(Rom) Der von Papst Franziskus neuernannte Glaubenspräfekt Victor Manuel Fernández kündigte in einem seiner derzeit zahlreichen Interviews eine mögliche Änderung des Katechismus der katholischen Kirche (KKK) an, konkret der Ziffer 2357 (Homosexualität). Zur Diskussion stehen aber wohl auch die Ziffern 1571, 1577, 1579 (Weihesakrament). Nichts würde an „Bedeutung verlieren“, so Msgr. Fernández, aber alles würde sich ändern, denn es gelte, die Bibel „nicht für bare Münze zu nehmen“. Das Interview gab der ernannte Kardinal der italienischen Tageszeitung Quotidiano Nazionale.
Frage: Wie kann der Glaube in einem Westen gefördert werden, der der Religion gegenüber zunehmend gleichgültig ist?
Victor Manuel Fernández: Es ist eine relative Gleichgültigkeit, denn es entstehen immer neue Formen von Religiosität und Spiritualität. An einem bestimmten Punkt, an dem man merkt, daß man an der Oberflächlichkeit erstickt, stellt sich die Frage nach der Religion erneut. Das ist der Moment, in dem wir, wenn wir aufmerksam sind, einen fruchtbaren Dialog führen können.
Frage: Gibt es in der Welt noch ein Bedürfnis, Worte der Hoffnung über den Schmerz, den Tod und das ewige Leben zu hören, und ist die Kirche noch in der Lage, diese Themen anzusprechen, die einst als „letzte Dinge“ bezeichnet wurden?
Victor Manuel Fernández: Heute ist alles unmittelbar und dringend, so daß es schwierig ist, einen Vorschlag für das ewige Leben zu machen. Doch angesichts von Schmerz, Tod, Scheitern und Verlassenheit beginnen viele, den Blick auf den weiteren Horizont der Existenz zu richten. Das ist Teil unserer Botschaft, und wir können nicht umhin, von dem Ruf nach einem erfüllten und endlosen Leben im Unergründlichen der göttlichen Liebe zu sprechen. Manchmal wird diese Botschaft ignoriert, aber in anderen Fällen wird sie gehört.
Frage: Gehört zu einem tieferen Verständnis der Lehre auch die Überwindung der Homosexualität als „objektiv ungeordnet“, einer Definition im Katechismus, die nach wie vor jene, die eine nicht selbst gewählte sexuelle Situation leben, und auch ihre Familien verletzt?
Victor Manuel Fernández: Das ist ein Problem der theologischen Sprache, die manchmal die Wirkung ignoriert, die sie auf die Herzen der Menschen haben kann, als ob sie gleichgültig gegenüber dem Schmerz wäre, den sie verursacht. Aber das ist, wie Sie wissen, bei Papst Franziskus nicht der Fall, der sich zweifellos einer anderen Sprache bedienen würde.
Frage: Die Segnung homosexueller Paare ist in traditionalistischen Kreisen ein Sakrileg. Zitieren sie die Bibel mit Bedacht?
Victor Manuel Fernández: Es gibt Bibeltexte, die nicht ‚materiell‘, ich meine nicht ‚wörtlich‘, interpretiert werden sollten. Die Kirche hat seit langem verstanden, daß eine Hermeneutik notwendig ist, die die Texte in ihrem historischen Kontext interpretiert. Das bedeutet nicht, daß sie ihren Inhalt verlieren, sondern vor allem, daß sie nicht für bare Münze genommen werden dürfen. Andernfalls müßten wir zum Beispiel das Gebot des Paulus befolgen, daß Frauen ihr Haupt bedecken sollen.
Frage: Und was möchten Sie den Katholiken sagen, die enttäuscht sind über die Stagnation der Überlegungen über den Zugang von Frauen zum Diakonat, trotz einiger vom Papst eingesetzter Ad-hoc-Kommissionen?
Victor Manuel Fernández: Ich sage, daß wir dieses Problem nicht isoliert betrachten sollten. Was dahinter steckt und viel tiefer geht, ist der Diskurs über die Macht in der Kirche und über den Zugang von Frauen zu Orten, an denen es Entscheidungsmacht gibt. Deshalb ist es wichtig, den Frauen das Stimmrecht in der Synode einzuräumen.
Frage: Untergräbt eine eventuelle Weihe verheirateter Männer, die von einer großen Mehrheit auf der Amazonas-Synode befürwortet wurde, die Lehre oder ist sie eine mögliche Hypothese für die Kirche?
Victor Manuel Fernández: Es ist eine mögliche Hypothese, wie es auch im Osten der Fall ist. Aber der Papst muß eine kluge Entscheidung abwägen.
Frage: Was erwarten Sie von der Bischofssynode im Oktober?
Victor Manuel Fernández: Im Gegensatz zu anderen Synoden, bei denen ich sehr konkrete Antworten erwartet habe, ziehe ich es in diesem Fall vor, abzuwarten, wohin uns der Geist führen will.
Frage: Waren Sie von den Beschimpfungen, auch auf persönlicher Ebene, betroffen, die aus traditionalistischen Kreisen an Sie gerichtet wurden?
Victor Manuel Fernández: Ich habe damit gerechnet, aber das sind nicht diejenigen, die mich am meisten beunruhigen. Es gibt andere Bereiche, in denen Operationen durchgeführt werden, um das Image von Menschen zu beschädigen, wenn sie nicht ihren ideologischen und wirtschaftlichen Interessen entsprechen. In diesen Fällen ist die soziale Botschaft von Franziskus störend, und dabei handelt es sich nicht gerade um traditionalistische Kreise.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons