„Schlimmer als ein Papstkönig“

Ein Historiker und ein Kirchenrechtler analysieren die Fehlherrschaft von Franziskus


Franziskus, der "demütige" Papst, der sich zum Papstkönig und Diktatorpapst aufschwingt
Franziskus, der "demütige" Papst, der sich zum Papstkönig und Diktatorpapst aufschwingt

Am 16. Dezem­ber wur­de vom Vor­sit­zen­den des vati­ka­ni­schen Gerichts­hofs Giu­sep­pe Pigna­to­ne das Urteil im soge­nann­ten Sloane-Ave­nue-Pro­zeß gegen Kar­di­nal Ange­lo Becciu und neun wei­te­re Ange­klag­te ver­le­sen. Der ehe­ma­li­ge Sub­sti­tut des Staats­se­kre­ta­ri­ats und Prä­fekt der Hei­lig­spre­chungs­kon­gre­ga­ti­on gehör­te bis 2018 zum eng­sten Kreis um Papst Fran­zis­kus und hat­te eine Schlüs­sel­po­si­ti­on im vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­at inne. Dann fiel er in Ungna­de und wur­de nun zu fünf Jah­ren und sechs Mona­ten Gefäng­nis ver­ur­teilt. Es ist das erste Mal, daß ein Kar­di­nal in einem ordent­li­chen Gerichts­ver­fah­ren im Vati­kan (es han­del­te sich nicht um ein kir­chen­recht­li­ches Ver­fah­ren) ver­ur­teilt wur­de. Eini­ge Tage vor der Urteils­ver­kün­dung ver­öf­fent­lich­te der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster fol­gen­den Arti­kel über die Art von Fran­zis­kus’ Herr­schaft, der es lohnt, doku­men­tiert zu wer­den. Dar­in ver­weist er auf die Ein­schät­zun­gen des pro­gres­si­ven Histo­ri­kers Alber­to Mel­lo­ni und der renom­mier­ten Kano­ni­stin Geral­di­na Boni, die aus unter­schied­li­chen Posi­tio­nen zum sel­ben Schluß gelan­gen; zu dem, was Hen­ry Sire ali­as Mar­can­to­nio Colon­na 2017 mit der Bezeich­nung als „Dik­ta­tor­papst“ auf den Punkt brachte.

Schlimmer als ein Papstkönig

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Von San­dro Magister

Bis April 2021 konn­te ein Kar­di­nal nur vom Papst ver­ur­teilt wer­den. Fran­zis­kus hob die­sen Vor­be­halt auf, unter­warf Becciu aber den­noch auf sei­ne Wei­se sei­nem per­sön­li­chen Urteil und sei­ner kon­se­quen­ten Ver­ur­tei­lung: alles in einer ein­zi­gen zwan­zig­mi­nü­ti­gen Anhö­rung von Ange­sicht zu Ange­sicht und hin­ter ver­schlos­se­nen Türen am Nach­mit­tag des 24. Sep­tem­ber 2020, an deren Ende der mut­maß­li­che Übel­tä­ter zwar den Pur­pur behielt, aber aller Ämter ent­ho­ben wur­de und die „mit dem Kar­di­na­lat ver­bun­de­nen Rech­te“ ver­lor, ein­schließ­lich des Rechts, an einem Kon­kla­ve teilzunehmen.

Bis heu­te hat Fran­zis­kus nie die Grün­de für die­se Ver­ur­tei­lung genannt, die er ohne Pro­zeß, geschwei­ge denn die Mög­lich­keit für den Ange­klag­ten, sich zu ver­tei­di­gen, fäll­te. Und nicht nur das. Er för­der­te den Beginn eines tat­säch­li­chen Gerichts­ver­fah­rens vor dem Gerichts­hof des Vati­kan­staa­tes, bei dem Becciu zum Ange­klag­ten wur­de. Es han­delt sich um den Pro­zeß, der am 27. Juli 2021 begann und nun zu Ende ist, und in des­sen Ver­lauf Fran­zis­kus es nicht ver­säum­te, mehr­mals ein­zu­grei­fen und dabei die Regeln will­kür­lich zu ändern, wobei ihm der Pro­mo­tor der Justiz Ales­san­dro Did­di in der Rol­le des öffent­li­chen Anklä­gers will­fäh­rig zu Dien­sten war.

Es ist nicht ver­wun­der­lich, daß wegen die­ser stän­di­gen Ver­stö­ße von Fran­zis­kus gegen ele­men­ta­re Regeln der Rechts­staat­lich­keit sei­ne Regie­rungs­form mit einer auf die Spit­ze getrie­be­nen abso­lu­ten Mon­ar­chie ver­gli­chen wur­de, ganz zu schwei­gen von all den ande­ren herr­scher­li­chen Akten „extra legem“, die wäh­rend sei­nes Pon­ti­fi­kats durch­ge­führt wur­den, zuletzt der rach­süch­ti­ge Ent­zug von Woh­nung und Gehalt zu Lasten eines ande­ren Kar­di­nals, des Ame­ri­ka­ners Ray­mond Burke.

Am 13. Mai 2023 ver­öf­fent­lich­te Fran­zis­kus auch ein neu­es Grund­ge­setz des Staa­tes der Vati­kan­stadt, das dem Papst zunächst „sou­ve­rä­ne Befug­nis­se“ über die­sen win­zi­gen Staat zuspricht, und zwar „kraft des munus petri­nus“. Nie­mals in der Ver­gan­gen­heit, nicht ein­mal in den Jahr­hun­der­ten des „Papst­kö­nigs“, hat es jemand gewagt, aus dem reli­giö­sen Pri­mat, der Jesus dem Petrus und des­sen Nach­fol­gern ver­lie­hen wur­de, auch eine welt­li­che Macht abzu­lei­ten. Dar­aus ergibt sich natür­lich die Fra­ge: War­um hat Fran­zis­kus die­se Gren­ze über­schrit­ten? Und wo liegt die Gren­ze der „ple­ni­tu­do pote­sta­tis“ eines Pap­stes, wenn überhaupt?

Die­se ent­schei­den­den Fra­gen wur­den in den ver­gan­ge­nen Tagen von einem ange­se­he­nen Histo­ri­ker des Chri­sten­tums und einer renom­mier­ten Exper­tin für Kir­chen­recht auf unter­schied­li­che Wei­se beantwortet.

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Bei dem Histo­ri­ker han­delt es sich um Alber­to Mel­lo­ni, Dozent an der Uni­ver­si­tät von Mode­na und Reg­gio Emi­lia und füh­ren­der Ver­tre­ter jener „Schu­le von Bolo­gna“, die für eine aus­ge­spro­chen „pro­gres­si­ve“ Inter­pre­ta­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils bekannt ist.

In einem am 4. Dezem­ber in der Zeit­schrift Il Muli­no ver­öf­fent­lich­ten Essay bezeich­net Mel­lo­ni die im neu­en Grund­ge­setz des Staa­tes der Vati­kan­stadt kodi­fi­zier­te The­se als „zumin­dest kühn“ und den Kano­ni­sten, der sie ver­faß­te und vom Papst unter­schrei­ben ließ, als „leicht­sin­nig“.

Mel­lo­ni nennt kei­ne Namen, aber es ist inzwi­schen bekannt, daß der Jesu­it und Kar­di­nal Gian­fran­co Ghir­lan­da der „Sher­pa“ ist, der dem Papst bei der Umset­zung sei­ner Wün­sche in Para­gra­phen hilft.

Und die­ses Mal, so Mel­lo­ni, sei gera­de der Pro­zeß gegen Kar­di­nal Becciu der Grund für die Aus­wei­tung der päpst­li­chen Macht bis hin zur welt­li­chen Regie­rung des Vatikanstaates.

„Auf­grund die­ser Aus­deh­nung“, schreibt Mel­lo­ni, „wür­den die Ankla­ge und die even­tu­el­le Ver­ur­tei­lung von Becciu nicht „im Namen des Pap­stes als Hir­te der Welt­kir­che, son­dern im Namen des Staats­ober­haup­tes des Vati­kan­staa­tes“ for­mu­liert wer­den. Damit wer­de „der Pon­ti­fex von den Fol­gen eines Pro­zes­ses ent­la­stet, aus dem die Kir­che auf jeden Fall nicht demü­ti­ger, son­dern gede­mü­tig­ter her­vor­ge­hen wird“.

Als Histo­ri­ker erin­nert Mel­lo­ni an einen Prä­ze­denz­fall: „Zwi­schen 1557 und 1559 ließ Papst Paul IV. gegen Kar­di­nal Gio­van­ni Morone ermit­teln, ihn ver­haf­ten und in der Engels­burg ein­sper­ren und vor Gericht stel­len, indem er die Regeln zu des­sen Lasten kor­ri­gier­te“. Mit „unmo­ra­li­schen“ Metho­den, die denen von heu­te ähneln.

Morone wur­de spä­ter vom näch­sten Papst, Pius IV., reha­bi­li­tiert. Von Becciu weiß man das nicht. Soll­te er frei­ge­spro­chen wer­den, was ange­sichts der Unfä­hig­keit der Staats­an­walt­schaft, Bewei­se für sei­ne angeb­li­chen Ver­ge­hen vor­zu­le­gen, durch­aus mög­lich ist, wird es an Fran­zis­kus selbst lie­gen, zuzu­ge­ben, daß er sei­ne Macht miß­braucht hat.

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Die ande­re, all­ge­mei­ne­re Fra­ge, näm­lich ob es eine Gren­ze für die „ple­ni­tu­do pote­sta­tis“ eines Pap­stes gibt, beant­wor­tet die bekann­te Kir­chen­recht­le­rin Geral­di­na Boni, Pro­fes­so­rin für Kir­chen­recht und Geschich­te des Kir­chen­rechts an der Uni­ver­si­tät Bolo­gna und 2011 von Bene­dikt XVI. zur Con­sult­orin des Päpst­li­chen Rates für Geset­zes­tex­te ernannt.

In einem zwei­tei­li­gen Auf­satz, der am 5. und 6. Dezem­ber von La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na ver­öf­fent­licht wur­de, zitiert Boni zunächst die unmiß­ver­ständ­li­chen Wor­te von Papst Fran­zis­kus selbst vom 17. Okto­ber 2015: „Der Papst steht nicht allein über der Kir­che, son­dern in ihr als Getauf­ter unter den Getauf­ten und inner­halb des Bischofs­kol­le­gi­ums als Bischof unter den Bischö­fen, der zugleich – als Nach­fol­ger des Apo­stels Petrus – beru­fen ist, die Kir­che von Rom zu lei­ten, die in Lie­be allen Kir­chen vorsteht.“

Nicht ein­mal in den Jahr­hun­der­ten der stär­ke­ren Zen­tra­li­sie­rung der päpst­li­chen Befug­nis­se – so Boni – ging das „gra­ni­ti­sche Bewußt­sein, daß die Macht des Nach­fol­gers Petri zwar über­ra­gend, aber kei­nes­wegs abso­lut“ und schon gar nicht will­kür­lich ist, jemals ver­lo­ren. Denn die Macht des Pap­stes hat in jedem Fall ihre unüber­wind­li­che Gren­ze in der Oboe­di­en­tia fidei und ist daher durch das gött­li­che Recht, sowohl das natür­li­che als auch das geof­fen­bar­te, gleich­sam „ein­ge­hegt“.

„Dann aber“, schreibt sie, „ist es not­wen­dig, die­se Fest­stel­lung mit kon­kre­tem Inhalt zu fül­len, wie es die Kir­che im Lau­fe der Jahr­hun­der­te getan hat.

Erstens ist die Behaup­tung, der Papst sei Legi­bus solu­tus, also frei von Geset­zen, immer nur in dem Sin­ne ver­stan­den wor­den, daß er über dem posi­ti­ven Recht steht, d. h. über den Geset­zen mensch­li­cher Her­kunft – denen er nor­ma­ler­wei­se unter­wor­fen bleibt –, aber er ist gewiß nicht frei vom gött­li­chen Recht.

Folg­lich kön­nen „die For­de­run­gen, die vom gött­li­chen Natur­recht aus­ge­hen, nicht zusam­men­ge­stutzt oder abge­schwächt wer­den“. Es ist daher unzu­läs­sig, daß ein Papst in Aus­übung sei­ner Befug­nis­se „die Rech­te, die mit der Wür­de der mensch­li­chen Per­son ver­bun­den sind, mit Füßen tritt und ver­letzt: zum Bei­spiel das Recht auf Leben, auf Pri­vat­sphä­re oder auf einen guten Ruf, aber auch – um auf einen heik­len Bereich hin­zu­wei­sen, der heu­te in der Kir­che im Ram­pen­licht steht – das Recht auf Ver­tei­di­gung in einem fai­ren Ver­fah­ren, die Unschulds­ver­mu­tung, den Schutz bereits erwor­be­ner Rech­te, ein­schließ­lich des Rechts, für eine ver­jähr­te Straf­tat nicht bestraft zu werden“.

Dar­über hin­aus sei es „von ent­schei­den­der Bedeu­tung, auch sei­tens des ober­sten Gesetz­ge­bers, des Pap­stes, die Lega­li­tät gesetz­ge­bend, d. h. bei der Schaf­fung von Nor­men, zu achten.

„Denn statt­des­sen“ – so pran­gert Boni an – „geschieht seit eini­gen Jah­ren nur all­zu oft das Gegen­teil. Im Vati­kan erle­ben wir „eine fre­ne­ti­sche, sint­flut­ar­ti­ge und chao­ti­sche Fol­ge von Geset­zen, d. h. von Vor­schrif­ten, die ohne eine ange­mes­se­ne nor­ma­ti­ve Tech­nik erlas­sen wer­den und deren Rang und recht­li­che Reich­wei­te nebu­lös erschei­nen“. Eben­so gibt es einen Wild­wuchs von Maß­nah­men, die vom Papst bewußt in einer ihm vor­be­hal­te­nen Form gebil­ligt wer­den, die eine Anfech­tung unmög­lich macht, selbst wenn die­se Maß­nah­men dem Recht schaden.

„All dies muß bean­stan­det wer­den“, schreibt Boni, „und zwar nicht aus aka­de­mi­scher Vor­lie­be für abstrak­te Geo­me­trien“, son­dern aus dra­ma­tisch wich­ti­ge­ren Grün­den. „Abge­se­hen von den Gefah­ren für das eigent­li­che Glau­bens­gut ist es vor allem das leben­di­ge Fleisch der Men­schen, das in Mit­lei­den­schaft gezo­gen und ver­letzt wird, wenn sich die Nor­men als unver­nünf­tig erwei­sen und damit jene Gerech­tig­keit ernst­haft gefähr­den, die ihnen nach gött­li­chem Recht zusteht und in deren Dienst die kirch­li­che Auto­ri­tät, auch die des Pap­stes steht“.

Kurz gesagt, bei der Auf­zäh­lung der Gren­zen der päpst­li­chen Macht muß „posi­tiv und kon­struk­tiv auf der guten Regie­rung der kirch­li­chen Gesell­schaft“ bestan­den wer­den, deren Ein­heit „der römi­sche Papst als Nach­fol­ger Petri das ewi­ge und sicht­ba­re Prin­zip und Fun­da­ment“ ist (Lumen Gen­ti­um, 23). Eine gute Regie­rung, die, wie wir sagen wür­den, die erst noch kom­men muß.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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