„Ich bin ein Opfer des Heiligen Geistes“

Papst Franziskus im Interview: Kardinal Zuppi reist nach Peking und gegen "junge starre" Priester


Das Interview von Vida Nueva mit Papst Franziskus, in dem sich dieser zum "Opfer des Heiligen Geistes" erklärte
Das Interview von Vida Nueva mit Papst Franziskus, in dem sich dieser zum "Opfer des Heiligen Geistes" erklärte

In sei­nem heu­te ver­öf­fent­lich­ten Inter­view mit der pro­gres­si­ven spa­ni­schen Zeit­schrift Vida Nue­va nahm Fran­zis­kus zu zahl­rei­chen The­men Stel­lung. Mit Blick auf den Welt­ju­gend­tag, der gera­de in Por­tu­gal statt­fin­det, kri­ti­sier­te Fran­zis­kus jun­ge Prie­ster, die „zu streng“ sei­en. Er sei sich des Wider­stan­des gegen die von ihm ange­streb­ten Refor­men bewußt, so das Kir­chen­ober­haupt. Er spü­re den Wider­stand selbst in Rom. Er selbst sei ein „Opfer des Hei­li­gen Gei­stes“. Die Kir­che sei „noch nicht reif für ein Drit­ten Vati­ka­ni­sches Kon­zil“ und vor allem hol­te Fran­zis­kus wie­der ein­mal gegen die Tra­di­ti­on aus und zeig­te sich „besorgt über die Starr­heit jun­ger Prie­ster…“ Die Redak­teu­re sekun­dier­ten dem Papst eifrig.

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Die Erklä­rung des erneu­ten Angriffs eines Kir­chen­ober­haupts gegen glau­bens­treue und tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne jun­ge Prie­ster begrün­det Fran­zis­kus wie schon in ver­gan­ge­nen Inter­views psy­cho­lo­gi­sie­rend. Dabei igno­riert er die Wider­le­gung sei­ner Argu­men­ta­ti­ons­füh­rung und wie­der­holt von Mal zu Mal tief­ver­wur­zel­te Abneigungen. 

Fran­zis­kus: Die­se Starr­heit kommt von guten Men­schen, die dem Herrn die­nen wol­len. Sie reagie­ren so, weil sie Angst vor einer Zeit der Unsi­cher­heit haben, die wir gera­de erle­ben, und die­se Angst läßt sie nicht vor­wärts­ge­hen. Wir müs­sen die­se Angst besei­ti­gen und ihnen hel­fen. Ande­rer­seits ver­birgt die­se Scha­le viel Fäul­nis. Ich muß­te bereits in eini­gen Diö­ze­sen in ver­schie­de­nen Län­dern mit ähn­li­chen Para­me­tern inter­ve­nie­ren. Hin­ter die­sem Tra­di­tio­na­lis­mus haben wir schwer­wie­gen­de mora­li­sche Pro­ble­me und Laster ent­deckt, Dop­pel­le­ben. Wir alle ken­nen Bischö­fe, die, weil sie Prie­ster brauch­ten, auf Men­schen zurück­ge­grif­fen haben, die wegen Unmo­ral aus ande­ren Semi­na­ren gewor­fen wur­den.
Ich mag Starr­heit nicht, weil sie ein schlech­tes Sym­ptom des Innen­le­bens ist. Der Pfar­rer kann es sich nicht lei­sten, starr zu sein. Der Pfar­rer muß für alle da sein, die kom­men.
Kürz­lich sag­te mir jemand, daß die Starr­heit jun­ger Prie­ster dadurch ent­steht, daß sie des aktu­el­len Rela­ti­vis­mus über­drüs­sig sind. Dem ist aber nicht immer so. Die Bischö­fe bit­te ich, gegen­über die­ser Ten­denz vor­sich­tig zu sein und sich dar­über im kla­ren zu sein, daß nicht nur die „seli­gen Imel­das“ gute Prie­ster sind. Wenn dir jemand ein „hei­li­ges“ Gesicht macht, aber den Blick abwen­det, sei miß­trau­isch. Wir brau­chen nor­ma­le Semi­na­ri­sten mit ihren Pro­ble­men, die Fuß­ball spie­len, die nicht in die Vier­tel gehen, um zu dog­ma­ti­sie­ren … Mir hat es gehol­fen, die Frau­en in den Pfar­rei­en, die Hel­fe­rin­nen und die Brü­der um Infor­ma­tio­nen zu bit­ten, wohin die Semi­na­ri­sten gegan­gen sind…

Vida Nue­va: Wie wer­den die als „starr“ ein­ge­stuf­ten Prie­ster nach ihrer Wei­he bezüg­lich des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils beglei­tet? Denn im Grun­de lei­den sie dar­un­ter, nicht imstan­de zu sein, anzu­neh­men, was auf sie zukommt …

Fran­zis­kus: Wir brau­chen Seel­sor­ger mit dem rich­ti­gen Hand­ge­lenk, die Prie­ster, die leben­dig sind und das mitt­le­re Alter über­schrit­ten haben. Sie haben die Erfah­rung und die Geduld, sie zu beglei­ten. Lang­sam wer­den sie „weich­ge­kocht“. Wenn sie sehen, daß die Annah­me des Kon­zils kei­ne Bedro­hung für das Lehr­amt dar­stellt, wer­den sie „wei­cher“. Aber es ist nicht leicht, denn der Kle­ri­ka­lis­mus ist immer da.
Es gibt Men­schen, die in einem theo­lo­gi­schen Hand­buch gefan­gen und nicht in der Lage sind, mit Schwie­rig­kei­ten umzu­ge­hen und die Theo­lo­gie vor­an­zu­brin­gen. Die sta­gnie­ren­de Theo­lo­gie erin­nert mich dar­an, daß ste­hen­des Was­ser als erstes ver­dor­ben wird und ste­hen­ge­blie­be­ne Theo­lo­gie Kor­rup­ti­on erzeugt. Sowohl lin­ke als auch rech­te Bewe­gun­gen, die ste­hen­blei­ben, füh­ren zu Kor­rup­ti­on.
Ich erin­ne­re mich dar­an, daß Pater Arru­pe, als er sag­te, daß der Papst in die mar­xi­sti­sche Ana­ly­se der Wirk­lich­keit der Befrei­ungs­theo­lo­gie ein­grei­fen müs­se, auf eine Theo­lo­gie stieß, die sta­gnier­te und des Reich­tums des­sen beraubt war, was eine Theo­lo­gie der ernst­haf­te­sten Befrei­ung war, die von Gustavo Gut­iérrez geschaf­fen wor­den war. Übri­gens habe ich neu­lich ein Foto von ihm gese­hen, als er 95 wur­de und wie Kar­di­nal Pedro Bar­re­to ihm sein Brust­kreuz schenkte…

„Kardinal Zuppi wird demnächst nach Peking reisen“

Bis­her wur­de von den Medi­en aus dem lan­gen Inter­view nur ein Abschnitt zum Ukrai­ne­krieg auf­ge­grif­fen. Dabei fand Fran­zis­kus deut­li­che Wor­te, die dem west­li­chen Nar­ra­tiv wider­spre­chen. Er warf der ukrai­ni­schen Regie­rung vor in einer „Sieg­op­ti­on“ gefan­gen zu sein, wäh­rend er der rus­si­schen Regie­rung eine „diplo­ma­ti­sche Hal­tung“ attestierte.

Vida Nue­va: Wie lau­fen die Frie­dens­ver­hand­lun­gen zum Krieg in der Ukraine?

Papst Fran­zis­kus: Kar­di­nal Matteo Zup­pi, Erz­bi­schof von Bolo­gna, arbei­tet hart als Ver­ant­wort­li­cher für den Dia­log. Er rei­ste bereits nach Kiew, wo die Idee des Sie­ges ohne Ver­mitt­lungs­op­ti­on auf­recht­erhal­ten wird. Er war auch in Mos­kau, wo er sei­tens Ruß­lands eine Hal­tung vor­fand, die man als diplo­ma­tisch bezeich­nen könn­te. Der bedeu­tend­ste Fort­schritt, der erzielt wur­de, betrifft die Rück­kehr ukrai­ni­scher Kin­der in ihr Land. Wir tun alles in unse­rer Macht Ste­hen­de, um sicher­zu­stel­len, daß jedes Fami­li­en­mit­glied, das die Rück­ga­be sei­ner Kin­der for­dert, dies auch tun kann.
Zu die­sem Zweck den­ke ich dar­über nach, einen stän­di­gen Ver­tre­ter zu ernen­nen, der als Brücke zwi­schen den rus­si­schen und ukrai­ni­schen Behör­den die­nen soll. Für mich ist das inmit­ten der Schmer­zen des Krie­ges ein gro­ßer Schritt. Nach dem Besuch von Kar­di­nal Zup­pi in Washing­ton ist Peking die näch­ste geplan­te Sta­ti­on, denn in bei­den Haupt­städ­ten liegt der Schlüs­sel zur Ent­span­nung des Kon­flikts. All die­se Initia­ti­ven nen­ne ich eine „Frie­dens­of­fen­si­ve“. Dar­über hin­aus orga­ni­sie­ren wir für Novem­ber, bevor der Kli­ma­gip­fel der Ver­ein­ten Natio­nen in Dubai statt­fin­det, ein Frie­dens­tref­fen mit Reli­gi­ons­füh­rern in Abu Dha­bi. Kar­di­nal Pie­tro Paro­lin koor­di­niert die­se Initia­ti­ve, die außer­halb des Vati­kans statt­fin­den soll, auf neu­tra­lem Boden, damit sich alle zum Tref­fen ein­ge­la­den fühlen.

Nie und nim­mer habe er, Fran­zis­kus, sei­ne Wahl zum Papst auch nur irgend­wie für denk­mög­lich gehalten

Kirche noch „nicht reif“ für ein Drittes Vatikanisches Konzil

Anson­sten wur­de von Fran­zis­kus durch eine ver­klä­ren­de Dar­stel­lung Geschichts­klit­te­rung betrie­ben. Er erklär­te sich zum „Opfer des Hei­li­gen Gei­stes“, denn als er zum Kon­kla­ve nach Rom kam, habe er nicht im gering­sten dar­an gedacht, nicht mehr nach Bue­nos Aires zurück­zu­keh­ren, son­dern zum Papst gewählt zu wer­den. Selbst nach dem ersten Wahl­gang habe er sich noch nichts gedacht.
Zumin­dest die­ser Punkt ist seit dem Buch von Austen Ive­reigh, dem dama­li­gen Spre­cher von Kar­di­nal Cor­mac Mur­phy O’Con­nor, einem der vier Mit­glie­der im Team Berg­o­glio, das die Wahl von Jor­ge Mario Kar­di­nal Berg­o­glio vor­be­rei­te­te, wider­legt. Bereits 2005 war Kar­di­nal Berg­o­glio aus den Wahl­gän­gen als Gegen­spie­ler von Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger her­vor­ge­gan­gen, auf den sich die Stim­men der pro­gres­si­ven Kar­di­nä­le, beson­ders der soge­nann­ten Mafia von Sankt Gal­len unter Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni SJ, konzentrierten.

Vida Nue­va begei­ster­te sich an der Tat­sa­che, daß die bevor­ste­hen­de Syn­oda­li­täts­syn­ode „alles abzu­decken scheint“, was das pro­gres­si­ve Herz höher schla­gen läßt: „von Vor­schlä­gen für eine lit­ur­gi­sche Erneue­rung über die Not­wen­dig­keit einer stär­ke­ren Evan­ge­li­sie­rung der Gemein­den bis hin zur Durch­set­zung einer ech­ten bevor­zug­ten Opti­on für die Armen, einem ech­ten Enga­ge­ment im Sin­ne einer ganz­heit­li­chen Öko­lo­gie und der Akzep­tanz der LGT­BI-Com­mu­ni­ty… Wur­de jemals dar­über nach­ge­dacht, ihm die Form eines Drit­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils zu geben?“

Fran­zis­kus: Die Din­ge sind noch nicht reif für ein Drit­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil. Und das ist zum jet­zi­gen Zeit­punkt auch nicht not­wen­dig, da das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil noch nicht über­all umge­setzt ist. Das war sehr ris­kant und man muß es in die Tat umset­zen. Aber es gibt immer die­se Angst, die sich heim­lich von den „Alt­ka­tho­li­ken“ auf uns alle aus­ge­brei­tet hat, die sich bereits im Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zil als „Bewah­rer des wah­ren Glau­bens“ bezeich­ne­ten. All die­se Vor­schlä­ge der „schlech­ten Lak­to­se“ müs­sen mit kla­ren Argu­men­ten zurück­ge­wie­sen wer­den. Es ist wich­tig, hin­aus­zu­ge­hen, um sich den Sophis­men zu stellen.

Als domi­nie­ren­der Bei­geschmack scheint der Ein­druck zu bestehen, der regie­ren­de Papst bewegt sich in einem ande­ren Film.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vida Nueva/​Wikicommons (Screen­shot)

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