Der ehemalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation (jetzt Glaubensdikasterium) Gerhard Kardinal Müller gab der römischen Tageszeitung Il Messaggero ein Interview, in dem er über das jüngste Dokument des nun vom Papst-Protegé Kardinal Victor Manuel Fernández geleiteten Glaubensdikasteriums zur Taufe von Transsexuellen und der Möglichkeit für Homosexuelle, Taufpaten und Trauzeugen zu sein, befragt wird. Das Interview führte Franca Giansoldati, die Vatikanistin des Messaggero.
Franca Giansoldati: Eure Eminenz, in dem neuesten Dokument des Vatikans, das von einem brasilianischen Bischof angefordert wurde, wird einem Transsexuellen erlaubt, die Taufe zu empfangen, solange er keinen öffentlichen Skandal verursacht.…
Kardinal Müller: Hermaphroditen, die mit dieser Besonderheit geboren wurden, können die Taufe empfangen, aber nicht diejenigen, die ihren Körper verstümmelt haben. Ich frage mich, ob diese Antwort gegeben wurde, weil es Transsexuelle gibt, die Priester oder Bischöfe um eine zweite Taufe bitten, aber mit dem neuen Namen, den sie im Standesamt haben, oder die die Taufurkunde im Pfarrarchiv ändern wollen.
Franca Giansoldati: Hat sich die Lehre geändert?
Kardinal Müller: Sich selbst zu verstümmeln ist in den Augen Gottes eine schwere Sünde. Ich kann mir zwar ein Ohr abschneiden, aber es ist eine Sünde. Der menschliche Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Es gibt Menschen, die ihr Gesicht verändern und sich operieren lassen, um sich in ein Reptil zu verwandeln, wie dieser französische Bürger, der mehrmals operiert wurde, weil er wie ein Außerirdischer aussehen wollte.
Ich habe unter anderem den Eindruck, daß sich hinter diesem Phänomen eine blühende Industrie verbirgt, die Milliarden und Abermilliarden verdient…
Franca Giansoldati: Erlaubt der vatikanische Text die Taufe für diese Menschen?
Kardinal Müller: Meiner Meinung nach ist der Text im wesentlichen zweideutig: Er sagt es nicht ausdrücklich, aber die Folgen sind die gleichen. Außerdem ist es verwirrend und schädlich, daß das Lehramt sich auf die Terminologie einer nihilistischen und atheistischen Anthropologie stützt und deren falschen Inhalten den Status einer legitimen theologischen Meinung in der Kirche zu geben scheint.
Franca Giansoldati: In einer anderen Passage spricht er von Leihmutterschaften.…
Kardinal Müller: Offensichtlich billigt er sie nicht, aber die unklare Formulierung der Antwort, in der die Leihmutterschaft erwähnt wird, läßt vermuten, daß er sie indirekt akzeptiert oder daß sie als solche interpretiert werden könnte.
Franca Giansoldati: Welche Schuld kann man den Kindern geben, die aus dieser Praxis hervorgehen?
Kardinal Müller: Es ist klar, daß diese Neugeborenen, die auf diese Weise gezeugt und von homosexuellen Paaren gekauft wurden, keine Schuld trifft, aber zwei Männer, die als Paar leben, können nicht um das Sakrament der Taufe bitten, weil sie keine Garantie dafür geben können, daß das Kind eine katholische Erziehung erhält. Die Eltern erziehen ihre Kinder auch durch ihr Beispiel, nicht nur indem sie sie in die Pfarrei oder zum Katechismus schicken. Sie müssen als Christen leben. Die Kirche kann keinen Zweifel am natürlichen Recht des Kindes lassen, bei seinen leiblichen Eltern oder notfalls bei seinen Adoptiveltern aufzuwachsen, die in moralischer und rechtlicher Hinsicht rechtmäßig an seine Stelle treten. Jede Form der Leihmutterschaft oder der Erzeugung eines Kindes in einem Labor (als Ding) zur Befriedigung egoistischer Wünsche ist aus katholischer Sicht eine schwere Verletzung der persönlichen Würde eines menschlichen Wesens, das nach Gottes Willen physisch und geistig durch seine Mutter und seinen Vater existieren soll, um es zu einem Kind Gottes im ewigen Leben zu machen.
Franca Giansoldati: Erkennen Sie einen doktrinären Bruch mit der Vergangenheit?
Kardinal Müller: Ich frage mich, warum der neue Präfekt des Glaubensdikasteriums die Fragen des brasilianischen Bischofs, dem er die Antworten gegeben hat, nicht in vollem Umfang und in ihrer Gesamtheit veröffentlicht hat.
Franca Giansoldati: Sollten Ihrer Meinung nach die Antworten, die dem Bischof und folglich allen Bischöfen gegeben wurden, als historisch betrachtet werden?
Kardinal Müller: Für mich: ja. Der neue Präfekt des Glaubensdikasteriums hat diese Entscheidungen damit begründet, daß er ständig Ratzinger und den heiligen Augustinus zitiert hat, um so eine lehrmäßige Kontinuität zu demonstrieren, aber das stimmt nicht in jeder Hinsicht. Es handelt sich um eine erhebliche Manipulation. Er hat sich auf den damaligen Glaubenspräfekten Ratzinger und seine Dokumente zu diesem Thema bezogen, als ob er auf einer Linie wäre, aber Ratzinger hat in seinen Dokumenten genau das Gegenteil zu diesen heiklen Behauptungen gesagt.
Franca Giansoldati: Warum antworten die Theologen nicht darauf?
Kardinal Müller: Ich fürchte, daß der Text ohne breite Konsultation erstellt wurde, wie es in diesem Dikasterium immer üblich war. Ich weiß es nicht. Das ist alles sehr merkwürdig.
Franca Giansoldati: Könnte er für ungültig erklärt werden?
Kardinal Müller: Am Ende des Dokuments steht die Unterschrift des Papstes. Da kann man also nichts machen. Aber man kann um eine Klarstellung bitten, denn die Gläubigen haben das Recht auf eine argumentative Begründung der Kontinuität der geoffenbarten Lehre.
Franca Giansoldati: Heben diese lehrmäßigen Antworten zu Transsexuellen und Leihmutterschaft die vorhergehenden Dokumente auf?
Kardinal Müller: Offensichtlich ja. Die Kongregation für die Glaubenslehre hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit diesen Argumenten befaßt, auch mit Transgender. Es gab ganz klare Dokumente. Es ist immer intelligent und weise, sich auf die Dokumente des Theologen, Präfekten und Papstes Ratzinger zu berufen und sie als Zeugnis zu benutzen, aber sie müssen auch in ihrem tiefen Verständnis interpretiert werden. Das ist die Wahrheit.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube (Screenshot)