
Papst Franziskus hat den Kampf zur Verteidigung des Lebensrechts der ungeborenen Kinder und für die christliche Sichtweise von Geschlecht und Familie aufgegeben. So hatte er das Unglaubliche in seinem ersten großen Interview im September 2013 angekündigt und so hat er es seither umgesetzt. Das war an der Kirchenspitze vor 30 Jahren noch ganz anders.
„Natürlich unterläßt er es nicht, die Abtreibung oder die ‚Gender‘-Ideologie zu verurteilen, manchmal sogar mit gröberen Wörtern – ‚Mörder‘, ‚Attentäter‘… – als seine Vorgänger, aber diese Verurteilungen finden in den Medien nur wenig Resonanz, und es ist, als ob er sich an dieses Schweigen anpaßt“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Was Franziskus im Bereich der „nicht verhandelbaren Werte“ (Benedikt XVI.) unternimmt, sei auch nur im entferntesten mit dem harten Kampf vergleichbar, den Johannes Paul II. 1994 vor und während der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo führte, die während der Präsidentschaft von Bill Clinton in den USA von der UNO einberufen worden war, um die Tötung ungeborener Kinder – als „reproduktive Rechte“ verschleiert – zur weltweiten politischen Agenda zu machen. In den Medien kam es damals zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen dem Papst und den Mächtigen dieser Welt. Die Fehde wurde ausgetragen von den Handlangern und Helfershelfern von jenen, die im Hintergrund bleiben. „Die im Dunkeln sieht man nicht“ (Bertolt Brecht).
In jenem Jahr 1994 starb am Ostersonntag Jérôme Lejeune, ein Biologe von Weltrang und aufrichtiger Christ. Lejeune hatte die Gründung der Päpstlichen Akademie für das Leben angeregt, deren erster Präsident er wurde. Die große Wertschätzung, welche die Bedeutung dieses Wissenschaftlers unterstrich, die Johannes Paul II. ihm entgegenbrachte, zeigte sich 1997, als er Lejeunes Grab im französischen Chalo-Saint-Mars bei Paris besuchte. In seiner Beileidsbekundung hatte Johannes Paul II. über Jérôme Lejeune geschrieben:
„Ein großer Christ des 20. Jahrhunderts, ein Mann, für den die Verteidigung des Lebens zu einem Apostolat geworden war“.
2007 wurde das Seligsprechungsverfahren eingeleitet und 2012 in seiner ersten Phase abgeschlossen. 2021 wurde Lejeune von Papst Franziskus der heroische Tugendgrad zuerkannt und er damit zum Ehrwürdigen Diener Gottes erhoben.
2019 veröffentlichte die Ärztin Aude Dugast, Postulatorin im Seligsprechungsverfahren, die fesselnde Biographie „Jérôme Lejeune: La Liberté du savant“ (Die Freiheit des Wissenschaftlers), die seit 2021 in englischer und spanischer und seit gestern auch in italienischer Übersetzung verfügbar ist. Eine deutsche Ausgabe fehlt noch, wäre aber sehr wünschenswert.
In der für unsere verwirrte Zeit so zentralen Lebensrechtsfrage bestand, so Magister, eine „tiefe Gemeinsamkeit der Anschauung und des Handelns, die Lejeune mit Joseph Ratzinger, Papst Johannes Paul II. und Jean-Marie Lustiger, dem Erzbischof von Paris, verband“. Es war die Zeit der Instruktion Donum vitae (1987) und der Enzyklika Evangelium vitae (1995), die eine Antwort auf die Weltbevölkerungskonferenz der UNO in Kairo und eine Mahnung an die damals gerade bevorstehende UN-Weltfrauenkonferenz in Peking war.
„Aber es wird auch deutlich, wie groß der Abstand in diesen entscheidenden Fragen zwischen der Lebendigkeit an der Kirchenspitze jener Jahre und der Trägheit von heute ist.“
Text: Giuseppe Nardi
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