Von Roberto de Mattei*
Wir veröffentlichen das vollständige Interview von Martina Pastorelli mit Prof. Roberto de Mattei, das in gekürzter Form in der Tageszeitung La Verità am 31. Dezember 2023 abgedruckt wurde.
Die Erklärung der Glaubenskongregation Fiducia supplicans hat unter dem Klerus Reaktionen hervorgerufen, die die Karten neu mischen, da sie nicht gerade die Spaltung zwischen Konservativen und Progressiven widerspiegelt, die die Kirche seit langem auseinanderdividiert. Vielmehr haben auch viele Bischöfe und Kardinäle – vor allem aus Afrika, aber auch aus dem Osten und Südamerika –, die nie offen ihre Verwunderung über das Vorgehen des Papstes geäußert haben, das Dokument kritisiert und es als chaotisch, schädlich und lehrwidrig bezeichnet und erklärt, daß sie es nicht anwenden werden.
Frage: Wie ist dieses Aufbäumen zu verstehen, das gerade von den „Rändern“ ausgeht, die Franziskus wegen ihrer evangelischen „Zentralität“ und als „Fenster“ zum Ganzen so sehr am Herzen liegen?
Roberto de Mattei: Der Protest gegen die Erklärung Fiducia supplicans ist etwas völlig Neues in der Geschichte der Kirche. Die Rebellion einiger mitteleuropäischer Bischöfe gegen die Enzyklika Humanae vitae von Paul VI. von 1968, in der die Empfängnisverhütung verurteilt wurde, war von geringerem Ausmaß und richtete sich gegen einen Papst, der das Lehramt der Kirche bekräftigt hatte. In diesem Fall ist es im Gegenteil der Papst, der von einer beeindruckenden Anzahl von Bischöfen und Bischofskonferenzen auf der ganzen Welt ausdrücklich oder verschleiert beschuldigt wird, von der Orthodoxie des katholischen Glaubens abzuweichen. Sollte bisher jemand gedacht haben, der Dissens gegen Papst Franziskus sei eine „Verschwörung“ amerikanischer Bischöfe, so wurde er nun durch die Fakten eines Besseren belehrt. Die stärkste und zahlreichste Kritik an Fiducia supplicans wurde von jenen „Rändern“ geäußert, vor allem dem afrikanischen Kontinent, die Papst Franziskus so oft als Träger authentischer religiöser und menschlicher Werte beschworen hat, während die Philosophie des Dokuments von einigen Bischofskonferenzen gebilligt wurde, wie denen von Belgien, Deutschland und der Schweiz, die die verweltlichtsten Episkopate des Westens repräsentieren. Die große Mehrheit der Bischöfe und Kardinäle hat sich entweder nicht geäußert oder, wenn sie es doch getan haben, vorgeschlagen, Fiducia supplicans im Einklang mit dem Katechismus der Katholischen Kirche auszulegen und nicht im Widerspruch zu ihm.
Frage: Glauben Sie, daß diese beispiellose Situation Auswirkungen auf das nächste Konklave haben wird, wenn Papst Franziskus die Bühne bereits verlassen haben wird und die Kardinäle aufgerufen sein werden, seinen Nachfolger zu wählen?
Roberto de Mattei: Zum ersten Mal zeigt sich die Breite einer antibergoglianischen Frontbildung, zu der auch von Papst Franziskus selbst ernannte Kardinäle gehören, wie der Erzbischof von Kinshasa, Fridolin Ambongo, Vorsitzender des Zusammenschlusses der afrikanischen Bischofskonferenzen, und der Erzbischof von Montevideo, Daniel Fernando Sturla. Beide werden Papstwähler im nächsten Konklave sein, in dem ein magmatisches und oszillierendes Zentrum gezwungen sein wird, zwischen den beiden gegensätzlichen Minderheiten zu wählen: auf der einen Seite der Pol, der der Lehre der Kirche treu ist, auf der anderen Seite der Pol, der dem „neuen Paradigma“ folgt. Der Zusammenstoß wird in einer Situation der Sedisvakanz stattfinden, wenn Papst Franziskus die Szene bereits verlassen hat, die Medien schweigen und jeder Wähler allein vor Gott und seinem eigenen Gewissen steht. Genug, um zu vermuten, daß das nächste Konklave umkämpft und nicht kurz sein wird. Mit Fiducia supplicans hat Papst Franziskus, entgegen seiner Absicht, das Vorkonklave eröffnet. Die festlichen Tage werden eine Atempause sein, dann wird der Kampf wieder aufflammen.
Frage: Es ist nicht zu übersehen, daß das Aufbäumen gegen Fiducia supplicans genau in der vom Papst propagierten synodalen Perspektive stattfand. Besteht die Gefahr, daß dieser Ansatz ein Abdriften einleitet?
Roberto de Mattei: Bislang wurde behauptet, im Namen der Synodalität den Weg der Heterodoxie zu beschreiten. Was geschieht, wenn eine starke synodale Stimme wie die Afrikas fordert, dem Gesetz des Evangeliums treu zu bleiben? Ich habe den Eindruck, daß die synodale Reise der deutschen Bischöfe in Afrika enden könnte.
Frage: Angesichts der Position, die viele Bischofskonferenzen in der einen oder anderen Weise eingenommen haben, fällt das Schweigen der Italienischen Bischofskonferenz auf, die sich noch nicht in einem offiziellen Dokument geäußert hat. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Roberto de Mattei: Weil die Italienische Bischofskonferenz diejenige ist, die Rom am nächsten ist und schon immer am empfindlichsten auf die vom römischen Zentrum kommenden Richtlinien reagiert hat. Das hat sie in Zeiten der Treue treuer gemacht, aber heute besteht die Gefahr, daß sie ins Chaos stürzt, vor allem wenn die italienischen Bischöfe erkennen werden, daß der Trumpf vielleicht nicht dort liegt, wo sie dachten.
Frage: Gerüchten zufolge herrscht im Dikasterium für die Glaubenslehre Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie die Erklärung verfaßt wurde, d. h. ohne Anhörung der Theologenkommission.
Roberto de Mattei: Es ist nicht das erste Mal, daß die Kommissionen der Theologen und der Kardinäle, die die wichtigsten Dokumente prüfen sollten, umgangen werden. Das ist Teil des autokratischen Regierungsstils von Papst Franziskus. An „autokratischen“ Päpsten hat es in der Kirchengeschichte nicht gemangelt, aber die Entscheidungen wurden immer mit Respekt vor der Lehre und den Traditionen der Kirche getroffen. Heute bin ich nicht wegen der mißbräuchlichen Autoritätsausübung durch einen „Diktator“-Papst besorgt, wie ihn manche nennen, sondern wegen der Irrtümer, der Zweideutigkeiten und der Unterlassungen, die dieser Papst fördert oder begünstigt, zum großen Schaden der Weltkirche.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Glaubensdikasterium (Screenshot)
Kaum anzunehmen, dass sich bei einem nächsten Konklave, sollte es überhaupt noch dazu kommen, eine bergoglianische Mehrheit finden wird. Eine sehr plausible Einschätzung von Roberto de Mattei. Zu groß sind Unbehagen und Verdruss bis hin zum Überdruss über das gegenwärtige, unaufhaltsam seinem Ende entgegengehende chaotische Pontifikat, von dem bislang kein spürbarer Segen ausgegangen ist und das die Kirche bis an den Rand ihrer Existenz gebracht hat.
Die allerwenigsten Chancen für die Franziskus-Nachfolge hat sicherlich der Franziskus-Intimus und Bergoglios argentinischer Landsmann, Víctor Manuel Kardinal Fernández.
Herr Jesus Christus, wir erwarten deine Wiederkunft in Herrlichkeit.