(Doha) Die Fußballweltmeisterschaft in Katar wurde am vergangenen Sonntag angepfiffen. In ihrem Zusammenhang ist viel zu hören von Protesten, weil Frauen in Katar weniger Rechte haben als Männer, weil Wanderarbeitnehmer trotz einiger von der Regierung eingeführter Reformen immer noch ihren Arbeitgebern ausgeliefert sind, weil homosexuelles Verhalten mit Gefängnis bestraft wird, weil es keine gewerkschaftliche Organisationsfreiheit für Migranten gibt, weil die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist und weil – für Fußballfans besonders wichtig – auch die Freiheit, Bier zu trinken, stark eingeschränkt ist. Niemand protestiert jedoch wegen der fehlenden Religionsfreiheit.
Ein Blick auf die Internetseiten von Amnesty International und Human Rights Watch, den beiden größten Menschenrechtsorganisationen, bietet Einblick in den Istzustand. Als Schlagzeilen über Katar finden sich Beiträge über Wanderarbeiter, Sodomie-Häftlinge und männliche Vormünder für Frauen. Was sich nicht findet: auch nur eine Zeile zur Frage der Religionsfreiheit. Das trifft die Sache durchaus auf den Punkt, denn in Katar gibt es keine wirkliche Religionsfreiheit.
Katar ist eine absolute Monarchie, regiert von Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani. Der Islam ist Staatsreligion und die Scharia die wichtigste Rechtsquelle. Im Verhältnis zur Fläche und Einwohnerzahl ist Katar das Land mit dem größten Reichtum der Welt. Zusammen mit dem Iran verfügt es über die größten bekannten Erdgasvorkommen der Erde. Das erlaubt es dem Herrscherhaus auf der ganzen Welt zu investieren und Einfluß zu nehmen, wobei Frankreich das bevorzugte Ziel der Geldströme ist, während die Einflußnahme zusätzlich auf Großbritannien und die USA abzielt. Der Fall Tariq Ramadan ist ein Beispiel für diese Einflußnahme. Die Familie al-Thani regiert das Land seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Politisch steht das Land in einem ständigen Spannungsfeld, einerseits die Nähe zum größeren wahabitischen Bruder Saudi-Arabien zu suchen, andererseits sich jedoch die Unabhängigkeit von diesem zu bewahren. In diesen Kontext fällt auch, daß Katar als ein Hauptfinancier der dschihadistischen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) galt, bis Donald Trump als US-Präsident das brutale Nahost-Programm seines Vorgängers Barack Obama auf Eis legte.
Staatsbürger des Emirats sind ausschließlich Muslime, wobei der Großteil, einschließlich Herrscherhaus, wahabitische Sunniten sind wie im angrenzenden Königreich Saudi-Arabien. Die Schiiten bilden auf der Halbinsel nur eine kleine Minderheit. Die Bevölkerungssituation ist jedoch prekär: Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind Einheimische und besitzen die Staatsbürgerschaft. Den großen Rest bilden nach 30 Jahren massiver Einwanderung die Gastarbeiter, durch die sich Gewichte im inneren Gefüge verschoben haben und die vom Herrscherhaus als Notwendigkeit für Dienstleistungen, aber auch als potentielle Bedrohung gesehen werden.
Es kamen nicht nur Muslime aus islamischen Ländern mit anderem kulturellem und religiösem Hintergrund, sondern auch viele Christen ins Land. Sie machen heute rund 15 Prozent der im Land anwesenden Menschen aus und stammen vorwiegend aus anderen asiatischen Staaten (Philippinen, Indien, Libanon). Weitere 15 Prozent der Bevölkerung sind Hindus, etwa drei Prozent Buddhisten und weitere zwei Prozent gehören anderen Religionen an.
Die christliche Präsenz in dem Gebiet reicht zumindest in die Zeit des Byzantinischen Reichs zurück. Auf der arabischen Halbinsel entstanden Mönchsklöster entlang der Küste zum Persischen Golf, zwei davon konnten in den vergangenen Jahren von Archäologen ausgegraben werden. Obwohl die arabischen Stämme im 7. Jahrhundert zum Islam konvertierten, läßt sich die christliche Präsenz noch bis zur Jahrtausendwende nachweisen.
Obwohl es in Katar keine freie Religionsausübung gibt, hält die Regierung seit gut zwei Jahrzehnten internationale Konferenzen für den „interreligiösen Dialog“ ab. Bis 1995 war Christen die Religionsausübung kategorisch verboten. Zur Begründung nannte die Regierung die schiitische Revolution im Iran. Inzwischen geht die staatliche Religionspolitik in Richtung jener von Abu Dhabi, wenn auch etwas verhaltener. Die Grundrechte auch in der Religionsausübung sollen in kontrollierter Form gewährt werden, allerdings in sehr kontrollierter Form. Die Sache ist der „Religionsfreiheit“ in Nordkorea nicht ganz unähnlich.
2005 unterzeichnete die Regierung mit der katholischen Kirche und weiteren christlichen Konfessionen einen Leasingvertrag auf 50 Jahre für ein Grundstück, auf dem Kirchen errichtet werden konnten. Die katholische Kirche baute dort die Kirche Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz, die im September 2013 geweiht wurde. Ebenso entstanden Niederlassungen der mit Rom unierten syro-malankarischen katholischen und der syro-malabarischen katholischen Kirche, die beide ihr Zentrum in Indien haben.
Gotteshäuser bzw. Niederlassungen errichteten auch die griechisch-orthodoxe, die koptisch-orthodoxe Kirche, die äthiopisch-orthodoxe Kirche, die mit den Anglikanern unierte Mar-Thomas-Kirche aus Indien, die malankarische orthodox-syrische Kirche (indische orthodoxe Kirche) und ab 2015 auch die Evangelikalen und Pfingstler. Bis dahin konnten sich die Christen nur informell in kleinen Gruppen in Privathäusern versammeln. Nun ist den vom Staat registrierten Religionsgemeinschaften erlaubt, sich auf dem vom Staat auf Leasing-Basis zur Verfügung gestellten Grundstück von Mesaimeer, am südlichen Stadtrand von Doha, in von ihnen errichteten Gebäuden zu versammeln. Das Grundstück ist inzwischen als „Church City“ bekannt und ummauert. Die Zugänge werden von der Polizei überwacht.
Das Al-Tuhama-Stadion, eines der acht Stadien, in denen die Spiele der Fußball-WM ausgetragen werden, befindet sich kaum zwei Kilometer von der „Church City“ entfernt.
Der Staat registriert nur Gemeinschaften der „abrahamitischen Religionen“ Judentum, Christentum und Islam. Er duldet es aber, wenn Angehörige anderer Religionen in ihren Privathäusern beten. Eine öffentliche Präsenz ist aber nur dem Wahabismus erlaubt.
Eine Konversion von Muslimen zum Christentum ist nicht gestattet. Wer dennoch konvertiert, muß faktisch das Land verlassen oder seinen Glauben verbergen. Katarer, die im Ausland konvertieren, kehren meist nicht mehr in ihre Heimat zurück. Für viele wiegt die soziale Verfolgung noch schwerer als die staatliche, indem Konvertiten von ihren eigenen Familien und ihrem Umfeld ausgeschlossen werden und physische Gewalt zu erwarten haben. Die Regierung bevorzugt die Ausweisung, um sich Gerichtsverfahren und internationale Aufmerksamkeit zu ersparen.
Formal ist die Religionsfreiheit nämlich in der Verfassung verankert, die im Artikel 35 die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz betont und jede Diskriminierung, auch aufgrund der Religion, ausschließt. Laut Artikel 50 ist die Kultusfreiheit garantiert. Die Einschränkung liegt im Zusatz, daß diese Garantie in Übereinstimmung mit den Gesetzen und dem notwendigen Schutz der öffentlichen Ordnung und Moral steht. 2004 wurden beispielsweise mit Staatsgesetz für eine Reihe von Delikten die Strafen der Scharia eingeführt. Auf Abfall vom Islam steht die Todesstrafe, obwohl Katar betont, diese Strafe seit 1971 nicht mehr vollstreckt zu haben.
Mit zwei Jahren Gefängnis wird bestraft, bei wem Gegenstände gefunden wurden, die auf ein missionarisches Wirken hinweisen. Die Beleidigung des Islam kann mit bis zu sieben Jahren Gefängnis geahndet werden. Formal gilt diese Bestimmung sogar für alle drei „abrahamitischen Religionen“, wenngleich die Praxis eine andere ist.
Der Westen liefert ein intellektuell bescheidenes Bild, wenn er sich als Herold großer Werte aufschwingt, in Wirklichkeit aber das clowneske Bild woker Irrlichter abgibt, das außerhalb des Westens wenig beeindruckt, sondern vielmehr abstößt.
Die geistigen Koordinaten befinden sich im freien Fall, wo Homo-Armbinden zum angeblich Wichtigsten werden, die freie Religionsausübung für Christen aber nicht einmal eine Erwähnung findet.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Google Maps (Screenshots)
Das nenne ich Qualität. Vielen Dank für diese Informationen. Hier werden Möglichkeiten genutzt, die die strenge Religion eindeutig nicht vorsieht. Quasi exterritoriales Gebiet. Die dortigen Christen sollen ganz intensiv für ihre >Nächsten< beten.
Der Westen liefert intellektuell ein bescheidenes Bild. Das ist sehr vornehm ausgedrückt.
„die freie Religionsausübung für Christen aber nicht einmal eine Erwähnung findet.“
Ja wer soll das denn auch erwähnen – Die Bischöfe?