 Petr 1,19).

Auf jeden Fall sind Bischö­fe die gebo­re­nen Pre­di­ger der Moral. Die Moral­pre­digt ist von Natur aus poli­tisch, denn sie zielt auf die Umge­stal­tung des Men­schen, der von Natur aus ein sozia­les Wesen ist. Außer­dem ist die Moral­pre­digt heu­te not­wen­di­ger­wei­se eine anti­mo­der­ne poli­ti­sche Predigt.

Hin­zu kommt, daß man all­zu leicht dazu neigt, das Natur­recht auf die Fami­li­en­mo­ral zu redu­zie­ren, ins­be­son­de­re um zu sagen, daß im gro­ßen und gan­zen die so ver­stan­de­ne natür­li­che Moral die sei, auf die sich alle Men­schen guten Wil­lens eini­gen könn­ten, und die­se natür­li­che Moral die Demo­kra­tie respek­tie­ren sollte.

Das war der Leit­ge­dan­ke der Lehr­mä­ßi­gen Note zu eini­gen Fra­gen über den Ein­satz und das Ver­hal­ten der Katho­li­ken im poli­ti­schen Leben der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on vom 24. Novem­ber 2002, die einer­seits die Lai­zi­tät und die Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit des Staa­tes als gege­ben dar­stellt („Die gewis­sen­haf­te För­de­rung des Gemein­wohls der poli­ti­schen Gesell­schaft hat nichts mit ‚Kon­fes­sio­na­lis­mus‘ oder reli­giö­ser Into­le­ranz zu tun“, Nr. 6), aber ande­rer­seits fest­stellt, daß der säku­la­re Staat „eine Auto­no­mie der poli­ti­schen oder zivi­len Sphä­re von der der Reli­gi­on und der Kir­che genießt – aber nicht von der der Moral“. In die­sem Zusam­men­hang ver­weist die Note auf die „nicht ver­han­del­ba­ren Grund­sät­ze“, die Chri­sten, die sich in der Poli­tik enga­gie­ren, ver­tei­di­gen müs­sen (Ver­tei­di­gung der Fami­lie, die auf der Ehe zwi­schen einem Mann und einer Frau beruht; Frei­heit der Bil­dung; Schutz der Kin­der; Befrei­ung von For­men der Skla­ve­rei; Frei­heit der Kir­che; Wirt­schaft im Dienst des Men­schen und des All­ge­mein­wohls und Frieden).

Die­ser Dis­kurs hat jedoch zwei Schwächen:

  • Er postu­liert, daß sich die moder­ne Demo­kra­tie dem Natur­recht unter­wer­fen muß, das für sie irrele­vant ist, weil sie auf dem Prin­zip des all­ge­mei­nen Wil­lens beruht. Wenn sie sich dem Natur­recht unter­wirft, dann nur zufäl­lig, je nach dem Stand der Mei­nun­gen zu einem bestimm­ten Zeitpunkt.
  • Er über­sieht, daß die Ver­pflich­tung der mensch­li­chen Gesell­schaft, Gott anzu­be­ten, Teil des Natur­rechts ist. So Leo XIII. in Immor­ta­le Dei4 (1. Novem­ber 1885):

„Mag aber die Staats­ver­fas­sung sein, wel­che sie wol­le, immer haben jene, wel­chen die Gewalt inne­wohnt, vor allem auf Gott hin­zu­blicken, den höch­sten Regen­ten der Welt, und ihn als Vor­bild und Richt­schnur in der Lei­tung des Staa­tes im Auge zu behal­ten. […] Ist nun aber in sol­cher Wei­se der Staat geord­net, so liegt es am Tage, daß er durch öffent­li­che Reli­gi­ons­übung sei­ne so vie­len und wich­ti­gen Pflich­ten Gott gegen­über zu erfül­len hat. – Schon die Ver­nunft gebie­tet einem jeden, Gott einen hei­li­gen und reli­giö­sen Dienst zu wei­hen; denn in sei­ner Hand ste­hen wir, von ihm sind wir aus­ge­gan­gen, zu ihm sol­len wir wie­der zurück­keh­ren. […] Dar­um soll die bür­ger­li­che Gesell­schaft, die ja kei­ne ande­re Auf­ga­be hat, als das all­ge­mei­ne Beste zu för­dern, der­art das staat­li­che Wohl wahr­neh­men, daß die Bür­ger in die­sem ihrem inner­sten Ver­lan­gen nach dem Besit­ze des höch­sten und unver­gäng­li­chen Gutes nicht nur nicht geschä­digt, son­dern auf alle mög­li­che Wei­se geför­dert wer­den. [… Und das ist] die allein wah­re Reli­gi­on, wel­che Jesus Chri­stus selbst gestif­tet und sei­ner Kir­che sie zu behü­ten und wei­ter aus­zu­brei­ten über­ge­ben hat.“

Und Pius XI. schreibt in Quas pri­ma5:

„Die Staa­ten­len­ker und Behör­den haben so gut wie die ein­fa­chen Bür­ger die Pflicht, Chri­stus öffent­lich zu ehren und ihm Gehor­sam zu leisten.“

So uto­pisch eine sol­che For­de­rung heu­te auch erschei­nen mag, so ist sie doch eine Art Rück­grat aller For­de­run­gen nach der Anwen­dung der natür­li­chen Moral (Ach­tung vor dem unschul­di­gen Leben, Unauf­lös­lich­keit der Ehe usw.) im Gesetz der Men­schen. Wenn man von „nicht ver­han­del­ba­ren Wer­ten“ spre­chen will, dann ist DER „nicht ver­han­del­ba­re Wert“ schlecht­hin, das alles Han­deln der Katho­li­ken in der Stadt bestim­men und spe­zi­fi­zie­ren muß, auch wenn ihre kon­kre­te Umset­zung wahr­schein­lich in wei­ter Fer­ne liegt, fol­gen­des: Die Stadt der Men­schen muß Gott unter­wor­fen sein und ihn öffent­lich ehren, und wenn die­se Stadt die christ­li­che „Tau­fe“ erfah­ren hat, ist sie dazu beru­fen, dies christ­lich zu tun.

*Abbé Clau­de Bar­the, geist­li­cher Assi­stent der inter­na­tio­na­len Wall­fahrt Popu­lus Sum­morum Pon­ti­fi­cum. Der Arti­kel wur­de gleich­zei­tig von L’Hom­me nou­veau und Res Novæ am 1. Mai 2024 ver­öf­fent­licht.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: L’Hom­me nouveau


1 vgl. Marc Guel­fuc­ci: Élé­ments pour une défi­ni­ti­on du maria­ge, Thè­se Uni­ver­si­té Pan­thé­on-Assas, 2008.

2 Tho­mas von Aquin: Sum­ma Theo­lo­gi­ca, Ia IIæ, q. 95, a. 2, und q. 96, a. 4.

3 „Des­halb kann es zwi­schen Getauf­ten kei­nen gül­ti­gen Ehe­ver­trag geben, ohne daß er zugleich Sakra­ment ist“ (Codex Iuris Cano­ni­ci, can. 1055).

4 Deut­sche Über­set­zung der Enzy­kli­ka Immor­ta­le Dei.

5 Deut­sche Über­set­zung der Enzy­kli­ka Quas pri­mas.

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