Abbé Michel Violet ist ein ehemaliger lutherischer Pastor, der im Jahr 2000 konvertierte und 2003 zum katholischen Priester geweiht wurde. Er formulierte einen Protest gegen das Motu proprio Traditionis custodes und das Verbot, die Sakramente in der überlieferten Form zu spenden. Er nimmt aber auch zur Lage der Kirche in Frankreich und politischen Manövern zu ihrer Schwächung Stellung. Wir dokumentieren seine Ausführungen.
Wachen wir auf, bevor es zu spät ist
Von Abbé Michel Violet
Zu Beginn dieses Jahres ist die Traurigkeit sicherlich das Gefühl, das die Franzosen am meisten teilen, und zweifellos sind sie nicht die einzigen auf der Welt.
Da ich katholischer Priester bin, glaube ich an den Primat des Gebets und insbesondere an das Gebet, das wir in der Kirche zu Gott erheben, wenn wir die heilige Liturgie zelebrieren. Aber selbst diese heilige Praxis hat sich heute zu einem Grund der Traurigkeit verwandelt, und ich denke, daß die Dinge diesbezüglich gar nicht gut laufen!
Ich habe das Motu proprio Traditionis custodes in kindlichem Gehorsam entgegengenommen, weil es vom Nachfolger Petri stammt, der es mit seiner Sorge dafür begründet, daß aus der überlieferten Messe nach dem Meßbuch von 1962 keine Parallelkirche entsteht. Wenn einige Brüder in Frankreich diesen Eindruck erwecken könnten, indem sie sich weigern, mit ihrem Bischof bei der Chrisam-Messe zu konzelebrieren – eine Haltung, die ich bedaure –, so bedeutet das aber nicht, daß sie, wie die Katholiken, die der traditionellen Liturgie anhängen, auch nur die geringste Absicht haben, sich einer anderen Kirche anzuschließen. Für alle, die ich in meinem Land kenne, gibt es nur eine katholische Kirche, deren Papst Franziskus heißt, und es kann keine andere geben!
Deshalb scheint es mir weder gerecht noch barmherzig, der Einschränkung der Zelebration der Messe des heiligen Johannes XXIII. auch noch den Entzug der Feier der verschiedenen Sakramente der Kirche in ihrer alten Form hinzuzufügen. Und die Behauptung, daß diese religiöse Praxis im Widerspruch zum Zweiten Vatikanischen Konzil stünde, erscheint mir überraschend, da mir immer gesagt wurde, und zwar schon seit langem, daß dieses Konzil in Kontinuität zu den vorangegangenen Konzilen stehe. Wie kann es ein Widerspruch sein, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Taufe in der Form zu feiern, in der sie nach dem Ersten Vatikanischen Konzil gefeiert wurde und viele Jahrhunderte lang davor?
Außerdem – und ich glaube, zu dieser Kritik berechtigt zu sein, die die Gültigkeit der nach der modernen Liturgie gespendeten Sakramente nicht in Frage stellt – hat letztere die Exorzismen weitgehend gestrichen, unter anderem, weil ihre Autoren, von denen ich einige gut kannte, nicht an die Erbsünde glaubten! Gerade im Interesse der katholischen Rechtgläubigkeit scheint mir das Überleben dieser Liturgie von größtem Interesse zu sein. Deshalb bin ich traurig über die mögliche Abschaffung oder gar das Verbot der überlieferten Liturgie.
Es ist auch traurig für jene, die sterben. Wie kann ich mich als Priester weigern, einem Sterbenden die Letzte Ölung auf dieselbe Weise zukommen zu lassen, wie sie seine Eltern oder Großeltern erhalten haben? Unsere Bischöfe sind unsere Väter und unsere Vorgesetzten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie uns daran hindern, einem Sterbenden den Trost zu bringen, um den er uns zu Recht bittet.
Es ist auch traurig, daß wir die Totenmesse nicht in der außerordentlichen Form garantieren können. Jene, die diese Liturgie kennen, die den Tod seit Jahrhunderten begleitet und die in der heutigen Zeit für manche eine der seltenen Gelegenheiten war, die Messe zu besuchen, die sie zum Nachdenken über die christliche Lehre vom Tod anregte und sie dazu brachte, die Frage nach der Auferstehung zu stellen, können nicht anders, als zutiefst verletzt zu sein, wenn man ihnen das letzte Zeugnis vorenthält, das sie für ihr Leben hier unten geben wollen. Und ich möchte hinzufügen, daß für überzeugte Christen in diesem Ritual alles enthalten ist, was ihren Glauben an die Auferstehung stärkt. Alles in dieser überlieferten Form hilft, die menschliche Seele in ihren schmerzhaftesten Wunden zu berühren. Die Hoffnung auf das ewige Licht, die von Anfang an durch das Requiem aeternam besungen wird, die Übernahme des Schreckens der Trennung durch den Gesang des Dies irae, wenn man sich die Mühe gemacht hat, es zu verstehen! Bricht nicht alles zusammen und vermittelt den Eindruck des Weltuntergangs und manchmal auch mit einer tiefsitzenden Wut, wenn man vom Tod des kleinen Bruders oder der kleinen Schwester erfährt …? In diesem Moment will man nicht mit dem Halleluja geschlagen werden oder zu jeder nur denkbaren Melodie gesungen hören: „Christus ist auferstanden“. Alles zu seiner Zeit, mit dem Libera me und dem In paradisum!
Man verzeihe mir, wenn ich ein persönliches Beispiel anführe, nicht um zu rühren, sondern zu überzeugen. Aus medizinischen Gründen machte ich die Erfahrung des nahenden Todes, und die Hoffnung, bei meinem letzten Besuch in einem katholischen Heiligtum von diesem alten Gebet der Kirche begleitet zu werden, ist für mich eine große Hilfe. Ich möchte nicht gezwungen sein, es anderen Christen, die mich darum bitten, vorzuenthalten! Könnte ich das? Ich weiß nicht!
Es ist auch traurig, an die jungen Seminaristen der Institute zu denken, die im Rhythmus der überlieferten Messe leben, und sie zu zwingen, auf die alte Weiheliturgie zu verzichten. Wir würden jenen, die ihr Leben der Kirche schenken, diese liturgische Form vorenthalten, die sie mit Christus, dem Haupt, verbindet, die sie seit ihrer Jugend geprägt hat, die es ihnen ermöglicht hat, den Ruf des Herrn zu vernehmen, und ihre Studien im Priesterseminar getragen hat! Es obliegt ihren jeweiligen Autoritäten, ihnen mitzuteilen, daß sie später ausnahmsweise auf andere Weise zelebrieren müssen, aufgrund von Erfordernissen des Dienstes gemäß den Anordnungen ihres Bischofs. Sie werden dies als einen Akt brüderlicher Nächstenliebe eher akzeptieren als ein Verbot, dessen Notwendigkeit alles andere als offensichtlich ist!
Traurigkeit herrscht auch wegen des Schauspiels der Spaltung unter den Katholiken! In dieser Zeit des Gebets für die Einheit der Christen, die so kostbar ist, daß es mehr denn je sinnvoll ist, sie zu bewahren, bedaure ich, daß einige Menschen so wenig Rücksicht auf die katholische Einheit nehmen, daß sie es wagen, unseren Heiligen Vater, den Diener der Einheit schlechthin, zu diffamieren. Und ich gehe so weit, mich zu meiner großen Schande darüber zu freuen, daß die verschiedenen politischen Regierungen dem Katholizismus keine große Bedeutung mehr beimessen, weil sie das Drama des 14. Jahrhunderts vermeiden, das Große Abendländische Schisma (1378), bei dem zwei Päpste gleichzeitig regierten, dann sogar drei, die sich gegenseitig exkommunizierten, wobei die Staaten jeweils ihre Konkurrenten anerkannten! Ich hoffe, daß ich damit unseren Präsidenten der Republik nicht auf falsche Gedanken bringe, der sicher nichts dagegen hätte, den Palast von Avignon einem Gegenpapst zur Verfügung zu stellen, der von einer unabhängigen Kardinalskommission gewählt wird, die auch Frauen und Laien offensteht und – warum nicht – von Herrn Jean-Marc Sauvé geleitet wird. [Sauvé, ein hoher Staatsfunktionär und bis 2018 stellvertretender Vorsitzender des obersten französischen Verwaltungsgerichtes, ist Vorsitzender der Unabhängigen Kommission für sexuellen Missbrauch in der Kirche (CIASE). Siehe zum CIASE- bzw. Suavé-Bericht: Nicht 330.000, sondern „nur“ bis zu 28.000 Mißbrauchsopfer?]
Man stelle sich vor, was für ein Vorteil das für den Tourismus wäre, der eine zusätzliche Attraktion hätte! Und diese Art von Abenteuer hätte den zusätzlichen Vorteil, daß viele kirchliche Ambitionen durch die Vermehrung von Mitren und Biretten befriedigt würden! Träume in Lila und Purpur würden Wirklichkeit werden!
Ich werde Gelegenheit haben, in einem anderen Zusammenhang und im Detail darauf zurückzukommen, wie es andere Katholiken getan haben. Ich spreche dieses Thema erst jetzt an, weil das, was ich vermutet habe, eintritt. Der CIASE-Bericht mit seinen aufgeblähten Zahlen beginnt nun, sein wahres Gesicht zu zeigen, als Vorwand, um die katholische Kirche erheblich zu verändern.
So zögert man zum Beispiel nicht, die Mißbrauchsvorwürfe eines 1994 verstorbenen Priesters öffentlich zu machen, der ein renommierter Künstler im Bereich der Glasmalerei war, die viele unserer Kirchen schmückt. Ich bin mit diesem Fall nicht vertraut, aber ich habe diese Glasfenster gesehen und finde sie großartig! Es scheint, daß sie sogar durch das Denkmalamt geschützt sind. Ich erfahre, daß sie nicht nur dieses Dossier gegen einen Toten exhumieren, sondern daß sie auch alle seine Glasfenster entfernen wollen!
Also darf ich überrascht sein! Die weltliche Justiz stellt jeden Prozeß ein, wenn ein mutmaßlicher Täter stirbt. Wie kann die Kirche, ein Ort der Vergebung und der Barmherzigkeit schlechthin, so tief gesunken sein, daß sie Tote vor der öffentlichen Meinung anklagt? Ist dies wirklich eine christliche Pädagogik für die Opfer und ein Zeugnis für die Welt? Wollen wir die traurige Leichensynode von 897 wieder einführen, bei der die sterblichen Überreste von Papst Formosus für einen Prozeß exhumiert wurden? Wollen wir diesen seit 28 Jahren bestatteten Priester ausgraben, um das, was von ihm übriggeblieben ist, vor das von der CIASE empfohlene kanonische Gericht zu stellen, anscheinend mit bischöflichem Einverständnis? Es gibt Grund zum Erschaudern, wenn man weiß, welche Folgen der Schrecken von 897 für Kirche und Gesellschaft hatte. Es war der Vertrauensverlust in das Papsttum, das dessen Beherrschung durch die großen römischen Familien, die Vorgänger unserer linken Bobos, ermöglichte, die ihre Nachkommen auf den Thron Petri setzten.
In der Tat wurde den Frauen (damals Theodora und Marozia) eine wichtige Rolle zugewiesen, wie CIASE es empfiehlt. Sie beeinflußten die Wahl mehrerer Päpste, deren Fähigkeiten sie sehr intim zu schätzen gelernt, aber wenig mit Theologie zu tun hatten! Dieses Abdriften der Kirche dauerte von 904 bis 963.
Die Kunstwerke eines Mannes verschwinden zu lassen, der nicht nach der katholischen Moral gelebt hat, halte ich für einen gefährlichen Weg. Wenn wir auf ihm weitergehen, wird es bald große Lücken in unseren Museen und Kirchen geben. Es wird notwendig sein, und das wird nur der Anfang sein, die Werke von Caravaggio zu entfernen und die Sixtinische Kapelle zu übertünchen!
Vor allem ermutigt das die Nostalgiker der Inquisition, ihre Läuterungsarbeit fortzusetzen. Sie haben keinen Geringeren als unseren emeritierten Papst im Visier, der unter dem Verdacht steht, während seiner Zeit als Erzbischof von München (1977–1982) wissentlich verwerfliche Taten von Priestern vertuscht zu haben, und die Zeitung Le Point, die sich auf die Demontage von Bischöfen spezialisiert hat, zögert nicht, diese Nachricht mit einem Foto von Benedikt XVI. zu illustrieren, der sehr alt ist und mit gefalteten Händen verzweifelt zum Himmel blickt, als würde er um Vergebung bitten. Schande über die Person, die für diesen Artikel und diese Präsentation, die eines Dr. Goebbels würdig ist, verantwortlich zeichnet!
Eine Säuberung, die zum System erhoben wird, ist immer eine schmutzige Abrechnung. Selbst wenn sie anfangs gerechtfertigt scheint, kann sie nur schlecht enden, sobald sie ihre Vernunft verliert und über das hinausgeht, was notwendig ist, um auszurotten, wofür sie geschaffen wurde! Eine Säuberung war 1944 in Frankreich leider notwendig, aber wir hatten die Weisheit, sie schrittweise zu kontrollieren, obwohl dadurch blutige Fehler nicht vermieden werden konnten, und hatten den politischen Mut, ihr ein Ende zu setzen. Die Sauvé-Säuberung kann in ihrer Dauer und ihren Auswüchsen schlimmer sein als die politische Säuberung, von der ich soeben gesprochen habe, weil sie eine religiöse Grundlage hat und ein Instrument der Tugend sein will. Ihr Autor läßt keine Widersprüche zu. Er führte den Vorsitz bei der Abfassung eines neuen Deuteronomiums. Genau unter diesen Bedingungen hat Robespierre in gutem Glauben den Terror ins Leben gerufen und sich zum Führer der Partei des Guten, weil der Tugend, erklärt! Wollen wir im Namen eben dieser Tugend eine Kirche des Terrors?
Und das in einer Zeit, in der unser Land in der materialistischen Mediokrität des Wirtschaftsglobalismus versinkt, in der der Mangel an Freiheit uns daran hindert, über echte, legitime Ängste zu sprechen, indem falsche Ängste propagiert werden.
So herrscht Traurigkeit auch über den Niedergang unseres Landes, an dem eine katholische Elite mitschuldig ist!
Ich gestehe, daß ich nicht verstehe, wie unsere religiösen Autoritäten nach der Komödie, die der Präsident der Republik bei seinem Besuch im Collège des Bernardins für uns Katholiken gespielt hat, und nach den Bioethikgesetzen, die er verabschiedet hat, nun sagen können, daß sie bei den nächsten Präsidentschaftswahlen keine Wahlempfehlungen geben werden. Es stimmt, daß sie nicht gehört wurden, als die Frist für den Schwangerschaftsabbruch auf vierzehn Wochen verlängert wurde. Als Ergebnis des Sauvé-Berichts schämt sich die Kirche nun, über moralische Fragen zu sprechen!
Und zweifellos werden sie dies auch weiterhin tun, nachdem Präsident Emmanuel Macron, Ratsvorsitzender der Europäischen Union und noch nicht erklärter Kandidat für die kommenden Präsidentschaftswahlen, seinen Wunsch geäußert hat, das Recht der Frauen auf Abtreibung in der EU-Grundrechtecharta verankert zu sehen.
Viele Katholiken warten auf eine Reaktion ihrer Hirten, und sei es nur, um mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß Abtreibung in einer europäischen Charta der Rechte nicht zu einem Frauenrecht gemacht werden kann. Wenn dem so sein sollte, käme dies gleich, um Papst Franziskus zu zitieren, die Nützlichkeit von Abtreibern als Auftragskiller anzuerkennen. Und wie kann man die Tatsache ignorieren, daß Euthanasie und Sterbehilfe dem scheidenden Präsidenten von seinen Anhängern als Themen für den nächsten Wahlkampf vorgeschlagen werden. Präsident Macron würde damit der Apostasie von seiner Taufe und der Abtreibungsförderung zwei weitere schwere Sünden hinzufügen, die die Kirche mit der Exkommunikation latae sententiae sanktioniert, die zur Verschärfung der Kultur des Todes führen.
Unsere Französische Bischofskonferenz könnte schwerlich schweigen, es sei denn, sie hofft, daß die Steine schreien! Aber ich weiß nicht, ob die Gläubigen das verstehen werden, denn gleichzeitig ist zu befürchten, daß viele Gläubige das Interesse verlieren werden, Geld zu spenden!
Was die moralische Pflicht der Katholiken betrifft, wählen zu gehen, so wirft dies Fragen auf, wenn Wahlen nicht fair durchgeführt werden, wenn es Propagandamittel gibt, die eine echte Debatte zwischen den Kandidaten unmöglich machen, und nicht zuletzt, wenn die weißen Stimmen den ungültigen Stimmen hinzugezählt werden. Niemand kann behaupten, daß man ein schlechter Christ und ein schlechter Bürger ist, wenn man sich weigert, mit seiner Teilnahme das zu unterstützen, was als ein gefährliches Spiel für das eigene Land erkannt wird! Für mich muß es bei den kommenden Wahlen, die in einer Konstellation stattfinden werden, die wir noch nicht kennen, aber erahnen können, jedem freistehen, abzustimmen oder sich zu enthalten. Er schuldet nur seinem Gewissen heiligen Gehorsam! Nur wenn die Kirche dies zugibt, wird sie die richtige Neutralität leben, die sie anstrebt! Denn in dieser Zeit wartet das christliche Volk auf kohärente Worte und Taten, auf Zeichen der Mobilisierung und nicht des Verzichts, insbesondere angesichts der zunehmend antikatholischen politischen Kräfte!
Nach dem, was ich gesagt habe, könnte jemand fragen, ob es noch möglich ist zu hoffen? Ich antworte, ohne zu zögern, mit „Ja“, wenn es uns gelingt, schnell Mut zu zeigen. Die Menschen glauben, sie seien Herr ihres eigenen Schicksals und ihrer eigenen Pläne. Sie vergessen leicht die Allmacht Gottes. Gott ist es, der sich mit unserem unverzichtbaren Zeugnis, wenn die Zeit gekommen ist, offenbaren und seine Gerechtigkeit sichtbar machen wird. Er wird den Verteidigern des katholischen Glaubens zum Sieg verhelfen und die Hochstapler in die Schranken weisen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Liebe Mitstreiter wir können uns schlafen legen jetzt ist es zu spät. Das Zerstörungswerk ist nahezu perfekt
Betet für die Armen Seelen. Gelobt sei Jesus Christus