(Rom) Der slowenische Künstlerjesuit P. Marko Ivan Rupnik wurde von der Glaubenskongregation als Nonnenschänder verurteilt. Obwohl er auch das Bußsakrament mißbrauchte und dadurch latae sententiae der Exkommunikation verfiel, rettete ihn eine schützende Hand. Bei dieser Hand weist alles auf Papst Franziskus hin, der dies jedoch bestreitet. Wer aber sonst könnte von einer Exkommunikation „begnadigen“? Noch eine andere Frage steht im Raum: Was geschieht mit Rupniks Kunstwerken, mit denen in den vergangenen 30 Jahren die bedeutendsten Wallfahrtsorte ausgestaltet wurden. Manche sprachen schon vor Bekanntwerden der Schandtaten von Verschandelung. In Frankreich wurde nun die Forderung laut, die Kirche von den „Kunstgreueln“ eines anderen Künstlerpriesters und Mißbrauchstäters zu reinigen.
„Seine pseudo-infantilen, hohläugigen Gestalten, mit denen er Kirchen und wichtige Heiligtümer wie Lourdes und San Giovanni Rotondo entstellte, hat sich als ‚offizieller Stil‘ der Kirche durchgesetzt“, so der Publizist Maurizio Blondet zu Rupniks Kunst und dem Wunsch, diese Situation zu beenden.
‚Dem derzeit regierenden Papst Franziskus kann man den Aufstieg Rupniks zum „kanonischen“ Künstler der Kirche allerdings nicht anlasten. Dieser geht auf das Pontifikat von Johannes Paul II. zurück. Einmal konsolidiert und von ausreichend Protektoren im Vatikan, darunter Kardinal Gianfranco Ravasi, dem langjährigen Vorsitzenden des Päpstlichen Kulturrates, und vor ihm schon von Ravasis Vorgänger Kardinal Paul Poupard geschützt, wurde aus der „Marke Rupnik“ ein Selbstläufer. Rupnik baute während seiner langjährigen Tätigkeit in Rom einflußreiche Freundschaften im Vatikan auf, so auch zum heutigen Kardinalvikar für die Diözese Rom Angelo De Donatis. Das betraf seine Kunst, über die man geteilter Meinung sein kann. Was ist aber nun, da mindestens neun Ordensfrauen ihn des sexuellen Mißbrauchs und des Machtmißbrauchs beschuldigen?
Das Dilemma besteht darin, daß Millionen von Gläubigen und Nicht-Gläubigen an Kunstwerken vorbeilaufen müssen, die von einem exkommunizierten nicht-exkommunizierten Mißbrauchstäter stammen. Die Sache ist zumindest peinlich, um es euphemistisch zu formulieren.
Zwei Fälle, eine Debatte?
In Frankreich wurde unabhängig vom Fall Rupnik in aller Stille eine Debatte begonnen, die sich inzwischen über die Grenzen hinaus ausweitet. Die Kunstwerke von Mißbrauchstätern, die sich in Kirchen und Kapellen befinden, sollen aus Respekt vor den Opfern entfernt werden. Ausgangspunkt der Debatte ist Charly, eine Kleinstadt südlich von Lyon, wo auch der Bürgermeister nun erklärte, daß die dortigen Kirchenfenster entfernt werden sollten. Im Zuge von Ermittlungen war nämlich vor kurzem die bittere Entdeckung ans Licht gekommen, daß der Künstler, von dem die Glasfenster stammen, der 1994 verstorbene Priester Louis Ribes, ein homosexueller Päderast war.
Seine heute erwachsenen Opfer haben sich im Kollektiv der Opfer des Priesters Louis Ribes zusammengeschlossen und fordern seit einem Jahr die Entfernung von Kunstwerken aus den Kirchen der Region. Diese in Frankreich entstandene Bewegung betrifft aber auch den von Papst Franziskus protegierten Jesuiten Marko Ivan Rupnik. „Ich kann mich der Forderung nur anschließen“, so Maurizio Blondet. Auch die Vatikanistin Franca Giansoldati berichtete in der römischen Tageszeitung Il Messaggero über die französische Debatte.
Rupniks Mosaike und Wandmalereien zieren die „Crème de la Crème“ der kirchlichen Wallfahrtsorte. Lourdes, Fatima, San Giovanni Rotondo, die Kapelle des Priesterseminars im Lateran, die von Johannes Paul II. eingerichtete Marienkapelle im Apostolischen Palast. Läßt sich das eine vom anderen trennen? Oder sind Rupniks Bilder der sichtbar gewordene Ausdruck dessen, was Joseph Kardinal Ratzinger angeprangerte, kurz bevor er zum Papst gewählt wurde, indem er sagte: „Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche, auch unter denen, die im Priesteramt ganz ihm gehören sollten!“? Es rächt sich jedenfalls, daß einige Kunstsachverständige im Vatikan mit Rupnik der heutigen Kirche einen ganzen Kunststil aufprägen wollten. Das „Pseudo-Infantile“ an diesem Stil betrachteten manche Kritiker als durchaus emblematisch für einige Entwicklungen in der nachkonziliaren Kirche.
Mit dem Fall Rupnik ist zudem die Frage verbunden, wer den Jesuiten, der 2020 von einem Tribunal der Glaubenskongregation einstimmig für schuldig befunden wurde, vor der Exkommunikation rettete. Eine „höhere Instanz“, so heißt es nun, habe eine schützende Hand über den Künstlerpriester gehalten und ihn „begnadigt“. Nur: Wer verfügt über den Einfluß für einen solchen Schwamm-drüber-Schlußstrich? Dafür kommt allein der Papst in Frage. Dieser erklärte aber am 24. Januar in einem Interview mit der US-amerikanischen Presseagentur AP, also nicht mit dem Hintertupfinger Quartalsdorfblatt, sondern einer der weltweit meinungsführenden Presseagenturen, „nichts“ mit dem Fall Rupnik zu tun, sondern erst aus den Medien zu seinem Erstaunen von dessen Untaten erfahren zu haben. Wörtlich erklärte Franziskus: „Ich habe nie für Pater Rupnik interveniert“. Zudem strich Franziskus die Unschuldsvermutung und die Verjährung der Taten heraus, dabei hatte er selbst die Bischöfe aufgefordert, die Verjährungsfristen bei sexuellen Mißbrauchsfällen aufzuheben. Wer hob sie im Fall Rupnik nicht auf, der seit 30 Jahren der Diözese Rom untersteht? Die Zweifel, wer also diese ominöse Macht sein soll, die hier eingegriffen hat, werden noch verstärkt durch die Tatsache, daß Kardinal Luis Ladaria, ebenfalls ein Jesuit, der seit 2017 Präfekt der Glaubenskongregation ist, eigenmächtig und ohne Wissen und Zustimmung des Papstes nicht einmal eine Stecknadel fallen lassen würde.
Der Priesterkünstler und Päderast Louis Ribes
Als der Priester und Päderast Louis Ribes 1994 starb, wurde er als „Picasso der Kirchen“ gefeiert. Seit 2021 haben ihn mindestens 60 Personen in den Diözesen Lyon, Grenoble-Vienne und Saint-Etienne des sexuellen Mißbrauchs und der Vergewaltigung in den 70er und 80er Jahren beschuldigt. Die Opfer von Louis Ribes organisieren eine Fahrradwallfahrt von Monaco nach Rom, um auf mangelnde Transparenz aufmerksam zu machen. Luc Gemet, heute 59 Jahre alt, Mitglied der Opfervereinigung, brachte im Herbst 2021 den Fall Ribes an die Öffentlichkeit. Er erzählte, wie Louis Ribes vorging und ihn im Alter von acht bis vierzehn Jahren mißbrauchte. Alle Opfer von Ribes waren männlich:
„Als wir die Schule in Vienne-Estressin besuchten, forderte er uns auf, uns auszuziehen und uns zeichnen zu lassen. Das war ein Vorwand, um uns zu berühren oder zu vergewaltigen. Und aus den Skizzen machte er Bilder. Alle Opfer wissen, wie seine Werke zustande kamen. Sie erkennen sich auf den Bildern wieder. Das erste Mal passierte es mir, als ich die Tür zu einer Kapelle öffnete, als ich dieses Bild sah: Ich war schockiert. Ich brauchte drei Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Das hat mich wieder in diese Abscheulichkeit gestürzt.“
Auf einigen Bildern, für die er seine Opfer als Modell nahm, verzeichnete er deren Namen. Schon 1976 hatte ein Seminarist bei Ribes zahlreiche Skizzen von nackten Jungen und „Härteres“ sowie pornographisches Material gefunden. Er meldete es dem Regens, der jedoch den Seminaristen attackierte, der vom Unterricht ausgeschlossen wurde. Als Ribes 1994 starb, wurden bei seinen Sachen Unmengen an Kinderpornographie gefunden. Doch der päderastische „Picasso der Kirchen“, der sich am Kubismus orientierte und seine Opfer „verewigte“, blieb weiterhin unangetastet. Erst vor anderthalb Jahren brach der Damm des Schweigens.
Drei Diözesen, Lyon, Saint-Étienne und Grenoble, haben sich inzwischen bereit erklärt, die Kunstwerke von Louis Ribes abzubauen. Ob das auch mit den Kunstwerken von Marko Ivan Rupnik geschehen wird?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Maurizio Blondet/Wikicommons (Screenshots)