(Washington) Gerald E. Murray, ein bekannter Priester und Kirchenrechtler in den USA, wirft Papst Franziskus vor, das liturgische Recht zu mißbrauchen. Anlaß ist die Konzelebration von Franziskus bei der Messe in der römischen Jesuitenkirche am vergangenen 12. März. Hauptzelebrant war Jesuitengeneral Arturo Sosa. Eine solche Konzelebration des Ortsbischofs kenne weder die Liturgietheologie noch das Liturgierecht.
Gerald E. Murray wurde 1984 für die Erzdiözese New York zum Priester geweiht. Nachdem er mehrere Jahre in der Pfarrseelsorge in Manhattan und der Bronx wirkte, wurde er zum Studium des Kirchenrechts an die Päpstliche Universität Gregoriana nach Rom geschickt, wo er promovierte und anschließend als Richter am metropolitanen Kirchengericht tätig war. Bald wechselte er jedoch wieder in die Pfarrseelsorge, wo er auch heute tätig ist. Viele Jahre war er zudem Militärkaplan der US Naval Reserve. Seit Jahren ist er vor allem im Medienapostolat aktiv, hat eigene Sendungen und Kolumnen in verschiedenen katholischen Medien wie EWTN und Radio Maria, aber auch weltlichen Medien wie Fox News, MSNBC und Voice of America. Er spricht neben Englisch auch Französisch, Spanisch, Italienisch und etwas Portugiesisch.
Gestern veröffentlichte Murray einen Kommentar bei dem 2008 von Robert Royal gegründeten Internetmedium The Catholic Thing. Anstoß war die Konzelebration von Papst Franziskus bei der Messe in der Mutterkirche des Jesuitenordens in Rom anläßlich der Heiligsprechung von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, vor 400 Jahren. Bei dieser Gelegenheit gab Franziskus ein weiteres Mal seine Sympathien für den umstrittenen ehemaligen Ordensgeneral Pedro Arrupe zu verstehen.
„Diese Praxis ist streng verboten.“
Der Kirchenrechtler Murray richtet das Augenmerk jedoch auf die Zelebration der Messe, die dort stattfand. Der Papst war als Hauptzelebrant angekündigt, konzelebrierte und predigte aber, während der Generalobere des Jesuitenordens P. Arturo Sosa Hauptzelebrant war. Dazu Murray:
„Liturgietheologie und ‑recht sehen nicht vor, daß ein Bischof, geschweige denn der Diözesanbischof in seiner eigenen Diözese, die Messe mit einem Priester als Hauptzelebranten konzelebriert (abgesehen von einer schwerwiegenden Notwendigkeit wie etwa einem Gebrechen). Dies ergibt sich aus dem Wesen des bischöflichen Amtes: Der Bischof ist der Hohepriester in seiner Diözese. Er bringt das Meßopfer für sein Volk dar, während seine Priester, die Mitarbeiter, die der Ortskirche unter seiner Autorität dienen, mit ihm konzelebrieren.“
Murray beanstandet, daß Franziskus weder an der Einzugsprozession teilnahm, sondern bereits auf seinem Stuhl saß, noch während der Konzelebration die Meßgewänder trug.
„Diese Praxis ist streng verboten.“
Der Autor verweist dazu auf die Instruktion Redemptionis Sacramentum der Gottesdienstkongregation von 2004, in der es heißt:
„Zu verwerfen ist der Mißbrauch, daß geistliche Amtsträger entgegen den Vorschriften der liturgischen Bücher die heilige Messe, auch wenn nur ein Amtsträger daran teilnimmt, ohne sakrale Gewänder feiern.“
Deshalb stellt Murray die Frage, ob auch der Papst dem liturgischen Recht unterworfen sei, um die Frage mit einem Ja zu beantworten. Und er schiebt gleich die Frage nach, ob sich der Papst von den liturgischen Gesetzen dispensieren könne, was er mit einem „ja, aber“ beantwortet.
„Ja, aber Canon 90 besagt, daß es einen ‚gerechten und vernünftigen Grund‘ für eine Befreiung geben muß.“
Hat sich Papst Franziskus also kanonisch von der Pflicht, liturgische Gewänder zu tragen, dispensiert, obwohl er bei der Messe predigte und konzelebrierte? „Möglicherweise“, schreibt Murray, „aber der Heilige Stuhl hat keinen Hinweis darauf gegeben, daß er dies tatsächlich getan hat“.
Eklatante Mißachtung der liturgischen Gesetze ohne ersichtlichen Grund
Gerade das erscheint ungewöhnlich und veranlaßte den Kirchenrechtler Einspruch zu erheben, denn die Handlung von Papst Franziskus ist in der Geschichte, soweit bekannt, beispiellos. Es ist keine Konzelebration und schon gar keine Form irgendeiner Zelebration der Messe eines Papstes ohne liturgische Gewänder bekannt. Murray weiter:
„Gab es einen gerechten und vernünftigen Grund für den Papst, die vorgeschriebenen liturgischen Gewänder nicht zu tragen? Es ist sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, zu behaupten, daß ein solcher Grund in diesem Fall vorlag.“
Dann wird Murray deutlich:
„Wir sind hier mit einer Realität konfrontiert, die den Katholiken im Leben der Kirche während des vergangenen halben Jahrhunderts und darüber hinaus nur allzu vertraut ist – die eklatante Mißachtung der liturgischen Gesetze ohne ersichtlichen Grund, der über die Vorliebe des zelebrierenden Priesters hinausgeht.“
Für einige, so der Kanonist, seien solche Mißbräuche unbedeutend, andere halten jede Kritik am Papst für „unverschämt“, denn schließlich „ist er der Papst“, und der könne „tun, was er wolle“. Dem hält Murray entgegen:
„Aber gerade weil er der Papst ist, sollten wir über seine Entscheidung, die Regeln für die Zelebration der Messe zu mißachten, besorgt sein. Der Papst ist die höchste Autorität in der Kirche und als solche dazu berufen, die Gesetze der Kirche zu wahren, damit er den Gläubigen nicht durch ein schlechtes Beispiel Ärgernis gibt. Der Skandal bestünde darin, den Eindruck zu erwecken, daß jeder Priester nach dem Vorbild des Papstes tun kann, was er will, wenn es um die Einhaltung der liturgischen Gesetze geht.“
Das habe Konsequenzen:
„Es sei kein Geheimnis, daß viele Katholiken zur Feier der überlieferten lateinischen Messe zurückkehren, weil sie die weit verbreiteten liturgischen Mißbräuche bei der Zelebration der Neuen Messe leid sind.“
Der Papst sei sich dessen durchaus bewußt, denn er spricht es selbst an im Begleitschreiben an die Bischöfe zu seinem Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021:
„Mich schmerzen die Mißbräuche der einen und der anderen Seite bei der Feier der Liturgie in gleicher Weise. Genauso wie Benedikt XVI. verurteile ich, daß »das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu gefeiert, sondern geradezu als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur ‚Kreativität‘ aufgefasst wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte«.“
Murray erinnert daran, daß Franziskus den Bischöfen diesbezüglich auch einen Ratschlag erteilte:
„Zugleich bitte ich Euch, darüber zu wachen, dass jede Liturgie mit Würde und in Treue zu den nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil promulgierten liturgischen Büchern gefeiert wird ohne exzentrisches Gehabe, das leicht in Mißbrauch abgleitet.“
Das schlechte Beispiel
Murray erwähnt es nicht, aber das schlechte Beispiel gab Franziskus ausgerechnet in der Mutterkirche des Jesuitenordens, dessen Mitgliedern ohnehin vorgeworfen wird: Jesuita nec rubricat nec cantat. Der US-Kirchenrechtler zieht daraus seine Schlüsse:
„Papst Franziskus‘ eigene Worte dienen als Tadel für seine Entscheidung, die Messe ohne liturgische Gewänder zu konzelebrieren. Der heilige Charakter unserer gottesdienstlichen Handlungen wird gefördert und geschützt, wenn Priester und Bischöfe bereitwillig und sorgfältig die Anforderungen des liturgischen Rechts befolgen. Die christlichen Gläubigen haben das Recht, am liturgischen Gebet teilzunehmen, ohne gezwungen zu sein, ‚unerträgliche Verzerrungen‘ der guten liturgischen Ordnung zu erleben. Dieses Recht hängt von der Bereitschaft der Priester und Bischöfe ab, sich an das liturgische Recht zu halten.“
Es gäbe, so Murray, „kein klerikales Privileg“, das es Priestern und Bischöfen erlaube, die Regeln nach ihrem eigenen Geschmack umzuschreiben.
„Doch genau das werden einige Priester und Bischöfe leider aus diesem bedauerlichen Fall von päpstlichem liturgischem Mißbrauch mitnehmen.“
Was Papst Franziskus am vorvergangenen Samstag in der römischen Jesuitenkirche praktiziert habe, sei „ein Rezept für mehr Chaos im Leben der Kirche. Das muß aufhören.“
Der neue päpstliche Zeremonienmeister Msgr. Diego Giovanni Ravelli und die Zeremoniäre des Amtes für die Liturgischen Feiern des Papstes griffen nicht ein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Media (Screenshots)