Von Caminante Wanderer*
In den vergangenen Tagen habe ich mehrere Freunde nach einer ersten Meinung zu Dignitas Infinita, dem neuesten Werk von Kardinal Victor Manuel Fernández, gefragt. Ausnahmslos alle sagten mir, sie hätten es nicht gelesen und würden es auch nicht lesen, da es nicht interessant sei. Ich habe mich dann gefragt, ob es sich lohnt, meine Zeit damit zu verbringen, über das Dokument zu schreiben und die Aufmerksamkeit der Leser mit den Fragen dazu abzulenken. Die Fragen sind aufrichtig, auch wenn sie vor einigen Jahren noch unsinnig erschienen wären. Sie sind es auch deshalb, weil wir vor einer unbestreitbaren Tatsache stehen: Das Pontifikat von Franziskus ist zu Ende, es ist abgelaufen. Das einzige, was er bis zu seiner Abreise in das Haus des Vaters tun kann, ist, sich ruhig zu verhalten und, besser noch, zu schweigen. Wir wissen bereits, was passiert, wenn er handelt: Man denke nur an das Chaos, das er in den vergangenen Tagen im Vikariat von Rom verursacht hat.
Um ehrlich zu sein, ist die Erklärung Dignitas Infinita weniger schlecht, als es hätte sein können. Sie enthält einige Wahrheiten des gesunden, also katholischen Menschenverstandes – kein Katholik hat zum Beispiel je geglaubt, daß Leihmutterschaft richtig ist –, wenn sie es auch auf eine oberflächliche, eben Tucho-gemäße Weise ausspricht. Eine Liste dieser positiven Aspekte des Dokuments wurde von Prof. Roberto de Mattei in einem gestern veröffentlichten Artikel kommentiert.
Aber so gut das Dokument auch sein mag, Tatsache ist, daß Kardinal Victor Manuel Fernández jede Autorität verloren hat, seit er die Erklärung Fiducia supplicans samt notwendiger nachträglicher Erklärung herausgegeben hat, die bischöfliche Aufstände von kontinentalen Ausmaßen auslöste, und nachdem sein obskures Buch bekannt geworden war, das seine Vorliebe für Erotik und seine Freude am Erzählen reißerischer Geschichten offenbart. Ein Kardinal, der ein Pornograph ist und der in der Kirche Spaltungen hervorruft, wie sie selten vorkommen, kann schlicht und einfach nicht an der Spitze des Dikasteriums stehen, das die Orthodoxie des Glaubens verteidigt. Er sollte endlich zurücktreten und eine Stelle als Kaplan in einem abgelegenen Nonnenkloster antreten (nicht als Mönch, um Verwechslungen zu vermeiden). Wenn er das nicht tut, dann einfach deshalb, weil er keine Würde hat – weder eine endliche noch eine unendliche – und weil er in seinem Amt nur durch den tyrannischen und allumfassenden Willen seines Beschützers gestützt wird. Unter diesen Umständen würde Tucho Fernández, selbst wenn er ein neues Pascendi schreiben würde, weder von den Traditionalisten noch von den Progressisten ernst genommen werden. Deshalb ist das Beste, was er tun kann, zu schweigen; weder zu sprechen noch zu schreiben, denn alles, worüber er spricht und schreibt, wird befleckt sein und jegliche Wirksamkeit verlieren. Schweigen Sie, Eminenz, das ist das beste Geschenk, das Sie der Kirche machen können, nach dem enormen Schaden, den Sie ihr zugefügt haben.
Das erste, was an dem Dokument auffällt, ist der Name: Kann der Mensch, ohne in einen Widerspruch zu geraten, als endliches Wesen ein unendliches ontologisches Attribut haben? Ich bin kein Theologe, aber es klingt zumindest seltsam, sehr seltsam.
Ein zweites Element, das mehr als nur ein Rauschen verursacht, ist das Beharren auf der Verknüpfung der Menschenwürde mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Dieses Dokument der UNO wird ganze 26 Male in Tuchos Schrift erwähnt. Kardinal Fernández argumentiert, daß die Frage der Menschenwürde zwar immer von der Kirche verteidigt wurde, daß sie aber erst mit der Erklärung der Menschenrechte ihren vollen Glanz erlangt habe. Er sagt: Daß es sich um ein „neues Prinzip der Menschheitsgeschichte handelt, wonach der Mensch umso mehr ‚wert‘ ist, respektiert und geliebt zu werden, je schwächer, elender und leidender er ist, bis hin zum Verlust seiner menschlichen ‚Gestalt‘, hat das Gesicht der Welt verändert“ (Nr. 19). Es ist bemerkenswert, daß Seine Eminenz es unterläßt, auf all das zu verweisen, was die Kirche seit ihren Anfängen für die Schwächsten, Elendigsten und Leidenden getan hat: Sollte man ihn an die Apostelgeschichte erinnern, in der von der Notwendigkeit von Diakonen die Rede ist, oder an den heiligen Vinzenz von Paul, um nur zwei Beispiele von Hunderten zu nennen, die man anführen könnte? Es zeigt sich also, daß eine verfassungsmäßig atheistische Erklärung wie die Menschenrechtserklärung, in der Gott nie erwähnt wird und gegen die sich die Kirche offiziell gewehrt hat, mit dem neuen Pontifikat von Franziskus zum Eckpfeiler eines relevanten Teils seines Lehramtes wird.
Und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich von der zugrundeliegenden Konzeption des Pontifikats von Franziskus als der Gründung einer neuen Kirche, als Konkubine der Welt, spreche. In der Erklärung Dignitas Infinita heißt es: „In dieser Perspektive stellt seine Enzyklika Fratelli tutti bereits eine Art Magna Charta der heutigen Aufgaben zur Wahrung und Förderung der Menschenwürde dar“ (Nr. 6). Vergessen wir das De hominis opificio des heiligen Gregor von Nyssa, und vergessen wir das Agnosce, o christiane, dignitatem tuam der 21. Predigt des heiligen Leo des Großen, dessen Fest wir heute feiern. Die Magna Charta über die Würde des Menschen kommt nicht von den Kirchenvätern und der Tradition der Kirche, sondern… von Fratelli tutti von Bergoglio! Das klingt wie ein Scherz.
Das Dokument ist, wie gesagt, sehr oberflächlich, mit einer unerklärlichen Fülle von Wörtern und Ausdrücken in Anführungszeichen, und es enthält grobe Fehler, von denen der bemerkenswerteste der Hinweis auf die Todesstrafe ist. In Nr. 34 heißt es, daß sie „die unveräußerliche Würde jeder menschlichen Person unter allen Umständen verletzt“. Mit anderen Worten: Fernández verurteilt die Todesstrafe, weil er sie für unmoralisch hält, was ein ernstes Problem darstellt, da die tausendjährige Lehre der Kirche, selbst Papst Franziskus, die Anwendung der Todesstrafe in extremen Fällen immer für zulässig gehalten hat. Außerdem wurde sie im Kirchenstaat selbst bis 1870 angewandt, mit einer Enthauptung in Palestrina. Die Figur des Mastro Titta [1816–1864 Henker im Kirchenstaat, Anm. GN] und sein Handwerk auf der Piazza del Popolo in Rom sind sehr bekannt. Was machen wir also mit den Päpsten und Heiligen, die Gefangene zum Tode verurteilt haben? Entkanonisieren wir sie? Das erinnert mich an die Kirchner-Groteske1, die Geschichte nach dem politisch korrekten Geschmack der Zeit verändern zu wollen. Die Todesstrafe mag in jedem Fall heute unangemessen sein, aber der rabiate institutionelle Kannibalismus von Franziskus und seinesgleichen kann nicht so weit gehen, alle Päpste und Ärzte zu verurteilen, die ihm vorausgegangen sind.
Etwas Ähnliches geschieht, wenn Dignitas Infinita über den Krieg spricht. Mit einer für ein Dokument des Heiligen Stuhls völlig unangemessenen Emotionalität heißt es dort: „Kein Krieg ist die Tränen einer Mutter wert, die ihr Kind verstümmelt oder tot gesehen hat; kein Krieg ist den Verlust des Lebens auch nur eines einzigen menschlichen Wesens wert, eines heiligen Wesens, das nach dem Bild und Gleichnis des Schöpfers geschaffen wurde; kein Krieg ist die Vergiftung unseres gemeinsamen Hauses wert; und kein Krieg ist die Verzweiflung derjenigen wert, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und in einem Augenblick ihrer Heimat und aller familiären, freundschaftlichen, sozialen und kulturellen Bindungen beraubt werden, die manchmal über Generationen hinweg aufgebaut wurden“ (Nr. 38). „[…] Angesichts dieser Tatsache ist es heute sehr schwierig, sich auf die in vergangenen Jahrhunderten gereiften rationalen Kriterien zu stützen, um von einem eventuell ‚gerechten Krieg‘ zu sprechen“ (Nr. 39). Kurz gesagt, Papst Franziskus übernimmt durch Tucho die säkulare Doktrin nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Rechtsordnung, indem er das Recht der Nationen auf legitime Verteidigung und auch das Konzept des „gerechten Krieges“ leugnet und verurteilt. Laut ihnen handle es sich dabei um einen Irrtum des heiligen Thomas von Aquin und so vieler anderer Heiliger und Kirchenlehrer, den der brillante Intellekt von Tucho Fernández, der sich auf Fratelli tutti stützt, zu klären und zu überwinden versucht. Das klingt erst recht wie ein Scherz…
Schließlich weist das Dokument auch einige Kuriositäten auf. So heißt es in Nr. 57 zu Recht, daß die wissenschaftliche Konsistenz der Gender-Theorie in der Fachwelt umstritten ist. Aber warum wird in allen Dokumenten von Papst Franziskus und in diesem Dokument selbst die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sehr heftig geführte Diskussion über die angeblich anthropogenen Ursachen des Klimawandels nicht in Frage gestellt oder zumindest angedeutet? Mysteriöse päpstliche Vorlieben.
Abschließend würde ich nicht sagen, daß Dignitas Infinita ein schlechtes Dokument ist. Es ist ein oberflächliches und mittelmäßiges Dokument; eine verpaßte Gelegenheit, die guten Dinge, die es sagt, in einer klaren und kraftvollen Sprache zu sagen, weit entfernt von Emotionalität als ethischem Anker und losgelöst von den vorübergehenden Umständen eines Pontifikats, das von Verwirrung und Chaos geprägt ist.
P.S.: Bei der Vorstellung von Dignitas Infinita auf einer Pressekonferenz hat Kardinal Tucho Fernández einige Federn gelassen. Ein Journalist fragte ihn, ob es nicht an der Zeit sei, daß das Dikasterium für die Glaubenslehre die Lehre ändere, laut der homosexuelle Handlungen „von Natur aus ungeordnet“ sind.
Fernández beantwortete die Frage zunächst nicht mit einer einfachen und klaren Bejahung oder Verneinung, sondern antwortete, daß die fragliche Lehraussage ein „starker Ausdruck ist, der erklärt werden müßte, es wäre gut, wenn wir einen noch klareren Ausdruck finden könnten“. Noch klarer? Ist es vielleicht ein verwirrender Ausdruck?
Und er fuhr fort: „Was wir sagen wollen, ist, daß die Schönheit der Begegnung zwischen Mann und Frau, die den größten Unterschied darstellt, die schönste ist“. […] „Die Tatsache, daß sie sich treffen können, zusammen sein können, und daß aus dieser Begegnung ein neues Leben entstehen kann, ist etwas, das mit nichts anderem verglichen werden kann. Angesichts dessen haben homosexuelle Handlungen die Eigenschaft, daß sie dieser großen Schönheit in keiner Weise gleichkommen können.“
Kurz gesagt, das Problem der Homosexualität ist laut Tucho Fernández also ein ästhetisches Problem; und wir dachten, es sei ein anthropologisches, moralisches und theologisches Problem!
Wir bitten Eure Eminenz, uns ein neues Buch mit Beschreibungen dieser verminderten Schönheiten zu ersparen.
*Caminante Wanderer ist ein argentinischer Blogger
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Erzdiözese La Plata (Screenshot)
1 Die Peronisten Néstor Kirchner (von 2003 bis 2007) und seine Frau Cristina Kirchner Fernández (von 2007 bis 2015) waren beide hintereinander Präsidenten von Argentinien (GN).
Eine „neue Kirche als Konkubine der Welt“ – das ist in der Tat die Kirche von Tucho und Franziskus, man könnte sie auch die “ Hure Babylon“ nennen, um in der Sprache der Heiligen Schrift zu bleiben, oder eine “ Menschenmachwerkskirche“ nach A. K. Emmerick.
Es müßte vielleicht einiges an Hintergrundanalyse verfaßt werden. Nützlich etwa ist die Auskunft von Roberto de Mattei, daß das Grundgerüst vom früheren Glaubenspräfekt Kardinal Luis Francisco Ladaria Ferrer aus dem Jahr 2019 stammt. Was hat der jetzige Inhaber des Dikasteriums Fernandez beigetragen. Mißtrauisch gegenüber allem, was von Franziskus und seinem Nachbeter Fernandez kommt, hege ich den leisen Verdacht, daß Franziskus eine Plattform brauchte, wo er seine ablehnende Haltung gegen die Todesstrafe und gegen den gerechten Krieg unterbringen konnte.
Ich bin besonders an den Nummern 55–60 über die Gender-Theorie interessiert. Die Zitate stammen fast ausschließlich von Franziskus und sind in ihrer Eindeutigkeit begrüßenswert. Leider weiß man aber auch, daß er von fast allem, was er sagt, an anderer Stelle wieder abweicht.
Die Ablehnung der Gender-Theorie steht im Gegensatz zur vorherrschenden Ideologie, die mit wachsendem Druck allen Menschen aufgezwungen werden soll. Umso seltsamer ist, daß von diesem neuen vatikanischen Dokument in den Medien nur wenig Notiz genommen wurde. Es wird offensichtlich in globaler Sicht als irrelevant eingestuft.