Patriarch Pizzaballa zum Nahostkonflikt: „Der Glaube soll unseren Blick erhellen“

Ohne zweierlei Maß


Kardinal Pizzaballa, Patriarch von Jerusalem, ruft für den morgigen 27. Oktober zu einem zweiten Bet- und Fasttag für Frieden und Versöhnung im Heiligen Land auf. Dazu schrieb er den Gläubigen seiner Diözese einen Brief.
Kardinal Pizzaballa, Patriarch von Jerusalem, ruft für den morgigen 27. Oktober zu einem zweiten Bet- und Fasttag für Frieden und Versöhnung im Heiligen Land auf. Dazu schrieb er den Gläubigen seiner Diözese einen Brief.

Der latei­ni­sche Patri­arch von Jeru­sa­lem schreibt an die Gläu­bi­gen sei­ner Diö­ze­se und ver­sucht, die aktu­el­len Tra­gö­di­en und Dra­men der ver­gan­ge­nen zwei Wochen im Licht des Glau­bens zu lesen. „Laßt unse­re Spra­che nicht voll von Tod und ver­schlos­se­nen Türen sein“.

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Am 24. Okto­ber ver­öf­fent­lich­te der Latei­ni­sche Patri­arch von Jeru­sa­lem Pier­bat­ti­sta Kar­di­nal Piz­za­bal­la OFM, einen Hir­ten­brief an die Gläu­bi­gen sei­ner Diö­ze­se, die fast aus­nahms­los Palä­sti­nen­ser sind. Die Diö­ze­se umfaßt Isra­el, das Gebiet der Palä­sti­nen­si­schen Auto­no­mie­be­hör­de, Jor­da­ni­en und Zypern.

Der Kar­di­nal­pa­tri­arch ver­sucht, in einer Zeit der Dun­kel­heit und Ver­wir­rung Wor­te zu fin­den, die vom Glau­ben und vom Evan­ge­li­um erleuch­tet sind.

Der Brief ist es wert, in Gän­ze gele­sen zu wer­den. Er ist nicht lang und kann in ver­schie­de­nen Spra­chen auf der Web­site des Latei­ni­schen Patri­ar­chats ein­ge­se­hen wer­den. Hier eine Zusammenfassung:

- „Seit zwei Wochen“, so beginnt der Kar­di­nal, „wer­den wir mit Bil­dern des Grau­ens über­schwemmt, die alte Trau­ma­ta wie­der­erwecken und neue Wun­den auf­rei­ßen. Das Hei­li­ge Land erscheint der Welt wie­der ein­mal als ein Ort stän­di­ger Krie­ge und Spaltungen“.

- „Wir haben am 17. Okto­ber inten­siv für den Frie­den gebe­tet und wir wer­den dies am 27. Okto­ber wie­der gemein­sam tun, um der Ein­la­dung von Papst Fran­zis­kus zu fol­gen, dem wir dan­ken. Das ist das wich­tig­ste, was wir Chri­sten tun können.“

- „Das Gewis­sen und die mora­li­sche Pflicht“, so der Patri­arch, „zwin­gen mich, klar und deut­lich zu sagen, daß das, was am 7. Okto­ber im Süden Isra­els gesche­hen ist, in kei­ner Wei­se hin­nehm­bar ist und wir es nur ver­ur­tei­len kön­nen. Es gibt kei­nen Grund für eine sol­che Greu­el­tat. Ja, wir haben die Pflicht, dies zu bekräf­ti­gen und anzu­pran­gern. Die Anwen­dung von Gewalt ist nicht mit dem Evan­ge­li­um ver­ein­bar und führt nicht zum Frie­den. Das Leben eines jeden Men­schen hat die glei­che Wür­de vor Gott, der uns alle nach sei­nem Bild geschaf­fen hat.

- Das­sel­be Gewis­sen, das mir sehr am Her­zen liegt, ver­an­laßt mich jedoch, heu­te mit glei­cher Klar­heit zu bekräf­ti­gen, daß der neue Gewalt­zy­klus im Gaza­strei­fen mehr als fünf­tau­send Tote, dar­un­ter vie­le Frau­en und Kin­der, Zehn­tau­sen­de von Ver­letz­ten, dem Erd­bo­den gleich­ge­mach­te Stadt­vier­tel und einen Man­gel an Medi­ka­men­ten, Was­ser und lebens­not­wen­di­gen Gütern für mehr als zwei Mil­lio­nen Men­schen ver­ur­sacht hat. Die­se Tra­gö­di­en sind unfaß­bar und wir haben die Pflicht, sie anzu­pran­gern und vor­be­halt­los zu ver­ur­tei­len. Die anhal­ten­den schwe­ren Bom­bar­die­run­gen, die seit Tagen auf den Gaza­strei­fen ein­häm­mern, wer­den nur Tod und Zer­stö­rung ver­ur­sa­chen, Haß und Res­sen­ti­ments ver­stär­ken und kei­ne Pro­ble­me lösen, son­dern eher neue schaf­fen. Es ist an der Zeit, die­sen Krieg, die­se sinn­lo­se Gewalt zu beenden“.

- „Nur wenn die jahr­zehn­te­lan­ge Besat­zung und ihre tra­gi­schen Fol­gen been­det wer­den und dem palä­sti­nen­si­schen Volk eine kla­re und siche­re natio­na­le Per­spek­ti­ve gege­ben wird, kann ein ernst­haf­ter Frie­dens­pro­zeß begin­nen. (…) Die Tra­gö­die die­ser Tage muß uns alle – Ordens­leu­te, Poli­ti­ker, die Zivil­ge­sell­schaft, die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft – zu einem ernst­haf­te­ren Ein­satz in die­ser Hin­sicht ver­an­las­sen, als wir es bis­her getan haben“.

- Als Chri­sten kön­nen wir nicht anders, als den Blick nach oben, zu Chri­stus, zu rich­ten, damit der Glau­be unse­ren Blick auf das, was wir erle­ben, erhellt. Der Kar­di­nal ver­weist auf einen Vers aus dem Johan­nes­evan­ge­li­um (16,33): „Das habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frie­den habt. In der Welt habt ihr Trüb­sal, aber habt Mut: Ich habe die Welt über­wun­den!“ „Es heißt nicht, daß (Jesus) sie­gen wird, son­dern daß er bereits gesiegt hat. (…) Inmit­ten all des Bösen hat Jesus gesiegt. Trotz des Bösen, das in der Welt wütet, hat Jesus den Sieg errun­gen, er hat eine neue Wirk­lich­keit, eine neue Ord­nung geschaf­fen, die nach der Auf­er­ste­hung von den im Geist wie­der­ge­bo­re­nen Jün­gern über­nom­men wer­den wird. Jesus hat am Kreuz gesiegt. Nicht mit Waf­fen, nicht mit poli­ti­scher Macht, nicht mit gro­ßen Mit­teln, auch nicht durch Selbst­auf­er­le­gung. Der Frie­de, von dem er spricht, hat nichts mit dem Sieg über den ande­ren zu tun. Er hat die Welt gewon­nen, indem er sie geliebt hat. Es ist wahr, daß am Kreuz eine neue Wirk­lich­keit und eine neue Ord­nung beginnt, näm­lich die des­je­ni­gen, der sein Leben aus Lie­be hin­gibt. (…) Ein sol­cher Frie­de, eine sol­che Lie­be, erfor­dert gro­ßen Mut“.

- „Den Mut der Lie­be und des Frie­dens zu haben“, so der Patri­arch, „bedeu­tet, nicht zuzu­las­sen, daß Haß, Rache, Wut und Schmerz den gan­zen Raum unse­res Her­zens, unse­rer Spra­che und unse­res Den­kens ein­neh­men. Es bedeu­tet, sich per­sön­lich für die Gerech­tig­keit ein­zu­set­zen, die schmerz­li­che Wahr­heit der Unge­rech­tig­keit und des Bösen, das uns umgibt, zu beja­hen und anzu­pran­gern, ohne zuzu­las­sen, daß es unse­re Bezie­hun­gen bela­stet. Es bedeu­tet, sich zu enga­gie­ren und davon über­zeugt zu sein, daß es sich immer noch lohnt, alles in unse­rer Macht Ste­hen­de für Frie­den, Gerech­tig­keit, Gleich­heit und Ver­söh­nung zu tun. Unse­re Wor­te dür­fen nicht voll von Tod und ver­schlos­se­nen Türen sein. Im Gegen­teil, unse­re Wor­te müs­sen krea­tiv sein, Leben spen­den, Per­spek­ti­ven schaf­fen, Hori­zon­te öffnen“.

- „Ich bete für uns alle und ins­be­son­de­re für die klei­ne [christ­li­che] Gemein­schaft in Gaza, die am mei­sten lei­det. (…) Wir sind alle bei ihnen, im Gebet und in kon­kre­ter Soli­da­ri­tät, und dan­ken ihnen für ihr wun­der­ba­res Zeugnis“.

- Am 29. Okto­ber begeht das Latei­ni­sche Patri­ar­chat das Hoch­fest der Jung­frau Maria, Köni­gin von Palä­sti­na, der Patro­nin der Diö­ze­se. An die­sem Jah­res­tag wer­den sich die Gläu­bi­gen und der Kle­rus zum Mari­en­hei­lig­tum von Deir Rafat, etwa drei­ßig Kilo­me­ter west­lich von Jeru­sa­lem, bege­ben. „Die­ses Hei­lig­tum“, beton­te der Kar­di­nal, „wur­de in einer ande­ren Kriegs­zeit errich­tet“ (in den 1920er Jah­ren, einer Zeit wach­sen­der Span­nun­gen zwi­schen Ara­bern und Juden – Anm. d. Red.). Wie jedes Jahr wird es eine fei­er­li­che Mes­se unter dem Vor­sitz des Kar­di­nal­pa­tri­ar­chen und die übli­che volks­tüm­li­che Pro­zes­si­on mit dem Bild­nis der Jung­frau Maria geben. „Wir wer­den die­ses Jahr nicht alle zusam­men­kom­men kön­nen, weil die Situa­ti­on es nicht zuläßt“, schreibt Patri­arch Piz­za­bal­la, „aber ich bin sicher, daß die gan­ze Diö­ze­se an die­sem Tag ver­eint sein wird, um gemein­sam und soli­da­risch für den Frie­den zu beten, nicht für den Frie­den der Welt, son­dern für den Frie­den, den Chri­stus uns gibt. „In die­sen Tagen wer­den wir unse­re Kir­che und unser Land erneut der Köni­gin von Palä­sti­na wei­hen! Ich bit­te alle Kir­chen der Welt, sich dem Hei­li­gen Vater und uns im Gebet und in der Suche nach Gerech­tig­keit und Frie­den anzuschließen“.

Heu­te, am 25. Okto­ber, hat das Latei­ni­sche Patri­ar­chat von Jeru­sa­lem auch eine kur­ze Video­bot­schaft (auf ara­bisch und eng­lisch) ver­öf­fent­licht, die Kar­di­nal Piz­za­bal­la an die Chri­sten in Gaza gerich­tet hat, um sie zu ermu­ti­gen, ihnen zu dan­ken und sie zu segnen.

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Ter​ra​san​ta​.net (Screen­shot)

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