Eine Lanze für die Tradition

Statt Säule der Wahrheit zu sein, ist die Kirche zur Debattenstube geworden


Tradition heiliger Geist Marian Eleganti

Von Msgr. Mari­an Ele­gan­ti OSB*

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Der Glau­bens­schatz der Kir­che, nicht die Pro­zes­se, sind irrever­si­bel. Wenn eine pro­pa­gier­te Kir­chen­re­form von ihm abrückt, wird sie schei­tern, nicht ohne vor­her viel Unru­he und Cha­os aus­ge­löst zu haben und Spal­tun­gen. Der Glau­be der Kir­che aller Zei­ten bleibt Fun­da­ment der Ein­heit. Und alle, die letz­te­re ver­lo­ren haben, sind von ihm abge­rückt und haben ihn in revo­lu­tio­nä­ren Pro­zes­sen auf­ge­ge­ben (vgl. Reformation).

Für den Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen und Prie­ster Roma­no Guar­di­ni war die Tra­di­ti­on der Reich­tum der Erkennt­nis der Vie­len, die uns im Glau­ben vor­aus­ge­gan­gen sind. Ihre Glau­bens­er­kennt­nis, die in die Glau­bens­tra­di­ti­on der Kir­che ein­ge­gan­gen ist in Bezug auf vie­le Fra­gen, die uns auch heu­te noch beschäf­ti­gen, erweist sich gegen­über einer ein­zel­nen Per­son oder Gene­ra­ti­on bzw. Zeit als die über­le­ge­ne, aus lan­ger Geschich­te stam­men­de Glau­bens­er­fah­rung und Glau­bens­er­kennt­nis. Des­halb sieht die Kir­che dia­chron (durch die Zei­ten hin­durch) mehr als syn­chron (nur heu­te). War­um? Weil der Gegen­stand, den es zu erfas­sen gilt – Jesus Chri­stus bzw. Gott – ein Sub­jekt vor­aus­setzt, das nach Guar­di­ni alle Mög­lich­kei­ten mensch­li­cher Erfah­rung und Erkennt­nis ver­ei­nigt, eine Erkennt­nis­ge­mein­schaft, die sich durch die gesam­te Geschich­te erstreckt und den Ertrag der ver­schie­de­nen Zei­ten zur Tra­di­ti­on sam­melt. Die­se dia­chro­ne Glau­bens­ge­mein­schaft sieht mehr. In die­sem Sinn ist die Glau­bens­tra­di­ti­on der Kir­che jeder Zeit gegen­über stets die über­le­ge­ne. Das gilt auch für unse­re Zeit. Die Päp­ste haben sich des­halb immer auf ihre Vor­gän­ger bezo­gen und auf die bis­he­ri­ge Leh­re der Kir­che, um sie für unse­re Zeit zu aktua­li­sie­ren und immer tie­fer aus­zu­le­gen, ohne dabei ihr jemals zu wider­spre­chen oder sie für unzu­läs­sig zu erklä­ren. Hier sieht Guar­di­ni auch die Bedeu­tung von Dog­ma, Lit­ur­gie und Recht für eine „Sozio­lo­gie des katho­li­schen Erken­nens, Han­delns und Seins“. Guar­di­ni nennt sie die drei »Bau­ge­set­ze« der Kirche.

Es ist des­halb eine Art von Hybris und Selbst­täu­schung, wenn eine Zeit die Kir­che und ihre Leh­re in vie­len wesent­li­chen Fra­gen der Zeit wie z. B. der Ehe oder des Prie­ster­tums (um nur zwei Berei­che zu nen­nen) neu erfin­den will wie das Rad. Wie das Sprich­wort meint, kann man es nicht neu erfin­den. Und auch neue human­wis­sen­schaft­li­che Theo­rien, die immer so lan­ge gel­ten, bis sie fal­si­fi­ziert sind, zwin­gen dies­be­züg­lich die Kir­che nicht zu einer Revi­si­on geof­fen­bar­ter Glau­bens­wahr­hei­ten. Ein Abrücken von ihnen ist zum Schei­tern ver­ur­teilt, und kom­men­de Gene­ra­tio­nen wer­den es kon­sta­tie­ren. Mei­ne Behaup­tung hat mit Tra­di­tio­na­lis­mus abso­lut nichts zu tun, denn ich bin kein Tra­di­tio­na­list, aber ein Ver­fech­ter der Tra­di­ti­on (Tra­di­tio­nis Cus­tos). Das ist nach «Tra­di­tio­nis Cus­to­des» Auf­ga­be jedes Bischofs. Es geht also um das, was immer und über­all und von allen geglaubt wur­de (Vin­zenz von Lérins): der Glau­bens­schatz der Kir­che (das sog. Depo­si­tum Fidei), den wir nicht auf­ge­ben dür­fen. Er ist ein Schatz für jede Gene­ra­ti­on, ein Gewinn für die gan­ze Mensch­heit. Der Glau­bens­schatz der Kir­che, nicht die Pro­zes­se, sind irrever­si­bel. Wenn eine pro­pa­gier­te Kir­chen­re­form von ihm abrückt, wird sie schei­tern, nicht ohne vor­her viel Unru­he und Cha­os aus­ge­löst zu haben und Spal­tun­gen. Der Glau­be der Kir­che aller Zei­ten bleibt Fun­da­ment der Ein­heit. Und alle, die letz­te­re ver­lo­ren haben, sind von ihm abge­rückt und haben ihn in revo­lu­tio­nä­ren Pro­zes­sen auf­ge­ge­ben (vgl. Reformation).

Ich stel­le ein­fach fest: Seit den 70er-Jah­ren wol­len die Erneue­rer das­sel­be: Demo­kra­ti­sche Mehr­heits­ent­schei­dun­gen bei Bischofs­er­nen­nun­gen und Fra­gen der Leh­re (Mit­be­stim­mung); ver­hei­ra­te­te Prie­ster (Auf­he­bung des Zöli­ba­tes); eine Revi­si­on der sakra­men­ta­len Pra­xis in Bezug auf die Unauf­lös­lich­keit der Ehe (Hl. Kom­mu­ni­on für wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne; Wie­der­ver­hei­ra­tung), die Rela­ti­vie­rung des Wesens­un­ter­schie­des zwi­schen dem sakra­men­ta­len Prie­ster­tum und dem all­ge­mei­nen Prie­ster­tum der Getauf­ten (fla­che Hier­ar­chie; Funk­tio­na­li­sie­rung des Amtes); das Frau­en­prie­ster­tum bzw. Frau­en in alle Ämter; eine Revi­si­on der Sexu­al­mo­ral in Bezug auf Ver­hü­tung; Fort­pflan­zung; die Revi­si­on der Ver­ur­tei­lung homo­se­xu­el­ler oder in sich schlech­ter Akte (die sog. «Homo­ehe»). Dazu kom­men heu­te die Auf­lö­sung der Nor­ma­ti­vi­tät der Hete­ro­se­xua­li­tät; Trans­gen­der und Poly­amo­rie. Die Rela­ti­vie­rung der uni­ver­sa­len Bedeu­tung von Jesus Chri­stus als ein­zi­gem Mitt­ler zwi­schen Gott und den Men­schen wur­de schon in mei­nen ersten Stu­di­en­se­mi­na­ren pro­pa­giert; die Rela­ti­vie­rung der Tau­fe und die Plu­ra­li­tät der Reli­gio­nen als gleich­wer­ti­ge Wege zu Gott sind eine Fol­ge davon und auch nicht neu. Die Liste bean­sprucht kei­ne Voll­stän­dig­keit. Im Wesent­li­chen ist sie seit Jahr­zehn­ten die glei­che. Ich ken­ne jeden­falls die­se For­de­run­gen seit mei­ner Jugend­zeit und bin jetzt 68 Jah­re alt. Sie wer­den aller­dings in eine immer wie­der ande­re, raf­fi­nier­te Seman­tik ver­packt. Es ist ein Rie­sen­auf­wand an Wor­ten und gelenk­ten Pro­zes­sen, um die immer glei­chen For­de­run­gen end­lich umset­zen zu kön­nen und eine pro­te­stan­ti­sier­te, erfolg­lo­se und dem Zeit­geist kon­for­me Kir­che nach Wunsch her­vor­zu­brin­gen: Nen­nen wir sie etwas pole­misch die syn­oda­le. Denn alles hat ja auch etwas Rich­ti­ges. Aber dar­um geht es nicht. Ich habe in Inns­bruck Ende der Sieb­zi­ger Jah­re noch Vor­le­sun­gen gehört über die vier Wesens­at­tri­bu­te der Kir­che: una, sanc­ta, catho­li­ca et apo­sto­li­ca. Die Syn­oda­le, in wel­cher alles flu­id und dis­ku­ta­bel, des­halb offen und inklu­siv gegen­über Abweich­lern, divers und gleich sein soll, ist im Glau­bens­be­kennt­nis der Kir­che bis­her nicht vor­ge­kom­men. Was ver­ges­sen wird: Die Leh­re und Moral der Kir­che bedeu­te­te zu allen Zei­ten auch «Exklu­si­vi­tät» bzw. «Aus­schluss»: Irr­tü­mer wur­den aus­ge­schie­den und ver­ur­teilt; Sün­den wur­den nie abge­seg­net, son­dern beim Namen genannt; das mora­lisch Fal­sche wur­de nicht gut­ge­hei­ssen, son­dern ver­ur­teilt, die Schöp­fungs­ord­nung nicht auf­ge­löst, son­dern hoch­ge­hal­ten, die Häre­sie nicht zur (neu­en) Wahr­heit erklärt, son­dern abge­lehnt. Das waren noch Zei­ten! Die Kir­che hat gekämpft: für die Wahr­heit! Letz­te­re macht Märtyrer.

Was mich erschüt­tert und erstaunt, ist die Per­fi­die, Schlau­heit und Intel­li­genz, wie die neu­en Postu­la­te umge­setzt und sprach­lich ver­klei­det wer­den. Ich habe die Theo­lo­gen schon immer für die gröss­ten und begab­te­sten unter den Sophi­sten gehal­ten. Das Phä­no­men lässt mich immer wie­der an den Anti­chri­sten den­ken, der bei Solo­v­jew sehr freund­lich und inklu­siv auf­tritt, nie­man­des Gefüh­le kränkt; jedem sei­ne Mei­nung lässt; nie­man­den ver­ur­teilt; alle ver­brü­dert; nur den Glau­ben vom Abso­lut­heits- und Exklu­si­vi­täts­an­spruch Jesu Chri­sti ent­kernt und dar­um radi­kal inklu­siv ist, ein Freund von Diver­si­tät und Gleich­heit, eine Ver­brü­de­rung von allen. Nur, man muss ihn aner­ken­nen. Dar­an führt kein Weg vor­bei. In die­sem Punkt kennt er kei­nen Kompromiss.

Seit Jah­ren ist die Kir­che mit sich selbst und ihren Struk­tu­ren beschäf­tigt. Sie redet nur noch über ihren modus ope­ran­di (listening). Fra­gen, nicht Ant­wor­ten sind ihr wich­tig; Gefüh­le, nicht die har­te Wahr­heit. Sie schliesst nie­man­den aus und hat damit alle Gei­ster geru­fen, die sich unge­hin­dert in ihr tum­meln. Sie lehrt nicht, son­dern hört zu und lernt von jenen, die ihren Glau­ben ableh­nen. Letz­te­re sol­len mit­ent­schei­den, min­de­stens mit­re­den (kommt dar­auf an, bei was).

Chri­stus aber ver­kün­det sie nicht mehr als die allein gül­ti­ge und defi­ni­ti­ve Offen­ba­rung Got­tes, als die Türe, an der vor­bei nie­mand zum Vater kommt, als die ein­zig­ar­ti­ge Per­le (Sin­gu­la­ri­tät), die alle übri­gen, wel­che Jesus Die­be genannt hat, in den Schat­ten stellt, und die alle Men­schen angeht. Das wäre nicht zeit­ge­mäss und könn­te jeman­den krän­ken bzw. abwer­ten. Aber viel­leicht kränkt sie Ihn, Jesus Chri­stus, der ihr den Auf­trag gege­ben hat, alle Men­schen zu Sei­nen Jün­gern zu machen und sie zu leh­ren, alles zu hal­ten, was Er uns gebo­ten und geof­fen­bart hat. Das ist ihre Mis­si­on. Kei­ner kann es ändern. Aber frü­he­re Gene­ra­tio­nen und vor allem die Mär­ty­rer beschä­men uns dies­be­züg­lich und las­sen uns heu­te arm daste­hen. Statt Mater et Magi­stra (Mut­ter und Leh­re­rin bzw. Säu­le der Wahr­heit) ist die Kir­che zur Debat­ten­stu­be gewor­den, in wel­cher alles wie­der von vor­ne beginnt. Denn schon die vor­aus­ge­hen­den Syn­oden über Fami­lie, Ama­zo­nas und Jugend haben das Glei­che ver­sucht, was die Revi­si­on der bis­he­ri­gen Leh­re betrifft. Sie war noch nie unum­strit­ten. Sie soll­te schon immer aus der Sicht der Welt geän­dert wer­den. Tra­gisch, dass die Refor­mer das Glei­che wol­len. Ihre Hoff­nun­gen rich­ten sich wie­der nach vor­ne: auf 2024. Es wird der Hei­li­ge Geist bemüht, der noch nie sich selbst wider­spro­chen hat, was den Glau­ben der Kir­che betrifft. ER führt sie in der Wahr­heit. Sie hat Ihn, aber nicht alle. Wer sich zu selbst­ge­wiss auf IHN beruft, bleibt ver­däch­tig. Ich tue es nicht, hof­fe und gebe nur mei­ne Meinung.

*Msgr. Mari­an Ele­gan­ti OSB war von 1999 bis 2009 Abt der Bene­dik­ti­ner­ab­tei St. Otmars­berg im Kan­ton Sankt Gal­len, dann von 2009 bis 2021 Weih­bi­schof der Diö­ze­se Chur.

Bild: mari­an-ele­gan­ti.ch

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2 Kommentare

  1. Super Text von Msgr Ele­gan­ti. Er hat Din­ge erkannt, die Msgr Lefeb­v­re schon ein hal­bes Jahr­hun­dert frü­her erkannt hat. Ist span­nend zu sehen, wie Kon­ser­va­ti­ve oder Mode­ra­te jetzt erst, unter Fran­zis­kus und den Homo­hä­re­si­en, erken­nen, dass mit der Kir­che etwas nicht stimmt. Jetzt müs­sen sie nur die Punk­te ver­bin­den und ver­ste­hen, dass das alles nicht erst mit Fran­zis­kus begon­nen hat, son­dern sei­nen Ursprung im Moder­nis­mus, im 2. Vati­ca­num und im Novus Ordo hat. Die neue­sten Gescheh­nis­se sind nur logi­sche Schlüs­se und Wei­ter­ent­wick­lun­gen der bereits schlech­ten Wurzeln.

  2. Das was die Kir­che an Refor­men prak­ti­ziert, fällt unter Säku­la­ris­mus. Dazu gibt es einen inter­es­san­ten Gedan­ken­gang von Rab­bi Manis Friedman. 

    Säku­la­ris­mus sei eine Form von Ido­la­trie. Ido­la­trie ste­he im Gegen­satz zum 1. Gebot der Tho­ra. „Du sollst kei­ne ande­ren Göt­ter neben mir haben.“ Alle Ido­le ster­ben mit dem nahe­ste­hen­den Erschei­nen des Moshiach ab. Schon gestor­ben sei die Dar­win­sche Evol­ti­ons­theo­rie, vor Jahr­zehn­ten der Kom­mu­nis­mus, kürz­lich die Demo­kra­tie und gera­de erle­ben wir das Abster­ben des Säku­la­ris­mus. Der Säku­la­ris­mus sei eine Kul­tur des Todes unter völ­li­ger Ableh­nung der Tho­ra. Der Mensch mache sich sei­ne eige­nen Geset­ze. Die aktu­el­le Situa­ti­on sei, dass die Ver­tre­ter des Säku­la­ris­mus ihres eige­nen Schei­terns bewußt wür­den. Sie sähen, dass ihres­glei­chen kei­ne Kin­der mehr bekom­men. Sie wür­den erken­nen, daß sich ihr gesam­tes Welt­bild als Lügen­kon­strukt zeigt. Sie sähen, dass sie völ­lig ver­wirrt sind. Es blei­be nichts mehr, um sich dar­an fest­zu­hal­ten. Und sie sähen die Über­le­gen­heit der got­tes­fürch­ti­gen Menschen.
    Fazit ist bei Manis Fried­man immer das glei­che: „The world is get­ting bet­ter“. In die­sem Fall besteht die Ver­bes­se­rung im Abster­ben des Säku­la­ris­mus als Idol.

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