Von Betroffenen lernen: Der Weg zu Ansätzen in der pastoralen Begleitung von Menschen, die homosexuell empfinden

Homosexualität und Seelsorge


Der Arti­kel geht auf die Fra­ge des Forums­bei­trags vom 6. Mai 2020 ein. Dort wird im Kon­text der Miss­brauchs­de­bat­te das Feh­len von pasto­ra­len Ansät­zen inner­halb der katho­li­schen Kir­che in Deutsch­land angemahnt.

Gibt es Ansät­ze der pasto­ra­len Beglei­tung für homo­se­xu­ell emp­fin­den­de Men­schen im deutsch­spra­chi­gen Raum? Wenn man das Wort „pasto­ral“ vor allem auf geweih­te Seel­sor­ger und Prie­ster bezieht, dann muss man hier mit einem kla­ren Nein ant­wor­ten. Bezieht man in das Wort aber auch jene Grup­pen mit pasto­ra­lem Her­zen ein, in denen sich von Homo­se­xua­li­tät Betrof­fe­ne für Betrof­fe­ne ein­set­zen, dann muss die Ant­wort ja lau­ten. – Ich schrei­be die­sen Bei­trag als ein Mann, der homo­se­xu­el­les Emp­fin­den in sei­nem Leben kennt, und der seit über 20 Jah­ren als Betrof­fe­ner für Betrof­fe­ne seel­sor­ger­lich und bera­tend arbei­tet. Im Zuge des­sen habe ich vie­le hun­dert, in die tau­sen­de gehen­de, Geschich­ten gehört, bin mit betrof­fe­nen Men­schen Wege gegan­gen, habe Vie­les erlebt, habe Feh­ler gemacht, habe dazu­ge­lernt und mei­nen eige­nen Blick und mei­ne Erkennt­nis durch all die Begeg­nun­gen hin­durch immer wie­der kor­ri­gie­ren las­sen. Des­halb erlau­be ich mir hier, das Wort zu ergrei­fen, um eini­ge Erkennt­nis­se wei­ter­zu­ge­ben, die für die pasto­ra­le Beglei­tung von Men­schen, die homo­se­xu­ell emp­fin­den, wich­tig sein könnten.

Aller­dings muss ich zunächst die Grup­pe genau­er defi­nie­ren, die ich im Blick habe. Denn es gibt in der Min­der­heit der Men­schen, die homo­se­xu­ell emp­fin­den, vie­le ver­schie­de­ne Grup­pen mit unter­schied­li­chen Anlie­gen. Eini­ge die­ser Men­schen begeg­nen uns laut­stark mit der Bit­te um Aner­ken­nung ihrer Lebens­part­ner­schaft. Ande­re wol­len von der Kir­che gar nichts wis­sen, müs­sen sich von ihrer Moral befrei­en oder füh­len sich durch die blo­ße Exi­stenz des Katho­li­schen Kate­chis­mus dis­kri­mi­niert. Und neben die­sen Grup­pen gibt es aber auch die­je­ni­gen, die in Bezug auf ihre homo­se­xu­el­le Ori­en­tie­rung Fra­gen haben, und man­che von ihnen emp­fin­den in sich auch einen Kon­flikt und lei­den. Lei­der ist die­se Grup­pe lei­se und kaum ver­nehm­bar. Denn sie wur­de stumm gemacht – ein­mal durch Äuße­run­gen aus den Rei­hen der katho­li­schen Bischö­fe, die jüngst erst haben ver­lau­ten las­sen: Bei­de (Homo­se­xua­li­tät wie Hete­ro­se­xua­li­tät A.D.V.) gehö­ren zu den nor­ma­len For­men einer sexu­el­len Prä­dis­po­si­ti­on, die durch kei­ne spe­zi­fi­sche Sozia­li­sa­ti­on ver­än­der­bar ist oder ver­än­dert wer­den müss­te. (DBK Pres­se­mel­dung Nr. 205, 05.12.2019); ein ande­res Mal durch die öffent­li­che Mei­nung, die man heu­te bereits im sexu­al­päd­ago­gi­schen Unter­richt der Schu­le hört: Wer Schwie­rig­kei­ten mit sei­ner gleich­ge­schlecht­li­chen Ori­en­tie­rung hat, ist in Wirk­lich­keit homo­phob und hat die Ableh­nung der Homo­se­xua­li­tät durch die hete­ro­se­xu­el­le Mehr­heits­ge­sell­schaft in Wirk­lich­keit in sich auf­ge­nom­men. – In Bezug also auf die­se Grup­pe, die ihre sexu­el­le Ori­en­tie­rung kon­flikt­haft emp­fin­det, schrei­be ich die­sen Arti­kel. Wer in die­sem Bei­trag auf die übli­che Schel­te auf die LGBT-Bewe­gung war­tet, soll­te hier mit dem Lesen aufhören.

Damit bin ich aber schon in der Mit­te der ersten Erkennt­nis, die ich mir selbst als betrof­fe­ner Mann erst ein­mal erobern muss­te. Will man den vie­len Gesich­tern und Geschich­ten von Men­schen begeg­nen, die homo­se­xu­ell emp­fin­den, dann muss man man­che Erklä­run­gen, Ver­laut­ba­run­gen etc. hin­ter sich las­sen, die Wis­sen­schaft­lich­keit vor­ge­ben, und am Ende doch nur eine ver­kürz­te Sicht auf das The­ma Homo­se­xua­li­tät gewäh­ren. Denn bereits der Griff nach wirk­li­chen Sta­ti­sti­ken, Unter­su­chun­gen und Daten ver­rät: Was Homo­se­xua­li­tät genau sei, ist mehr als unklar.

So zei­gen unzäh­li­ge Unter­su­chun­gen, dass die gleich­ge­schlecht­li­che Ori­en­tie­rung nur bei einer klei­nen Grup­pe von Men­schen sta­bil ist. Die Zah­len­wer­te lie­gen in inter­na­tio­na­len Unter­su­chun­gen bei unter 2 %. In Zah­len­wer­ten, die über 2 % lie­gen, sind schon Men­schen ein­ge­rech­net, die homo­se­xu­ell und hete­ro­se­xu­ell in unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen emp­fin­den. Vor allem fällt auf, dass im Alter zwi­schen 12 und 22 Jah­ren die sexu­el­le Ori­en­tie­rung gro­ßen Schwan­kun­gen unter­liegt. So kommt eine euro­pa­wei­te Unter­su­chung zum Schluss, dass die Vari­anz zwi­schen hete­ro­se­xu­ell und homo­se­xu­ell von 16 % Schwan­kung im Alter von 14–29 auf unter 8 % Schwan­kung zwi­schen homo­se­xu­ell und hete­ro­se­xu­ell fällt, und dass die Grup­pe der bise­xu­ell emp­fin­den­den Men­schen bei­na­he dop­pelt so groß ist wie die Grup­pe der rein homo­se­xu­ell emp­fin­den­den (vgl. Based on a cen­sus-repre­sen­ta­ti­ve sur­vey of 11.754 peo­p­le across EU con­duc­ted in August 2016 by Dia­la rese­arch).

Sexu­el­le Ori­en­tie­run­gen sind also schein­bar nicht ein­fach in „homo­se­xu­ell“ und „hete­ro­se­xu­ell“ ein­zu­ord­nen. – Denn es ist nicht klar, wor­auf die durch die Unter­su­chun­gen ange­deu­te­ten Schwan­kun­gen beru­hen. Sind Men­schen zwi­schen 14 und 29 nur des­halb in ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung schwan­kend, weil sie in einer Gesell­schaft leben, in der man heu­te sozi­al erlaubt zwi­schen der einen und der ande­ren Ori­en­tie­rung wäh­len kann? Oder gibt es die­se Schwan­kung, weil ein jun­ger Mensch im Lau­fe sei­nes Erwach­sen­wer­dens ver­schie­de­ne Fra­gen psy­chi­scher Natur zu lösen hat, die auf die sexu­el­le Ori­en­tie­rung durch­schla­gen kön­nen? Für bei­de Annah­men gibt es wis­sen­schaft­li­che Bele­ge. Zum Bei­spiel wird die sozia­le Hypo­the­se durch die Beob­ach­tung gestützt, dass jun­ge Men­schen sich in ihrer Part­ner­wahl heu­te nicht mehr an hete­ro­se­xu­el­le Stan­dards hal­ten. Sie haben mit den Men­schen Sex, die ihnen gefal­len, egal wel­chem Geschlecht sie ange­hö­ren (vgl. Ritch Savin-Wil­liams, The New Gay Teen). Ande­re Bele­ge zei­gen, dass sich mit der Sexua­li­tät nicht-sexu­el­le, also psy­chi­sche Kon­flik­te oder Ent­wick­lungs­kon­flik­te (Adap­ti­ons­kon­flik­te) funk­tio­nal ver­bin­den kön­nen, die dann auf die Ebe­ne der sexu­el­len Ori­en­tie­rung durch­schla­gen. Nach Bewäl­ti­gung der Ent­wick­lungs­her­aus­for­de­rung kommt es dann – zumin­dest bei einem Teil der Men­schen – zu einer Ver­schie­bung der sexu­el­len Orientierung.

Allein die­se Andeu­tun­gen zei­gen, dass sich eine viel­ge­sich­ti­ge Welt dann offen­bart, sobald man den Vor­hang der schein­bar wis­sen­schaft­lich so ein­deu­ti­gen „Homo­se­xua­li­tät“ lüf­tet. Noch deut­li­cher wird dies erkenn­bar, wenn man bedenkt, dass unter der Über­schrift „Homo­se­xu­ell“ auch Men­schen sub­su­miert wer­den, die bise­xu­ell emp­fin­den oder bes­ser gesagt, die eher homo­se­xu­ell als hete­ro­se­xu­ell emp­fin­den, die gleich homo­se­xu­ell wie hete­ro­se­xu­ell, und die mehr hete­ro­se­xu­ell als homo­se­xu­ell emp­fin­den. – So sagt selbst der in christ­li­chen Krei­sen ger­ne beschimpf­te Sexu­al­for­scher Alfred Kin­sey: Die Tat­sa­che, dass es bei über 50 % der unter­such­ten Män­ner homo­se­xu­el­le und hete­ro­se­xu­el­le Erreg­bar­keit im glei­chen Lebens­ab­schnitt gibt, lässt alle Theo­rien über ange­bo­ren, anla­ge­be­dingt, Kern­ho­mo­se­xu­el­le etc. ein­fach in sich zusam­men­fal­len (vgl. Kin­sey, Alfred C. (1941) Cri­te­ria For A Hor­mo­n­al Expl­ana­ti­on Of The Homo­se­xu­al, The Jour­nal of Cli­ni­cal Endo­cri­no­lo­gy May 1941, Vol. 1, No. 5, S. 424–428).

Auch wenn die­se Zah­len bele­gen, wie unwahr es ist, wenn man ein­fach von der Homo­se­xua­li­tät redet, so wahr wird die For­de­rung, dass, wer das The­ma Homo­se­xua­li­tät pasto­ral wirk­lich ver­ste­hen und durch­drin­gen will, hin­ter den Vor­hang blicken und Mut zur Begeg­nung haben muss.

Tre­ten wir aber hin­ter den Vor­hang, so machen die oben nur ange­deu­te­ten Hin­wei­se erwart­bar, dass wir dort auf jun­ge Men­schen tref­fen, die in ihrer Ent­wick­lung homo­se­xu­el­len Gefüh­len begeg­nen und sich fra­gen: Bin ich so gebo­ren oder habe ich die­se Emp­fin­dun­gen nur, weil ich Jungs bewun­de­re, die wei­ter ent­wickelt, männ­li­cher gestal­tet sind als ich? Oder wir tref­fen auf mehr homo­se­xu­ell als hete­ro­se­xu­ell emp­fin­den­de Men­schen, die sich fra­gen: Wie kann es sein, dass ich mich doch immer wie­der auch mal in eine Frau ver­lie­be? Wie soll ich damit umge­hen? Oder wir tref­fen auf mehr hete­ro­se­xu­ell als homo­se­xu­ell emp­fin­den­de, die sich auf­grund eines Über­hangs an Hete­ro­se­xua­li­tät ver­hei­ra­tet haben, nun aber mit ihrer homo­se­xu­el­len Sehn­sucht kon­fron­tiert wer­den – und das viel­leicht als Fami­li­en­va­ter. Oder wir tref­fen auf jun­ge Men­schen, die eini­ge Zeit homo­se­xu­ell gelebt haben. Und dies nicht, weil sie im Kern so emp­fun­den hät­ten, son­dern weil es ein­fa­cher war, an einen gleich­ge­schlecht­li­chen als an einen gegen­ge­schlecht­li­chen Part­ner zu kom­men. Nun haben sie sich aber hete­ro­se­xu­ell ver­liebt und wol­len Abschied neh­men von dem schnel­len Sex, den sie auf der gleich­ge­schlecht­li­chen Sei­te kon­su­miert haben, mer­ken aber, dass sie wie in einer Sucht gefan­gen sind.

Allein schon die­se hier nur ange­deu­te­ten Fäl­le machen deut­lich: Es gibt vie­le Anläs­se, war­um Men­schen mit einer homo­se­xu­el­len Ori­en­tie­rung eine Not oder einen Kon­flikt emp­fin­den kön­nen. Die Moral als Kon­flikt spielt dabei meist sogar eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. – Dar­aus folgt für die pasto­ra­le Arbeit die For­de­rung, dass man auf­hö­ren soll­te, ein­fach immer nur von der „Homo­se­xua­li­tät“ zu spre­chen – ganz so, als ob damit nur ein Typ Mensch gemeint wäre, näm­lich der, der sich in einer mono­ga­men homo­se­xu­el­len Bezie­hung ver­wirk­li­chen will, und des­sen ein­zi­ge seel­sor­ger­li­che Anfor­de­rung die Aner­ken­nung und kirch­li­che Seg­nung sei­ner Part­ner­schaft wäre. Viel­mehr soll­te man end­lich damit begin­nen, wirk­lich dem ein­zel­nen Men­schen zu begeg­nen, der mit sei­nen bise­xu­el­len, homo­se­xu­el­len Emp­fin­dun­gen etc. auf einen zukommt. Es geht hier um eine wirk­li­che Begeg­nung, in der man nicht unter Begrif­fen die Indi­vi­dua­li­tät des Men­schen begra­ben sollte.

Zuerst Christsein!

Wie gesagt, die erste Erkennt­nis im pasto­ra­len Zuge­hen auf Men­schen, die einen Kon­flikt in Bezug auf ihre nicht-hete­ro­se­xu­el­le Ori­en­tie­rung emp­fin­den, ist, dass man den Mut haben muss, der indi­vi­du­el­len Not die­ser Men­schen zu begeg­nen. – Die zwei­te Erkennt­nis soll­te dann aber bereits über die Not hin­aus­ge­hen und das eigent­li­che Ziel der Seel­sor­ge in den Blick neh­men: Men­schen zu Jün­gern zu machen! Scheint die­ses Ziel zunächst jedem Seel­sor­ger klar, so wird es meist dann ver­un­klart, wenn man Men­schen begeg­net, die mit ihrer Homo­se­xua­li­tät oder Bise­xua­li­tät etc. in einem Kon­flikt ste­hen. Denn die­se Men­schen defi­nie­ren ihr Christ­sein weni­ger von der Chri­stus-Nach­fol­ge her, son­dern viel­mehr aus der Per­spek­ti­ve ihrer Sexua­li­tät. Das liegt zum Teil an der schwie­ri­gen Geschich­te, die die katho­li­sche Kir­che mit Sexua­li­tät hat, dann aber auch mit der Beto­nung der Ent­halt­sam­keit bei Homo­se­xua­li­tät, die der Katho­li­sche Kate­chis­mus for­dert. Dar­aus folgt für vie­le Betrof­fe­ne: Will ich ein guter Christ sein, dann muss ich mei­ne gan­ze Sexua­li­tät unter­drücken und am besten soll­te ich gar kei­ne sexu­el­len Phan­ta­sien mehr haben. – Oft füh­ren sol­che Ein­stel­lun­gen zu Zwän­gen, Ver­kramp­fun­gen, zu Depres­si­on und Selbst­ver­ach­tung. So ken­ne ich vie­le homo­se­xu­el­le Chri­sten, die glau­ben, sie kön­nen nur dann voll­wer­ti­ge Chri­sten sein, wenn sich ihre Sexua­li­tät ent­we­der ver­än­dert oder wenn sie sie völ­lig unter­drücken. Nicht sel­ten wer­den sol­che Men­schen dann in die Arme von Schar­la­ta­nen, Wun­der­hei­lern etc. gedrängt, oder sie wer­fen Gott vor, sie mit Homo­se­xua­li­tät bestraft zu haben, oder ihr Christ­sein fin­det vor allem im Beicht­stuhl statt, wo sie um ihre Sexua­li­tät krei­sen und dabei den Blick auf ihr viel grö­ße­res Leben als Frau oder als Mann aus dem Blick verlieren.

Pasto­ral muss es daher gelin­gen, sol­che an sich und ihrer Sexua­li­tät lei­den­den Men­schen auf die Chri­stus­nach­fol­ge zu ori­en­tie­ren. Dabei soll­te die Situa­ti­on der Not und die Zer­ris­sen­heit die­ser Men­schen unbe­dingt in die Chri­stus­nach­fol­ge inte­griert wer­den – was theo­lo­gisch durch den Hin­weis auf den am Kreuz erhöh­ten Chri­stus gelin­gen kann. Denn dort zeigt sich der Sohn Got­tes selbst als einer, der in sei­ner Exi­stenz zer­ris­sen ist. Damit kommt er unse­rer unfer­ti­gen irdi­schen Exi­stenz aufs Äußer­ste nah. In dem er aber nicht in der Selbst­er­lö­sung sein Heil sucht, son­dern in der Hin­ga­be an den Vater, zeigt er uns den Weg zur Ganz­heit des Lebens.

Könn­te sich der Mensch, der sich auf­grund eines Kon­flik­tes in sei­ner Sexua­li­tät unfer­tig und unvoll­kom­men fühlt, auf die Hin­ga­be an den Vater ein­las­sen, dann könn­te auch er sein Leben in einer von Gott geschenk­ten Ganz­heit emp­fan­gen. Gleich­zei­tig wür­de er von der Fokus­sie­rung auf das Unvoll­kom­me­ne und Unfer­ti­ge befreit.

Minderheitenstress, Selbsthass und Verachtung überwinden

Um aber zu einem mit dem gekreu­zig­ten und erhöh­ten Herrn ver­ei­nig­ten Christ­sein hin­durch­zu­drin­gen, muss man sich pasto­ral zunächst dem Selbst­hass, der ange­sam­mel­ten Ver­ach­tung und dem Min­der­hei­ten­stress zuwen­den, dem alle homo­se­xu­el­len Men­schen aus­ge­setzt sind. Dazu muss man sich als Seel­sor­ger einen Augen­blick in die Situa­ti­on von Men­schen hin­ein­ver­set­zen, die irgend­wann in ihrem Leben ent­decken, dass sie – ganz ohne eige­nes Zutun – homo­se­xu­ell emp­fin­den. Für bei­na­he alle Men­schen mit sol­chen Emp­fin­dun­gen beginnt dann eine Geschich­te, die kaum einer je gehört hat. Es ist eine Geschich­te, die sich jemand, der hete­ro­se­xu­ell emp­fin­det, gar nicht vor­stel­len kann. Denn anders als hete­ro­se­xu­el­le Men­schen kann sich der homo­se­xu­el­le nicht ein­fach in sei­ner gleich­ge­schlecht­li­chen Grup­pe outen, ohne sich Befrem­den, Spott oder Abscheu gegen­über zu sehen. Noch weni­ger aber kann er sich in einer christ­li­chen Gemein­de outen. Denn dort wird einem ver­mit­telt, dass man Ehe­bre­cher sein kann, Alko­ho­li­ker, Dieb, Steu­er­be­trü­ger, aber nie­mals homo­se­xu­ell. Denn wäh­rend die ande­ren Sün­der alle umkeh­ren kön­nen, hängt am homo­se­xu­ell emp­fin­den­den Men­schen das Stig­ma des Per­ver­sen, des Kin­der­schän­ders, des „Kot­ste­chers“ (wie auf einer katho­li­schen Sei­te im Inter­net in der Ver­gan­gen­heit zu lesen war). Dies und die Tat­sa­che, dass man eine homo­se­xu­el­le Ori­en­tie­rung nicht ein­fach able­gen oder dass man sich nicht umpo­len las­sen kann, erschwert die Situa­ti­on von Betrof­fe­nen. – So aber zum Schwei­gen und zur Ver­zweif­lung ver­ur­teilt, ist man stän­di­gem Stress aus­ge­setzt und hat Angst, von irgend­je­man­dem ent­deckt oder in sei­ner Nei­gung erkannt zu werden.

Pasto­ral ist es daher wich­tig, die­sen Stress nicht nur ernst zu neh­men, son­dern zu über­le­gen, wie man Men­schen von die­sem Stress befrei­en kann. Dazu kann eine dop­pel­te Hand­lungs­rich­tung hel­fen. Auf der einen Sei­te muss den betrof­fe­nen Men­schen ver­mit­telt wer­den, dass sie sich nicht län­ger über die Fokus­sie­rung auf ihre sexu­el­le Ori­en­tie­rung defi­nie­ren soll­ten. Gleich­zei­tig muss es aber auch in einer Gemein­de die selbst­ver­ständ­li­che Mög­lich­keit geben, über sol­che Nei­gun­gen zu reden, ohne dass man dafür ver­ur­teilt wird. – Ich weiß, dass damit vie­le Fra­gen ver­bun­den sind, die hier nicht erör­tert wer­den kön­nen. – Letzt­lich kann aber ein homo­se­xu­ell emp­fin­den­der Mensch, der an sei­ner Ori­en­tie­rung lei­det, die­ses Lei­den nur dann teil­wei­se hin­ter sich las­sen, wenn er in einem Umfeld sozi­al ver­an­kert ist, in dem er nicht stän­dig Stig­ma­ti­sie­run­gen, Eti­ket­tie­run­gen, Abwer­tun­gen etc. aus­ge­setzt ist.

Der Konflikt mit der Enthaltsamkeit

Um es noch­mal zu beto­nen: In die­sem Bei­trag spre­che ich von homo­se­xu­ell emp­fin­den­den Chri­sten, die an ihrer Homo­se­xua­li­tät lei­den. Was noch nicht gesagt ist, dass sol­che Chri­sten, die in der katho­li­schen Kir­che leben, sich häu­fig an das Gebot der Ent­halt­sam­keit hal­ten wol­len. Aber auch das ist schwie­rig. Denn nun mal haben die­se Men­schen sexu­el­le Sehn­süch­te, wie vie­le ande­re Men­schen auch, und zur Ent­halt­sam­keit füh­len sie sich genau­so weni­ge von ihnen beru­fen, wie dies bei hete­ro­se­xu­el­len Chri­sten der Fall ist. Noch mehr hat gera­de der Min­der­hei­ten­stress bei man­chen dazu geführt, dass sie im Ver­bor­ge­nen so viel psy­chi­schem Druck aus­ge­setzt sind, dass ihr ein­zi­ges Ven­til die Sexua­li­tät ist. Und selbst, wenn sie kei­ne part­ner­schaft­li­che Sexua­li­tät suchen, dann spie­len Selbst­be­frie­di­gung, Por­no­gra­fie, ero­ti­sche Fil­me etc. in ihrem Leben häu­fig eine Rol­le. D. h., vie­len Men­schen, denen ich begeg­net bin, ist Ent­halt­sam­keit ein schier uner­reich­ba­res Ziel. Denn zurück­ge­zo­gen in ihr Geheim­nis, sind die­se Men­schen schlicht und ergrei­fend ein­sam! Sehr ein­sam! – Und die ein­zi­ge Berüh­rung, die sie oft ken­nen, fin­den sie in der Flucht in Phan­ta­sien, in denen sie sich Berüh­rung vor­stel­len. Das aber schürt in den mei­sten Betrof­fe­nen Selbst­hass und Selbst­ver­dam­mung, wes­halb sie glau­ben, zum Christ­sein nie­mals fähig sein zu kön­nen. Denn wenn man Christ ist, dann hasst man die Sünde.

Pasto­ral ist es daher wich­tig, auf die­ses Rin­gen mit der Sexua­li­tät ein­zu­ge­hen. Vor allem soll­te man den Betrof­fe­nen die Lie­bes­reue erklä­ren. Denn die mei­sten prak­ti­zie­ren in ihrem Her­zen bereits eine Art Lie­bes­reue, ohne es zu wis­sen. So erin­ne­re ich mich an einen Mann, der mir erzähl­te, wie oft er dar­über weint, kein ech­ter Christ zu sein. Dabei habe er sofort, nach­dem er sei­ne Ein­sam­keit durch eine sexu­el­le Hand­lung erträg­li­cher gemacht hat­te, den Wunsch, Jesus mit gan­zem Her­zen zu lie­ben. Er aber lei­det, weil er durch sei­ne Homo­se­xua­li­tät und die damit ver­bun­de­nen sexu­el­len Phan­ta­sien und Hand­lun­gen glaubt, von Jesus abge­schnit­ten zu sein. – Erst als ich ihn auf die Lie­be zu Jesus hin­wies, die sich nach einer sexu­el­len Hand­lung sofort in ihm ein­stellt, und ihm die Lie­bes­reue erklär­te, atme­te er auf und mein­te fra­gend: „In mir ist dann doch etwas Gutes?“ – Gera­de wenn das Ziel der Seel­sor­ge in der Jesus-Nach­fol­ge lie­gen soll, ist es wich­tig, mit betrof­fe­nen Men­schen ihre Sehn­sucht nach Gott auf­zu­decken. Denn nur so wird der sexu­el­len Hand­lung das Gift ent­zo­gen, das den betrof­fe­nen Men­schen noch mehr an sich zwei­feln lässt. Die­se Sehn­sucht nach Gott, die ich bei vie­len betrof­fe­nen Men­schen immer wie­der ent­decke, muss aus­ge­baut wer­den, damit das Ver­trau­en in die eige­ne Bereit­schaft zur Nach­fol­ge auf­ge­baut und Selbst­ver­dam­mung zurück­ge­drängt wird.

Die anvertrauten Pfunde

Men­schen, die von einem solch schwe­ren Schick­sal betrof­fen sind, tra­gen in sich oft einen rei­chen Schatz. Ihr Kampf mit der Absti­nenz, ihr Rin­gen um Got­tes Nähe und ihre Ver­wun­dung, die sie durch Stig­ma­ti­sie­rung erlit­ten haben, hat sie oft rei­fer, ein­fühl­sa­mer, barm­her­zi­ger gemacht als vie­le ande­re Chri­sten. Bei nicht weni­gen habe ich eine sol­che Barm­her­zig­keit ent­deckt, die sie zu einer beson­de­ren Zuwen­dung ande­ren gegen­über befä­higt. Bei ande­ren begeg­ne ich einer Krea­ti­vi­tät, die aus der Not gebo­ren wur­de. Bei wie­der ande­ren begeg­ne ich einer Tie­fe im Ver­ständ­nis des Evan­ge­li­ums, die mich stau­nen lässt.

Die­se „anver­trau­ten Pfun­de“ kön­nen meist aber erst dann ans Licht geho­ben wer­den, wenn man mit den Betrof­fe­nen den Min­der­hei­ten­stress durch­ge­ar­bei­tet hat, wenn man ihren durch Abwer­tung und Stig­ma­ti­sie­rung ver­ur­sach­ten Ver­let­zun­gen Raum gege­ben und sie auf die tie­fe Jesus-Sehn­sucht hin­ge­wie­sen hat, die in ihrem Her­zen vor­han­den ist. Dann aber, wenn die durch Leid, Ein­sam­keit und Not (u. v. a. m.) geschärf­ten Gaben auf­ge­deckt und ein­ge­übt wer­den, ent­steht in den Men­schen, die ihre nicht-hete­ro­se­xu­el­le Ori­en­tie­rung als Kon­flikt emp­fin­den, lang­sam der Mut, sich in die Gemein­de als leben­di­ger Stein in einem Bau ein­zu­brin­gen. Jetzt ent­steht ein Bewusst­sein dafür, wie der hei­li­ge Johan­nes im Evan­ge­li­um sagt, von oben gebo­ren zu sein.

Es ist daher pasto­ral wich­tig, neben aller Not, den Fokus der Beglei­tung lang­sam auf die­se Gaben hinzulenken.

Theologische Ermutigung

Letzt­lich rei­chen Gaben aber nicht aus, um den Weg der Ent­halt­sam­keit zu gehen. Es braucht theo­lo­gi­sche Ermu­ti­gung. In die­ser Ermu­ti­gung soll­ten vor allem die Kri­sen, die ein betrof­fe­ner Mensch durch­lei­det, auf­ge­fan­gen wer­den: So die Fra­ge der durch das Schick­sal auf­ge­nö­tig­ten Ent­halt­sam­keit und Ehe­lo­sig­keit. Dann die Her­aus­for­de­rung der Ver­su­chung durch die Sexua­li­tät. Oder das Lei­den, dass man sich weni­ger als Frau oder als Mann fühlt, weil man nicht hete­ro­se­xu­ell emp­fin­det oder sein Leben nicht durch Fami­lie, Vater­schaft und Mut­ter­schaft ver­wirk­li­chen kann.

Ich erin­ne­re mich noch gut, wel­ches Strah­len und wel­che Hoff­nung sich in einer Grup­pe von betrof­fe­nen Men­schen breit mach­te, als ich erklär­te, dass Gott sie nicht aus der Ver­herr­li­chung und der Erfül­lung sei­nes Wil­lens aus­schließt, nur weil sie homo­se­xu­ell emp­fin­den. Viel­mehr sei­en sie, durch die Art, wie sie ihr Lebens­schick­sal tra­gen, mit­ten hin­ein­ge­stellt in die Ver­herr­li­chung und den Lob­preis Got­tes. Nicht zuletzt, weil sie durch ihre Ent­halt­sam­keit Gott in einer Ganz­hin­ga­be die­nen und damit das Geheim­nis der Ein­heit von Mann und Frau als Eben­bild ehren, das Gott in die Schöp­fung gege­ben hat.

Ande­re wur­den ermu­tigt, mit der Ver­such­bar­keit in ihrer Sexua­li­tät ent­schie­de­ner umzu­ge­hen, als ich mit ihnen das Rin­gen Jesu im Gar­ten Geth­se­ma­ne betrach­te­te. Denn so, wie unser Hei­land dort mit dem ihm auf­er­leg­ten Schick­sal ringt, so dür­fen wir uns in unse­rem Rin­gen in die­ses Gebet Jesu hin­ein­ge­stellt wis­sen. Denn wenn wir den Kelch trin­ken, der mit der homo­se­xu­el­len Zumu­tung in unse­rem Leben ver­bun­den ist, dann ver­ei­nen wir uns mit dem Wil­len Got­tes und rin­gen stell­ver­tre­tend auch für die­je­ni­gen, die über ihre Sexua­li­tät immer wie­der stol­pern und fallen.

Natür­lich muss eine sol­che geist­li­che Betrach­tung immer wie­der neu errun­gen, durch­dacht und durch­be­tet wer­den. Sie muss auf geist­li­che Wahr­heit hin geprüft wer­den und muss die Lebens­rea­li­tät von Betrof­fe­nen auf­neh­men, anstatt geist­lich zu roman­ti­sie­ren. – Ohne theo­lo­gi­sche Ermu­ti­gung aber fehlt das Brot vom Him­mel, das wir mehr brau­chen als irdi­sche Speise.

Gemeinschaft gegen Einsamkeit

Ich sag­te am Anfang: Die Erkennt­nis­se, die ich hier wei­ter­ge­be und die einem pasto­ra­len Ansatz den Weg wei­sen könn­ten, sind aus einer Arbeit von Betrof­fe­nen für Betrof­fe­ne erwach­sen. – Pasto­ra­le Beglei­tung muss aber wei­ter gehen. Denn so wich­tig es ist, dass es Grup­pen von Betrof­fe­nen gibt, so sehr hat die genann­te Arbeit aber auch ihre Gren­zen. Denn eine Gemein­schaft von Betrof­fe­nen ist nicht die Kir­che, und sie kann auch nicht die Gemein­schaft geben, die not­wen­dig ist, um sich als voll­wer­ti­ger Mensch zu füh­len. Hier braucht es die Gemein­de. Nicht nur, weil von Homo­se­xua­li­tät betrof­fe­ne Men­schen einen Ort brau­chen, an dem sie ihre Gaben ein­brin­gen. Nein, sie brau­chen auch Gemein­schaft, sie brau­chen Bezie­hun­gen, sie brau­chen Lie­be, sie brau­chen Nähe. Denn das Leben der Ent­halt­sam­keit ist ja kein selbst­ge­wähl­ter Zöli­bat. Und selbst zöli­ba­t­är leben­de Chri­sten leben meist in Gemeinschaft.

Es ist daher not­wen­dig, dass man in die pasto­ra­le Arbeit auch die Öff­nung der Gemein­de für Bezie­hun­gen mit ein­schließt. Die­se wer­den aber nur mög­lich wer­den, wenn die Gemein­de all die Punk­te mit­den­ken kann, die ich hier ange­spro­chen habe. So muss die Gemein­de auf­hö­ren, homo­se­xu­ell emp­fin­den­de Men­schen mit Wor­ten wie „per­vers“, „Kin­der­schän­der“ oder Schlim­me­rem zu beden­ken. Sie muss den Min­der­hei­ten­stress ver­ste­hen, dem betrof­fe­ne Men­schen aus­ge­setzt sind. Sie muss den Kon­flikt mit der Ent­halt­sam­keit ver­ste­hen. Sie muss die betrof­fe­nen Men­schen in ihren Gaben ermu­ti­gen, und sie muss ihnen ein Zuhau­se und Bezie­hun­gen bie­ten, zu wah­rer Lie­be und Nähe bereit sein, denn sonst wer­den Betrof­fe­ne erneut zur Ein­sam­keit verurteilt.

Die pasto­ra­le Arbeit muss also die Gemein­de mit in die ein­zel­nen Erkennt­nis­se hin­ein­neh­men, und sie muss das Ziel haben, dass sol­che Men­schen aus der Ein­sam­keit her­aus­tre­ten kön­nen, um sich als leben­di­ge Glie­der in die Gemein­de inte­griert zu kön­nen. – Das ist eine schwe­re Auf­ga­be. Denn vie­le Vor­ur­tei­le ste­hen gegen eine Öff­nung für Men­schen, die mit ihren homo­se­xu­el­len Gefüh­len Kon­flik­te haben.

Konflikte und die Sprache der Sexualität

In die­sem Bei­trag habe ich jetzt aus­schließ­lich eini­ge Erkennt­nis­se für die Seel­sor­ge und die Pasto­ral wei­ter­ge­ben. Geschwie­gen habe ich bewusst von den psy­cho­lo­gi­schen Kri­sen, die gera­de sol­che Men­schen emp­fin­den, die ihre sexu­el­le Ori­en­tie­rung kon­flikt­haft emp­fin­den. Die­se Kon­flik­te aber müs­sen von psy­cho­lo­gi­schen Fach­leu­ten betreut wer­den und kön­nen meist auch dann erst zu Tage tre­ten, wenn pasto­ral gut durch die ande­ren Kon­flikt­la­gen, vor allem den Min­der­hei­ten­stress, geführt wurde.

Um sich dann aber den evtl. psy­cho­lo­gi­schen Kon­flik­ten zuzu­wen­den, muss man selbst den Mut haben, sich der Spra­che sei­ner eige­nen Sexua­li­tät zu stel­len. Denn was in einer Sexua­li­tät kon­flikt­haft sein könn­te, ist nur indi­vi­du­ell fest­stell­bar. Wer aber die indi­vi­du­el­le Spra­che eige­ner Sexua­li­tät nicht ver­steht, der kann sich die­ser ver­tief­ten Beglei­tung kaum ver­ste­hend öffnen.

Ein wei­te­rer Punkt, den ich in die­sem Bei­trag nicht berührt habe, ist die Fra­ge der „Ver­än­de­rung sexu­el­ler Ori­en­tie­run­gen“. Ich habe mich bewusst gegen die­ses The­ma ent­schie­den, auch wenn ich selbst eine sol­che Ver­än­de­rung in mei­nem Leben erfah­ren habe. – Der Grund für die­se Ent­schei­dung ist das Den­ken, das sich über vie­le Jah­re in die Köp­fe von Chri­sten ein­ge­brannt hat. So glau­ben vie­le, dass man eine sexu­el­le Ori­en­tie­rung, vor allem die Homo­se­xua­li­tät oder Bise­xua­li­tät, ein­fach ver­än­dern kann. Das aber ist falsch. Denn selbst wenn ange­sichts der Tat­sa­che, dass wir sol­chen Ver­än­de­rungs­ge­schich­ten in der psy­cho­lo­gi­schen Lite­ra­tur, wie in Zeug­nis­sen von Chri­sten und Nicht-Chri­sten, immer wie­der begeg­nen, so ist bis heu­te unklar, war­um Men­schen sol­che Ver­än­de­run­gen erle­ben. Liegt es dar­an, dass es sich dabei um Men­schen han­delt, deren sexu­el­le Ori­en­tie­rung von vorn­her­ein bereits nach ver­schie­de­nen Sei­ten offen ist? Liegt es dar­an, dass sich in ein­zel­nen Fäl­len kei­ne mani­fe­ste sexu­el­le Ori­en­tie­rung im Men­schen aus­ge­bil­det hat? Oder liegt es etwa an Ent­wick­lungs- oder Lebens­lauf­the­men, die sich im Leben eini­ger Men­schen mit der Sexua­li­tät funk­tio­nal ver­wo­ben haben, wie dies in psy­cho­lo­gi­schen Fall­be­schrei­bun­gen oft zu lesen ist? – Wir wis­sen es nicht. Denn Sexua­li­tät ist ein kom­ple­xes Phä­no­men, wes­halb es eine Gefahr für die psy­chi­sche Gesund­heit eines Men­schen dar­stellt, wenn man ihn – wie in christ­li­chen Krei­sen oft gesche­hen – einem Ver­än­de­rungs­druck aussetzt.

Pasto­ral hal­te ich es für wich­tig, sich nicht an Stich­wor­ten wie „Ver­än­de­rung“ aus­zu­rich­ten. Denn Men­schen, die lei­den, ver­bei­ßen sich oft in sol­chen Wor­ten und las­sen sich nicht mehr auf den wirk­lich wich­ti­gen Weg ein: den Weg zu ihrer Per­son, den Weg der Inte­gra­ti­on ihrer Sexua­li­tät in den Glau­ben, den Weg der Jesus-Nach­fol­ge. Im Gegen­teil! Vie­le Betrof­fe­ne sche­ren, kaum dass sie das Wort „Ver­än­de­rung“ auf­ge­schnappt haben, aus dem pasto­ra­len Weg, der ihr Christ­sein in ihnen befe­sti­gen will, aus und den­ken ihr Leben nur noch in der Kate­go­rie von Ver­än­de­rung. Was dann zum Glau­ben führt, dass man nur ein rich­ti­ger Christ sein kann, wenn sich die eige­ne sexu­el­le Ori­en­tie­rung ver­än­dert hat. – Da man aber nie­man­dem seri­ös eine Ver­än­de­rung ver­spre­chen kann, führt ein Weg dann mit­tel­fri­stig nicht nur in die Sack­gas­se, son­dern oft auch in die Depres­si­on, an deren Ende dann der Glau­be steht, von Gott ver­wor­fen zu sein, weil sich nichts verändert.

Ein pasto­ra­ler Ansatz soll­te dage­gen aber immer einen Weg der Hoff­nung eröff­nen, damit Leben mor­gen und über­mor­gen gelingt.

Am Ende

Am Ende soll noch kurz eine direk­te Ent­geg­nung auf die Anfra­ge des Bei­trags im Forum vom 6. Mai 2020 ste­hen. Es gibt in Deutsch­land sehr wohl Ansät­ze und Orte für betrof­fe­ne Men­schen, die Redak­ti­on wird ent­spre­chen­de Anfra­gen dann gern an mich weiterleiten.

Autor: Sieg­fried Sel­cho
Bild: Hie­ro­ny­mus Bosch, Auf­stieg der Seli­gen, (zwi­schen 1505 und 1515)

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