
Das Thema Sexualität wird nicht nur im Kontext des Synodalen Weges kontrovers debattiert. Eine der Fragen: Schließen sich Homosexualität und Zölibat aus? Nicht per se, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Christian Spaemann im Interview mit der Tagespost und bietet interessante und wichtige Erkenntnisse. Die Fragen stellte Dorothea Schmidt. Wir danken Dr. Spaemann für die Erlaubnis, das Interview nachdrucken zu dürfen.
Die Tagespost: Herr Spaemann, kann man als Homosexueller ein guter Priester sein?
Christian Spaemann: Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen Ja.
Die Tagespost: Warum lehnt die Kirche es dann ab, Homosexuelle zu weihen?
Christian Spaemann: Ob sich die Verantwortlichen in der Kirche tatsächlich an diese Vorgaben halten, ist die Frage. Was die Ablehnung als solche anbelangt, so vermute ich, dass die Kirche unterm Strich keine so guten Erfahrungen mit der Weihe von Homosexuellen zu Priestern gemacht hat. Zudem dürfte hierbei eine naturrechtliche Einstellung eine Rolle gespielt haben. Der Priester soll demnach ein Mann sein, der im gesamten pastoralen Spannungsfeld in seiner emotionalen Neigung und Versuchbarkeit „eindeutig männlich“, das heißt heterosexuell ist.
Die Tagespost: Was sagen Sie dann dem Regens des Münchener Priesterseminars, Wolfgang Lehner, der kürzlich erklärte, nichts davon zu halten, homosexuelle Bewerber von vornherein auszuschließen?
Christian Spaemann: Ich denke, man sollte diesbezüglich die Folgen bedenken und auf die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zurückblicken. Der katholische Priester ist wie jeder andere Mensch sexuell versuchbar. In den letzten 2000 Jahren gab es genug „Gefallene“. Das gleichgeschlechtliche Priesterseminar und Kloster, auch das Frauenkloster, soll ein Schutzraum und kein Hort der Versuchung sein. Ich weiß von homosexuellen Klerikern, welch ein emotionaler und hormoneller Hürdenlauf für sie das Leben im Seminar oder Kloster ist. Außerdem, nehmen Sie mal einen Klosterkonvent mit 30 Mönchen: Zwei von ihnen haben in den umliegenden Dörfern Beziehungen zu einer Frau. Das wird das Kloster nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Jetzt stellen Sie sich dagegen vor, was passiert, wenn im gleichen Konvent homosexuelle Beziehungen unter den Mönchen entstehen…

Die Tagespost: Einer kürzlich veröffentlichten spanischen Studie zufolge waren über 80 Prozent der Missbrauchsfälle durch Priester homosexueller Natur. Wie bewerten Sie das?
Christian Spaemann: Diese Rate liegt weit über dem vermuteten Anteil Homosexueller an der Priesterschaft in den untersuchten Ländern. Pädophilie kommt nämlich bei Homosexuellen generell um das Vielfache häufiger vor als bei Heterosexuellen, hat also mit dem Priestertum an sich nichts zu tun. Will die Kirche dieses Risiko weiter eingehen?
Die Tagespost: Welche weiteren Folgen hat Homosexualität im Priesterstand?
Christian Spaemann: Es kommt schnell zu Netzwerkbildung.
Die Tagespost: Wie es das Münchener Missbrauchsgutachten bestätigt hat?
Christian Spaemann: Genau. Wir wissen, dass die Promiskuität unter Homosexuellen ungleich höher ist als unter Heterosexuellen und dies auch in Gesellschaften, in denen Homosexualität voll akzeptiert ist. Der heterosexuelle „gefallene“ Mönch oder Priester hat die Tendenz, sich entweder von seiner Freundin zu trennen oder das Kloster bzw. den Priesterstand zu verlassen, um mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Der homosexuelle Mönch oder Priester tut dies in der Regel nicht. Warum auch? So entstehen Netzwerke, die die Kirche auf allen hierarchischen Ebenen durchdringen, wie wir an dem Fall von Kardinal McCarrick sehen können. Es dürfte sich hierbei nur um die Spitze eines Eisbergs handeln.
Die Tagespost: Gibt es eine spezifische homosexuelle Spiritualität?
Christian Spaemann: Diese Frage wurde bereits in Hinblick auf bedeutende Theologen diskutiert. Ich möchte aus aktuellem Anlass ein Phänomen herausgreifen.1 Sie finden unter homosexuellen Klerikern gelegentlich einen Hang zu einer mystisch verbrämten Erotik. Das „Aufopfern des Orgasmus“ ist dabei ein typischer Topos; etwa bei Mönchen, die meinen, bei ihren sexuellen Interaktionen ihren Orgasmus Gott aufopfern zu können, oder Priester, die Mitbrüder verführen, indem sie ihnen sagen, dass sie Christus näherkommen würden, wenn sie sich auf sie sexuell einlassen et cetera. Natürlich gibt es auch auf heterosexueller Seite solche Phänomene. Man denke nur an den Fall Kleutgen im 19. Jahrhundert (Josef Kleutgen SJ, theologischer Berater von Pius IX., Anm. Tagespost) oder auch Fälle in den Orden der neuen geistlichen Bewegungen, wo die Geschlechter weniger getrennt sind.
Die Tagespost: Warum führen diese Zusammenhänge insbesondere mit dem Missbrauch zu keinen entsprechenden Reaktionen in der Kirche?
Christian Spaemann: Das Thema Homosexualität, Priesteramt und Missbrauch wird von den Verantwortlichen in der Kirche größtenteils systematisch unter den Teppich gekehrt, negiert oder kleingeredet. Immer wieder kommt es zu absurden Erklärungskonstruktionen, etwa, dass Priester so verklemmt sind und so sehr unter sexuellen Druck geraten, dass sie sich an Kindern vergreifen. So entsteht keine Pädophilie. Dann gibt es Bischöfe, die von „Erkenntnissen der Humanwissenschaften“ sprechen, denen zufolge man den Priesterstand offiziell für Homosexuelle öffnen sollte. Ich habe dabei noch von keinem kirchlichen Würdenträger gehört, um welche Erkenntnisse es sich hier handeln soll. Für die Analyse, warum man sich diesem Thema nicht stellt, fühle ich mich nicht zuständig. Ich möchte nur auf die vielen Bischöfe hinweisen, die das Thema nur deshalb meiden, um die Kirche und ihre Gläubigen vor der medialen Öffentlichkeit und dem Vorwurf der Homophobie zu schützen. Außerdem herrscht zum Thema Homosexualität eine enorme Unwissenheit, gerade was die wirklichen Erkenntnisse der Humanwissenschaften anbelangt.
Die Tagespost: In kirchlichen Dokumenten zum Umgang mit Homosexualität bei Priesteramtskandidaten ist häufig von emotionaler Reife die Rede. Woran machen Sie emotionale Reife fest?
Christian Spaemann: Reife ist ein Globalbegriff, mit dem ich angesichts der Komplexität des Menschen wenig anfangen kann. Natürlich gibt es an dem einen Ende der Skala Menschen, die eindeutig ein unreifes Verhalten an den Tag legen, z. B. distanzlos und kindisch auftreten. Homosexuelle sind hier meiner Erfahrung nach nicht häufiger anzutreffen als andere. Am anderen Ende gibt es Menschen, die in ihrer ganzen Haltung Reife ausstrahlen, die beispielsweise ein gesundes Selbstbewusstsein haben und ausgewogene und differenzierte Beziehungen pflegen, in denen sie sich verbunden und wohl fühlen. Ich wage zu behaupten, dass es für Homosexuelle in der Regel schwerer ist, diese Art innerer Erfüllung zu erlangen. Sich emotional nicht auf die geschlechtlich „andere Seite“ hin entfalten zu können ist eine Einschränkung, die man nicht von der Gesamtpersönlichkeit trennen kann.
Die Tagespost: Wie sollte man aus Ihrer Sicht in der Priesterausbildung mit diesen Themen umgehen, um gut auf die Seelsorge vorbereitet zu sein?
Christian Spaemann: Die Priesteramtskandidaten sollten in der Sexualmoral eindeutig im Sinne der kirchlichen Tradition geprägt werden und lernen, Sexualität positiv in ihrer leiblichen, seelischen und geistigen Bedeutung zu verstehen. Hierfür sollte die Vertiefung in die Theologie des Leibes von Johannes Paul II. Standard werden. Demgegenüber sollten sie lernen, das gegenwärtig dominante ideologische Konstrukt von Diversität und Gender zu durchschauen, von dem ja auch der Synodale Weg geprägt ist. Für die Umsetzung solch eines tieferen Verständnisses von Sexualität in der Seelsorge ist auf spiritueller Ebene Demut, vertieftes Gebetsleben und damit verbunden ein inneres Empfinden für die Barmherzigkeit und Geduld Gottes gefragt. Alles weitere kommt aus der Erfahrung im Umgang mit den Menschen.
Die Tagespost: Gilt das auch für das zölibatäre Leben als solches?
Christian Spaemann: Grundsätzlich ja. Hinzu kommt hier aber noch die Einübung der sexuellen Enthaltsamkeit und, wenn das nicht gelingt, die Ehrlichkeit, im Sinne des paulinischen Diktums, „lieber heiraten, als in Begierde zu brennen“ (1 Kor 7,9), die Konsequenzen zu ziehen und sich nicht weihen zu lassen, beziehungsweise vonseiten der Verantwortlichen, sich von dem Kandidaten zu trennen. Aus den vorliegenden seriösen Studien lässt sich erschließen, dass eingeübte Enthaltsamkeit einen ganz erheblichen Schutzfaktor in Hinblick auf Missbrauch darstellt und nicht umgekehrt, wie das manche behaupten.
Die Tagespost: Nach dem neuen kirchlichen Arbeitsrecht sind private Beziehungen der kirchenrechtlichen Bewertung entzogen. Wie ist authentische Verkündigung möglich, wenn Mitarbeiter die Lehre der Kirche nicht mehr bezeugen müssen?
Christian Spaemann: Ich denke, man sollte hier differenzieren. Es ist ein Unterschied, ob ein öffentlicher Kindergarten in kirchlicher Trägerschaft eine Pädagogin beschäftigt, die zum Beispiel in einer lesbischen Beziehung lebt und mit den Kindern Weihnachtslieder singt, oder ob es um einen Pastoralassistenten geht, der in der Jugendseelsorge tätig ist. In letztem Fall halte ich das Insistieren auf die Einhaltung der christlichen Lebensordnung für eine authentische Seelsorge genauso für notwendig wie die Einhaltung des Zölibats beim Priester. Das fordert auch die Gerechtigkeit zwischen den beiden Lebensständen.
Bild: MiL/Christian Spaemann
1 Die Anspielung von Dr. Spaemann, wie er auf Rückfrage mitteilte, bezieht sich auf das Buch „Die mystische Leidenschaft“ („La Pasion Mistica“) von Kardinal Victor Manuel Fernández, heute Präfekt des Glaubensdikasteriums und enger Vertrauter von Papst Franziskus, Anm. Katholisches.info.