Ein Gastkommentar von Hubert Hecker.
Im Bistum Limburg begann die Werbung für kirchliche Segnungen von Nicht-Ehepaaren im Januar 2018. Damals legte der Frankfurter Stadtdechant Johannes zu Eltz ein Thesenpapier vor zu liturgischen Segensfeiern für liebende Paare, die nicht kirchlich heiraten könnten oder wollten. Bischof Georg Bätzing lobte das Positionspapier als „stimmig“. Er setzte einen hochrangig besetzten Lenkungsausschuss ein, der ausloten sollte, wie die angestrebten Segnungen in der Kirchenöffentlichkeit begründet werden könnten.
Die bischöfliche Vorgabe: „ergebnisoffen und kontrovers“ wurde bei allen drei Veranstaltungen der Arbeitsgruppe 2019 so ausgestaltet, dass jeweils eine erdrückende Mehrheit von Befürwortern der Segensfeiern kritische Stimmen marginalisieren konnte. Bei der wissenschaftlichen Tagung im September 2019 in Frankfurt standen sechs Segensbefürworter auf dem Podium einem Verteidiger der kirchlichen Lehre gegenüber. So blieb zwar die Kontroversität der Veranstaltung im Prinzip erhalten und auch in der Pressedokumentation wurde die Minderheitenposition erwähnt. Aber deren polemische Abqualifizierung als „Barrikade“ zeigte an, dass nur die Mehrheitsposition erwünscht war. Auch die zu Anfang der Tagung verlesene kategorische Stellungnahme von Bischof Bätzing, nach der die Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre zu diesem Punkt ein „unverzichtbarer Beitrag zur Evangelisierung in unserer Zeit“ sei, ließ Zweifel an der ursprünglich versprochenen Ergebnisoffenheit der Diskussion aufkommen.
Zu der ersten Veranstaltung der Lenkungsgruppe für pastorale Mitarbeiter des Bistums im März 2019 hatte Stadtdekan zu Eltz einen weiteren Impuls gegeben. Das Verlangen nach kirchlichen Segensfeiern begründete er aus dem „urmenschlichen Bedürfnis“ nach Heil, Schutz und Glück, was folgende Überlegungen nach sich zieht: So wie Gott dem Urmenschenpaar Adam und Eva seinen Segen gab, so wünschen sich Homosexuellenpaare und geschiedene Zweitverheiratete Gottes Segen für ihre Beziehung. Sie möchten gerne, dass die Kirche neben dem Segen für neuvermählte Brautpaare auch für ihre Paarbeziehungen den göttlichen Segen erbittet und damit ihre Verbindungen bene-diziert, also gutheißt. Wenn doch Gott das Heil aller Menschen wolle – nicht nur das von Ehepaaren, dann sollte man erhoffen dürfen, das Gott und die Kirche auch anderen liebenden Paaren ihren Segen erteilen. Mit dem Verweis auf gegenseitige Liebe, Treue, Fürsorge und Verantwortung in homo- und anderen sexuellen Partnerschaften verbinden Theologen und Betroffene die dringende Erwartung, dass der gerechte Gott bei diesen ehegleichen Beziehungstugenden seinen Segen nicht versagen werde. Wann immer sie sich strebend bemühen, glauben sie auf Gottes Heilszusage rechnen zu können. So wird aus dem urmenschlichen Bedürfnis nach Heil ein „Anrecht auf kirchlichen Segen“1 für alle Beziehungsformen abgeleitet, das Gott und seine ihm dienende Kirche zu erfüllen hätten.
Diese anthropologisch basierte Plausibilitätsargumentation ist gewiss stimmig. Sie bleibt aber in der zivilreligiösen Wunschwelt stecken, insofern allein schon das strebende Bemühen den himmlischen Segen verdienen würde. Doch das „Anrecht“ auf göttlichen Segen, wie es heidnische Religionen nach dem Motto do ut des kennen, steht im Widerspruch zum christlichen Glauben, in dem die Gabe und Gnade Gottes immer dem menschlichen Tun vorausgeht.
Das christlich gesehen Unzureichende dieser Gedankenführung ist auch daran zu erkennen, dass sie in der biblischen Grundschrift unseres Glaubens keine Basis hat – ebenso wenig in der theologischen, dogmatischen, liturgischen und ethischen Tradition unserer Kirche: Aus dem Neuen Testament sind Sexualitätsbeziehungen außerhalb der rechtmäßigen Ehe nicht zu rechtfertigen. Dieser „altbekannte Stand der Lehre“ wurde erst vor fünf Jahren in der weltkirchlichen Familiensynode und dem nachsynodalen Lehrschreiben von Papst Franziskus bekräftigt:
„Es gibt keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinne“ (Nr. 251).
Bei der oben genannten Bistumsveranstaltung wurde eine zweite biografisch-spirituelle Begründungslinie von Segensfeiern für Nicht-Ehepaare verfolgt. Zwei Homosexuelle berichteten von ihren geistlichen Erfahrungen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die 1991 eingerichtete Frankfurter Personalgemeinde „schwul + katholisch“. Dort wird seither eine homosexuelle Rechtfertigungsspiritualität vermittelt: Die gleichgeschlechtliche Neigung sei Gottes Schöpfungsgabe. Unter dem Regenbogen Gottes fühlten Lesben und Schwule Gottes unbedingte Akzeptanz für sich und ihre Homopartner. Sie glauben sich geführt vom Herrn und Hirten und eingeladen zum Tisch des Herrn. Seit mindestens zwanzig Jahren spenden Bistumspriester den liturgischen Segen zu homosexuellen Lebenspartnerschaften.
Auch drei geschiedene Wiederverheiratete erzählten von ihren Lebensgeschichten. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe sei in der zweiten Ehe etwas Gutes und Neues entstanden. Sie fühlten sich von Gott in ihren neuen Partnerschaften angenommen und bestärkt. „Gott steht hinter uns, die Kirche leider nicht!“ Oder: „Der Ärger über die Amtskirche sei immer präsent.“2 Weitere Kommentare im Umfeld der Veranstaltung: Jeder Mensch habe doch das Recht auf eine zweite Chance zum Neuanfang nach einer Beziehungssackgasse. Durch die kleinliche Haltung der Amtskirche fühlten sich die Wiederverheirateten zurückgesetzt, aber im Glauben an den bedingungslos liebenden Gott durch dessen Heilssorge getröstet. Die Kirche mache sich schuldig, wenn sie Gottes Heilszusage an alle nicht in kirchlichen Segen für Wiederverheiratete umsetze.
Das Äußern und Anhören solcher biografischen Erfahrungen und Deutungen ist sicherlich eine wichtige Station im pastoralen Begleitungsprozess. Doch bei dieser Veranstaltung sollten die als „Zeugnisse“ deklarierten Aussagen als Begründungen für Forderungen nach einer anderen Lehre und Praxis der Kirche dienen. Kann aber die kirchliche Moraltheologie aus den Bedürfnissen der Menschen bestimmt werden, wie ein Pfarrer einwandte? Auch individuelle Glückserfahrungen in irregulären sexuellen Beziehungen sind nicht dazu geeignet, eine kirchliche Norm zu begründen oder grundlegend zu verändern. (Das Normenproblem wird besonders deutlich bei polyamoren Verbindungen und Geschwister-Ehen.) Ebenfalls kann die aus dem subjektiven Gefühl von gottgefälligem Leben in Zweit- und Homo-Ehen gefolgerte Forderung, dass die „Amtskirche“ sich mit ihren biblisch-antiquierten Normen, Ge- und Verboten an die moderne liberale Lebensgestaltung anpassen sollte, nicht der Weg der kirchlichen Normbildung sein. Schließlich bietet das Gefühl der persönlichen Gottunmittelbarkeit nicht Gewähr dafür, dass man selbst in der Wahrheit stehe und die kirchliche Lehre im Unrecht sei. Heilige haben sich in solchen zwiespältigen Erfahrungen immer dem kirchlichen Urteil unterworfen, Ketzer gegen die Kirche rebelliert.
Bischof Georg Bätzing verortet die erwähnten Menschen und ihr Zeugnis in der Mitte der Kirche. Ausdrücklich teilte er ihre Kritik an der kirchlichen Lehre und der Nicht-Gewährung des kirchlichen Segens für außereheliche Sexualpartnerschaften. Aber wird mit der Mittigstellung der außerehelichen Sexualitätsbeziehungen von Minderheiten nicht die Mehrheit der treuen katholischen Eheleute an den kirchlichen Rand gedrückt? Der Bischof spricht mehrfach von „vielen“ oder gar „sehr vielen“ Menschen in treusorgenden Homo-Partnerschaften, die durch das Vatikanschreiben verletzt würden. In Wirklichkeit bewegt sich die Zahl der Homosexuellenpaare mit dem Wunsch nach kirchlicher Segnung im Promillebereich. Das belegt der winzige Anteil von Homo-Segnungen im Vergleich zu Trauungen in der EKD seit knapp 20 Jahren.
Es liegt wohl im Trend der Identitätspolitik, Normen der Gesamtgesellschaft an die Bedürfnisse von bestimmten Kleingruppen anzupassen. Katholischerseits soll der Katechismus der Weltkirche zugunsten der homosexuellen Paare geändert werden. Die EKD hatte schon 2002 in Anpassung an das zivilrechtliche Partnerschaftsgesetz Segnungen für homosexuelle Paare erlaubt. Doch nachdem die Homo-Lobby weiterhin die bloße Paarsegnung als diskriminierende und verletzende Ungleichbehandlung gegenüber Brautpaaren angeprangert hatte, gab die EKD 2018 grünes Licht für den vollständigen Trauungsritus bei gleichgeschlechtlichen Paaren.
Niemand wolle an der Schöpfungsordnung rütteln, niemand würde die Ehe von Mann und Frau und ihre Fruchtbarkeit relativieren, behauptet Bischof Bätzing. Ihm kann aber kaum verborgen geblieben sein, dass die führende Synodentheologin Julia Knop genau das macht. Auf der Frankfurter Veranstaltung im September 2019 plädierte sie dafür, von den wesentlichen Dimensionen der kirchlichen Ehelehre als liebende Treue, Einheit und Unauflöslichkeit die Bereitschaft zu Fruchtbarkeit und Offenheit für Kindern abzukopppeln und aufzugeben.3
Neben solchen direkten Angriffen auf die katholische Ehelehre ist eine Entwertung der christlichen Ehe durch eine unangemessene Idealisierung festzustellen. Auch Bischof Bätzing spricht der sakramentalen Ehe eine „unvergleichliche Bedeutung und einzigartige Würde“ zu. Den Eindruck, dass sie als Ideal so hoch gehängt wird, dass sie für die normalen Taufchristen nicht zu empfehlen oder anzustreben ist, vermittelt auch das Synodenpapier zum Forum Sexualitätsbeziehungen. Dort wird die sakramentale Ehe als moralische Höchstform von Beziehungen hingestellt und sie zugleich als „lebensfern“ und „nicht menschengerecht“ zu einem marginalen Nischenmodell herabgestuft. Wenn alle sexuellen Beziehungsformen mit sogenannten Wertedimensionen und selbst der „Sinnwert von self sex“ in „moralischer Hinsicht Anerkennung und Respekt verdienen“ – wozu braucht man dann die Ehe? Die ‚Normalisierung‘ von jeglichen Sexualbeziehungen, unabhängig von formaler Bindung und sexueller Orientierung, bedeutet im Ergebnis eben doch einen Angriff auf die biblisch-kirchliche Norm der katholischen Ehelehre.
In seinem Grundsatz-Interview vom 24. März ruft Bischof Georg Bätzing Schelte und Schande über das am 15. 3. publizierte Vatikandokument aus, das kirchliche Segensfeiern für Homosexuellenpaare als unerlaubt einstuft. Aber was ist eine Kritik wert, wenn sie auf die zentrale Argumentation der siebenseitigen Erläuterungen zu dem Komplex liturgische Segensfeiern gar nicht eingeht? Nach der Vatikan-Erklärung stehen Segnungen als para-sakramentale Handlungen der Kirche in enger Beziehung zu den Sakramenten. In diesem Fall würde die liturgische Segnung eines homosexuellen Paares eine unzulässige „Nachahmung“ des Brautpaarsegens am Ende einer sakramentalen Trauung darstellen. Der sogenannte Brautsegen verweise auf Gottes schöpfungsursprünglichen Segen über die fruchtbare Eheverbindung von Mann und Frau. Eine Analogie herzustellen zwischen Gottes Plan für Ehe und Familie und einer homosexuellen Beziehung, dazu gebe es kein Fundament.
Bischof Bätzing fordert von Rom „Respekt für die Ernsthaftigkeit unserer Auseinandersetzung mit wichtigen Themen“. Aber vermittelt er selbst Respekt gegenüber dem Schreiben der römischen Kurie? Er behauptet: Es reiche „einfach nicht aus, den Katechismus zu zitieren“, um „allzu einfache Antworten“ zu geben.4 Tatsächlich hat sich die Glaubenskongregation in ihrer Begründung auf acht einschlägige Dokumente bezogen, vom 2. Vaticanum über die Familiensynode bis zu Ansprachen von Papst Franziskus.
Gleichzeitig fordert der Limburger Bischof von der Glaubenskongregation, sich den bedeutsamen Erkenntnisfortschritten von (deutschen) Theologen und Humanwissenschaftlern nicht länger zu verschließen. Von der erhöhten Kanzel des selbsterklärten Wissensvorsprungs erteilt er den ‚rückständigen‘ Kurienkardinälen eine Lektion: Die Segensabsage, vom Stand der altbekannten kirchlichen Lehre her begründet, bedeute „Selbstimmunisierung gegenüber Veränderungen“. Damit hätte sich die Kurie selbst Schaden zugefügt. In diesem Fall sei der Autoritätsverlust eklatant und führe zu einer Desorientierung der Gläubigen in Fragen der Sexualethik.
Schließlich erklärte der Bischof: Wer die Lehrveränderungen aufgrund der neuen theologisch-humanwissenschaftlichen Erkenntnisse verweigere, „der gefährdet die Einheit der Kirche“. Als wenn man sich in der Weltkirche weitgehend einig wäre in der Akzeptanz der Neulehre zu Homosexualität und nur der Vatikan würde sich querstellen! Und wenn es zum Schisma käme, dann wäre wohl die vatikanische Kurie schuld!?
„Liebe kann nicht Sünde sein“ sang die gelangweilte Frau eines zerstreuten Professors in dem halbseidenen UFA-Film „Blaufuchs“ vor 80 Jahren, als sie sich an andere Männer heranmachte. Doch selbst „wenn sie es wär, dann wär’s mir egal“ heißt es weiter in dem Liedtext, gesungen von Zarah Leander. Das Film- und Schlagermotiv von den sündenfreien außerehelichen Sexualbeziehungen generierte auch nach dem Krieg entsprechende Filme, Lieder und Wortvariationen, seit den 70er Jahren verstärkt in der Homosexuellenszene.
In diesem Kontext ist die englische Version des Leander-Diktums entstanden: LoveIsNoSin. Das Bistum Limburg zeigte auf seiner Facebook-Seite seit dem 17. 3. Etwa zehn Tage lang diese Parole in einem Banner vor dem Bild des Limburger St. Georgdoms. Als Äußerung einer bischöflichen Pressestelle bekommt die Aussage, dass sexuelle Liebe (in jedweder Beziehung) keine Sünde ist oder sein kann, lehrhaften Charakter. Jedenfalls steht der Limburger Bischof für die Aussendung dieser moraltheologisch höchst zwielichtigen Aussage in der Verantwortung.
Bild: Bistum Limburg (Screenshot)
1 Pro und kontra Segensfeiern. Bericht von der wissenschaftlichen Tagung im Haus am Dom in Frankfurt am 21. 9. 2019, Bistum Limburg.
2 Segen für alle? Bericht vom Hearing: Bitte um Segen am 21. 03. 2019 auf der Bistumsseite.
3 Siehe Anmerkung 1.
4 „Viele werden durch die Kirche verletzt“, Interview mit Bischof Georg Bätzing am 24. 3. 2021 auf der Seite Bistum Limburg.
„Halbseiden“ ist wahrlich ein treffendes Stichwort. Die Supermodernen denken einfach konsequent zuende, was bereits in der Verkehrung der Ehezwecke des Konzils falsch aufgefasst wurde. Das geht den modernen Konservativen dann zu weit. Beiden gemeinsam ist ihre Orientierung an den jeweils eigenen Befindlichkeiten. Wie es im Beitrag dankenswerterweise zum Ausdruck kommt: Die Orientierung eines Katholiken steht außerhalb, am Wort Gottes und Seiner Kirche. So besiegt der Mensch die Versuchung. So strahlt das Licht Gottes in die düsteren Zellen unserer weltlichen Gefängnisse. Doch auch dieses wahrlich zutreffende Bild verkehrte das Konzil. Man braucht sich über die Folgen nicht zu wundern.