Kardinal Müller: „Das ist alles sehr merkwürdig“

Interview mit dem ehemaligen Glaubenspräfekten zum neuen Vatikan-Dokument zu Trans- und Homosexuellen und Leihmutterschaft


Kardinal Gerhard Müller kritisiert das römische Glaubensdikasterium: Es genüge nicht, Joseph Ratzinger zu zitieren. Man müsse ihn auch richtig interpretieren.
Kardinal Gerhard Müller kritisiert das römische Glaubensdikasterium: Es genüge nicht, Joseph Ratzinger zu zitieren. Man müsse ihn auch richtig interpretieren.

Der ehe­ma­li­ge Prä­fekt der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on (jetzt Glau­bens­dik­aste­ri­um) Ger­hard Kar­di­nal Mül­ler gab der römi­schen Tages­zei­tung Il Mess­ag­ge­ro ein Inter­view, in dem er über das jüng­ste Doku­ment des nun vom Papst-Pro­te­gé Kar­di­nal Vic­tor Manu­el Fernán­dez gelei­te­ten Glau­bens­dik­aste­ri­ums zur Tau­fe von Trans­se­xu­el­len und der Mög­lich­keit für Homo­se­xu­el­le, Tauf­pa­ten und Trau­zeu­gen zu sein, befragt wird. Das Inter­view führ­te Fran­ca Gian­sol­da­ti, die Vati­ka­ni­stin des Mess­ag­ge­ro.

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Fran­ca Gian­sol­da­ti: Eure Emi­nenz, in dem neue­sten Doku­ment des Vati­kans, das von einem bra­si­lia­ni­schen Bischof ange­for­dert wur­de, wird einem Trans­se­xu­el­len erlaubt, die Tau­fe zu emp­fan­gen, solan­ge er kei­nen öffent­li­chen Skan­dal verursacht.…

Kar­di­nal Mül­ler: Herm­aphro­di­ten, die mit die­ser Beson­der­heit gebo­ren wur­den, kön­nen die Tau­fe emp­fan­gen, aber nicht die­je­ni­gen, die ihren Kör­per ver­stüm­melt haben. Ich fra­ge mich, ob die­se Ant­wort gege­ben wur­de, weil es Trans­se­xu­el­le gibt, die Prie­ster oder Bischö­fe um eine zwei­te Tau­fe bit­ten, aber mit dem neu­en Namen, den sie im Stan­des­amt haben, oder die die Tauf­ur­kun­de im Pfarr­ar­chiv ändern wollen.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Hat sich die Leh­re geändert?

Kar­di­nal Mül­ler: Sich selbst zu ver­stüm­meln ist in den Augen Got­tes eine schwe­re Sün­de. Ich kann mir zwar ein Ohr abschnei­den, aber es ist eine Sün­de. Der mensch­li­che Kör­per ist ein Tem­pel des Hei­li­gen Gei­stes. Es gibt Men­schen, die ihr Gesicht ver­än­dern und sich ope­rie­ren las­sen, um sich in ein Rep­til zu ver­wan­deln, wie die­ser fran­zö­si­sche Bür­ger, der mehr­mals ope­riert wur­de, weil er wie ein Außer­ir­di­scher aus­se­hen woll­te.
Ich habe unter ande­rem den Ein­druck, daß sich hin­ter die­sem Phä­no­men eine blü­hen­de Indu­strie ver­birgt, die Mil­li­ar­den und Aber­mil­li­ar­den verdient…

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Erlaubt der vati­ka­ni­sche Text die Tau­fe für die­se Menschen?

Kar­di­nal Mül­ler: Mei­ner Mei­nung nach ist der Text im wesent­li­chen zwei­deu­tig: Er sagt es nicht aus­drück­lich, aber die Fol­gen sind die glei­chen. Außer­dem ist es ver­wir­rend und schäd­lich, daß das Lehr­amt sich auf die Ter­mi­no­lo­gie einer nihi­li­sti­schen und athe­isti­schen Anthro­po­lo­gie stützt und deren fal­schen Inhal­ten den Sta­tus einer legi­ti­men theo­lo­gi­schen Mei­nung in der Kir­che zu geben scheint.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: In einer ande­ren Pas­sa­ge spricht er von Leihmutterschaften.…

Kar­di­nal Mül­ler: Offen­sicht­lich bil­ligt er sie nicht, aber die unkla­re For­mu­lie­rung der Ant­wort, in der die Leih­mut­ter­schaft erwähnt wird, läßt ver­mu­ten, daß er sie indi­rekt akzep­tiert oder daß sie als sol­che inter­pre­tiert wer­den könnte.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Wel­che Schuld kann man den Kin­dern geben, die aus die­ser Pra­xis hervorgehen?

Kar­di­nal Mül­ler: Es ist klar, daß die­se Neu­ge­bo­re­nen, die auf die­se Wei­se gezeugt und von homo­se­xu­el­len Paa­ren gekauft wur­den, kei­ne Schuld trifft, aber zwei Män­ner, die als Paar leben, kön­nen nicht um das Sakra­ment der Tau­fe bit­ten, weil sie kei­ne Garan­tie dafür geben kön­nen, daß das Kind eine katho­li­sche Erzie­hung erhält. Die Eltern erzie­hen ihre Kin­der auch durch ihr Bei­spiel, nicht nur indem sie sie in die Pfar­rei oder zum Kate­chis­mus schicken. Sie müs­sen als Chri­sten leben. Die Kir­che kann kei­nen Zwei­fel am natür­li­chen Recht des Kin­des las­sen, bei sei­nen leib­li­chen Eltern oder not­falls bei sei­nen Adop­tiv­el­tern auf­zu­wach­sen, die in mora­li­scher und recht­li­cher Hin­sicht recht­mä­ßig an sei­ne Stel­le tre­ten. Jede Form der Leih­mut­ter­schaft oder der Erzeu­gung eines Kin­des in einem Labor (als Ding) zur Befrie­di­gung ego­isti­scher Wün­sche ist aus katho­li­scher Sicht eine schwe­re Ver­let­zung der per­sön­li­chen Wür­de eines mensch­li­chen Wesens, das nach Got­tes Wil­len phy­sisch und gei­stig durch sei­ne Mut­ter und sei­nen Vater exi­stie­ren soll, um es zu einem Kind Got­tes im ewi­gen Leben zu machen.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Erken­nen Sie einen dok­tri­nä­ren Bruch mit der Vergangenheit?

Kar­di­nal Mül­ler: Ich fra­ge mich, war­um der neue Prä­fekt des Glau­bens­dik­aste­ri­ums die Fra­gen des bra­si­lia­ni­schen Bischofs, dem er die Ant­wor­ten gege­ben hat, nicht in vol­lem Umfang und in ihrer Gesamt­heit ver­öf­fent­licht hat.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Soll­ten Ihrer Mei­nung nach die Ant­wor­ten, die dem Bischof und folg­lich allen Bischö­fen gege­ben wur­den, als histo­risch betrach­tet werden?

Kar­di­nal Mül­ler: Für mich: ja. Der neue Prä­fekt des Glau­bens­dik­aste­ri­ums hat die­se Ent­schei­dun­gen damit begrün­det, daß er stän­dig Ratz­in­ger und den hei­li­gen Augu­sti­nus zitiert hat, um so eine lehr­mä­ßi­ge Kon­ti­nui­tät zu demon­strie­ren, aber das stimmt nicht in jeder Hin­sicht. Es han­delt sich um eine erheb­li­che Mani­pu­la­ti­on. Er hat sich auf den dama­li­gen Glau­bens­prä­fek­ten Ratz­in­ger und sei­ne Doku­men­te zu die­sem The­ma bezo­gen, als ob er auf einer Linie wäre, aber Ratz­in­ger hat in sei­nen Doku­men­ten genau das Gegen­teil zu die­sen heik­len Behaup­tun­gen gesagt.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: War­um ant­wor­ten die Theo­lo­gen nicht darauf?

Kar­di­nal Mül­ler: Ich fürch­te, daß der Text ohne brei­te Kon­sul­ta­ti­on erstellt wur­de, wie es in die­sem Dik­aste­ri­um immer üblich war. Ich weiß es nicht. Das ist alles sehr merkwürdig.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Könn­te er für ungül­tig erklärt werden?

Kar­di­nal Mül­ler: Am Ende des Doku­ments steht die Unter­schrift des Pap­stes. Da kann man also nichts machen. Aber man kann um eine Klar­stel­lung bit­ten, denn die Gläu­bi­gen haben das Recht auf eine argu­men­ta­ti­ve Begrün­dung der Kon­ti­nui­tät der geof­fen­bar­ten Lehre.

Fran­ca Gian­sol­da­ti: Heben die­se lehr­mä­ßi­gen Ant­wor­ten zu Trans­se­xu­el­len und Leih­mut­ter­schaft die vor­her­ge­hen­den Doku­men­te auf?

Kar­di­nal Mül­ler: Offen­sicht­lich ja. Die Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re hat sich in der Ver­gan­gen­heit wie­der­holt mit die­sen Argu­men­ten befaßt, auch mit Trans­gen­der. Es gab ganz kla­re Doku­men­te. Es ist immer intel­li­gent und wei­se, sich auf die Doku­men­te des Theo­lo­gen, Prä­fek­ten und Pap­stes Ratz­in­ger zu beru­fen und sie als Zeug­nis zu benut­zen, aber sie müs­sen auch in ihrem tie­fen Ver­ständ­nis inter­pre­tiert wer­den. Das ist die Wahrheit.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: You­tube (Screen­shot)

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